E-Book, Deutsch, 103 Seiten
Brausewetter Ein jeder treibt's, wie er kann
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-48776-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 103 Seiten
ISBN: 978-87-11-48776-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Auf einer Seereise von Zoppot nach Swinemünde lernt Ulrich von Kleist den undurchschaubaren Herrn von Mirbach kennen und die ebenso geheimnisvolle Dame Rosi. In einer Zoppoter Villa sind eben Brillanten geraubt worden und die Polizei sucht nach den Tätern. Während der Schiffspassage verschwindet nachts aus Ulrichs Brieftasche eine größere Menge Bargeld. Ulrich von Kleist reist nach Venedig weiter und begegnet dort zu seiner Überraschung wieder Mirbach und Rosi. Außerdem trifft er dort einen alten Kameraden seines Vaters, Oberst a. D. Franz Lüderitz, der ihn wiederum mit den Damen Nebeltau - Mutter Beate mit den Töchtern Constanze und Christel - bekanntmacht, just denen, die in ihrer Zoppoter Villa Valeska beraubt worden sind. Die ganze Gesellschaft reist von Venedig nach Gossensaß in Südtirol. Dort spitzen sich die Dinge zu, als plötzlich der Prokurist der Nebeltau'schen Firma, Heinrich Westfal, vor der Tür steht. Er hat schlechte Nachrichten.-
Artur Brausewetter (vollständiger Name Arthur Friedrich Leon Brausewetter; 1864-1946; Pseudonyme: Arthur Sewett, Friedrich Leoni) war ein deutscher evangelischer Pfarrer und Schriftsteller. Artur Brausewetter studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie an der Universität Berlin und der Universität Bonn. Später wurde er Pfarrer. Seit 1908 war er Archidiakon an der Oberpfarrkirche St. Marien in Danzig, wo er bis zur Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs lebte. In den Jahren 1933 und 1934 wurde er von den Deutschen Christen im Danziger Landessynodalverband aus dem Amt gedrängt. Brausewetter war Mitarbeiter der Zeitungen 'Der Tag' und 'Tägliche Rundschau' und schrieb zahlreiche Romane, die hohe Auflagen erzielten und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sein Schauspiel 'Ich bin Doktor Eckart' wurde 1944 in Weimar uraufgeführt. 1946 vollendete er seinen letzten Roman 'Die höheren Mächte', der das Schicksal der Bewohner Ostdeutschlands von 1933 bis 1945 behandelt.
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„Ja, Sie müssen auch Ihre Aktentasche öffnen!“ sagt der Zollbeamte mit Bestimmtheit, nachdem er im Verein mit einem anderen den braunen Lederkoffer auf das genaueste untersucht hat. „Was in aller Welt ist denn hier geschehen? Eine so peinliche Kontrolle habe ich nicht einmal im Korridor erlebt. Und auf dem Schiff hat man mein Gepäck sonst kaum geöffnet.“ Der Beamte antwortet nicht, lässt den prüfenden Blick über die hochgewachsene Männererscheinung vor ihm gleiten, als sähe er sie heute zum erstenmal, nimmt die Aktentasche, holt jedes Buch, jedes Blatt aus ihr hervor, entfaltet, schüttelt, durchstöbert es, macht schliesslich mit Kreide ein kurzes Zeichen, gibt die Tasche zurück. „Ich danke.“ „Es ist allen so gegangen, die in Zoppot auf das Schiff stiegen. Man hat in der Villa einer reichen Dame, als sie mit ihrer Tochter zu einem Konzert gefahren war, einen Einbruch verübt und kostbaren Schmuck gestohlen.“ Ein mit lässiger Eleganz gekleideter noch jüngerer Mann mit hellgrauem, keck auf die Seite geschobenen Filzhut und intelligentem pfiffigen Gesicht darunter, sagt es nebenhin, bläst den Rauch der Zigarette durch die dünnen Nasenflügel, hat aber die eigentümlich schillernden Augen unter den beinahe zusammengewachsenen Brauen mit einem forschend gespannten Blick auf sein Gegenüber gerichtet. Ulrich ist die Sache nicht geheuer. Es ist derselbe Herr, der eben, als sein Gepäck so eingehend untersucht wurde, neben ihm gestanden, jeder Frage und Bewegung des Beamten mit sichtbarer Aufmerksamkeit gefolgt ist. „Vielleicht ein verkappter Zollbeamter!