E-Book, Deutsch, 415 Seiten
Brausewetter Wer die Heimat liebt wie du
1. Auflage 2016
ISBN: 978-87-11-44824-3
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 415 Seiten
ISBN: 978-87-11-44824-3
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Brausewetter, vielgelesener Schriftsteller Danzigs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nimmt in diesem Roman ganz Ostpreußen in den Blick und schildert den Kriegsbeginn 1914, als die russischen Truppen vordringen und das zähe Ringen um die ostpreußische Heimat beginnt. Im Mittelpunkt steht das ungleiche Brüderpaar Hans und Fritz Warsow. Fritz, der bodenständige Landwirt, zieht, ergriffen von der allgemeinen Begeisterung, alsbald in den Krieg. Hans, ein Gelehrtentyp, wird nicht Soldat, sondern entscheidet sich für ein Pfarramt. Aber gerade diese Aufgabe wirft Hans mitten hinein in die Kriegswirren, in denen er sich und seinen Glauben bewähren muss. Tapfere Frauen wie Else, seine Schwester, und Edith von Barnhoff, die Tochter des Herrn von Reckenstein, stehen ihm in den gefahrvollen Zeiten zur Seite.-
Artur Brausewetter (vollständiger Name Arthur Friedrich Leon Brausewetter; 1864-1946; Pseudonyme: Arthur Sewett, Friedrich Leoni) war ein deutscher evangelischer Pfarrer und Schriftsteller. Artur Brausewetter studierte Rechtswissenschaften, Philosophie und Theologie an der Universität Berlin und der Universität Bonn. Später wurde er Pfarrer. Seit 1908 war er Archidiakon an der Oberpfarrkirche St. Marien in Danzig, wo er bis zur Vertreibung infolge des Zweiten Weltkriegs lebte. In den Jahren 1933 und 1934 wurde er von den Deutschen Christen im Danziger Landessynodalverband aus dem Amt gedrängt. Brausewetter war Mitarbeiter der Zeitungen 'Der Tag' und 'Tägliche Rundschau' und schrieb zahlreiche Romane, die hohe Auflagen erzielten und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Sein Schauspiel 'Ich bin Doktor Eckart' wurde 1944 in Weimar uraufgeführt. 1946 vollendete er seinen letzten Roman 'Die höheren Mächte', der das Schicksal der Bewohner Ostdeutschlands von 1933 bis 1945 behandelt.
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Was lange nicht in Reckenstein geschehen war, das geschah heute: man feierte ein Fest. Edith, die einzige Tochter des alten Reckensteiner, die ihm seit fünf Jahren in Haus und Hof die früh heimgegangene Gattin mit Umsicht und Treue ersetzte, beging ihren einundzwanzigjährigen Geburtstag. Der Reckensteiner war für die Feste nie zu haben gewesen; in seiner Eintönigkeit lag für ihn des Lebens Sinn und Glück. Diesmal machte er eine Ausnahme; von ihm war die Anregung zu dieser Feier gekommen. Klein war der Kreis der Geladenen: aus der Nachbarschaft Harro von Ubitzsch, hager, ernst, verschlossen, mit einer kleinen, gern ins Leere schwätzenden Gattin; von weiter her Dr. Werner Stoltzmann, der erste Bürgermeister von Rodenburg, der kurze Zeit in Königsberg Stadtkämmerer gewesen, und den für ihre aufblühende Stadt und nicht leichte Verwaltung gewonnen zu haben die Rodenburger Stadtverordneten mit Stolz zur Tat sich rechneten. Er war noch jung und von ausgesprochener Begabung, deren Bewusstsein sich in einem für seine vierunddreissig Jahre sehr sicheren Wesen und Auftreten prägte, das ihm von mancher Seite als Hochmut und Selbsteingenommenheit ausgelegt wurde. Wer ihn jedoch genauer kannte, wie der Reckensteiner und seine Tochter, der wusste, dass er im Herzen demütig und bescheiden war. Aber das Leben und die grosse Öffentlichkeit, in die es ihn so früh gestellt, mochten ihn gelehrt haben, dass in dieser Welt mit solchen Tugenden nicht viel anzufangen war. Den ausgleichenden Gegensatz bildete seine Frau, eine hochgewachsene Brünette mit roten, runden, weichen Wangen, lachenden Augen und einer kühngebauten Nase mit ganz dünnen, feingezeichneten Flügeln, die, wenn sie sprach, leise zitterten. Aus einer alten rheinischen Offiziersfamilie