E-Book, Deutsch, 232 Seiten
Brausewetter Das Glück
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-48764-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 232 Seiten
ISBN: 978-87-11-48764-8
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Artur Brausewetter (vollständiger Name Arthur Friedrich Leon Brausewetter; 1864-1946; Pseudonyme: Arthur Sewett, Friedrich Leoni) war ein deutscher evangelischer Pfarrer und Schriftsteller. Artur Brausewetter studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie an der Universität Berlin und der Universität Bonn. Später wurde er Pfarrer. Seit 1908 war er Archidiakon an der Oberpfarrkirche St. Marien in Danzig, wo er bis zur Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs lebte. In den Jahren 1933 und 1934 wurde er von den Deutschen Christen im Danziger Landessynodalverband aus dem Amt gedrängt. Brausewetter war Mitarbeiter der Zeitungen 'Der Tag' und 'Tägliche Rundschau' und schrieb zahlreiche Romane, die hohe Auflagen erzielten und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sein Schauspiel 'Ich bin Doktor Eckart' wurde 1944 in Weimar uraufgeführt. 1946 vollendete er seinen letzten Roman 'Die höheren Mächte', der das Schicksal der Bewohner Ostdeutschlands von 1933 bis 1945 behandelt.
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4.
Als ich am nächsten Morgen zu der festgesetzten Stunde meinen Besuch bei Fräulein v. Nordau wiederholte, fand ich sie zu meinem schmerzlichen Erstaunen sehr verändert. Sie behandelte mich ganz im Gegensatze zu ihrer gestrigen Freundlichkeit mit einer eisigen Kälte und reichte mir weder beim Kommen noch beim Gehen die Hand. Ihre Augen zeigten einen eigentümlich verschleierten und sehr apathischen Ausdruck, der mich nicht ohne Besorgnis liess; ihre Gesichtsfarbe war noch blasser, als gestern, und ihre Unterhaltung weniger belebt und frisch. Zwar zeigte sie auch heute eine gewisse Bemühung, das Gespräch nicht ganz einschlafen zu lassen, aber die Worte, die sie an mich richtete, kamen müde und schwer von den bleichen Lippen, und ihre Gedanken weilten, während sie sprach, sicher überall eher, als bei dem, wovon wir uns gerade unterhielten.
Draussen aber lachte die Sonne und sandte ihre verheissenden strahlenden Grüsse in das Zimmer; die Vögel sangen, ein lieblicher würziger Hauch entquoll den Blumen, durch die ganze Natur pulsierte frisches, erwachendes Leben.
„Sie sollten ein wenig hinausgehen,“ riet ich ihr, denn ihr schlechtes Aussehen beunruhigte mich. „Es ist ein herrlicher Frühlingsmorgen, und nichts könnte Ihren abgespannten Nerven wohler tun. Erlauben Sie mir, Ihnen zu einem kurzen Spaziergange meine Begleitung anzubieten?“
Sie sah mich befremdet an. „Ich danke Ihnen, ich gehe niemals spazieren,“ erwiderte sie kurz, aber nicht unfreundlich.
„Und doch würde es für Sie die beste Heilung sein.“
„Heilung? Ich brauche keine Heilung!“
In ihren Augen hatte es feindlich aufgeblitzt; ein Zucken lief über den bebenden, fest geschlossenen Mund, und der Ton, mit dem sie diese Worte gesprochen, war nicht mehr freundlich, sondern herbe und abweisend.
Ich liess mich nicht abschrecken. „Verzeihen Sie, gnädiges Fräulein,“ erwiderte ich ruhig, aber sehr bestimmt, „Sie sehen heute sehr angegriffen aus, und Ihr mattes Wesen straft Ihre Worte Lügen.“
Wieder leuchtete es in den dunklen Augen auf, fast noch feindlicher und abweisender als das letzte Mal. Sie war an den Spiegel getreten, und das bleiche, abgespannte Antlitz, das er ihr zurückwarf, schien sie zu erschrecken. Aber dass es meine Ansicht bestätigte und dass sie das zugeben musste, steigerte sichtlich ihren Verdruss.
