E-Book, Deutsch, 320 Seiten
Brausewetter Dämonen der Zeit
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-48763-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-87-11-48763-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klaus Körber hat zu seinem dreißigsten Geburtstag eingeladen, die Gäste kommen bald. Gerade noch prüft er Frack, Binde und Oberhemd, als ihm sein Diener den Prokuristen des Handelshauses 'Körber & Sohn' ankündigt, der sich nicht vertrösten lässt. Körber erfährt, dass das Handelshaus in den kommenden Tag bankrott sein wird, wenn es ihm nicht gelingt, zwei Geschäftspartner zu bewegen, kulanterweise von den Lieferverträgen des Hauses zurückzutreten. Dies erscheint ihm möglich, waren beide doch schon langjährige Freunde seines Vaters. Doch zu seinem Schrecken muss er am folgenden Tag erfahren, dass gerade der alte Tenerissen dazu nicht bereit ist. Er wirft Körber vor, kein Kaufmann zu sein und fordert ihn auf, sein Geschäft aufzugeben. Körber zieht daraufhin in die Welt, zunächst Danzig, wo er in dem Geschäft seines alten Obersten und Gönners als Angestellter unterkommt. Als der Alte vor seinen Augen stirbt, beginnt seine Odyssee überhaupt erst. Wird Körber eines Tages an sein Ziel kommen?-
Artur Brausewetter (vollständiger Name Arthur Friedrich Leon Brausewetter; 1864-1946; Pseudonyme: Arthur Sewett, Friedrich Leoni) war ein deutscher evangelischer Pfarrer und Schriftsteller. Artur Brausewetter studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie an der Universität Berlin und der Universität Bonn. Später wurde er Pfarrer. Seit 1908 war er Archidiakon an der Oberpfarrkirche St. Marien in Danzig, wo er bis zur Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs lebte. In den Jahren 1933 und 1934 wurde er von den Deutschen Christen im Danziger Landessynodalverband aus dem Amt gedrängt. Brausewetter war Mitarbeiter der Zeitungen 'Der Tag' und 'Tägliche Rundschau' und schrieb zahlreiche Romane, die hohe Auflagen erzielten und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sein Schauspiel 'Ich bin Doktor Eckart' wurde 1944 in Weimar uraufgeführt. 1946 vollendete er seinen letzten Roman 'Die höheren Mächte', der das Schicksal der Bewohner Ostdeutschlands von 1933 bis 1945 behandelt.
Autoren/Hrsg.
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Erstes Buch
Klaus Körber feierte seinen dreissigsten Geburtstag. Er war gerade beschäftigt, Frack, Binde und Oberhemde einer letzten Prüfung zu unterziehen, als Moritz, sein junger Diener, erschien. „Herr Steinwender,“ meldete er in der ihm anerzogenen Kürze. „Jetzt unmittelbar vor der Gesellschaft? Unmöglich.“ „Er kame in einer wichtigen Angelegenheit.“ „Er soll sie morgen früh vortragen.“ Nach einer Minute kehrte der Diener zurück: „Herr Steinwender muss den Herrn sofort und unter allen Umständen sprechen.“ „Zum Teufel auch!“ brauste Klaus Körber auf, nahm aber die Hausjacke von dunkelblauem Samt, die der Diener ihm reichte. „Suche mir inzwischen eine andere Weste aus. Diese wirft eine Falte. Auch das Vorhemde ist nicht steif genug. Ich habe dir oft genug gesagt: unter dem Frack muss es wie ein Panzer sitzen.“ Im Empfangszimmer, das bereits zur Begrüssung der Gäste hergerichtet und von einer Wolke feinen Fliederdufts erfüllt war, stand ein kleiner, verhutzelter Mann mit grauem, verknittertem Gesicht und nüchternen Augen, die missvergnügt in diese Welt der Pracht und des Luxus hineinblinzelten: Herr Steinwender, der mit der Firma altgewordene Prokurist des Hauses „Körber & Sohn“. So hiess es bereits von Klaus’ Grossvater her, der es vermöge seines kaufmännischen Geschickes und eines ehernen Fleisses aus den kleinsten Anfängen zu Weltruf gebracht hatte. „War es notwendig, dass Sie mich ausgerechnet in diesem Augenblicke sprechen mussten?“ „Es war notwendig.