stammend, hatte sich Frau Lisa vermöge einer tadellosen Erziehung in die steiferen norddeutschen Verhältnisse schnell eingelebt und durch ihr natürliches, warmherziges Wesen die Herzen aller Rodenburger im Fluge gewonnen, auch derer, die ihrem Gatten vorläufig noch wägend gegenüberstanden. Edith, ernster, aber lebensbejahend wie sie, war ihr von einem Genfer Pensionsjahr eng befreundet, nun wurde der Verkehr, nachdem sie sich eines Tags hier wiedergefunden, möglichst aufrechterhalten, wenngleich man bis Reckenstein drei Stunden Eisenbahnfahrt hatte und die beiden Männer durch die Unterschiede von Alter und Gesinnung weit getrennt erschienen. Der Tag war für die frühe Jahreszeit ausnehmend heiss gewesen. Als man sich in dem grossen Esszimmer zur Abendtafel niederliess, blieben die Fenster und die beiden Flügel der auf die Gartenveranda hinausführenden alten Eichentür weit geöffnet. Obwohl die Dunkelheit noch nicht eingetreten war, hatte man die Kerzen auf den mächtigen silbernen Armleuchtern angezündet, die, von den Urvätern geerbt, zu den schönsten Stücken des Reckensteiner Hausschatzes gehörten. Ihr im leichten Luftzug flackerndes Licht griff mit langen Fingern über die Frühlingsblumen dahin, die betäubend duftend die Tafel zierten. Durch die Fenster und die Tür aber drang das allmählich matter und dämmerungsstiller werdende Abendlicht. Und wenn die Unterhaltung einmal verstummte, dann vernahm man von draussen her das Lied einer Nachtigall in wundervollen, bald jauchzenden, bald schluchzenden Klängen. Nun aber brach es ab, von einem lauten Ton, der seine weichen Melodien schrill abschnitt, zum Schweigen gebracht. Dr. Stoltzmann hatte an sein Glas geklopft und sich erhoben. „Meine Damen und Herren,“ begann er in seiner etwas harten, aber des Wohlklangs nicht entbehrenden Sprache, „Sie wissen, dass ich mehr der Mann der sachlichen Rede als der wohlgestutzten Tafelsprüche bin. Die freundschaftliche Stellung jedoch, die wir zu unsern Gastgebern, die insbesondere meine Frau zu der Tochter dieses Hauses einnimmt, treibt mich heute, zugleich in ihrem Namen, in diesem Kreise auserwählter Freunde Fräulein Edith unsre Glückwünsche darzubringen. Es ist der Tag, an dem sie“ — er nahm einen Anflug, humoristisch zu werden, was ihm aber nie sonderlich gelang — „aus den Kinderschuhen tritt und unter die Erwachsenen aufgenommen wird. In ihren äusseren Lebensbeziehungen wird dies Ereignis wenig ändern. Und das ist gut; die in der Heimat wurzelnde und in ihr wirkende, die haus- und bodenständige Frau ist für mich die stärkste und tüchtigste. Wir freuen uns, dass unsre jugendliche Wirtin hier in ihrer schönen ostpreussischen Heimat, die seit einer Reihe von Jahren auch die meine zu nennen ich stolz und glücklich bin, auf der Scholle ihrer Väter ein Feld reicher Wirksamkeit und segenbringender Arbeit gefunden. Dass sie ihrer Tätigkeit, diese ihr in jener glückbringenden Enge und Weite zugleich erhalten bleibe, wie sie sie zum Wohle ihres Vaters, seines schönen Gutes und aller Leute, die in Reckenstein arbeiten, bisher mit ihrem lebensfrohen Sinn erfüllt hat, das ist mein Wunsch zu ihrem Geburtstage. Darauf bitte ich Sie, mit mir die Gläser zu erheben und zusammenstossen zu lassen in einem frohen und kräftigen Hurra für Fräulein Edith von Barrnhoff!“ „Hurra, hurra, hurra!“ tönte es von der Tafelrunde wider. Aber es war ein matter, ein beinah zerstreuter Widerhall. Schon die letzten Worte des Redners hatten keine Aufmerksamkeit mehr gefunden, ein andrer Klang hatte sich in sie hineingemischt, erst von der Ferne, dann näher und näher kommend: der Hall von Hufeisen, die mit eilendem Trabe auf das Pflaster der Auffahrt schlugen und nun — „Da hört sich ja alles auf!“ rief der Reckensteiner und sprang mit zornglühendem Antlitz von seinem Stuhl empor. „In meinen Garten reiten sie!“ „In unsern Garten?“ fragte jetzt auch Edith. „Das ist unerhört!