„Ich habe die Nacht sehr schlecht geschlafen und zudem führe ich das Leben einer eingemauerten Gefangenen. Kann es einen Arzt da wunder nehmen, wenn der Körper Gesundheit und Frische allmählich verliert?“
Sie hatte auf das Wort Arzt einen nicht misszuverstehenden geringschätzenden Ton gelegt. Ich tat, als hätte ich das überhört.
„Die Gefangenschaft diktieren Sie sich selber und kein anderer,“ erwiderte ich, mich zu derselben kalten Ruhe zwingend. „Sowohl Doktor Wolters als ich würden glücklich sein, wenn Sie Gebrauch machen wollten von der Freiheit, die Ihnen in reichstem Masse zu Gebote steht. Sie allein sind es, die sich ihren Aufenthalt zum Gefängnis gestaltet. — Meine Pflicht ist es, offen zu Ihnen zu sprechen — meine Pflicht als Arzt, von der Sie einen zu hohen Begriff allerdings nicht zu haben scheinen. Sie ziehen sich ängstlich und verschlossen von jedem Verkehr zurück; Sie verlassen kaum Ihr Zimmer. Niemand, der Ihnen mit vollem Vertrauen entgegenkommt, halten Sie des Ihren für wert, ja, Ihr Zorn gegen Unschuldige ist so blind, so weitgehend, dass Sie diese für das verantwortlich machen wollen, was Sie aus freien Stücken sich auferlegen. Ich bat Sie eben, Sie auf einem Spaziergange begleiten zu dürfen. Sie wiesen mein Anerbieten mit einem Hohne zurück, der wohl nicht ganz gerecht war.“
Ich schien ziemlich in den Wind gesprochen zu haben. Ein kurzes Zucken, das um den schmerzlich verzogenen Mund bebte, war die einzige Antwort, die mir zuteil wurde. Nur als ich mich erhob, um zu gehen, schien sie die Empfindung zu haben, als müsse sie mir irgend ein freundliches Wort zur Entschuldigung sagen.
„Es sollte mir leid tun — meine Absicht war es nicht, Sie zu kränken,“ rang es sich mühsam von ihren Lippen, aber ich fühlte nur zu deutlich, wie wenig ihr Herz mitgesprochen hatte.
Dennoch unterdrückte ich jedes Gefühl der Kränkung und griff die wenigen Worte gierig auf, um meinem Ziele näher zu kommen.
„So beweisen Sie es mir, indem Sie dem sonnigen Morgen sein Recht einräumen und dieses Zimmer verlassen. Erlauben Sie mir — ich bitte noch einmal darum — Sie, wenn auch nur für kurze Zeit, zu einem Spaziergang in den Park zu geleiten.“
„Ich danke,“ kam es kurz und schroff von ihren Lippen. „Ich würde nur fühlen, dass man die Mauern meines Gefängnisses erweitert, aber sie dann an ihren Grenzen um so fester verschliesst. Und zudem —“
„Zudem?“
„Ich dulde zwar den Besuch meiner Kerkermeister, aber ich lasse mich nicht von ihnen spazieren führen.“
Ein glühendes Rot schoss in ihre Wangen; ihre Nasenflügel bebten und all der tödliche Hass, den sie vielleicht lange und mühsam genug zurückgehalten, flammte in ihrem Antlitz auf und sprach mit heisser Leidenschaft aus den dunklen Augen, die grösser und grösser zu werden schienen. Aber dieser Zorn gab dem schönen Gesicht einen so bedeutenden und bei aller Leidenschaft edlen Ausdruck, dass ich die Kränkung nicht beachtete, die sie mir hatte persönlich antun wollen, sondern sie nur mit einem unsagbaren Gefühle lange Zeit anstarrte, das vielleicht aus Mitleid und Bewunderung zusammengesetzt war, aber doch noch viel mehr war, als eine Mischung dieser beiden.
Indessen schwand der erregte Ausdruck sehr bald von ihrem Gesichte; es schien, als schäme sie sich, die lang geübte Beherrschung in diesem Augenblicke nun doch verloren zu haben. Ihre Züge nahmen den ruhigen Ausdruck wieder an, der jetzt fast steinern schien, und ihr Blick ruhte auf mir mit eisiger Kälte. Ich hoffte, sie würde durch ein freundliches, entschuldigendes Wort die Beleidigung, die sie mir angetan, wieder gut machen, aber ihre Lippen rührten sich nicht. Fester nur pressten sie sich zusammen, und aus den finsteren Brauen sprach ein Trotz, der unbeugsam, aber unendlich schmerzlich war.
