E-Book, Deutsch, Band 7, 757 Seiten
Reihe: Genesis
Broi Genesis VII
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7541-9059-3
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die längste Stunde
E-Book, Deutsch, Band 7, 757 Seiten
Reihe: Genesis
ISBN: 978-3-7541-9059-3
Verlag: neobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alfred Broi wurde 1965 in Clausthal-Zellerfeld geboren, wo er auch heute noch lebt. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Seine Geschichten kommen einfach aus dem Bauch und sind pure Fantasie. Bisher sind insgesamt dreizehn Romane veröffentlicht. Stoff für weitere Romane ist vorhanden, sie werden kontinuierlich folgen.
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II
„Sag etwas!“ Marivars Stimme war leise, schwach und ihre Worte klangen zittrig. Sie lag neben Jorik auf einer Decke in einer der kleineren Höhlen, in die sie sich zurückgezogen hatten. Keiner von beiden hatte bisher ein Wort gesprochen. Wenn Marivar in Joriks Augen schaute, dann sah sie dort Schock, Entsetzen und eine derart furchtbare Hoffnungslosigkeit, dass ihr eine Gänsehaut über den Rücken kroch und ihr war klar, dass ihr Partner ganz sicher nicht reden wollte. Und wenn Marivar ehrlich war, hätte sie auch nicht gewusst, worüber, denn eigentlich gab es nichts mehr zu sagen, was auch nur im Entferntesten sinnvoll gewesen wäre.
Also hatte sie sich neben Jorik auf die Decke gelegt, sich an ihn geschmiegt, ihren Kopf auf seine Brust gelegt und hing ihren Gedanken nach, die ihr einige stumme Tränen brachten. Obwohl sie anhand seines Atemrhythmus erkannte, dass auch er nicht schlief, traute Marivar sich nicht, sich aufzurichten und Jorik anzusehen.
Nach einiger Zeit aber wurde sie innerlich sehr unruhig. Der Schmerz schien sie schier zu überwältigen und sie spürte den Drang, mit Jorik darüber zu reden. Doch kaum hatte sie ihre Worte ausgesprochen, da wurde ihr klar, dass sie nicht von ihm verlangen konnte, sich mit ihr auszutauschen – zumindest noch nicht. Deshalb fügte sie kleinlaut hinzu: „Bitte!“
Im ersten Moment dachte sie allerdings, sie hätte sich getäuscht und Jorik wäre doch eingeschlafen. Dann aber atmete er tief durch und sagte: „Ich wüsste nicht…?“ Seine Stimme klang furchtbar kratzig und schwach. „…was?“
Instinktiv drehte sich Marivar zu ihm und als sie ihn ansah, zuckte er in den Achseln. Sie hatte wohl noch niemals zuvor in solch traurige Augen geschaut. In diesem Moment spürte sie, wie eine heiße Welle purer Verzweiflung in ihr überzuschwappen drohte. Sie konnte sich gerade noch zusammenreißen und es verhindern. Dennoch musste sie die Zähne fest zusammenbeißen und schlucken, um den Kloss im Hals zurück zu drängen. Dabei spürte sie heißkalten Schweiß auf ihrer Stirn. Ihr Puls erhöhte sich schlagartig und hämmerte gegen ihre Schläfen. Nach außen hin aber schaffte sie es, dass nur eine einzelne Träne über ihre Wangen lief. „Ich weiß nicht?“ Das Sprechen fiel ihr schwer. „Über alles!“
„Ist da wirklich noch etwas, das es zu sagen gibt?“ Joriks Blick war leer, Marivar merkte, dass er am liebsten still geblieben wäre.
