Brockmann | Im Wald vor lauter Bäumen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Brockmann Im Wald vor lauter Bäumen

Unsere komplexe Welt besser verstehen

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-423-43950-3
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Denkanleitung zur globalen Krisenbewältigung
In einer vernetzten Welt müssen wir vernetzt denken und komplexe Phänomene wie Pandemien, Klimakrise und die Destabilisierung von Ökosystemen als Ganzes in den Blick nehmen. Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann schaut auf die Krisen unserer Zeit, sucht nach Mustern, Gesetzmäßigkeiten und Ähnlichkeiten zwischen ihnen und komplexen Prozessen der Natur. Dabei stellt er höchst aufschlussreiche Verbindungen her – etwa zwischen Waldbränden und Epidemien oder zwischen Goldbrassen auf Futtersuche und Populismus – und zeigt, was man daraus lernen kann.

Können wir die Menschheit, also uns selbst, retten? Es gibt Hoffnung – wenn wir Mut zum Reduktionismus haben, antidisziplinär denken und auf Kooperation setzen.
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Komplexität
Forschen wie ein Pilz
Wissenschaft ist der Glaube an die Ignoranz der Experten. Richard Feynman (1918–1988), Nobelpreis Physik 1965 Der Alltag kann kompliziert sein. Das wissen wir alle. Der Kaffeevollautomat. Das Passagierflugzeug. Die Beziehung. Die Bedienung des neuen Telefons. Die Steuererklärung. Alles kompliziert. Im Englischen spricht man von »a lot of moving parts«. Wenn also verschiedene Teile gleichzeitig in Bewegung sind, voneinander abhängen, Einfluss aufeinander üben und man schnell den Überblick verliert, dann ist etwas kompliziert. Kompliziertes Aber sind komplizierte Dinge auch komplex? Und umgekehrt komplexe Systeme zwangsläufig kompliziert? Das Wörterbuch leitet »komplex« aus dem Lateinischen ab (cum = miteinander, plectere = flechten), es bedeutet also »verflochten, vielschichtig«. Ein komplexes System besteht aus verschiedenen Elementen, die miteinander verbunden sind und dabei, wie Flechtwerk, eine Struktur bilden, die in den Einzelelementen nicht erkannt werden kann. So wie beispielsweise in der Häkelmasche noch kein Pullover sichtbar ist. »Komplex« bezieht sich auf die innere Struktur eines Systems oder eines Phänomens, ist also ein objektives Kriterium. Während »kompliziert« sich immer auf die Auffassungsgabe der Betrachtenden bezieht. »Kompliziert« ist subjektiv. Phänomene können außerordentlich komplex, aber unkompliziert sein. Das einfachste Alltagsbeispiel ist der Spielwürfel. Wenn man ihn wirft und dabei in Zeitlupe betrachtet, erkennt man, wie enorm strukturreich und scheinbar unberechenbar die Bewegung ist, obwohl sie den strukturell sehr einfachen Gesetzen der Newton’schen Mechanik gehorcht. Allerdings sind diese so ineinander verflochten, dass sie extrem reichhaltige Bewegungsmuster produzieren. Das Resultat der Augenzahl wirkt zufällig. Doch niemand würde einen einfachen Würfel als kompliziert bezeichnen. Am besten versteht man komplexe Systeme, wenn man sich zunächst (aber nur ganz kurz) mit Dingen beschäftigt, die nicht komplex sind. Das einfache Pendel einer Wanduhr zum Beispiel. Das Uhrpendel ist nicht komplex. Es bewegt sich gleichmäßig, ist berechenbar, vorhersagbar, etwas langweilig, und kompliziert ist es schon gar nicht. Einfache Pendel werden bei der Hypnose eingesetzt, damit sich das Bewusstsein quasi freiwillig und aus Langeweile abmeldet. Ganz ähnlich, und mathematisch nicht unverwandt, ist die Bewegung der Erde um die Sonne. Jedes Jahr zieht die Erde (näherungsweise) eine Kreisbahn um die Sonne, die Bewegung wiederholt sich alle 365,25 Tage. Ganz einfach, immer im Kreis. Der Spielwürfel ist einfach und komplex. Gibt man dem Pendel allerdings ein zweites Gelenk, sieht die Sache ganz anders aus. Aus dem simplen Pendel ist ein komplexes Doppelpendel geworden. Ähnlich wie beim Würfel sind die Bewegungen des Doppelpendels reichhaltig an Struktur und Schönheit, obwohl der Unterschied zum einfachen Pendel nur ein weiteres Gelenk ist. Sie glauben das nicht? Suchen Sie im Internet nach Videos von Doppelpendeln. Man wird schnell fündig. Auch das Doppelpendel folgt den simplen Gesetzmäßigkeiten der Newton’schen –Mechanik und der Gravitationskraft, und dennoch macht es wilde Dinge: Es bewegt sich scheinbar völlig unvorhersagbar, mal überschlägt es sich, mal nicht, die Bewegung scheint zufällig. Einfaches. Das Pendel und die Erdbewegung um die Sonne. Das Doppelpendel repräsentiert eine Klasse von komplexen Systemen, die unerwartet komplizierte Strukturen, Eigenschaften oder Dynamik aufweisen, obwohl ihnen ganz einfache Regeln zugrunde liegen. Man könnte ja erwarten, dass für kompliziertes Verhalten auch komplizierte Mechanismen notwendig sind. Das Doppelpendel zeigt ein Verhalten, das sich deterministisches Chaos nennt. Chaotische Systeme wie das Doppelpendel folgen genauen mathematischen Gesetzmäßigkeiten, die es eigentlich erlauben müssten, aus der Kenntnis des Zustands