“ denkt er, hält sich zurück, obwohl der andere beflissen scheint, ein Gespräch mit ihm anzubandeln. Zum drittenmal lässt die Sirene ihren Ruf ertönen. Das Fallreep wird hinaufgezogen. Der schlanke schneeweisse Leib der „Hansestadt“ erzittert, stampfend arbeitet der Motor. Von der erhöhten Estrade des Seesteges her ein Abschied nehmendes Winken, ein lebhaftes Schwenken von Hüten und Tüchern, scherzende und ernste Rufe, die die Abfahrenden suchen, aber in der von einem auffrischenden Wind bewegten Luft unhörbar zerflattern. Auf dem Oberdeck, dicht an der braungetäfelten Scheidewand, die die Kommandobrücke durch ein strenges „Eintritt verboten“ von den Fahrgästen abschliesst, lehnt Ulrich an der Reeling. Keiner da drüben, der ihm den letzten Gruss sendet, ihm Lebewohl und frohe Fahrt wünscht. Und an Bord nur fremde Gesichter. Er ist es gewohnt, empfindet kaum ein Gefühl der Verlassenheit. Es hat ja auch sein Gutes, überall fremd zu sein, ein Fremdling zu kommen, ein Fremdling zu gehen. Die Welt ist weit. Aber die Menschen sind dieselben, und die Bekanntschaften, die er auf seinen vielen Reisen gemacht, haben sich als flüchtig und leer erwiesen. Zwar manchmal kommt es doch über einen: Einmal einen Menschen finden! Der Ausspruch einer bekannten Frau geht ihm durch den Sinn: Ich würde kein Fenster öffnen, um den Golf von Neapel zu sehen, aber Berge übersteigen und Meere durchqueren, einen Menschen zu finden. Er kennt den Golf von Neapel, kennt alle blauen Wunder des Südens, hat die höchsten Berge bestiegen, die weitesten Meere durchfahren — — einen Menschen hat er nicht gefunden. Nun, es muss schliesslich auch so gehen, wenn man sich selber nur hat. Und vielleicht ist die still wartende Sehnsucht nach dem Menschen besser als sein Besitz, den es im Grunde gar nicht gibt. „Guten Tag, Herr von Kleist! Willkommen auf der Hansestadt“, ruft ihm der Kapitän von der Kommandobrücke herüber. „Ah, Kapitano! Seemannsheil! Jubiläumsfahrt! Die zehnte, wenn mein schadhaftes Gedächtnis mich nicht trügt. Jedenfalls werden wir sie begiessen!“ Der Kapitän wechselt einige Worte mit dem diensthabenden Offizier, kommt, die absperrende Brüstung öffnend, auf ihn zu, streckt ihm die starkbehaarte Hand entgegen. „Es sind zwei Monate her, dass Sie nicht mit uns fuhren.“ „Ja, es war im Frühjahr, als ich das letzte Mal hier oben bei Ihnen war. Ich kam von meinem Gut aus Ostpreussen und fuhr mit Ihnen bis Swinemünde.“ „Um von dort eine grössere Reise anzutreten.“ „Von der ich bereits zurück bin, um mich, wie Sie sehen, von neuem auf die Fahrt zu begeben. Was bleibt einem übrig, wenn man nirgends zu Hause ist und nichts anderes zu tun hat.“ „Sie haben Ihren schönen Besitz.“ „Den besorgt mein Verwalter besser als ich. Und dann die Abende so ganz allein in einem grossen öden Gutshause — nee, das ist wirklich nichts für mich!“ „Das will ich glauben. Da karre ich schon lieber meinen Omnibus hin und her.“ Die weissen Zähne blitzen zwischen den bartlosen Lippen. Ulrich ist erfreut, ihn wiederzusehen. Denn er mag ihn gut leiden. Es ist etwas Kerniges, der Natur und dem Meere Verwandtes in seiner gestrafften, sehnigen Erscheinung. Aus dem blendend weissen Stehkragen hebt sich der scharfgeschnittene Kopf mit den klugen Augen und der leichgekrümmten Nase. Die dunkelblaue Marineuniform mit den vier goldenen Streifen an den Ärmeln gibt ihm ein Etwas, das Eindruck macht. „Aber manchmal ist die Sache doch nicht so einfach wie sie aussieht. Und wenn das Wetter so unsicher ist wie heute — “ „Ich glaubte, wir würden eine gute Fahrt haben.“ Der Kapitän geht an das Barometer, blickt auf den Himmel. „Es sieht nicht gut aus“, sagt er. „Die Wolkendichtung da drüben weist auf Sturm oder Nebel. Wahrscheinlich auf beides. Aber so schlimm wird es nicht werden“, setzt er beruhigend hinzu. Denn Ulrich, der nicht seefest ist, macht ein besorgtes Gesicht. „Vorläufig sieht es doch ganz ruhig aus.