Breuer Jack Kerouac konnte nicht Auto fahren
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-88190-850-4
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Reisen in der guten, alten Neuen Welt
E-Book, Deutsch, Band 238, 200 Seiten
Reihe: Lindemanns
ISBN: 978-3-88190-850-4
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Seit bald 40 Jahren bereist Thomas C. Breuer als Kabarettist und Schriftsteller Deuschland und die Schweiz, seine bevorzugte Weidegründe liegen jedoch in Nordamerika, was nicht ohne Folgen geblieben ist: Über 50 Auftritte in der Neuen Welt, vorwiegend für Goethe-Institute. In zahllosen Büchern ("Küss mich, Käfer!"), Radiosendungen für WDR und DLF, Artikeln für die Süddeutsche Zeitung und das America Journal und Bühnenprogrammen ("Der Milde Westen" mit Los Santos) hat er sich bevorzugt mit den USA auseinandergesetzt und sie teilweise "the hard way" durchquert, im Greyhound-Bus oder im Amtrak-Zug, gelegentlich in Regionen, die sogar vielen Amerikanern unbekannt sind. Dem Leser eröffnet sich dabei ein immer wieder überraschendes Amerika. Und Breuers Liebe zur sog. "Americana"-Musik liefert den perfekten Soundtrack. Übrigens: Jack Kerouac konnte tatsächlich kein Auto fahren!
Autoren/Hrsg.
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Coming In Meine Mom hat immer gesagt, in Amerika schreibe man erfolgreich, wenn man Geschichten mit dem Satz „Meine Mom hat immer gesagt...“ anfängt, wahlweise auch „Mein Dad etc...“ Großeltern folgen auf Rang drei. Vielleicht funktioniert das in Deutschland ja auch. Meine Mom hat das natürlich nie gesagt, aber sie kennt sich aus mit Amerikanern, denn sie hat kurz nach dem Krieg in Heidelberg in der Bibliothek der Army gearbeitet und deshalb später jahrzehntelang AFN gehört. Das war meine frühkindliche Prägung. Viele ihrer Freundinnen sind zudem in die U.S.A. ausgewandert, und ich war immer aufgeregt, wenn Post von drüben kam. Ach ja: Am Ende des Buches solle der Satz stehen: „Mit Gottes Hilfe können wir alles erreichen.“ Damit könne man alles erreichen. Dank des „Visa Waiver“-Programms darf man für 90 Tage visumfrei in die U.S.A. reisen, dort aber natürlich nicht arbeiten. Da Schreiben Arbeit ist, brauche ich ergo ein R-I-Visum. Die Sicherheitssysteme der Amerikaner greifen weit vor dem Zielflughafen, der Weg in die Staaten führt für mich über Frankfurt, so oder so. Von Frankfurt aus starten nicht nur die Flieger, hier werden auch die Eintrittskarten verteilt, im Konsulat in der Siesmayerstraße. Kaum tritt man an der Bockenheimer Warte aus dem U-Bahn-Schacht, begrüßt einen ein Hinweisschild zum Restaurant Zenobia, welches syrisch-libanesische Spezialitäten offeriert. Ausgerechnet. Gleich am Eingang zur Siesmayerstraße befindet sich jener in Fachkreisen bekannte Kiosk, an dem derjenige gegen geringes Entgelt Handy oder leichtes Gepäck deponieren kann, der die strikten Regeln für die Visa-Antragsteller nicht gelesen hat: Mit hineinbringen darf man nämlich gar nichts. Biegt man als Autofahrer in die Straße ein, sieht man sich mit einer Art Betonschikane konfrontiert, die wohl seinerzeit am Checkpoint Charlie demontiert wurde. Sowieso fühlt sich der Reisenwollende während des ganzen Prozedere an die Gepflogenheiten der guten, alten Deitschndemokrotschnreblik erinnert, es wird aber Momente geben, in denen er sich nach deren Betulichkeit sehnt. In Vierergrüppchen darf man in den Vorhof, ein Purgatorium, das mit massiven dunkelgrünen Gitterstäben umschlossen ist. Ähnliche Gestänge kennt man vom Frankfurter Zoo. Die Dame beim Vorchecking ist hypernervös, vielleicht hat sie heute ihre kugelsichere Weste vergessen. Pass