E-Book, Deutsch, 322 Seiten
Braune Mein Sonn und Schild
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-99146-523-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine deutsch-afrikanische Liebesgeschichte
E-Book, Deutsch, 322 Seiten
ISBN: 978-3-99146-523-2
Verlag: novum Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ist unsere Kolonialgeschichte wirklich abgehandelt? - Der Autor nimmt uns auf eine tief persönlich empfundene Reise in unsere kollektive Vergangenheit - Sklaverei, Kolonialismus, Holocaust und auch der Neuanfang sind verknüpft. Wir tragen noch an den menschlichen Verfehlungen dieser Zeit. 'Die Menschen haben Gott vergessen; deswegen ist alles passiert.' Dagegen strahlt Afrikas sonnige Natur und eine neuerfahrene Liebe Gottes durch das Buch. Es geht um den tieferen Sinn und um Versöhnung im Auf und Ab des Menschengeschehens ...
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Erste Weihnacht in Südwest „Wende Dein Gesicht der Sonne zu, und Du lässt den Schatten hinter dir.“ Afrikanisches Sprichwort 1951 – Ein Schicksalsjahr für uns –, Flucht aus der Ostzone, Monate des Wartens in Westdeutschland, endlich die Schiffsreise nach Afrika, und nun die erste Weihnacht in Südwest. Südwest, das ist Südwestafrika. Wir, das ist die Mutter Tilla, der Vater Wolfgang, meine ältere Schwester Runhild, mein jüngerer Bruder Helmut und ich, der Eberhard, im April zehn geworden. Geboren bin ich in Schwerin/Mecklenburg. Ich bin schon im ersten Jahr auf der Farm ein Südwester geworden. Das Südwesterlied, 1937 von Heinz Anton Klein-Werner geschrieben, muss man kennen, um das zu verstehen. Da heißt es: „So hart wie Kameldornholz ist unser Land Und trocken sind seine Riviere. Die Klippen sind von der Sonne verbrannt Und scheu sind im Busche die Tiere. Und sollte man Euch fragen, was hält Euch denn hier fest, ja fest, Wir könnten nur sagen wir lieben Südwest.“ Wie lieb habe ich die Sonne und das Licht, den Kameldornbaum, eine Schirmakazie und Wahrzeichen des Landes, die „Riviere“, das sind die Flüsse, die meine Arbeit wurden, ein Leben lang als Hydrologe. Und den Busch und seine Vogel- und Tierwelt, es gibt nichts Schöneres. Die erste Farm war Ibenstein am Schafrevier, ungefähr 2 Stunden Autofahrt von Windhoek und meinem Schülerheim entfernt. Als ich nach drei Monaten Schule und Schülerheim zum ersten Mal zu einem langen Wochenende auf die Farm konnte, war die Freude einfach zu groß. Ich war hinten auf dem Lastwagen und trommelte immer wieder aufs Autodach, worauf der Fahrer nicht anders konnte als anzuhalten und nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Jeder Moment wurde ein Erlebnis. Im breiten, sandigen Schafrivier lernte ich das Eselreiten zusammen mit den „Pikanins“, den kleinen schwarzen Jungs der Farm. Und natürlich lernte ich schnell das Otjiherero als Umgangssprache. „Omonenne“ heißt groß und „katiti“ ist klein. Der Vorgänger meines Vaters als Farmverwalter hieß überall Katiti Müller, weil es so viele Müllers gab. Farm Ibenstein war nur eine Ubergangsstation bei Freunden gewesen, bis Stiefvater Wolfgang eine eigene Farmverwalter-Stelle finden konnte. Das wurde dann die Farm Okakombo, eine Stunde per Auto von dem kleinen Ort Omaruru entfernt, aber 400 km von Windhoek und Schülerheim. Gefarmt wurde mit Karakulschafen und auch mit Rindern. Aufregend war es, wenn die Schafe abends von der Weide kommen und zur Tränke rennen. Gezählt werden die Schafe jeden Tag, wenn sie durch ein kleines Tor, alle auf einmal, versuchen, in den Kraal, so heißt das Viehgehege um die Tränke, zu kommen. Da ist das Zählen gar nicht leicht, und der Rat für den Anfänger war stets: „Zähl einfach die Beine und teil durch vier.