E-Book, Deutsch, 248 Seiten
Bröderbauer Die Halbe Welt
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-903460-21-8
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 248 Seiten
ISBN: 978-3-903460-21-8
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dies ist die Geschichte der Halben Welt, die Utopie wurde Wirklichkeit. Die Grenzen sind gezogen, das Territorium geräumt, Menschen dürfen nur noch in ihrer Hälfte der Erde leben, die andere Hälfte wurde zum Naturschutzgebiet erklärt. Ein packender Roman über Moral und Wissenschaft, der die Geschichte der Gegenwart fortspinnt und die Zukunft in einer geteilten Welt entwirft.
Das Zeitalter der Einsamkeit ist angebrochen, nachdem der Mensch sich über alles Leben gestellt hat. Die Hälfte der Erde wurde infolge der globalen Krisen zum Schutzgebiet erklärt.
Als Sachbearbeiter in der Behörde zur Verwaltung der Halben Welt sieht Lilian es als seine Aufgabe, zukünftigen Generationen begreiflich zu machen, warum die Hälfte der Erde der Natur überlassen werden musste; er beginnt diese Geschichte aufzuschreiben. Zur Illustration seines Berichts will er die Arbeit zweier Wissenschaftler im globalen Wiederbewaldungsprogramm schildern. Die beiden sind bei einem Forschungsaufenthalt in der Halben Welt mutmaßlich verunglückt. Mit Fortdauer seiner Recherchen mehren sich allerdings Lilians Zweifel an der Ursache für ihr Verschwinden.
Bröderbauers dritter Roman verwebt Fakten und Fiktion. Wer darf bestimmen, wie das Zusammenleben auf Erden aussehen soll? Liegt die Zukunft darin, dass Menschen zugunsten der Natur in ihrem Lebensraum und ihren Aktivitäten beschnitten werden sollen? Wie es beispielsweise das "Half-Earth-Projekt" des weltberühmten Biologen Edward O. Wilson plant? Ein absolut aktueller und zu Diskussionen anregender Roman.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
DER EINSAME PLANET
Eine Revolution verwirklichen kann man nicht allein, eine Revolution braucht viele Menschen, viele Stimmen, die im Chor die entscheidenden Worte rufen. Über eine Revolution schreiben dagegen kann man nur allein. Ein Chronist darf nicht zu nahe rücken, er muss sich aus dem Gedränge halten, um alles sehen zu können, um das Durcheinander der Worte zu verstehen, um das Wesentliche einzufangen und festzuhalten. Vielleicht hat es seine Richtigkeit, dass jemand wie ich diesen Bericht für die Menschen der Zukunft verfasst. Rückblickend betrachtet wird es vielleicht verwundern, dass eine derart folgenreiche Idee wie die Teilung der Welt zur Umsetzung gelangte. Wollte man es sich einfach machen, könnte man behaupten, die großen Krisen der Wendezeit und der desolate Zustand der Erde hätten diesen Schritt unumgänglich gemacht. Aber so war es nicht. Im Gegenteil, es hatten sich gerade wegen der zahlreichen Krisen viele Menschen gegen Veränderungen gesperrt. Letztlich waren Zufälle und Nebensächlichkeiten dafür ausschlaggebend, dass die Halbe Welt gegen alle Widerstände errichtet werden konnte. Ein entscheidender Moment war, als sich einige der reichsten Menschen der Welt für die Natur zu interessieren begannen, wie es vom Vater der Halben Welt, dem ehrwürdigen E. O. Wilson, vorhergesagt worden war. So wesentlich die Rolle der Behörde bei der Schaffung der Halben Welt auch war, wurden entscheidende Schritte von ein paar wenigen wohlhabenden Privatpersonen und Unternehmen getätigt. Zu deren bedeutenderen zählte nicht zuletzt die Unternehmerfamilie der Tyskins, allen voran Jos Tyskin. Welche Motive genau die Tyskins und andere dazu bewogen, einen Teil ihres Vermögens in Naturschutz zu investieren, ist rückblickend schwer zu beurteilen. Sicher spielte das