E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Broué / Dannat / Förster Trotzki, Trotzkismus, Vierte Internationale
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7521-4099-6
Verlag: Manifest Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-7521-4099-6
Verlag: Manifest Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Mit Texten von Leo Trotzki, Pierre Broué, Peter Taaffe, Anton Dannat, Sebastian Förster, Wolfram Klein, Sascha Stani?i?, Ted Grant und Lynn Walsh
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Leo Trotzki war marxistischer Theoretiker, Revolutionsführer, Kämpfer gegen Kapitalismus und Stalinismus, Kopf der Vierten Internationale, Historiker, Literaturkritiker. Mit seinem Namen ist untrennbar der Kampf für sozialistische Demokratie in der stalinisierten Sowjetunion, eine marxistische Stalinismuskritik und die Rettung des revolutionären und demokratischen Erbe des Bolschewismus verbunden.
Doch Trotzki ist nicht nur eine historische Figur. Er war Begründer einer Bewegung, die auch heute noch lebendig ist und eine wichtige Rolle in der internationalen ArbeiterInnenbewegung und Linken spielt. Seine Ideen sind nicht nur von geschichtlichem Interesse. Sie bieten auch heute Antworten auf brennende politische Fragen, mit denen die Linke konfrontiert ist. Das gilt nicht zuletzt für die von ihm entwickelte Theorie der Permanenten Revolution, die Antworten auf die Frage gibt, wie der Kapitalismus in so genannten „rückständigen“ Ländern überwunden werden kann. Gerade angesichts der als „Arabischer Frühling“ in die Geschichte eingegangenen revolutionären Bewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten, der Revolution im Sudan, den Massenbewegungen des letzten Jahres in Chile, Ecuador und anderen Ländern , ist diese Theorie von aktuellster Bedeutung. Aber auch in Bezug auf viele andere Fragen – dem Kampf gegen den Faschismus, der Zusammenarbeit von ArbeiterInnenparteien mit bürgerlichen pro-kapitalistischen Parteien, der Entwicklung eines sozialistischen Übergangsprogramms, der Bedeutung der ArbeiterInnendemokratie und vieles mehr – finden sich in Trotzkis Schriften wegweisende Ideen für die heutigen und zukünftigen Kämpfe und Bewegungen.
Trotzki selber hat den Kampf für die Vierte Internationale, also für eine neue revolutionäre ArbeiterInneninternationale nach dem Verrat der sozialdemokratischen Zweiten und stalinistischen Dritten Internationale, als sein wichtigstes Lebenswerk bezeichnet. Und das, obwohl die Vierte Internationale, 1938 gegründet, zu seinen Lebzeiten keine gesellschaftliche Machtposition erlangen konnte. Und doch ist diese Selbsteinschätzung kein Ausdruck von Selbstüberschätzung, sondern von einem Verständnis davon, wie wichtig es war, die Methoden des revolutionären Marxismus in schwerster Zeit zu verteidigen und einen, wenn auch nur kleinen und schwachen, Kader damit zu bewaffnen. Tatsächlich bestand in den 1930er Jahren die Gefahr, dass die revolutionäre Tradition, die von Marx und Engels begründet, von Köpfen wie Lenin, Luxemburg und Liebknecht verteidigt und weiter entwickelt wurde, durch den stalinistischen und faschistischen Terror und marginalisiert zwischen Sozialdemokratie und Stalinismus als den Massenströmungen – und mächtigen Apparaten – in der internationalen Arbeiterbewegung hätte ausgerottet werden können.
Trotzki verhinderte dies. Erstens und vor allem indem er das neue Phänomen des Stalinismus von einem marxistischen Standpunkt aus analysierte, seinen konterrevolutionären Charakter offen legte und eine sozialistische Perspektive des Kampfes gegen die bürokratische Herrschaft der Parteielite formulierte. Zweitens indem er der leblosen, schematischen und im Kern reformistischen Politik der stalinisierten Kommunistischen Internationale zu allen wesentlichen Fragen, mit denen die ArbeiterInnenbewegung in den 1920er und 1930er Jahren konfrontiert war, eine marxistische Analyse und revolutionäre Strategie entgegen stellte. Und drittens durch seine Bemühungen diesen im Wesentlichen von ihm formulierten Ideen durch die Internationale Linke Opposition und ab 1938 der Vierten Internationale einen organisatorischen Ausdruck zu geben.
Den Kampf für diese neue Internationale führte Trotzki auf allen Ebenen, wenn auch wesentlich von den Schreibtischen seines Exils her. Doch er nutzte den literarischen Austausch mit seinen MitstreiterInnen, und die wenigen persönlichen Begegnungen, die aufgrund seiner Isolation im Exil möglich waren, um sich intensiv auch mit Fragen des Organisationsaufbaus und der Taktik zu beschäftigen. Dabei war ihm eine Verteidigung der Prinzipien des revolutionären Marxismus ebenso wichtig, wie taktische und organisatorische Flexibilität und der Versuch, jede Gelegenheit zu nutzen, Verbündete für den Aufbau der neuen Internationale zu suchen. So bemühte sich Trotzki sehr, die Parteien des so genannten Viererblocks – neben der Internationalen Linken Opposition, die deutsche SAP, und die beiden niederländischen Organisationen OSP und RSP – für die Vierte Internationale zu gewinnen. Ebenso riet er seinen GenossInnen, höchste taktische Flexibilität anzuwenden, indem er sie aufforderte, innerhalb der sozialdemokratischen/sozialistischen Massenparteien zu arbeiten, um die dortigen Radikalisierungsprozesse zu beeinflussen. Diese Offenheit und Flexibilität führte jedoch nie dazu die grundlegenden Prinzipien des revolutionären Programms und der Notwendigkeit einer revolutionären internationalen Organisation aufzugeben oder auch nur in Frage zu stellen. Wenn es politisch notwendig war – wie im Fall des Bruchs mit der spanischen POUM, als diese in der Revolution von 1936-1939 einen Kurs der Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften einschlug – ging ihm politische Klarheit vor organisatorischer Stärke.
