E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Broemme Deutschland in der Krise
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7453-2590-4
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Krisenmanager der Nation über Pandemien, Migration, Jahrhundertflut, drohende Kriege und wie wir den Herausforderungen der Gegenwart begegnen können
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7453-2590-4
Verlag: riva
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Albrecht Broemme, Jahrgang 1953, ist einer der wichtigsten Krisenexperten Deutschlands. Als Leiter der Berliner Feuerwehr (1992-2006), Präsident des Technischen Hilfswerks (2006-2019) und Sonderbeauftragter der Bundesregierung während der »Flüchtlingskrise« 2015 war er an der Bewältigung zahlreicher Krisen der vergangenen Jahre aktiv beteiligt. Dafür wurde ihm 2020 das Bundesverdienstkreuz erster Klasse verliehen. Seit Ende November 2023 ist er der Berliner Koordinator für Flüchtlingsangelegenheiten.
Autoren/Hrsg.
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Warum Deutschland an Krisen und Projekten scheitert
Eine Katastrophe ist immer auch politisch. Sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, ihrer Prioritäten und ihrer Versäumnisse. Wenn wir auf die Krisen und die Katastrophen unseres Landes blicken, erkennen wir nicht nur die Schwachstellen in unseren Systemen, sondern wir müssen auch unser eigenes Handeln und unsere Haltung reflektieren.
Ein Katastrophenmanager ist auch Projektmanager – einer, der oft die Fehler anderer ausbügeln muss, die zuvor ihre Projekte falsch geplant oder umgesetzt haben. Und solche Projekte gibt es in Deutschland zuhauf.
Wenn ich eine Stadt besuche, sehe ich sie mit den Augen eines Feuerwehrmanns, mit dem Blick eines THW-Helfers, der weltweit die unterschiedlichsten Arten von Unglücken erlebt hat. Mein Blick fällt auf Sicherheitsmängel, auf Versäumnisse in der Vorsorge und auf fehlende Strukturen, die in einer Krise entscheidend wären.
Um zu verstehen, wie sich gutes und schlechtes Katastrophenmanagement unterscheiden, muss man verstehen, was in Deutschland bei der Lösung von Krisen schiefläuft. Die Fehler, die wir machen, kosten im besten Fall Milliarden von Euro und im schlimmsten Fall Menschenleben.
Ich möchte Ihnen im ersten Teil meines Buches anhand konkreter Beispiele den Blick des Krisenmanagers vermitteln. Sie müssen die Broemme-Brille aufsetzen, um die Katastrophe rechtzeitig zu erkennen. Und es muss ja nicht das ganz große Unglück sein, das es zu verhindern gilt. Was Sie hier lernen, gilt auch im Kleinen: beim Hausbau, bei einer beruflichen Herausforderung oder der Lösung einer familiären Krise.
Bevor Sie weiterlesen, prägen Sie sich bitte diesen Satz ein: Wer im Team ein Projekt richtig plant, beugt der Katastrophe vor.
Doch zunächst sollten wir ein paar Begrifflichkeiten definieren, um zu verstehen, wo der Hase im Pfeffer liegt.
Die Katastrophe – eine kleine Begriffsgeschichte
In der westlichen Welt haben wir ein Wort für schwere Unglücke gefunden, die uns meistens unvorbereitet treffen und unser Leben gefährden: die Katastrophe. Das Wort entstammt dem Altgriechischen und setzt sich aus den Worten ?at? (katá) = »herab, nieder« und st??f? (stroph?) = »Wendung, Drehung« zusammen. Im ursprünglichen Kontext bezog sich das Wort auf dramatische Wendungen oder Umkehrungen in Theaterstücken. Die erste schriftliche Erwähnung findet sich bei Aristoteles und seiner Dramaturgie. Ein klassisches Beispiel für eine katastrophale Wendung in einer Tragödie ist die des Ödipus, als er erfährt, dass er in Unwissenheit seinen Vater erschlagen und die eigene Mutter geheiratet hat.
