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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Brühl Der Schattengarten

Wie ich mein Glück im Moos fand
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98568-174-7
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wie ich mein Glück im Moos fand

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-98568-174-7
Verlag: Kanon Verlag Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



I never promised you a rose garden! Christine von Brühls Mann hat ein verwildertes Grundstück im Wald entdeckt und möchte darauf einen Garten anlegen. Das Gelände ist unwegsam und düster, es gibt weder Wasser noch Strom. Dafür aber Brennnesseln. Christine vom Brühl fühlt sich verloren und fremd. Ihr Mann gewinnt Regenwasser vom Dach und leitet es ins Haus. Sie bewaffnet sich mit Gießkanne und Gummistiefeln und gießt eigenhändig die Rhododendren. Das Projekt ist zu einem gemeinsamen geworden. Aber plötzlich taucht ein neuer Gegner auf. Als wären Trockenheit und fehlendes Licht nicht schon genug. Er ist mächtig, er ist der kosmische Antagonist des halbschattigen Gärtnerpaares: die Wühlmaus. - Eine Geschichte voller Naturverbundenheit, Widerstandswillen und Beziehungssinn. Genial illustriert von Teresa Habild. Für alle Halbschattengewächse.

Christine von Brühl, geboren 1962 in Ghana, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Promotion über das Dramenwerk von Anton Pavlovic Cechov. Nach Stationen bei der Zeit, Sächsischen Zeitung und dem Magazin arbeitet sie als Autorin und Publizistin und leitet das Chemnitzer Büro der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin und im Harz.
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Kapitel ii

Ruf der Wildnis


Über eine schnurgerade Straße, die zum Kyffhäuser hinaufführte, gelangten wir an den unteren Rand des Bergzugs. Dicht bewaldet, erhob er sich wie ein schlafendes Tier parallel zur Autobahn aus dem flachen Land. Einem Zeigefinger gleich, ragte das Kaiser-Wilhelm-Denkmal darin auf. Es war unübersehbar.

Wir stellten das Auto ab, packten unsere Einkäufe in Rucksäcke und liefen zu Fuß weiter, denn die Straße war von hier ab nur noch schlecht befahrbar. Bald fing ich an zu schwitzen, meine Brille beschlug. Der Abzweig zum Grundstück war derart mit Gestrüpp und Brombeerranken bewachsen, dass wir ihn beinahe nicht erkannten. Dahinter war es plötzlich schattig und kühl. Ein schlammiger Hohlweg führte in den Wald hinein. Ich konzentrierte meinen Blick auf den Boden, um nicht auszurutschen oder zu stolpern. Zum Glück hatte ich meine Blundstones angezogen, Stiefel, die in Australien entwickelt worden waren. Damit konnte man sogar Feuer austreten.

Der Weg wurde steiler, der Untergrund steiniger. Felskanten waren unter den Schuhen zu spüren, die Steine zerklüftet und schartig gespült. Hier war bestimmt schon lange kein Fahrzeug mehr gefahren. »Jetzt ist es nicht mehr weit«, murmelte Franz und fing erwartungsfroh an zu pfeifen. Der Hohlweg verwandelte sich in einen schmalen Pfad und ließ sich nur noch langsam bezwingen. Das Dickicht rechts und links wurde dichter. Brennnesseln wuchsen auf dem Weg. Lange Halme und dornige Ranken schienen wie Arme nach mir zu greifen. Dahinter ragten Tannen, Kiefern und Fichten empor: Sie wuchsen eng aneinander den Hang hinauf. Es herrschte düstere Stille.

Franz hatte sich mit einem Stock bewaffnet und schlug die Brennnesseln zur Seite. In grünen Fetzen flogen die Blätter und Stiele durch die Luft. Ich musste aufpassen, dass mich nichts davon traf. Auf einmal bog er rechts ab und kletterte scheinbar ansatzlos den Hang hinauf, doch er hatte sich nicht geirrt: Der Untergrund wurde lichter und wies Reste einer Fahrspur auf. Hier war offensichtlich einst der reguläre Zugang zum Grundstück gewesen.