“ Der Höhepunkt war aber das Brennen der jungen Rinder. Im Kraal werden sie einzeln mit einem Lederriemen am Hinterbein gefangen, von drei Mann umgeworfen und festgehalten, während ein vierter mit dem Brandeisen das Zeichen der Farm auf das Hinterteil anbringt. Die Szene – Staub, Geblök und Männergeschrei – muss man sich vorstellen. Die Hereros sind einfach Könner, was den Umgang mit Rindern anbetrifft. Ich kann mich an den langen Theodor erinnern, der alle übertraf, wenn es zum Brennen kam. Jeremias war der Schafspezialist, wichtig beim regelmäßigen Schlachten der Lämmer. Die Felle müssen abgezogen werden und zum Trocknen auf einen Rahmen gespannt werden, um eines Tages zu einem schicken Karakulpelz oder Mantel zusammengenäht zu werden. Die Fellchen kommen auf eine Auktion, wo Kenner die Qualität der Locke begutachten und den Preis bestimmen. Auf der Farm Okakombo Okakombo ist 5000 Hektar groß, wobei 1 Hektar 100x100 Meter sind. Die Farm ist in verschiedene eingezäunte „Kamps“ aufgeteilt, jeder Kamp mit seiner eigenen Wasserstelle. Die braucht man, um das Vieh regelmäßig zwischen den Kamps zu wechseln, um die Weide zu schonen. Zu den Kamps kommt man auf schmalen Sandpads mit dem Lastwagen oder zu Pferd. Ein Mitfahrer ist immer gefragt für das Auf- und Zumachen der vielen Farmtore – am Anfang nicht leicht, denn jedes Tor hat sein eigenes Drahtpatent. Die Fahrt ist jedes Mal ein Abenteuer, denn man weiß nie, was plötzlich aus dem dichten Busch erscheint – ein paar Erdmännchen, aufrecht am Padrand sitzend, zwei Stachelschweine unterwegs oder ein riesiger Kudubulle, der mit einem Satz im Busch verschwindet. Zur Schule ging es von hier aus nur mit der Bahn, erst mal mit der Schmalspurbahn bis Karibib und dann mit der großen Bahn weiter nach Windhoek. Es gibt ein Foto von mir aus dem Zugfenster auf dem Omaruru-Bahnhof, das heißen könnte: „Auf die Zähne beißen, sonst kommen die Tränen.“ Zurück ins Schülerheim war nie leicht, aber dafür konnten Runhild und ich zweimal im Jahr in den großen Ferien nach Hause auf die Farm. Meine Mutter hat uns etwas von dem ersten Weihnachten in Südwest, 1951, aufgeschrieben. „Mitte Dezember waren wir alle fünf zum ersten Mal auf Okakombo vereint! Die Freude, die uns alle erfüllte, ist mir zu beschreiben unmöglich. Die Kinder hatten sechs Wochen Schulferien und sollten nun auf Okakombo ein neues Zuhause finden, nach all den Schrecken, Ängsten und Sorgen, die Flucht und Heimatlosigkeit mit sich brachten. Das war nicht schwer, denn jeden Tag gab es etwas Neues zu erleben: die herrliche Landschaft mit dem Götterberg der Hereros, dem Okonjenje, in der Ferne, die Eingeborenen und ihre ausdrucksvolle Sprache, die Arbeit auf der Farm, das Vieh in den Krälen und das Wild im Feld. Erst mal gab es viele Vorbereitungen, um überhaupt alle im ‚Haus’ unterzubringen. Wolfgang hatte mir schon eine Wasserleitung vom Windmotor zum Haus gelegt, hatte für die Badewanne, die im größten Badezimmer der Welt stand, nämlich in Gottes freier Natur, eine Nische am Haus hergerichtet, hatte das Wellblechdach des Hauses mit weiteren großen Steinen belegen lassen und die große Veranda mit Pfeilern abgestützt.