Wiederum fasste mich ein unsagbares Mitleid mit der schönen, stolzen Gestalt, und ich fühlte, wie mir das Herz wild gegen die Brust hämmerte.
„Sie tun uns sehr unrecht, mein Fräulein,“ sagte ich in einem Tone, wie man ihn einem kranken Kinde gegenüber anzunehmen pflegt, „wenn Sie uns mit einem Namen benennen, der so wenig auf uns passt. Vielleicht würde es für unseren gegenseitigen Verkehr besser sein, wenn Sie sich entschliessen könnten, ein unberechtigtes Vorurteil gegen uns schwinden zu lassen, uns als das zu betrachten, was wir allein sein wollen und sind: Ihre besten, wohlmeinenden Freunde.“
„Meine Freunde?!“ gab sie mit einem höhnischen Lächeln, aber ohne ihre Ruhe zu verlieren, zurück. „Wie edel und schön sich das anhört. Nur schade, dass ich, so leid es mir auch tut, auf diese Art von Freundschaft verzichten muss. Man beraubt mich der Freiheit, man tut mir, die ich eben von einem Schmerze zu genesen suche, der mich ins tiefste Herz getroffen, Kränkung über Kränkung an, man zweifelt an meiner geistigen Gesundheit und sperrt mich wider meinen Willen, ja, ohne mich zu fragen, in eine Anstalt ein, in der sich Leute aufzuhalten pflegen, die entweder dem Wahnsinn verfallen sind oder ihm sehr nahe stehen. Man will mich, wenn ich vielleicht noch gesund bin, durch ausgesuchte Mittel langsam und ganz allmählich dazu bringen, die Ehre des Aufenthalts in dieser Anstalt mit vollem Rechte zu verdienen — kurz, man ersinnt mir die grausamste Todesart, die denkbar ist, indem man mich in meiner Jugend in ein offenes Grab stürzt und nicht einmal so viel Barmherzigkeit zeigt, es zu übermauern, damit, was da kommen soll, schnell komme —“
„Halten Sie ein!“ rief ich, auf das äusserste erregt. „Ich verzeihe Ihrem Schmerze, aber ich vermag die Beleidigung nicht länger ruhig anzuhören, die Sie grundlos auf uns häufen. Und wenn es auch wahr sein sollte, wenn —“
Ich sträubte mich, den Gedanken auszusprechen, der mir während ihrer Worte durch das Gehirn gezuckt war.
Sie unterbrach mich leidenschaftlich. „Ich weiss, was Sie sagen wollen: wenn es auch wahr wäre, dass diese Anstalt nicht der geeignete Ort für mich ist, so sollte ich meinen Groll auf die werfen, welche die schuldige Ursache an meinem Unglück sind, die mich hierher geschickt haben. Sie mögen recht haben. Allein sperren Sie einen Unschuldigen in ein Gefängnis und predigen Sie ihm, er möge seinen Kerkermeister lieben. Er weiss, dass dieser Mann keinen Anteil hat an dem Unglück, das ihm angetan ist, und nur seine Schuldigkeit tut, aber seine Gegenwart wird ihm täglich und stündlich alle unschuldig erlittene Qual vor die Augen führen. Er wird ihm Pflicht und Gehorsam leisten, aber nie sein Freund werden. Sein Anblick wird ihm ein immer neuer Schmerzensstachel sein. Und nicht anders kann es zwischen uns beiden sein. Wie Sie gegen mich, so will auch ich stets gegen Sie meine Pflicht erfüllen; auf Ihre Freundschaft aber, Herr Doktor, muss ich für alle Zeiten verzichten.“
„Gut,“ sagte ich nach einer kurzen Pause, „ich werde mich in Ihre Wünsche fügen, weil Sie es selbst nicht anders gewollt haben. Nur noch mein Beruf und die Pflicht sollen meine Besuche bei Ihnen und mein Handeln für Sie diktieren. Heute aber erlauben Sie mir zum letztenmal, Ihnen zu sagen, dass ich von ganzem Herzen wünschte, diese Worte nie von Ihnen gehört zu haben. Ich bin noch jung und liebe meinen Beruf mit Begeisterung. Ich kam hierher...