Brooks | Insel zweier Welten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Brooks Insel zweier Welten

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-07567-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

ISBN: 978-3-641-07567-5
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Menschen, die sich finden. Zwei Welten, die aufeinanderprallen
Nordamerika, 1660 - auf einer kleinen Insel, die heute Martha's Vineyard heißt: die 12-jährige Bethia wächst in einer puritanischen Siedlung auf. Ihr Vater ist Prediger, ein strenger Mann, dessen Mission es ist, seinen Glauben auf das Eiland vor Cape Cod zu bringen, das sich die englischen Siedler mit den Wampanoag-Indianern teilen. Doch Bethia fühlt sich fast magisch angezogen von diesen Fremden, die sie oft heimlich auf ihren Streifzügen durch die wilde Natur der Insel beobachtet. Eines Tages trifft sie auf Caleb, den Sohn eines Häuptlings. Auch er ist fasziniert von dem Mädchen mit den blauen Augen und dem wachen Verstand. Die beiden knüpfen ein zartes Band. Doch als sie heranwachsen, kommt der Moment, an dem sie gezwungen werden, für ihre Freundschaft und für ihren Platz im Leben zu kämpfen ...

Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman 'Auf freiem Feld' den Pulitzerpreis. 'Das Pesttuch' avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamt New-York-Times-Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.
Brooks Insel zweier Welten jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


I


Er kommt am Tage des Herrn. Obwohl mein Vater es nicht für nötig erachtet hat, mir das mitzuteilen, bin ich im Bilde.

Sie nahmen an, ich schliefe, so wie ich es jede Nacht tue, während mein Vater und Makepeace auf der anderen Seite des Vorhangs, der unsere Schlafkammern trennt, noch eine Weile miteinander flüstern. Meistens ist ihr leises Murmeln für mich ein tröstliches Geräusch, doch vergangene Nacht erhob Makepeace die Stimme und wurde so heftig und wütend, dass mein Vater ihn zurechtweisen musste. Vermutlich war es das, was mich aus dem Schlaf gerissen hatte, denn eigentlich verabscheut mein Bruder derart heftige Gefühlsausbrüche. Ich drehte mich auf meinem Lager herum und fragte mich, vom Schlaf benommen, was ihn wohl so aufgebracht hatte. Was mein Vater sagte, konnte ich nicht hören, doch dann erhob mein Bruder erneut die Stimme.

»Wie kannst du Bethia einer solchen Gefahr aussetzen?«

Natürlich war in dem Moment, als mein Name fiel, nicht mehr an Schlaf zu denken; ich war hellwach. Ich hob den Kopf und versuchte noch mehr aufzuschnappen, was auch nicht schwer war, weil Makepeace seine Zunge nicht zu zügeln vermochte, und obwohl ich nicht hören konnte, was mein Vater sagte, waren die Antworten meines Bruders deutlich zu vernehmen.

»Was hat es schon zu bedeuten, dass er betet? Es ist – soweit ich weiß - noch nicht einmal ein Jahr her, dass er dem Heidentum abgeschworen hat, und der Mann, der ihn lange in seiner Obhut hatte, ist ein Knecht Satans. Der Halsstarrigste und Gefährlichste von allen, wie du selbst oft genug gesagt hast …«

Vater fiel ihm ins Wort, doch Makepeace ließ sich den Mund nicht verbieten.

»Natürlich nicht, Vater. Ich will seine Fähigkeiten gar nicht in Frage stellen. Doch nur weil ihm das Lateinische leichtfällt, bedeutet das noch nicht, dass er weiß, welches Benehmen in einem christlichen Zuhause von ihm erwartet wird. Das Risiko ist einfach …«

In diesem Moment begann Solace zu schreien, und ich beruhigte sie. Die beiden merkten, dass ich wach war, und sagten nichts mehr. Doch es war schon genug gesagt worden. Ich wickelte Solace gut ein und zog sie auf dem Bett zu mir heran. Sie schmiegte sich an mich wie ein Vogelkind im Nest und schlief wieder ein. Ich lag wach, starrte in die Dunkelheit und strich mit der Hand über die raue Kante des Deckenbalkens, der in Armeslänge über meinem Kopf verlief. Noch fünf Tage, dann würden wir unter dem selben Dach leben.

Caleb wird bei uns wohnen.