vorzeigen, ein paar Minuten warten, schon darf man ins Allerheiligste. Immerhin. Sicherheitscheck. Wertsachen, Schlüssel etc. wandern separat an der Schleuse vorbei. Bei mir piepst es, also muss ich den Gürtel ausziehen, Schnürsenkel darf ich anbehalten. Sicherheitsprozeduren, die man von Flughäfen und aus Gefängnisfilmen kennt. Ich hoffe, die Hose hält auch so. Durch einen sarrasaniartigen Gittergang gelange ich ins Innere in die Lobby, die von Fahnen und Fotos geschmückt wird. Dazu fällt mir ein Satz von Robert Altman ein, unmittelbar nach 9/11: „Wenn ich noch einmal eine amerikanische Fahne sehen muss, muss ich kotzen!“ Den zitiere ich jetzt besser nicht. Bemerkenswert: In der Lobby gibt es einen Trakt, der ausschließlich Amerikanern vorbehalten ist, folglich hängt dort ein Fernseher von der Decke, der die Wartenden mit Dumpfmucken und Klingeltönen traktiert. Dem Rest der Zivilisation bleibt derlei erspart. In Abu Ghraib hätte man mich nur zwei Stunden diesem Programm aussetzen müssen, ich hätte alles gestanden. Ich halte eine grüne Karte in der Hand, die freilich keine Greencard ist. Die meisten anderen haben blaue und sind vor mir dran. Meine Karte berechtigt mich zum späteren Zugang zur vorderen Schlange. Ich habe Zeit, mich umzuschauen, mehr als mir recht ist. Dämlicherweise habe ich meine Zeitungen hinter ein paar Mülltonnen in der Siesmayer deponiert, weil ich mich daran erinnert habe, dass die Vopos früher rigoros sämtliche Druckerzeugnisse beschlagnahmt haben. Die Lobby vermittelt dem Reisenwollenden einen schönen Vorgeschmack auf den Trip, hat man doch bis ins letzte Detail, Türgriffe inbegriffen, alles über den Teich geflogen, weshalb das Geläuf stark an die Greyhound-Busstation von Idaho Falls erinnert. Die transpirationsfördernden Kunstledersitze sehen aus, als habe man sie 1957, als der Inlandsflughafen von Houston (Hobby) renoviert wurde, irgendwo zwischengelagert, in der Hoffnung, irgendein Blödmann würde sie schon abnehmen – eine Hoffnung, die sich erfüllte. Anteile an einer Firma müsste man haben, die Plastikhüllen herstellt, denn die sind hier der letzte Schrei, alle Antragsteller haben ihre Unterlagen in Klarsichtfolien geordnet, Papierumschläge scheinen streng verboten. Endlich dürfen sich die Grünkartler einreihen. Die Anspannung steigt, der allgegenwärtige Druck bleibt nicht ohne Wirkung, mit grimmigen Gesichtern oder ernsten Mienen erzeugt der Amerikaner ein latentes Klima von Geständnisbereitschaft. Plötzlich liegt der Ball in meinem Feld, und obwohl ich entsprechend instruiert und präpariert bin, das ist ja nicht mein erstes Visum, spüre ich den eisigen Wind, zumal der Trottel von Passfotograf zuhause mit dem aktuellen Anforderungsprofil anscheinend doch nicht vertraut ist, und ich, mea culpa, habe es wohl ein wenig schleifen lassen: Auf meinem Porträtfoto fehlt ein Ohr, d.h. es ist nicht zu sehen, und falls ich die Absicht haben sollte, die Vereinigten Staaten beidohrig zu betreten, benötige ich unbedingt ein anderes Passfoto. Gut, die Schalterdame ist sehr freundlich, eine Deutsche, und weist mich auf den Fotoautomaten hin, der irgendwo auf dem Flur zu finden ist. Tatsächlich, da stehen sogar zwei Kabinen, davor eine kleine Schlange, denn der eine Automat ist ganz kaputt, und der andere fordert irgendein Speichermedium ein, das natürlich kein gewöhnlich Sterblicher bei sich trägt, und wenn, hätte er es natürlich am Eingang deponieren müssen. Ich könne auch ein Foto nachreichen, sagt die Dame schließlich, und entlässt mich in die nächste Schlange. Hier herrschen die Amerikaner, das Vorsortieren hat man einheimischen Ortskräften überlassen, jetzt