Die Geschichte der Vierten Internationale ist, oberflächlich betrachtet, keine Erfolgsgeschichte. Nach Trotzkis Tod verlor die Organisation den Kompass und ihre Führung zeigte sich unfähig auf eine völlig neue Weltlage die richtigen Antworten zu geben. In den Führungen der Hauptströmungen des Trotzkismus – Vereinigtes Sekretariat, Internationale Sozialistische Tendenz, diverse „morenistische“ Organisationen und, nach der Spaltung des CWI im Jahr 2019, der Internationalen Sozialistischen Alternative (ISA) – haben sich aus Sicht der Sol und des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale (CWI) gewisse falsche Methoden und Herangehensweisen festgesetzt, die dazu führen, dass diese Organisationen immer wieder größere Fehler in wichtigen politischen Fragen begehen. In den letzten Jahren gehören dazu unter anderem Fehleinschätzungen zu den Ereignissen in Syrien, der Rolle islamistischer Bewegungen, des Charakters eines sozialistischen Übergangsprogramms, des Umgangs mit Identitätspolitik und ökosozialistischen Konzepten und des Verhältnisses zu Sozialdemokratie, Gewerkschaften und neuen linken Parteien.
Mit einigen wenigen Ausnahmen – Sri Lanka, Indochina, Bolivien – haben die Organisationen der Vierten Internationale niemals einen wirklichen Massencharakter angenommen. Auch hier vergaben sie die sich bietenden Gelegenheiten. Die Organisation zerfiel in viele verschiedene Gruppen und Strömungen, die alle für sich in Anspruch nehmen, Trotzkis Ideen und seine Methode zu repräsentieren. Die Zersplitterung der trotzkistischen Organisationen wird oft belächelt oder mit Kopfschütteln quittiert. Dabei wird übersehen, dass keine andere politische Strömung, die sich neben dem sozialdemokratischen Reformismus und dem Stalinismus in der ArbeiterInnenbewegung entwickelte, eine solche Überlebenskraft an den Tag legte – ohne von starken Apparaten und finanziellen Mitteln getragen zu werden. Die Zersplitterung hat ihre Ursache in wesentlichen Differenzen in Bezug auf Fragen der Taktik, des Programms und der Herangehensweise an die ArbeiterInnenklasse und den Klassenkampf. Wer schon einmal das unterschiedliche Agieren verschiedener trotzkistischer Gruppen in Streikbewegungen oder in Bezug auf die Partei DIE LINKE erlebt hat, wird schnell einsehen, dass die dort existierenden Unterschiede kaum in einem gemeinsamen organisatorischen Rahmen auszutragen sind, ohne dabei jede einheitliche Handlungsfähigkeit als politische Kraft zu verlieren.
Auch das Komitee für eine ArbeiterInneninternationale musste 2019 eine schmerzliche Spaltung durchlaufen. Ein erheblicher Teil der Führungen in einigen Sektionen hatte begonnen, dem Druck der schwierigen objektiven Lage und der Dominanz kleinbürgerlicher Ideen in der Linken und den sozialen Bewegungen nachzugeben. Das führte dazu, dass Abstriche beim sozialistischen Übergangsprogramm gemacht, die zentrale Rolle der ArbeiterInnenklasse und ihrer Organisationen in der Praxis vernachlässigt und sich an kleinbürgerlich geprägte Ideen in der (queer-)feministischen und der Umweltbewegung angepasst wurde.. Das ist umso tragischer, da einige der Sektionen, die das CWI verlassen haben, in den letzten Jahren wichtige Erfolge erzielt hatten. Aber so wie für Leo Trotzki politische Klarheit vor organisatorischer Stärke ging, mussten auch wir feststellen, dass sich die Wege trennen mussten, um die Geschichte darüber entscheiden zu lassen, welche Herangehensweisen und Programme den Test der Zeit bestehen werden. Dass trotzkistische Ideen eine große Anziehungskraft entwickeln können haben die Organisationen des CWI, aber auch andere trotzkistische Strömungen bzw. Bündnisse wie die FIT in Argentinien in der Vergangenheit bewiesen. Es kommt aber darauf an, durch Erfolge in der Massenarbeit nicht die Prinzipien aufzugeben und eine marxistische Kraft aufzubauen.
Dieses Buch ist eine Sammlung von Artikeln zur Person Leo Trotzkis, der Geschichte der Vierten Internationale und des Trotzkismus und der aktuellen Bedeutung seiner Ideen. Die meisten Texte stammen von Autoren des Komitees für eine ArbeiterInneninternationale, insbesondere diejenigen Texte, die sich mit der Geschichte der Vierten Internationale seit Trotzkis Tod und der aktuellen Bedeutung des Trotzkismus auseinandersetzen. Wir wollen mit dieser Veröffentlichung einen Beitrag zum besseren Verständnis des Wirkens und der Ideen Trotzkis, der Bedeutung der Vierten Internationale und ihrer Entwicklung leisten. Vor allem aber hoffen wir, dass sich Leserinnen und Leser...