“ „Sie sind doch selbst geladen —“ „Ich bedaure. Es ist mir nicht möglich ... beim besten Willen nicht möglich, Herr Körber.“ „Nicht möglich?“ „Sie werden mich verstehen, wenn Sie mich gehört haben.“ „So haben Sie die Freundlichkeit, sich kurz zu fassen. Meine Gäste können jeden Augenblick erscheinen, und, wie Sie sehen, bin ich noch wenig für sie gerüstet.“ „Die Rechnungen von unseren finnischen Lieferanten sind eben eingetroffen und sofort zahlbar. Das Papier ist verladen und unterwegs.“ „Nun?“ „Wir können das Papier nicht einlösen.“ Klaus Körber nestelte mit der schlanken Hand an den Schnüren seiner Samtjacke und wandte den Blick von dem Alten ab. „Herr Körber,“ raffte sich dieser auf, mit merkbarer Mühe nach den Worten suchend, „Sie wissen es, wie ich immer darauf gedrungen habe, dass Sie sich bei diesem grossen Einkauf mit den nötigen Devisen eindecken sollten. Sie meinten aber, die Hausse in Dollar werde in kurzer Zeit nachlassen, und lehnten es ab.“ „Jawohl. Die Banken erklärten mir einstimmig, es könnte sich nur um eine vorübergehende Hausse handeln.“ „Indessen stieg der Dollar, stieg rapide. Wir deckten uns nicht ein.“ „Wir konnten es nicht mehr.“ „Wir hatten andere Verluste: die übernommenen Verbindlichkeiten gegen die neugegründete Papiergesellschaft, die Übernahme einer so grossen Anzahl von Stammaktien, vor der ich warnte, und gegen die auch Herr Gomprecht seine Stimme erhob.“ „Die Männer, die dahinter standen, schienen Gewähr für ein besonderes Gelingen zu geben.“ „Wenn Tenerissen wie Hamanns Erben heute auf Erfüllung ihrer Verträge bestehen, so bedeutet das —“ Um die blutlosen Lippen lief ein Zucken. Man fühlte dem alten Manne die innere Bewegung an, die ihn nicht weitersprechen liess. „Schwere, sehr schwere Verluste ... ich weiss das, mein lieber Steinwender. Aber andere Geschäfte machen in diesen unberechenbaren Zeiten ähnliches durch. Wir sind nicht die einzigen. Wir werden tapfer arbeiten. Ich werde Ihnen freiere Hand lassen — und wir werden die Verluste überwinden.“ „Es handelt sich nicht um Verluste.“ „Worum denn?“ „Um den Ruin.“ Ganz still war es zwischen den Beiden. „— — Den Ruin, sagen Sie?“ fragte dann Klaus Körber, und seine Stimme zitterte. „Soweit wären wir?“ „Ja, Herr Körber — soweit sind wir.“ „Die Bank muss helfen.“ „Wir haben den Kredit bereits überzogen.“ „Ich werde mit Gomprecht sprechen.“ „Es wird Ihnen nichts nützen.“ „Tenerissen sowie Hamanns Erben müssen von ihren Verträgen zurücktreten. Sie stehen mir persönlich nahe. Sie befinden sich heute unter meinen Gästen, und ich darf sie zu meinen Freunden rechnen.“ „Es wäre die letzte Möglichkeit ... die einzige Rettung wäre es. Tun sie es nicht ... dann sind Sie morgen ein ruinierter Mann ... ein völlig ruinierter Mann. Und nun werden Sie verstehen, dass ich heute Ihren Geburtstag nicht mit Ihnen feiern kann.“ „Puh — was für ein Wetter!“ sagte Herr Benno Markenthin zu Herrn Lothar Tenerissen, rieb sich die roten, starkknochigen Hände, putzte lärmend die Nase und trat mit den platten Füssen, die sich an die widerwillige Einschnürung in die zierlichen Lackhalbschuhe immer noch nicht gewöhnt hatten, über den dicken Läufer der behaglich durchwärmten Diele. Starr wie ein Fels stand der baumlange Tenerissen, sah immer geradeaus und mit keinem Blick auf den runden, wohlgenährten Zigarettenfabrikanten, der allerlei Geschichten aus dem Geschäft und aus der Gesellschaft erzählte und seiner Ungeduld über das lange Ausbleiben der Damen, die in den oberen Räumen ablegten, drastischen Ausdruck gab. „Das ganze Verheiratetsein ist ein einziges Warten.“ Er liebte solche geistreichen Anmerkungen und war stolz auf sie. „So ... so.