Brauneck | Kleine Weltgeschichte des Theaters | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6142, 295 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Brauneck Kleine Weltgeschichte des Theaters

E-Book, Deutsch, Band 6142, 295 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-66852-4
Verlag: C.H.Beck
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Das 20. Jahrhundert hat auch die Theaterkulturen der Welt einander nähergebracht. In diesem Band führt der renommierte Theaterhistoriker Manfred Brauneck in die Weltgeschichte einer Kunstform ein, die in allen Ländern und zu allen Zeiten tief im gesellschaftlichen Leben verwurzelt war. Im Zentrum stehen die Theaterkulturen Europas, Indiens, Chinas und Japans, die sich über Jahrhunderte hinweg weitgehend eigenständig entwickelt haben. Ganz unterschiedlich waren die sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen, die Stoffe und Themen, das Zusammenspiel von Sprache, Bild, Bewegung und Musik sowie die Funktionen, die dem Theater zugewiesen wurden. Doch seit dem späten 19. Jahrhundert ließen sich europäische Künstler vom Theater außereuropäischer Kulturen inspirieren, während man sich außerhalb Europas zunehmend am westlichen Theater orientierte. Das Theater der Gegenwart ist in allen Ländern in vielfältiger Weise von den Theaterformen früherer Epochen und anderer Kulturen geprägt. So wird dieses Buch auch für den heutigen Theaterbesucher ein unentbehrlicher Begleiter werden.
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Einleitung
«Die Wahrheit im Theater ist immer auf Wanderschaft.» Peter Brook: Der leere Raum Diese Kleine Weltgeschichte des Theaters ist in vier Kapitel gegliedert, denen eine Vorbemerkung vorausgeht. Das erste Kapitel behandelt die Geschichte des europäischen Theaters, die den längsten Zeitraum und eine Vielzahl nationaler Ausprägungen umfasst, weshalb diesem Kapitel auch ein deutlich größerer Umfang eingeräumt wird. Dabei werden die im Laufe der Geschichte sich entwickelnden theaterkulturellen Konstellationen – wie in den anderen Kapiteln auch – vor dem Hintergrund der allgemeinen Geschichte, der Sozial- und Kulturgeschichte behandelt. Es folgen die Kapitel über das Theater in Indien, China und Japan. Diese Länder haben in ihrer Geschichte faszinierende große Theaterkulturen mit einer Vielfalt an künstlerischen Formen hervorgebracht, ohne Kontakte zu den Theaterentwicklungen im Westen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts allerdings übernahmen auch sie Elemente des europäischen Theaters und vollzogen dessen Entwicklungen mehr oder weniger mit. Dieser Prozess führte in Indien, China und Japan zur Entstehung eines als «modern» geltenden Theaterwesens. Seitdem ist das Theaterleben dieser Länder von einem Nebeneinander ihres traditionellen und eines modernen, zeitgenössischen Theaters geprägt. Die Vorbemerkung, die diesen Kapiteln vorausgeht, thematisiert den Umgang mit dem Theater fremder Kulturen. Es ist dies ein Aspekt, über den es in einer globalisierten Welt vermehrt nachzudenken gilt, zumal wenn es wie in diesem Buch darum geht, ein Bild zu entwerfen, das die Geschichte des Theaters im Nebeneinander unterschiedlicher Kulturen, deren Austausch und die vielfältigen transkulturellen Rezeptionsprozesse zum Gegenstand hat. Das Theater in Afrika, das unstrittig eine eigene Darstellung verdient hätte, wird in dieser Kleinen Weltgeschichte des Theaters nicht behandelt, und zwar aus einer Reihe von Gründen: Theater in Afrika stellt sich zwar in einer Vielgestaltigkeit dar, die der Vielzahl der afrikanischen Kulturen südlich der Sahara, im sogenannten Schwarzafrika, entspricht; es ist jedoch außerhalb der Ethnologie, der Afrikanistik