Stiftungswesen eine Rolle, das es den Wohltätern erlaubte, ihr Vermögen dem Zugriff der Steuerbehörden zu entziehen. Neben solchen wohl kalkulierten Überlegungen ließen sich manche Mäzene aber auch von weniger rationalen Überlegungen leiten. Hier muss an erster Stelle Ruth Pizmo genannt werden, die im Zuge eines Scheidungsverfahrens die Hälfte des Vermögens ihres Mannes, Elton Pizmo, zugesprochen bekommen hatte. Elton war bis dahin einer der reichsten Menschen der Welt gewesen. Nun zählte auch Ruth zu diesem erlesenen Kreis. Vielleicht weil Beziehungen in der damaligen Zeit eine zuweilen übermäßig emotionale Komponente zu eigen war, machte sich Ruth Pizmo mit ihren nunmehr unerschöpflichen finanziellen Mitteln daran, das Lieblingsprojekt ihres Ex-Mannes zu sabotieren – das private Raumfahrtunternehmen Deep Horizon, das nach der Scheidung in Eltons Besitz verblieben war. Ruth startete eine Kampagne, die sich nicht nur gegen die private Raumfahrt richtete, sondern gegen Weltraumreisen als Ganzes. Dieser Angriff traf den Zeitgeist der damaligen Ära und sollte unwahrscheinliche Folgen für die Zukunft der Halben Welt haben. Was machen wir auf dem Mond?, ließ Ruth über ihr Medienportal und in den sozialen Medien fragen und legte in einer Reihe von aufwendig gestalteten Berichten und Dokumentationen dar, wie entbehrlich etwa die internationale Mondstation war, deren Errichtung zu diesem Zeitpunkt betrieben wurde. Unter anderem verhalf sie einer Studie der chinesischen Astroökonomin Li Yen zur weiteren Verbreitung, welche die Kosten der ersten Mondmissionen im 20. Jahrhundert – betrieben von den damals noch vereinigten Staaten Amerikas – auf einhundert Milliarden Dollar bezifferte, und für die zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls geplante Mission zum Mars fünfhundert Milliarden Dollar veranschlagte – eine astronomisch hohe Summe, um eine Metapher aus der Zeit zu bemühen. Pizmos Kampagne lenkte den Blick zurück auf eine Gesellschaft, die während der ersten Mondlandung im Jahr 1969 in einem kindlichen Bedürfnis nach Sensationen gebannt vor den Fernsehgeräten gesessen war und dabei übersehen hatte, wie zur selben Zeit – die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Ära des Wirtschaftswachstums – der eigene Planet durch Pestizide, Abholzung und die Verbrennung fossiler Energieträger zerstört wurde. Stellt euch vor, wir hätten damals das Geld für die Mondlandung in erneuerbare Energien investiert, war Pizmos Botschaft, wie würde die Erde heute aussehen? Stellt euch vor, wir investieren jetzt das Geld nicht in eine Mondstation oder einen bemannten Marsflug, sondern in die Bewahrung dessen, was noch übrig ist. So gewitzt Pizmos Argumentation auch war, hätte ihre Kampagne vermutlich keinen so durchschlagenden Erfolg gehabt, wäre nicht noch ein weiterer Umstand dazugekommen. Pizmo bediente sich zur Untermalung ihrer Slogans eines ikonischen Bildes, das den Gedanken und Gefühlen ihrer Zeitgenossen mehr als jedes andere Ausdruck verleihen sollte. Es handelte sich um die in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts angefertigte erste Fotografie der Erde, aufgenommen von den Astronauten der letzten bemannten Mondmission. Nachdem alle Missionen davor in ihrer aus heutiger Sicht obszönen Fixierung auf den Mond der Erde den Rücken zugewandt hatten, warfen die Astronauten von Apollo 17 erstmals einen Blick zurück. Die dabei entstandene Fotografie der im Weltraum schwebenden Kugel machte 1972 zeitgleich mit dem Bericht des Club of Rome die Verwundbarkeit der Erde sichtbar. Das Bild geriet zur Ikone der frühen Naturschutzbewegung (deren Scheitern dazu führen sollte, dass die