“ „Ja, weil wir jetzt noch in der Bucht sind, da merken wir vom Winde nicht viel. Wenn wir Hela hinter uns haben, wird er die Backen schon voller nehmen. Doch zum Abend wird es Nebel geben, und der ist mir weniger angenehm, weil ich gerne die Verspätung eingeholt hätte, die wir durch diese langweilige Zolluntersuchung gehabt haben.“ „Selbst meinen Koffer hat man bis auf den letzten Grund durchstöbert. Ich hätte so etwas einem alten Stammgast gegenüber auf Ihrer gastlichen Hansestadt gar nicht für möglich gehalten.“ „Es kommt auch sonst nicht vor. Aber der verdammte Zoppoter Brillantendiebstahl hat die Beamten wild gemacht. Und sie wittern in jedem den Dieb und besonders in den Frauen, die sie wenig glimpflich behandeln. Es waren schon mehrere bei mir gemeldet, die sich beschweren wollten, als ob ich etwas dabei tun könnte!“ „Hat man irgendeine Spur?“ „Nicht die leiseste. Die Sache muss mit einem unglaublichen Raffinement ausgeführt sein. Man hat einen gewiegten Kriminalinspektor aus Berlin kommen lassen. Er soll heute auch an Bord gewesen sein, und einer meiner Offiziere behauptet, dass er die Fahrt mitmacht. Aber bestimmt weiss es keiner, denn solche Leute pflegen sich durch allerlei Masken unkenntlich zu machen.“ Ulrichs Augen blicken über ihn, über das Schiff hinweg auf die weite Meeresfläche, deren Spiegel bereits aufsteigender Gischt kräuselt. „Nun wird mir alles klar!“ ruft er lebhaft aus. „Ihr Offizier hat richtig gesehen! Der Mann ist an Bord!“ „Woher wissen Sie?“ „Weil er mich ansprach. Ganz unvermittelt nach meiner eingehenden Gepäckrevision, der er mit einer Aufmerksamkeit beiwohnte, die mir nicht entgangen ist. Ich hielt ihn für einen höheren Zollbeamten oder dergleichen. Aber es war der Berliner Kriminalinspektor, und ich hatte gleich den Eindruck, als ob er mich irgendwie ausforschen wollte.“ „Ich glaube das nicht“, erwidert der Kapitän. „Wenn er die Fahrt mitmachte, würde er sich bei mir vorgestellt haben. Das tun diese Herren meistens, schon um in etwaigen Fällen eine Unterstützung bei uns zu finden. Vielleicht auch, weil sie hoffen, durch uns auf eine Spur gebracht zu werden.“ „Er kann seine Gründe gehabt haben, es nicht zu tun.“ „Das wäre möglich, kommt wohl auch vor. Aber in diesem Falle —“ Mitten im Satz hält er inne, denn er fühlt sich heftig am Arm gefasst. „Sehen Sie!“ hört er Ulrichs erregte Stimme, „nein .. dort auf der anderen Seite .. der Herr, der mit dem Obermaat spricht! Das ist er!“ Der Kapitän klemmt das Einglas in das rechte Auge, mustert den Fremden genau. „Ich habe ihn noch nie auf meinem Schiffe gesehen. Nun, die Sache werden wir bald haben.“ Mit schnellen Schritten begibt er sich in seinen Empfangsraum, drückt den Knopf der elektrischen Leitung. Friedrich Gutzke, sein Leibsteward, ein stramm gebauter Mann mit listigem, zugleich Vertrauen erweckendem Gesicht, der von seiner frühesten Jugend an bei der Marine gedient, tritt, als hätte er bereits auf den Befehl gewartet, lautlos vor seinen Kapitän, nimmt militärische Haltung an. „Hören Sie mal, Gutzke, was ich Ihnen jetzt sage —“ „Jawohl, Herr Kapitän!“ „Sie begeben sich gleich nach unten zum Herrn Zahlmeister, sagen ihm, ich liesse ihn bitten, sich zu mir zu bemühen, und zwar so unauffällig wie möglich! Haben Sie verstanden?“ „Jawohl, Herr Kapitän!“ „Er möchte mir auch gleich die Passagierliste mitbringen und das Verzeichnis der verkauften Kabinen.“ „Jawohl, Herr Kapitän!“ Eine Minute später erscheint Leo Wörrman, der Zahlmeister, ein wohlgebauter junger Mann mit intelligentem Gesicht und dienstlich eingestellter Miene. Der Kapitän tritt mit ihm auf die Brücke, weist auf den Fremden, der jetzt allein und ganz in den Anblick des langsam, aber bereits stetig auf und nieder gehenden Wassers...