Für viele Menschen kamen Katastrophen, leider trotz Frühwarnsystemen bis heute, aus heiterem Himmel. Sie wurden unvorbereitet getroffen, genau wie die Protagonisten der griechischen Tragödien.
Im Deutschen ist das Wort seit dem 17. Jahrhundert belegt. Der moderne Gebrauch des Begriffes, so wie wir ihn heute kennen, nahm seine Entwicklung im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert und wurde im 19. Jahrhundert im westlichen Sprachgebrauch etabliert, insofern er in Wissenschaft, Literatur und Medien verbreitet wurde.
Dabei sind Katastrophen so alt wie die Menschheit selbst. Wobei sie im Grunde genommen bereits existierten, als das erste Leben auf der Erde aufkeimte. Nur betrafen sie vor der menschlichen Intervention ins Geschehen der Welt ausschließlich Pflanzen und Tiere, deren Bewusstsein sich einer Katastrophendefinition entziehen dürfte. Vielleicht sind es sogar, nach heutiger Bezeichnung, Katastrophen, die Leben auf unserem Planeten ermöglicht haben. Vor mehr als vier Milliarden Jahren erfolgte eine Phase intensiver Meteoriteneinschläge auf unsere junge Erde, deren Wucht vermutlich die frühe Erdkruste formte und Bedingungen für die Entstehung von Leben durch die Zufuhr von Wasser und organischen Molekülen ermöglichte.
Die bekannteste vormenschliche Katastrophe, die jedem Schulkind geläufig ist, war das Aussterben der Dinosaurier vor etwa 66 Millionen Jahren, bedingt durch einen gewaltigen Asteroideneinschlag. Doch bereits davor gab es immer wieder brachiale Naturereignisse, die ein Großteil der Arten vernichteten. Mit der beginnenden Klimakatastrophe könnten wir Menschen den nächsten großen Umbruch eingeleitet haben. Anders als frü here planetare Großkatastrophen, die durch äußere Naturereignisse ausgelöst wurden, ist der aktuelle Klimawandel vor allem das Ergebnis menschlichen Handelns, auch wenn natürliche Klimaschwankungen weiterhin eine Rolle spielen.
Während solche Ereignisse in der Frühzeit der Erde Leben ermöglichten, formten und zerstörten, begannen sie in späterer Zeit auch die Mythen und Geschichten der Menschheit zu beeinflussen. Begeben wir uns in die »jüngere« Menschheitsgeschichte und werfen einen Blick in die Bibel, finden wir eine Vielzahl von Katastrophenerzählungen. Dank der modernen Wissenschaft lassen sich die Inspirationen für die Geschichten der Heiligen Schrift auf historische Naturereignisse zurückführen. Die Sintflut im Buch Genesis könnte auf einen Anstieg des Schwarzen Meeres vor knapp 7500 Jahren gründen.1 Die Zerstörung von Sodom und Gomorra wird von einigen Wissenschaftlern mit Meteoriten- oder Asteroideneinschlägen wie beim sogenannten Tall-el-Hammam-Event um 1650 vor Christi Geburt in Verbindung gebracht.2 Dieses Ereignis wird als gewaltige Explosion beschrieben, welches die ganze Region am Toten Meer zerstörte. Die Zehn Plagen Ägyptens könnten wiederum auf die Minoische Eruption zurückgehen, den Ausbruch der ägäischen Vulkaninsel Thera vor ungefähr 3500 Jahren.3
Wer die Bibel durchstöbert und sie im Internet mithilfe seriöser Quellen beleuchtet, findet noch weitere Hinweise auf realhistorische Katastrophen als Grundlage für die biblischen Unglücke.
In den weiteren Kapiteln dieses Buches werde ich Beispiele aus unserer Vergangenheit und Gegenwart behandeln. Allein historische Beispiele für natur- und menschengemachtes Unheil könnten ein ganzes Buch füllen.