und der Afrikawissenschaften nur in einigen Schwerpunkten aufgearbeitet (vgl. O. Okagbue 2007, 1f.). Außerdem gibt es im Vergleich zu den Theaterkulturen Europas, Indiens, Chinas und Japans keine afrikanische Theaterkultur im Sinne eines geschichtlichen Kontinuums. Auf dem riesigen Kontinent existieren heute etwa 55 Staaten, in denen mehr als 2000 indigene Sprachen gesprochen werden, die eigene Kommunikationsräume entstehen lassen und ihre «identitätsstiftende und -bewahrende Symbolkraft» zur Geltung bringen (vgl. H. E. Wolff 2011, 195f. u. 203). Zudem ist der nördliche Teil Afrikas überwiegend von der Kultur des Islam geprägt, der zumindest seiner Tradition nach keine eigene Theaterkultur kennt. Die Islamisierung Afrikas setzte bereits im 7. Jahrhundert ein und verschaffte der arabischen Sprache eine zentrale Bedeutung vornehmlich in den nördlichen Regionen des Kontinents. Die vielen traditionellen, ethnisch und regional geprägten Theaterkulturen in Schwarzafrika hingegen haben jeweils ihre eigene Formensprache entwickelt. Sie stellen zumeist auch essenzielle Bestandteile in Brauchtumszusammenhängen kultisch-ritueller oder profaner Provenienz dar. Diese traditionellen Theaterformen beruhen weder auf schriftlichen Spielvorlagen noch auf dem Drama als einem literarischen Genre. Dafür existieren in den indigenen afrikanischen Sprachen auch kaum adäquate Begriffe (vgl. O. Okagbue 2007, 3). Die Darbietungen manifestieren sich vielmehr als performative Ereignisse, in Tänzen, Musik und Schaustücken aller Art, und vermitteln – neben ihrer Funktion in Kult und Brauchtum – die Dynamik eines Lebensgefühls, dessen Grundantrieb die Bewegung ist. Dabei wird zwischen Akteuren, auch wenn diese durch Masken in eine den Alltag transzendierende Sphäre versetzt sind, und dem Publikum nicht immer unterschieden. Tatsächlich ist das «Subjekt» dieser Darbietungen die Kultgemeinschaft, nicht der individuelle Tänzer. Dieses traditionelle afrikanische Theater hat seine eigene Zeit: «heilige» Zeit im Kult oder profane Festzeit. Im Kult finden die Darbietungen zu Ehren von Göttern, Dämonen oder hochrangigen Persönlichkeiten statt wie auch zum Wohle der Gemeinschaft; den Akteuren bringen sie keinen materiellen Nutzen (vgl. O. Okagbue 2007, 3). Als rituelle Akte, die zumeist von Männern ausgeführt werden, sind diesen Aufführungen stets auch Elemente des Spektakelhaften eigen, die von der Kultgemeinschaft als «Lustbarkeit» wahrgenommen werden. Sie verlieren dadurch jedoch keineswegs ihren Ernst als kultische Handlungen. Wie Michel Leiris, der den französischen Surrealisten nahestehende Literat und Ethnologe, schreibt, scheint es in diesen theatralen Darbietungen «zwischen Spiel und Ritus … keinen Kontinuitätsbruch zu geben» (1979, 137f.). Da sie sich zudem exzessiv körperbetont, in den Rhythmen und den kollektiven Tanzbewegungen scheinbar «monoton» präsentieren, bieten gerade diese beiden Aspekte aus westlicher Sicht immer wieder Anlass zu ethnozentrischen Fehldeutungen. Diese beruhen offenbar auf einer «zwiespältigen Einstellung des Westens zum Körper», der durch den westlichen Zivilisationsprozess «zum Schweigen gebracht» wurde (vgl. D. Kamper u. V. Ritter 1976, 7f.). Der Anthropologe Jean Laude weist in einem einleitenden Essay zu dem Buch Danses d’Afrique darauf hin, dass frühe kolonialistische Schriftstücke zwar von der Faszination berichten, die die Tänze der Afrikaner auf die europäischen Forschungsreisenden und die Missionare ausübten, ebenso aber auch von deren Erschrecken über die vermeintliche «Zügellosigkeit und entfesselte animalische Sexualität» dieser Tänze (J. Laude 1979, 7). Zudem entgeht dem westlichen Betrachter gewöhnlich, dass die