„Aber?“ Die Ärztin war jetzt etwas hilflos. „Wie soll es weitergehen?“
„Du meinst, außer dass wir nur noch auf den Tod warten können?“
„Ich…!“ Marivars Verzweiflung gewann wieder die Oberhand. „Gott Jorik, das darf doch nicht…!“
„Was?“ unterbrach sie ihr Partner sanft und lächelte säuerlich. „Das Ende sein?“ Sein Blick wurde wieder traurig. „Doch Marivar!“ Er sah sie direkt an. „Genau das ist es: Das Ende unseres Weges! Wir haben einfach zu lange gewartet…oder besser zu spät gehandelt. Wir hatten daher von Beginn an keine andere Wahl, als alles auf diese eine Karte zu setzen. Doch unser Blatt war nicht gut genug!“ Er lächelte wieder traurig. „Und deshalb haben wir das Spiel verloren…endgültig!“ Tiefe Hoffnungslosigkeit spiegelte sich in seinem Blick wider.
Marivar war kurz davor aufzuschreien, so hilflos fühlte sie sich. „Aber…?“ Mehr brachte sie nicht über ihre Lippen, dann schossen Tränen aus ihren Augen.
Plötzlich nahm sie ein Geräusch wahr. Es kam vom Eingang in diese Höhle, der lediglich mit einem dicken Stoffvorhang abgetrennt war. Jemand hatte gegen den Stein dort geklopft. Einen Augenblick später wurde der Vorhang etwas nach innen gedrückt. Marivar konnte zwei Beine in dem Bodenspalt erkennen.
Dann räusperte sich ein Mann. „Darf ich reinkommen?“ Es war Shamos! Marivar erkannte die Stimme des Wissenschaftlers sofort. Irgendwie war sie erfreut, sie zu hören.
„Klar!“ erwiderte Jorik ausdruckslos, ohne zum Eingang zu blicken.
Shamos schien einen Lidschlag zu warten, dann trat er ein. Er vermied sofort längeren Blickkontakt zu den beiden, seine Augen zuckten unstet über den Boden und die Wände. Marivar konnte dennoch erkennen, dass er geweint hatte. Sein Gesicht war rotfleckig und wirkte eingefallen, sein Blick war leer. „Ich…!“ Er räusperte sich nochmals, weil seine Stimme kaum mehr als ein Krächzen war. „Ich könnte einen größeren Beutel gebrauchen. Habt ihr sowas?“ Wieder nur der Hauch eines Blickes.
„Einen…?“ Jorik furchte die Stirn und verzog angesäuert die Mundwinkel. „…Beutel?“ Er sprach dieses Wort aus, als wäre es eine Krankheit.
Shamos nickte jedoch nur.
Marivar erinnerte sich an einen Wäschesack, den sie in der Ecke gesehen hatte. „Ich habe…!“ Sie deutete in die entsprechende Richtung. „…einen Wäschesack. Würde der gehen?“ Sie sah ihren Freund mit einem traurigen Lächeln an.
Shamos nickte erneut. „Ja, das wäre…perfekt!“ Er warf ihr einen dankbaren Blick zu, bevor er den Kopf wieder senkte.
Marivar stand auf und ging in die Ecke.
„Wozu…?“ Joriks Stimme klang wenig freundlich. „…brauchst du den?“
Shamos antwortete nicht. Marivar schaute kurz zu ihm herüber, doch stand er nur mit hängendem Kopf da. Irgendetwas stimmte nicht, das spürte sie. Deshalb bückte sie sich und hob den Wäschesack auf, ohne den Blick von dem Wissenschaftler zu nehmen. Dabei merkte sie, wie sich ihr Herzschlag erhöhte.
„Kannst du oder willst du mir nicht antworten?“ fragte Jorik, richtete seinen Oberkörper auf und schaute seinen Freund direkt an.
Marivar konnte sehen, dass Shamos sofort nervös und rot im Gesicht wurde. „Ich…will nicht!“ Dann hob er seinen Kopf, sah Marivar, von der er gar nicht gemerkt hatte, dass sie zu ihm gegangen war, für einen kurzen Augenblick direkt an, lächelte dabei dankbar und griff nach dem Wäschesack.
„Was?“ Joriks Blick verdunkelte sich nochmals, während er sich gänzlich auf die Beine drückte.