Doch wann wird ein Unglück eigentlich zur Katastrophe?
Die Erkennungszeichen einer Katastrophe
Zunächst einmal dauert es eine ganze Weile, bis man erkennt, dass man sich in einer Katastrophe befindet. Die verzögerte Wahrnehmung des ganzen Ausmaßes eines Unglücks setzt voraus, dass der Erkenntnisgewinn sich erst nach und nach zu einem realistischen Lagebild summiert. Je nach Ereignis sprechen wir von Stunden, Tagen oder Wochen, bevor die Menschen verstehen, wie ernst die Situation ist. Manchmal liegt das auch daran, dass die Behörden verheimlichen, wie groß die unmittelbare Gefahr ist.
Ein tragisches Beispiel dafür ist die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986, bei der die sowjetischen Verantwortlichen die Öffentlichkeit lange im Ungewissen ließen, was tatsächlich passiert war.4 Obwohl ihnen die Fakten bald vorlagen, versuchten sie, den Vorfall sowohl in der Sowjetunion als auch vor der Weltöffentlichkeit zu vertuschen.
Ein böswilliges Kalkül will ich niemandem unterstellen. Aber in unseren Behörden sitzen auch nur Menschen. Und Menschen werden mit der Zeit nachlässig und verkennen die Gefahr, selbst wenn man ihnen die Warnzeichen auf die Nase bindet. Ein tragisches, aber gut geeignetes Beispiel für solche Nachlässigkeiten werden wir im Kapitel zu Flutkatastrophen genauer betrachten.
Auch wenn ich die Flüchtlingskrise von 2015 nicht als Katastrophe bezeichnen möchte, ist sie ebenfalls ein Exempel dafür, wie lange es dauerte, bis das wahre Ausmaß dieses Zuzugs mehrerer Hunderttausend Menschen in kurzer Zeit und die damit verbundenen Herausforderungen begriffen wurden.
Mit Blick auf die globale Katastrophe, die uns im Zuge des Klimawandels bevorsteht, muss man traurigerweise davon ausgehen, dass uns Menschen die Weit- und Einsicht fehlt, dass wir uns bereits inmitten einer dramatischen Katastrophenkaskade befinden. Im kollektiven Bewusstsein spielt der Klimawandel derzeit nur noch eine untergeordnete Rolle.
Wir müssen unterscheiden zwischen menschengemachten Katastrophen und Naturkatastrophen, wobei die Trennlinie immer mehr verwässert.
Kriterium einer Katastrophe ist eine hohe Zahl Betroffener in Form von Todesopfern, Verletzten, Vermissten oder Vertriebenen, außerdem massive Schäden an Sachwerten wie Gebäuden oder Fahrzeugen sowie der kritischen Infrastruktur.
Und immer wieder habe ich festgestellt: Die typische Katastrophe beginnt am »Freitag nach Dienstschluss«. Was ich damit meine, ist, dass viele Entscheidungsträger nicht verfügbar sind, wenn ein Unglück nachts oder am Wochenende eintritt. Dann sind die gefragt, die gerade greifbar sind.
Meine Definitionen bringen keine neuen bahnbrechenden Erkenntnisse. Dennoch liegt es in der menschlichen Natur, all das gerne wieder zu vergessen. Dafür habe ich einen Begriff gefunden, den ich unermüdlich in die Köpfe meiner Zuhörer, und jetzt auch in Ihre, liebe Leser, hämmere.
Katastrophen lassen sich nicht völlig vermeiden, daher müssen wir uns besser darauf vorbereiten.
Katastrophendemenz – warum wir so gerne vergessen
Ich werde immer wieder gefragt: Was haben wir eigentlich aus der Flüchtlingskrise oder aus der Pandemie gelernt? Welche Kon sequenzen haben wir gezogen? Ich erwähne dann gerne Franz Josef...