rhythmischen Bewegungen auf «Ordnung und Übereinstimmung mit der Tradition beruhen» und den Tänzern Neuerungen ebenso fremd sind wie der Wille zu persönlichem Ausdruck (vgl. S. Vogel 1980, 132f.). Im Sinne eines falschen Evolutionsdenkens wurde dieser künstlerische Stil als «Primitivismus» bezeichnet. Neben der Kunst der afrikanischen Völker hat man darunter auch die Artefakte der ozeanischen und indianischen Völker sowie ethnischer Gruppierungen in Süd- und Mittelamerika und in Alaska subsumiert. Unter dem Aspekt der Wirkung, die von der Kunst dieser «Naturvölker» auf die europäische Moderne ausging, fand 1984 im Museum of Modern Art in New York eine zu Recht als sensationell empfundene Ausstellung statt, die den Titel «Primitivism» in 20th Century Art trug. William Rubin, der die Ausstellung wissenschaftlich vorbereitet und kuratiert hat, schreibt im Katalog dazu, dass der «‹Primitivismus›, die Anregung des Denkens und Schaffens moderner Künstler durch die Kunst und Kultur der Naturvölker, … zu den Schlüsselthemen der (westlichen) Kunst des 20. Jahrhunderts» gehört (W. Rubin 1984, 9). Rubin weist allerdings auch darauf hin, dass in der Diskussion dieser Wirkungsgeschichte weder in der Wissenschaft noch in den künstlerischen Diskursen eine eurozentrische Sicht überwunden sei. Bemerkenswert ist dabei auch ein ideologischer Deutungsaspekt, den sich die Autoren des Ausstellungskatalogs zu eigen gemacht haben: «Primitive Kunst», heißt es dort, «ist für viele der Ausdruck eines Seinszustands, der um viele Dimensionen in der Erfahrung von Natur, Kosmos und geistiger Welt reicher ist als jenes Verständnis von Wirklichkeit, das die ‹westliche› Welt pflegt.» (W. Rubin 1984, 6) Auch etliche Theaterreformer im 20. Jahrhundert, die meinten, das europäische Theater sei in seinen Konventionen erstarrt, und die sich aufmachten, kulturelle Grenzen in Richtung Ferner Osten zu «überschreiten» – Reisen nach Indien schienen geradezu ein Pflichtprogramm zu sein –, begaben sich auf die Suche nach einem «reinen» Theater und nach Erfahrungen, die von jenen Zumutungen frei sind, welche die westliche Zivilisation den Menschen abverlangt. Der Einfluss Schwarzafrikas und der anderer «Naturvölker» auf die bildende Kunst der europäischen Moderne mag weitaus greifbarer sein als der auf das Theater Europas. Eines der wenigen Zeugnisse für ein unmittelbares Zusammenspiel traditioneller afrikanischer und ozeanischer Kunst mit dem europäischen Theater im frühen 20. Jahrhundert ist das avantgardistische Ballett La création du monde, das 1923 in Paris uraufgeführt wurde (vgl. M. Brauneck 2003, 63). Es war eine Produktion der Ballets Suédois in der Choreografie von Jean Börlin, der sich für dieses «Ballet nègre» von der Statuarik afrikanischer Skulpturen inspirieren ließ. Darius Milhaud, der die Musik komponierte, hatte in Pariser Tanzlokalen die von afrikanischen Rhythmen geprägte Jazzmusik kennengelernt und in seiner Komposition verarbeitet. Der kubistische Maler Fernand Léger schuf dazu spektakuläre Kostüme nach dem Vorbild afrikanischer Masken und ozeanischer Skulpturen, die er in Pariser Museen und Privatsammlungen studiert hatte....


Manfred Brauneck ist emeritierter Professor an der Universität Hamburg. Ab 1973 lehrte er dort Theaterwissenschaft und leitete von 1986 bis 2003 das Zentrum Theaterforschung sowie bis 2005 den Studiengang Schauspieltheater-Regie. Er hatte zahlreiche Gastprofessuren in den USA inne und kuratierte verschiedene Theaterausstellungen, die auch in Paris, in Sofia und in den USA gezeigt wurden. Für seine Forschungen zur Geschichte des Theaters wurde er 2010 mit dem Balzan-Preis ausgezeichnet.


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