Wir folgten der Fährte, überwanden Wurzeln und Steine, bogen ein zweites Mal nach rechts ab, und – plötzlich waren sie zu erkennen: zwei alte Hütten, eine rechts, eine links im Hintergrund, das Holz vor Nässe schwarz, die Fenster stumpf. Notdürftig mit Pappe und Teer bedeckt, duckten sie sich in die Wildnis. Erleichtert, am Ziel angelangt zu sein, marschierte Franz mit schnellen Schritten auf die Behausungen zu, den harten Brennnesselstock noch immer in seiner Hand. »Alles meins«, schien er mir bedeuten zu wollen, »mein Land, meine Häuser, mein Wald«, aber er sprach es nicht aus.

Ich blieb allein zurück und versuchte, mich zurechtzufinden. Haushoch ragten Farne, Gräser und Buschwerk auf, ließen kaum Licht oder Sonne zu mir durch. Vom Himmel konnte ich nur einzelne Fetzen erkennen. Alleingelassen und regungslos, vernahm ich endlich das Zwitschern der Vögel, das Summen und Brummen der unzähligen Insekten, die sich hier aufhielten, spürte Bewegungen und Flügelschläge in allernächster Umgebung. Tiefe Scheu befiel mich, ein Unbehagen und Gefühl von Einsamkeit. Ein Reich für sich schien das hier zu sein, wildes, unberührtes Land. Unmittelbar vor meinen Augen rannten Ameisen die Farnstiele hinauf und hinunter, hangelte sich ein schwarzer Käfer von Blatt zu Blatt. Eine Schnecke ohne Haus rutschte langsam, aber zielstrebig einen Ast entlang. Alle schienen hier genau zu wissen, wohin sie wollten und was sie zu tun hatten. Nur mir fehlte der Zugang.

Plötzlich hörte ich links von mir ein lautes Geräusch. Hastig trappelten Hufe über den Boden, es raschelte in den Büschen. Das mussten mehrere Lebewesen zugleich sein, Vierbeiner von nicht unerheblicher Größe. Vorsichtig bog ich die Zweige zur Seite, um herauszufinden, was für Tiere es waren, doch das Gestrüpp war zu dicht. Ich konnte nichts erkennen. Also duckte ich mich und schob mich langsam nach vorne. Auf einmal war alles still. Ich machte einen weiteren Schritt, bog vorsichtig um die Ecke, und – zu spät. Panisch vor Angst hetzten die Tiere los, brachen ziellos durch die Büsche und versuchten, zu entkommen. Jetzt richtete ich mich auf, um besser zu sehen, und tatsächlich: Es waren Mufflons, wilde Schafe, die sich augenscheinlich hierher verirrt hatten. Fünf oder sechs Exemplare mussten es sein. Sie rannten vor mir her, wichen nach links aus, dann nach rechts, suchten so schnell wie möglich das Weite. Präzise waren ihre braunen Rücken zu sehen, darüber die gebogenen Hörner, das hellere Fell an Beinen und Bauch.

Doch sie hatten keine Chance: Senkrecht ragten Felsen auf, bildeten einen Bogen, eine unüberwindliche Wand. Die Mufflons waren in den Steinbruch geraten. In ihrer Aufgeregtheit suchte sich die Gruppe zu teilen, eines der Tiere rannte an der Seite vorbei, hechtete den steilen Hang hinauf, rutschte ab und purzelte herunter. Andere sprangen mit allen vieren in die Luft, reckten die Köpfe dabei hoch, als könnten sie auf diese Art und Weise herausfinden, wo der Ausgang ist. Wie eine Komposition wirkte das auf mich, eine eigens erdachte Choreografie. Es war ein Bild von bizarrer Anmut. Immer wieder löste sich ein einzelnes Schaf vom Boden, flog in die Höhe, sprang Richtung Felshang, fiel wieder zurück auf die Beine. Dabei gab keines einen Laut von sich. Stumm tanzten sie auf und nieder.