“ Aber bevor sie oder ihr Vater nach draussen treten konnten, waren bereits zwei Reiter in der schmucken Offiziersuniform der Kürassiere über die kleine, den Garten vom Hof abschliessende Dornhecke gesetzt, in kurzem Galopp über den zu Ehren des heutigen Tages mit besonderer Sorgfalt geharkten Steig gesprengt und hielten plötzlich die schweisstriefenden Pferde unmittelbar vor den Holzstufen an, die zur Gartenveranda emporführten. Und immer noch nicht genug, jetzt zwangen sie die auf solche Kunststücke wohlgeübten Pferde die kleine Treppe empor, und ehe sich die Gesellschaft, die sich ausnahmslos von der behaglichen Abendtafel erhoben, von ihrem Erstaunen erholt hatte, standen sie mit ihren Pferden oben auf der Veranda. „Hurra, hurra, hurra!“ riefen sie, den rechten Arm erhebend, zehnmal so kräftig, als es eben erst die ganze Tafelrunde fertiggebracht hatte, und noch einmal: „Hurra dem Geburtstagskinde!“ Das alles war das Werk eines Augenblicks; so schnell und überraschend war es gekommen, dass niemand wusste, wie ihm eigentlich geschehen, und was dieser unbegreifliche Einfall bedeuten sollte. „Fritz Warsow!“ hörte man da Ediths helle Stimme, und in ein heiteres, glückliches Lachen ausbrechend, streckte sie dem einen der beiden Reiter ihre Hand entgegen. Der war bereits abgesessen, grüsste und erwiderte ihren herzlichen Händedruck. Dann trat er zu dem alten Reckensteiner: „Verzeihen Sie diesen Überfall, Herr Major, aber ich musste meine Wette gewinnen. Und gestatten Sie mir, Ihnen und den Damen und Herren meinen Kameraden, Herrn von Uechteritz, vorzustellen, der mich als einwandfreier Zeuge begleitet hat, und dem ich Ihre Gastfreundschaft oft gerühmt habe.“ Auch der war längst aus dem Sattel gestiegen; ein herbeigeeilter Knecht nahm die dampfenden Pferde in Empfang und führte sie in den Stall. „Aber tüchtig abreiben und gut füttern, sie haben etwas geleistet!“ rief ihm Fritz Warsow nach und begab sich mit seinem Kameraden auf ein Fremdenzimmer, um sich nach dem schweren Ritt für die Tafel zurechtzumachen. Sehr bald kehrten sie zurück und nahmen die ihnen eingeräumten Plätze, Herr von Uechteritz zwischen den beiden elternlosen Besitzerstöchtern, Fritz Warsow zwischen Edith und Frau Stoltzmann. „Aber Ihre Wette, Herr Rittmeister!“ rief der Reckensteiner von der gegenüberliegenden Seite der Tafel. „Edith hat mir nie ein Wort davon erzählt.“ „Ich hatte sie völlig vergessen,“ gab diese zurück „Ja, Ihre Wette!“ tönte es von mehreren Seiten zu ihm herüber. „Ich hatte mit Fräulein von Barrnhoff vor einem Jahre, als ich ihren Geburtstag in unverantwortlicher Weise vergessen hatte, gewettet, dass ich bei der nächsten Wiederkehr dieses Tages zur Stelle sein würde, und wenn ich von meiner Garnison aus in einer Strecke bis in Ihren Esssaal hineinreiten müsste.“ „Und haben glänzend gewonnen!“ rief die temperamentvolle Bürgermeistersfrau, und ihre Wangen blühten wie die roten Nelken auf ihrer Brust. Solch ein Abenteuer und Reiterkunststück, das war nach ihrem Geschmack! Was sie noch hinzugewünscht hätte, und was ihr eigentlich fehlte, war, dass Fritz Warsow seine Wette nicht wörtlich ausgefochten und mit seinem Kameraden mitten ins Esszimmer gesprengt war. Und hätten sie dabei die ganze Tafel in Grund und Boden geritten! Der stürzende Tisch und die klirrenden Scherben — es wäre ein richtiger rheinischer Karneval gewesen, und der war das einzige, was sie bei aller Anpassung und Eingewöhnung im nüchternen Norden entbehrt und diesem bis zum heutigen Tage nicht verziehen hatte! Aber auch der alte Reckensteiner schmunzelte behaglich vor sich hin. Das Stück gefiel ihm. Er hatte den Fritz immer gern gehabt. Er war ja selber Soldat mit Leib und Seele gewesen, alle Übungen hatte er mitgemacht, noch bis vor zehn Jahren. Dann hatte er aufhören müssen. Aber den Titel „Major“ hatte er erhalten und war stolz darauf. „Und wenn es einmal darauf ankommt, ich bin der erste, der...