Am nächsten Morgen sprach ich nicht über das, was ich mit angehört hatte. Das Lauschen – anders als das Sprechen – ist mir schon lange zur Natur geworden, und ich bin höchst geübt darin. Es war meine Mutter, die mich gelehrt hat zu schweigen. Als sie noch lebte, hat wohl kaum mehr als ein Dutzend Menschen in dieser Siedlung jemals ihre Stimme gehört. Es war eine angenehme Stimme, leise und weich, mit einem Hauch jenes Dialekts aus dem Dorf in Wiltshire, England, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte. Oft lachte sie, sang uns Kinderreime aus ihrer alten Heimat vor und erzählte uns von Dingen, die wir nie gesehen hatten: Kathedralen und Kutschen, breite Flüsse, so groß wie unser Hafen, und ganze Straßen voller Läden, in denen jeder, der genügend Geld in der Börse hatte, alle möglichen Waren erwerben konnte. Doch das geschah nur innerhalb des Hauses, wenn wir als Familie beisammen waren. Draußen hingegen sah man sie nur mit gesenktem Blick und versiegelten Lippen. Sie war wie ein Schmetterling: bunt und vibrierend, wenn sie beschloss, die Flügel auszubreiten, doch kaum sichtbar, wenn sie sie zuklappte. Ihre Bescheidenheit war wie ein Mantel, den sie sich umhängte, und wenn sie so, mit Demut und Bescheidenheit bekleidet, in der Welt umherging, schien sie von den Menschen gar nicht bemerkt zu werden, ja, bisweilen sprachen sie gar in ihrer Anwesenheit über sie, als wäre sie nicht da. Später, bei Tisch, wenn die Angelegenheit für Kinderohren taugte, berichtete sie über dies oder das, was ihr wichtig erschien, oder sie wartete mit allerhand Neuigkeiten über unsere Nachbarn auf. Oft war das, was sie zu berichten wusste, unserem Vater für sein geistliches Amt oder Großvater für seine Tätigkeit als Richter dienlich.

Im Lauschen und Beobachten eiferte ich meiner Mutter nach, und auf diese Weise erfuhr ich auch, dass ich sie verlieren würde. Unsere Nachbarin Goody Branch, die hiesige Hebamme, hatte mich in ihr Häuschen geschickt, um mich mehr von dem Wehentrunk holen zu lassen, mit dem sie das Kindbettfieber meiner Mutter zu kühlen hoffte. So groß auch mein Eifer war, ihr das Gewünschte zu holen, stand ich doch einige Minuten an der Tür und lauschte, als ich meine Mutter sprechen hörte. Sie redete von ihrem Tod. Ich wartete darauf, dass Goody Branch ihr widersprechen und ihr sagen würde, alles werde gut. Doch solche Worte fielen nicht. Stattdessen antwortete Goody Branch, sie würde sich schon um gewisse Angelegenheiten kümmern, die meiner Mutter am Herzen lägen, und sie solle diesbezüglich ganz ohne Sorge sein.

Drei Tage später trugen wir sie zu Grabe. Obwohl laut Kalender der Frühling bereits begonnen hatte, war der Boden noch nicht getaut. Und so entzündeten wir an der Stelle, die mein Vater ausgesucht hatte, zwischen den Gräbern meines Zwillingsbruders Zuriel, der im Alter von neun Jahren gestorben war, und dem meines anderen Brüderchens, das schon so früh von uns gegangen war, dass wir ihm nicht einmal einen Namen geben konnten, ein Feuer. Wir schürten es die ganze Nacht. Doch als mein Vater und Makepeace bei Morgengrauen zu graben begannen, klirrte die Schaufel noch immer in der eisenharten Erde, ein Geräusch, das mir bis heute in den Ohren klingt. Das Graben war so mühsam, dass mein Vater hinterher von der Anstrengung, unsere Mutter zur ewigen Ruhe zu betten, zitterte wie Espenlaub. Aber so ist das Leben hier auf dieser Insel: Wir haben die raue See im Auge und die Wildnis in unserem Rücken. Wie Adams Familie nach dem Sündenfall müssen auch wir alle Dinge selber verrichten, müssen töpfern und backen, Pillen drehen und Gräber schaufeln. Was auch immer wir zum Leben brauchen – wir müssen es selbst beschaffen oder darauf verzichten.

Seit dem Tod meiner Mutter ist jetzt fast ein Jahr vergangen, seither kümmere ich mich um Solace und führe den Haushalt. Ich vermisse meine Mutter und weiß, dass es auch Vater so geht, ebenso wie Makepeace auf seine Weise um sie trauert, obwohl er seine Gefühle nicht so deutlich zeigt wie wir. Auch sein Glaube scheint gestärkt zu sein, denn er hat gelernt, das hinzunehmen, was uns nach göttlichem Willen widerfährt. Wir alle haben schlimme Tage und Nächte verbracht, in denen wir unser Betragen prüften und in unseren Seelen lasen, um herauszufinden, für welche unserer Sünden und Verfehlungen der Schöpfer uns strafen wollte, als er sie so früh von uns nahm. Und auch wenn ich oft zusammen mit meinem Vater im Gebet bei dieser Frage verweile, so habe ich ihm doch nicht die ganze Wahrheit gesagt, so wie ich sie kenne.