des Systems in der Gegenwart jeden Zustand in Zukunft zu berechnen. So wie wir sehr genau die Bewegung der Planeten praktisch beliebig lang in die Zukunft vorherberechnen können und zum Beispiel genau wissen, wann die nächsten Mond- und Sonnenfinsternis-Ereignisse stattfinden. Für die nächsten 10000 Jahre oder länger. Im Prinzip müsste das bei dem Doppelpendel auch gehen, denn die Bewegungsgleichungen sind ja bekannt. Das Problem ist aber: Um den Zustand eines Systems in der Zukunft praktisch vorherzusagen, muss man den Zustand in der Gegenwart kennen, also genau messen können. Bei den Messungen gibt es aber immer Messfehler, die zwar durch immer bessere Messmethoden verringert werden können, aber niemals ganz verschwinden. Nun könnte man meinen, dass ein kleiner Messfehler in der Bestimmung des Anfangszustands auch zu einer kleinen Abweichung in der Vorhersage des zukünftigen Zustands führt. In nicht-chaotischen Systemen, wie bei den Planetenbewegungen oder dem einfachen Pendel, ist das auch so. Wenn ich bei einem einfachen Pendel, sagen wir, einen Messfehler von einem Grad im Pendelwinkel habe, wird meine Vorhersage des Zustands in der Zukunft auch nur etwa einen Grad Abweichung haben. Und hier kommt die Eigenschaft des deterministischen Chaos ins Spiel. Fehler in der Genauigkeit der Messung des Anfangszustands wachsen, sodass man nur kurze Zeit später mit seiner Vorhersage falschliegt. Immer, prinzipiell und fundamental. Ein anschauliches Beispiel aus dem Alltag ist das Billardspiel. Am Anfang werden die 15 Kugeln des Spiels in einer Dreiecksformation auf dem Billardtisch platziert. Bei der Spieleröffnung wird die weiße Kugel mit Wucht auf die Dreiecksformation gestoßen. Leichte Abweichungen in der Ausrichtung der Stoßkugel führen zu völlig anderen Verläufen der getroffenen Kugeln, obwohl die Bewegungsmechanik der Kugeln, wenn sie aufeinanderstoßen, einfachen Kollisionsgesetzen folgt. Das Doppelpendel. Sieht einfach aus, ist sehr komplex. Deterministisches Chaos ist in der Natur die Regel und nicht die Ausnahme. Ein anderes Beispiel ist die Wettervorhersage. Die Gleichungen und die Physik, die das Wetter bestimmen, sind bekannt. Aber die Physik des Wetters ist eben chaotisch, und wir können das Wetter nicht drei Monate in die Zukunft berechnen. Es gibt sehr viele Systeme in der Natur, die man selbst dann nicht genau vorhersagen kann, wenn man die Gesetzmäßigkeiten der Bewegung kennt. Das ist etwas enttäuschend, aber auch schön. Letztendlich wird ja alles, was wir sehen, durch recht überschaubare und strukturell einfache fundamentale physikalische Gesetzmäßigkeiten bestimmt. Dennoch ist die Welt voller Komplexität und Unvorhersagbarkeit. Eine fundamentale Ursache hierfür liegt in den Eigenschaften des deterministischen Chaos. Es geht aber auch andersherum: Sehr komplizierte Systeme zeigen oft einfaches Verhalten, was aber in der Komplexität des Systems nicht unmittelbar erkennbar ist. In der Komplexitätswissenschaft verwendet man den Begriff »Emergenz«, wenn also ohne oberflächlich ersichtlichen Grund aus einem komplizierten Durcheinander eine Ordnung oder Struktur erwächst. Wer schon einmal im Herbst einem großen Schwarm von Staren im Flug zugesehen hat, weiß, welche Magie davon ausgeht. Schwarmverhalten werden wir (auch bei Menschen) noch genauer unter die Lupe nehmen. Bei einem Vogelschwarm, aber auch bei einer La-Ola-Welle im Stadion, bei Phantomstaus auf der Autobahn oder bei der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken interagieren viele und in sich schon komplizierte autonome Elemente (einzelne Stare bzw. Fußballfans, Autofahrerinnen und Facebook-Nutzer), die selbstständig Entscheidungen treffen und alle etwas anders auf äußere Einflüsse reagieren. Dennoch kann sich aus solchen Systemen sogenanntes emergentes Verhalten, ein Schwarmverhalten, entwickeln, dessen Struktur man nicht aus dem Studium der Einzelelemente ableiten kann. Auch solche Systeme sind komplex: Viele, individuell unterschiedliche Elemente wirken nach oftmals nicht leicht ersichtlichen Regeln zusammen, sodass unerwartetes kollektives Verhalten entsteht. Ganz typisch ist auch, dass...


Brockmann, Dirk
Dirk Brockmann, geboren 1969, ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt Universität. Zuvor lehrte er in den USA. Nach dem Studium der theoretischen Physik und Mathematik hat er sich früh mit komplexen Phänomenen außerhalb der traditionellen Grenzen der Physik beschäftigt. Besonders interessieren ihn Strukturen und Prozesse in komplexen biologischen und sozialen Netzwerken.

Dirk Brockmann, geboren 1969, ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt Universität. Zuvor lehrte er in den USA. Nach dem Studium der theoretischen Physik und Mathematik hat er sich früh mit komplexen Phänomenen außerhalb der traditionellen Grenzen der Physik beschäftigt. Besonders interessieren ihn Strukturen und Prozesse in komplexen biologischen und sozialen Netzwerken.


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