Marivars Puls stieg weiter an. Etwas stimmte ganz und gar nicht, dessen war sie jetzt mehr als sicher. Im Gesicht des Wissenschaftlers konnte sie all jene Gefühle sehen, die auch sie gerade empfand: Trauer, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung! Doch sein Lächeln war vollkommen anders: Offen, frei und…fröhlich? Marivars Herz stockte für einen Augenblick. Konnte das sein? Ausgerechnet Shamos, der sicher noch ein wenig mehr unter dieser unerträglichen Situation litt, als sie alle? Nein, dafür kannte sie ihn zu gut! Shamos litt Höllenqualen, da war für Fröhlichkeit kein Platz! Marivar hatte sich getäuscht. Aber dennoch: Etwas an seinem Lächeln ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Sie konnte absolut nicht sagen, was, doch plötzlich kam ihr ein Gedanke: Shamos litt. Zuallererst war er es doch gewesen, für den die Situation des Krieges und der Zerstörung Santaras derart unerträglich war, dass er fieberhaft nach einer Lösung gesucht hatte. Nur ihm hatten sie es zu verdanken, dass sie alle jetzt hier waren. Er allein hatte ihnen Hoffnung gegeben. Und er hatte dieses furchtbare Nein, das jetzt über ihnen allen hing, sicherlich ebenfalls nicht akzeptieren können. Er hatte in der letzten Stunde bestimmt nachgedacht, fieberhaft, überlegt, nach einem weiteren Ausweg gesucht. Und wenn Marivar eines noch mit Sicherheit wusste, dann das: Wenn noch irgendjemand von ihnen die Katastrophe verhindern konnte, dann war es Shamos, dieses unfassbar brillante Genie, wie es kein zweites je auf diesem Planeten gegeben hatte.
Augenblicklich stockte ihr Atem. Natürlich, Shamos hatte nachgedacht und – sie sah noch einmal sein Lächeln und ein Schauer fuhr über ihren Rücken – eine Lösung gefunden!?
Ein leiser Schrei entfuhr ihrer Kehle, als sie abrupt einatmete und hinter dem Wissenschaftler, der gerade den Vorhang zurückschob, um die Höhle zu verlassen, herschaute. „Shamos, hast du…?“ Sie konnte nicht verhindern, diese Worte zu sagen, doch erschrak sie sofort und stoppte ab. Für einen winzigen Moment schalt sie sich eine dumme Pute, weil sie glaubte, sich nur etwas vorzumachen, doch Shamos verharrte für einen Augenblick in seiner Bewegung, schien sich umdrehen zu wollen, bevor er hörbar durchatmete und den Raum dann doch verließ. Marivars Puls erhöhte sich sofort wieder schlagartig und unwillkürlich drehte sie ihren Kopf zu Jorik.
Der war sichtlich angefressen, aber auch verwirrt. „Was hat er?“
„Eine…!“ Marivar wollte es gar nicht, doch konnte sie ein kurzes Lächeln mit leuchtenden Augen nicht verhindern. „…Idee!?“
„Eine…?“ Joriks Stirn legte sich in Falten, dann plötzlich wurden seine Augen riesengroß und er holte tief Luft. „Oh verdammt!“ Ruckartig zuckte sein Körper nach vorn und während er Marivar anstarrte, hastete er zum Ausgang. „Shamos!“ rief er, als er den Vorhang beiseite fegte und in den Gang trat. Er erkannte seinen Freund keine drei Meter weiter. „Shamos!“ rief er nochmals.
Marivar stand schräg hinter Jorik, konnte sehen, dass der Wissenschaftler stehen blieb, sich zunächst aber nicht zu ihnen herumdrehte. Gleichzeitig trat Esha aus dem Nebenraum und schaute ihren Partner und dann Jorik überrascht an. Marivar spürte, wie ihr Puls erneut zu rasen begann.
„Was?“ hörte sie Shamos fragen, ohne dass dieser sich bewegte.
„Antworte mir!“ hob Jorik an und in seinem Gesicht konnte Marivar deutlich einen Hoffnungsschimmer erkennen. Seine Stimme zitterte. „Hast du...?“ Er schluckte. „...eine Idee?“
Für eine gefühlte Ewigkeit erstarrte der Moment zu Eis. Keiner bewegte...