Denn ich habe meine Mutter getötet. Ich weiß, mancher würde sagen, ich sei nur ein Kind gewesen, das zum Spielball des listenreichen Satans wurde. Doch im Angesicht der Seele zählen weder Jugend noch Alter. Die Sünde befleckt uns bereits bei unserer Geburt und liegt wie ein Schatten über jeder Stunde unseres Lebens. So wie die Heilige Schrift uns lehrt: Zu seiner Zeit soll ihr Fuß gleiten. Man verliert den Halt, so wie es mir geschah, und das Alter zählt dabei nicht. Kindliche Unschuld kann hier nicht gelten. Und meine Sünden waren nicht bloß eine durch Unreife entschuldbare Torheit: Sie sind auf ewig in die steinernen Tafeln tödlicher Verfehlung gemeißelt. Ich habe die Gebote gebrochen, Tag für Tag. Und ich tat es wissentlich. Ich bin die Tochter eines Pfarrers: Wie könnte ich es leugnen? Wie Eva dürstete mich nach verbotenem Wissen, und ich aß von der verbotenen Frucht. Für sie der Apfel, für mich der weiße Nieswurz – verschiedene Pflanzen aus ein und derselben Hand. Und genauso, wie jene Schlange im Paradies damals schön gewesen sein muss – ich sehe sie vor mir, ihre glänzenden Schuppen, die sich schimmernd wie Tautropfen über Evas Schultern ergossen, ihre Augen, wie blitzende Juwelen, die ihrem Blick begegneten –, kam Satan auch zu mir in Gestalt unwiderstehlicher Schönheit.

Brich Gottes Gesetze, und erdulde seinen Zorn. Nun, das ist es, was ich tue. Der Herr legt schwer seine Hand auf mich, und ich beuge den Rücken unter der Bürde, die ich jetzt trage – unter der meiner Mutter und meiner eigenen. Meine Aufgaben beginnen im dichten Grau der Morgendämmerung und enden beim Kerzenlicht der Nacht. Im Alter von fünfzehn Jahren habe ich die Pflichten eines Weibes übernommen und bin zur Frau gereift. Doch ich bin auch froh darüber. Denn nun habe ich nicht mehr die Zeit für die Sünden, die ich als Mädchen beging, wenn sich die Stunden vor mir ausbreiteten wie ein endloses Geschenk. Jene heißen Nachmittage, wenn sich der Strand, von salziger Gischt erfüllt, in einem langen, schimmernden Bogen bis zu den Klippen in der Ferne erstreckte. Jene Morgenstunden, in denen ich auf laubbedeckten, lehmigen Pfaden in den kühlen Talsenken der Gegend nach himmelblauen Beeren suchte und spürte, wie jede einzelne von ihnen in meinem Mund zerplatzte, saftig und süß. Ich eroberte mir die Insel, Meile um Meile, von der weichen, schlickigen Tonerde der regenbogenfarbenen Klippen bis zur rauen Kühle der Granitfelsen, die urplötzlich aus den Feldern aufragen und den Pflug aus seiner Bahn bringen. Ich liebe den Nebel, der uns alle in einen milchigen Schleier hüllt, und die Winde, die bei Nacht in den Schornsteinen ächzen und klagen. Selbst wenn die Strandlinie mit salzigem...


Schwaab, Judith
Judith Schwaab, Jahrgang 1960, studierte Italienische Philologie. Sie ist Lektorin und Übersetzerin aus dem Englischen und Italienischen, unter anderem von Anthony Doerr, Daniel Mason, Jojo Moyes, Sue Monk Kidd, Maurizio de Giovanni und Stefania Auci. Für ihre Übersetzung von Chimamanda Ngozi Adichies "Blauer Hibiskus" erhielt sie 2020 den Internationalen Hermann-Hesse-Preis.

Brooks, Geraldine
Geraldine Brooks wurde 1955 in Sydney geboren und bereiste elf Jahre lang als Auslandskorrespondentin des Wall Street Journal die Welt. 2006 erhielt sie für ihren Debütroman „Auf freiem Feld“ den Pulitzerpreis. „Das Pesttuch“ avancierte zum internationalen Bestseller und wurde in 25 Sprachen übersetzt. Ihre Bücher sind allesamt New-York-Times-Bestseller. Geraldine Brooks lebt auf Martha's Vineyard, Massachusetts.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.