“ Das war das einzige, was Herr Tenerissen sagte, was er überhaupt zu sagen pflegte, wenn man gleichgültige Dinge mit ihm verhandelte oder ihn in eine gesellschaftliche Unterhaltung zu ziehen suchte. Nur wenn sich das Gespräch um geschäftliche oder politische Gegenstände drehte, wurde er lebhaft. Nun gesellte sich auch Felix Gomprecht, der noch jugendliche und, im Gegensatz zu den beiden andern Herren, mit vollem, dunklem Scheitelhaar bedachte Direktor der Deutschen Bank, zu ihnen. Er brauchte niemals zu warten, denn er hatte niemand, der es von ihm verlangt hätte, und freute sich über die Tatsache jedesmal aufs neue, wenn er seine Freunde vor den Gesellschaften mit grösserer und geringerer Ergebenheit in den Vorräumen auf- und niederschreiten sah. Jetzt aber war alles in dem grossen Empfangssaal versammelt, in dem bereits Klaus Körbers Eltern ihre Gäste begrüsst hatten. Nichts Herkömmliches oder gesellschaftlich Steifes war in ihm. Altertümliche, mit sorgfältiger Kunst gearbeitete Möbel standen in reicher Anzahl und scheinbar planloser Anordnung in der Mitte des Zimmers, in lauschigen Ecken und Winkeln. Von schweren Pfeilern blickten wuchtige Bronzen herab, und an den mit bordeauxroter Seide ausgeschlagenen Wänden hingen zwischen kühngeschweiften Spiegeln und glitzernden Armleuchtern bunte Gemälde in goldenen, manchmal ein wenig prunkenden Rahmen. Und über alles das gossen von den hohen Deckfriesen herniederhängende Glühbirnen ein gedämpftes Licht, das diese Welt der Pracht und des Reichtums in wohlig weiches Behagen hüllte. An der Eingangstür stand Klaus Körber. Freundschaftlich und doch mit der Achtung, die dem Jüngeren dem angesehenen Senior der Kaufmannschaft gegenüber angebracht erschien, begrüsste er Herrn Tenerissen, neigte sich zum Handkusse vor seiner Gattin, die gerne die Königin in ihren Kreisen spielte, sagte Fräulein Elise, die ganz weiss, von den Schuhsohlen bis zu den Blumen in den Haaren, gekleidet war, einige verbindliche Worte, hatte auch für Herrn Benno Markenthin, über den er sonst gerne unmerkbar hinwegsah, ein gemessenes, liebenswürdiges Willkommen. Dann aber streckte er mit um so ungezwungener Herzlichkeit Gomprecht, der ihm an Alter und gesellschaftlicher Anschauung am nächsten stand, beide Arme entgegen, und sah sich bald von einem Kreise befrackter Herren, von denen einige noch eine stattliche Kette von Orden und ehrenden Abzeichen aus alter Zeit aufzuweisen hatten, und einem ganzen Flor von duftigen, in allen Farben lachenden und leuchtenden Kleidern umgeben. Der junge Moritz, Klaus Körbers Leibdiener, und der alte Jochem, den er von den Eltern übernommen, hatten bereits die grossen, eichenen Flügeltüren, die in den Esssaal führten, lautlos auseinandergeschoben. Aber Klaus Körber gab den Herren noch immer nicht das Zeichen, ihre Damen zu Tisch zu führen. „Worauf wartet man eigentlich noch?“ fragte die schwerhörige Exzellenz Röhte ihren Nachbar, den verwitterten Admiral Schmettow, so laut, dass es hart und prall durch die träge sich hinschleppende Unterhaltung dröhnte. „Die Terlinden ist noch nicht da,“ flüsterte Benno Markenthin der reizenden Meerscheidt, der jung angetrauten Gattin des alternden Polizeipräsidenten, ins Ohr. „Sollte er die Dreistigkeit gehabt haben, sie einzuladen?“ mischte sich die dürre, in eine Wolke von Spitzen und Tüll gehüllte Frau Kanzelstuhl, die Witwe eines als Dollarmillionär gestorbenen Tuchfabrikanten, in das Gespräch. „Man trifft sie sonst nicht in der Gesellschaft.“ Da verstummte das halblaute Gespräch dieser Gruppe, wie das wogende Gesumme der anderen. Eine Dame war eingetreten: Hete Terlinden, die gefeierte jungdramatische Sängerin des Stadttheaters. Der Hausherr trat ihr entgegen, küsste ihre Fingerspitzen, die sie ihm mit einer Grazie reichte, die halb kokette Schelmerei, halb leise Befangenheit war, und geleitete sie zu den Damen. Und die eben so wenig freundlich über sie geurteilt, überhäuften sie mit Verbindlichkeiten aller Art. Die einzige Ausnahme bildete Frau Tenerissen. „Man mag...