“ Die ersten Weihnachtseinkäufe in Omaruru, 60 km Sandstraße entfernt, waren für die Farmangestellten. Jeder Mann bekam ein Hemd und eine Hose und für jede Frau 8-12 m Stoff, Blaudruck, für ein Kleid. Damit wurde die bekannte Herero-Tracht, das lange viktorianische Kleid mit den vielen Unterröcken und dem hohen Kopfschmuck, angefertigt. Für die Weihnachtsbäckerei konnte die Farm Milch, Butter und Eier liefern, und die Plätzchen waren ein großer Erfolg. Verzweifelt hatte ich über Wochen nach roten Äpfeln für die bunten Teller gesucht. Die Sommerweihnachten hatten alles ein bisschen durcheinandergebracht. Aber zwei Tage vor Weihnachten waren auf einmal rote Äpfel da. Dass sie nicht schmeckten, wusste ich da zum Glück noch nicht. Der 24. Dezember brach an. Die Hitze war nach unseren damaligen Begriffen kaum überbietbar. Gegen Mittag teilte Wolfgang an jeden, der auf der Farm oder im Haus arbeitete, die doppelte Wochenration an Kost aus: Kaffee, Tee, Zucker, Maismehl – ihr Hauptnahrungsmittel –, Petroleum und Streichhölzer. Milch für „Omeire“ (Dickmilch) bekamen sie schon morgens, gleich nachdem Anna gemolken hatte. Aber das Fleisch für die Festtage musste noch verteilt werden. Jeremias, der Vormann, hatte dem neuen „Baas“ (Farm-Herr) vorgeschlagen, die „verrückte“ Kuh zu schlachten, und so geschah es. Um die Übergabe der „Präsente“ (Geschenke) ein wenig festlich zu gestalten, wurden Bretterkisten mit weißen Bettlaken und grünen Zweigen aus dem Feld bedeckt. Zu den Geschenken kamen dann noch Kuchen und „Lekkers“ (Bonbons) als Verzierung. Nun hatten wir uns noch festlich anzuziehen, bevor unsere Eingeborenen kamen. Jetzt erst konnten wir die Kerzen aus dem Kühler holen, sonst wären sie uns längst geschmolzen. Bald kam ein langer Zug von der Werft zum Farm-Haus. Wendoline ging voran, nein, sie schritt, wie alle Herero-Frauen. Alle waren sauber gekleidet, und Anna, die alte Melkerin, hatte ihr Kleid, aus dem immer eine Brust herausschaute, mit großen Sicherheitsnadeln geschlossen. Wir waren gespannt, aber Wolfgang hatte uns instruiert, wie sich die Bescherung abspielen würde. Während alle Männer und Frauen sich im Halbkreis vor der Veranda aufbauten, zündete ich die Kerzen an. Und nun begannen sie zu singen. O du fröhliche, O Tannenbaum und auch Stille Nacht. Es bewegte uns sehr, hier mitten im Busch deutsche Weihnachtslieder in einer fremden Sprache, Herero, zu hören. Wolfgang machte seine Ansprache auf Deutsch, und Jeremias übersetzte. Nach einem Glas Wein für alle teilte Wolfgang die „Präsente“ aus, und der Bann war endlich mit vielen „dankie Baas“, „dankie Mister“ und „dankie Missies“ gebrochen. Wir durften nun lachen und reden und jedem „Frohe Weihnachten“ wünschen. Nach dem Abendessen wollten wir Weihnachten in der Familie feiern. Als es soweit war, steckte ich die Kerzen in die Halter, und Wolfgang zündete sie an. Ein Glöckchen hatte sich irgendwo gefunden, und so konnten die Kinder wie zu Hause gerufen werden. Eberhard sprach die Weihnachtsgeschichte, und Runhild sagte ein Gedicht auf. Das singen unserer alten schönen Weihnachtslieder ging gar nicht schlecht, ganz ohne Grammofon oder Musikinstrumente. Dann durften endlich die Geschenke besehen und ausgepackt werden. Für uns hatten die beiden Großen gebastelt und gehandarbeitet. Strahlende Augen, lachende Gesichter, Weihnachtsfreude! Die beiden Pakete von meinen...