Errichtung der Halben Welt überhaupt nötig wurde). Durch Pizmos Kampagne erlebte das Bild des Blue Marble fünf Jahrzehnte nach seiner Aufnahme eine Renaissance. Pizmo ließ es massenhaft verbreiten, ergänzt um den Untertitel Dead End – wohlgemerkt ohne Fragezeichen. Damit spielte sie nicht nur auf die Apollo-17-Mission an, die nach Pizmos Ansicht für immer die letzte bemannte Mondmission bleiben sollte. Gleichzeitig stellte der Untertitel einen Bezug zum gegenwärtigen Massenaussterben auf der Erde her, das unaufhaltsam voranschritt. Vor allem aber – und das war das Entscheidende – verlieh das Bild des blauen Planeten im schwarzen All der damaligen Erkenntnis Ausdruck, dass die Erde aller Wahrscheinlichkeit nach der einzige belebte Planet und somit die Menschheit allein war, zumindest in unserer Galaxie, vielleicht sogar im ganzen Universum. War man lange davon ausgegangen, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis man auf anderes Leben stoßen würde, hatten sich nach Jahrzehnten der erfolglosen Suche Zweifel eingestellt. Wo waren all die Außerirdischen, wenn sie denn existierten? Das Fermi-Paradoxon wurde erneut hitzig diskutiert: Gemäß den Computersimulationen müsste aufgrund des hohen Alters des Universums schon längst eine Form intelligenten Lebens entstanden sein und die habitablen Planeten unserer Galaxie, derer es angeblich so viele gab, schon lange kolonisiert haben. Folglich dürfte dieses intelligente Leben unseren Teleskopen und Satelliten nicht entgangen sein. Warum haben wir es dann aber noch nicht gefunden? Astrophysiker:innen begannen, die Zahlen noch einmal durchzurechnen. Ein gewisser Schwieterman bewies, dass die habitable Zone rund um einen Fixstern kleiner war als gedacht. Allein dieser Umstand reduzierte die Liste erdähnlicher Planeten erheblich. Dem nicht genug, wurde festgestellt, dass ein unbedingt erforderlicher Mond eine ganz bestimmte Größe haben musste, um Achse und Rotation des Planeten ausreichend zu stabilisieren. Folglich sank die Zahl möglicher Kandidaten weiter. Für den Fall, dass diese grundlegenden Bedingungen gegeben waren, erläuterten die Astronom:innen, bedurfte es dann unter anderem noch eines Magnetfelds zum Schutz vor der kosmischen Strahlung, dem Vorhandensein von Wasser als Grundlage allen Lebens und der richtigen chemischen Zusammensetzung der Oberfläche, um eine kontinuierliche Bewegung der tektonischen Platten zu ermöglichen, die wiederum zur Stabilisierung des Klimas nötig war, vorausgesetzt, die CO2-Konzentration in der Atmosphäre war weder zu hoch noch zu niedrig. Nur dann (auf eine vollständige Aufzählung aller relevanten Parameter wird hier verzichtet) konnte sich Leben entwickeln, was laut der organismischen Biologin Elvira Kalkhoff allerdings so wahrscheinlich war, als würde man die Einzelteile eines Flugzeugs in einen Tornado werfen, und es würde darin zufällig richtig zusammengebaut. Bis heute konnte der Entstehungsprozess sich selbst reproduzierender Moleküle nicht ausreichend erklärt werden. Noch weniger verstand man damals und versteht man heute, wie aus solchen Molekülen komplexe Organismen evolvieren, die über das verhältnismäßig primitive Einzellerstadium hinausgehen. Entstand nun trotz aller Unwägbarkeiten und aller ungeklärter Fragen gegen alle Wahrscheinlichkeit Leben, konnten klimatische Schwankungen, Asteroideneinschläge, Vulkanismus oder schlicht ein spontanes Ausgasen der Atmosphäre dieses Leben schnell wieder auslöschen. Zog man alle Variablen in Betracht, wie es Sandberg, Drexler und Orb in ihrer viel beachteten Neuberechnung der Drake-Gleichung taten, war es selbst bei einer Trillion Sterne in unserer...