wird es ernst. Vor dem Schalter steht gerade ein Mensch offensichtlich arabischer Herkunft, der, die Akustik trägt gut, seinen Beruf mit „Chemiker“ angibt. Mit dem würde ich jetzt nicht tauschen mögen. Der Nächste ist ein Inder oder Pakistani, und der Schalterbeamte verschwindet mit seinem Pass in der unendlichen Verwaltungsprärie des Konsulats. Und bleibt verschwunden. Bleibt länger verschwunden. Es würde niemanden überraschen, wenn sich plötzlich unter dem Mann aus dem Mittleren Osten eine Falltür öffnen würde. Schließlich kommt der Beamte wieder, no problem. Nun komme ich zu meinem sog. Interview. Der Inquisator: Ein eher sympathischer Mittdreißiger mit wahrscheinlich levantinischen Vorfahren. Zuerst die Fingerabdrücke, bitte. Ob sie auf diesem Weg – via Schmauchspurenanalyse – gleich die Raucher aussortieren? Daumenkino durch meine Papiere. Stempel. Vom Passfoto kein Wort, dem Mann scheint ein Ohr zu reichen. Fragt als Erstes, was das sei, Kabarettist. Ich bediene mich gegen meine Überzeugung des Begriffs „Comedian“. „Really?“ Er zieht die Augenbrauen hoch, aber eher aus Enthusiasmus, lächelt. Hoffentlich muss ich nichts vorspielen, ich habe nichts einstudiert. Er will alles wissen, wie lange schon, hauptberuflich, es fehlt nur die Frage: Was machen Sie tagsüber? Was ich in den U.S.A. wolle? Eine Reportage über den Greyhound schreiben. Oh, da hätte er auch schon seine Erfahrungen gemacht. Seine Augen rollen, strahlen aber. Wohin ich denn wolle? Houston. Oh, seine Schwester wohne dort, sie sei begeistert. Von Houston?? Okay, alles ist möglich, aber wer interviewt hier eigentlich wen? Jetzt wieder er: Wann denn mein Artikel erscheinen würde? Wohl nicht mehr dieses Jahr. Er scheint ehrlich bestürzt. So, da müssen wir wohl noch ein wenig warten, sagt er, und: Viel Erfolg. Das war’s? Dafür der ganze Aufstand? „Did I shave my legs for this?“, sang Deana Carter 1996, wenngleich in anderem Zusammenhang. Mir fällt ein Steinchen vom Herzen, man kennt die rigorose Einreisepraxis der letzten Jahre, Cat Stevens z.B. haben sie aus dem Flieger geholt und zurückgeschickt, vielleicht nicht einmal islamistischer Umtriebe wegen, sondern als nachträgliche Strafe für seine Musik. Im österreichischen Fernsehen haben sie vor Jahren die Geschichte eines Mannes gebracht, der in den 60ern als Austauschschüler in Maine artig bei den Behörden angefragt hatte, ob er vielleicht ein wenig jobben dürfe, was man ihm unter Androhung sofortiger Ausweisung vehement verbot. Obwohl er all die Jahre nicht auffällig geworden war, verwehrte man ihm fast 40 Jahre später die Einreise mit dem Hinweis, er habe schon einmal versucht, in den U.S.A. zu arbeiten. Gut, ich bin also einerseits erleichtert, andererseits aber offenbaren sich hier natürlich große Schwächen in der Dramaturgie. Erst der Einstieg in eine martialische Welt, einschüchternd wie die Polunski Unit in Huntsville, ein grummelnder Bordunton von Bedrohung liegt in der Luft, als Höhepunkt der scheinbare Klimax wegen des fehlenden Ohres, ein Handlungsstrang indes, der ins Nichts führt, und die Auflösung unpassend versöhnlich, ein belangloser Abgang. So wirkt die nervös fingertrommelnde Aufbewahrungszippe am Aus- bzw. Eingang absolut überbesetzt. Auf ins Land der begrenzten Unmöglichkeiten! Einreise Es ist nicht leicht, in dieses Land hineinzukommen. Der Mann von der Immigration mustert mich, als hielte ich einen kubanischen Pass zwischen den Fingern. Das kümmert mich wenig, dies ist nicht mein erstes Rodeo. Schon beim Einchecken in Deutschland hat man mich misstrauisch beäugt: „Haben Sie etwas bekommen von jemanden, den Sie nicht kennen?“ Blöde...