Eilig wandte ich mich ab, empfand nun selbst ein wenig Panik. Sicher hatte allein ich die Tiere in diese verzweifelte Lage gebracht. Hätte ich sie nur nicht gestört! Ich drehte mich um und bahnte mir den Weg durchs Gebüsch zu Franz. Einige Zeit lang hörte ich noch das aufgeregte Rascheln und Trappeln hinter mir, das Brechen von Zweigen. Dann war es plötzlich still. Sie hatten wohl doch einen Ausweg gefunden.

Franz stand ungerührt vor der unteren Hütte und zeichnete einen Plan in seinen Block. »Wie gefällt es dir hier?«, fragte er mich geistesabwesend. Offenbar hatte er nichts von dem Unglück bemerkt. Erschöpft setzte ich mich auf einen Baumstumpf.

»Fantastisch«, sagte er leise zu sich selbst, während er auf seine Skizze starrte. »Eine Lichtung mitten im Wald! Zwei Häuser auf unterschiedlichen Ebenen, dazu Brücken und Treppen …«

Ich verstand nicht, was er meinte. Wo, um alles in der Welt, war hier eine Lichtung?

»Oberhalb des Steinbruchs setzt sich das Grundstück noch fort«, erzählte er aufgeregt. »Von dort kannst du das ganze Tal überblicken, bis zu den Harzausläufern dehnt es sich aus. Die gesamte Ebene liegt dir zu Füßen.«

»Was war hier eigentlich früher«, fragte ich ihn, »bevor daraus ein Steinbruch geworden ist?«

»Eine Plantage, glaube ich«, sagte er und sah mich nachdenklich an. »In den Hängen kannst du jede Menge alter Walnuss- und Apfelbäume finden. Sie sind verwildert und verholzt, haben in alle möglichen Richtungen ausgetrieben. Damit ist heute nicht mehr viel anzufangen, aber früher wurde hier sicher jede Menge Obst und Nüsse geerntet.«

Mein Blick fiel auf einen Marienkäfer, der mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Löwenzahnblatt gelandet war. Automatisch versuchte ich, die Zahl seiner Punkte herauszufinden. So hatte ich es schon als Kind gehalten. Man sagte mir damals, die Anzahl der schwarzen Flecken entspreche dem Alter des Tieres.

Mir kam das Grundstück meiner Eltern in den Sinn, das sie nach dem Umzug von London nach Bonn erworben hatten, um dort ein Haus zu bauen. Es befand sich am Venusberg, in einem ähnlich steilen und undurchdringlichen Gelände wie diesem. Nachdem der Bau fertiggestellt und wir eingezogen waren, galt es, dahinter einen Garten anzulegen. Meine Eltern ließen das Land roden, säten Gras aus und banden uns Kindern Bretter unter die Schuhe. Wir sollten die Samen in die Erde treten, damit sie nicht von den Vögeln gefressen wurden. Ich musste lachen. Was für ein Anblick! Fünf Kinder mit Holzbrettern unter den Füßen, die gehorsam auf der Erde herumtrampelten. Was mussten die Nachbarn von uns gedacht haben?

Meine Stimmung besserte sich, die Kräfte kehrten zurück, und ich malte mir aus, dass Franz eine Rasenfläche auf seinem Grundstück anlegen würde mit wildem Flieder, einen Teich mit weißen Seerosen im Schatten dunkler Tannen. Vielleicht ließen sich ein paar von den alten Nussbäumen rekultivieren. Walnüsse waren schließlich sehr nahrhaft. Irgendwo hatte ich gelesen, sie würden das Denkvermögen fördern. Damit müsste eigentlich Geld zu verdienen sein, dachte ich.

Franz klappte den Block wieder zu, verstaute ihn samt Stift im Rucksack und begann, unter Zuhilfenahme seiner Hände, zwischen den beiden Hütten den steilen Berg hinaufzuklettern. »Komm, ich zeige dir die zweite Etage.« Vorbei an einer riesengroßen Tanne, die den Hang krönte, ging es durch dichtes Unterholz senkrecht hinauf. Erhitzt und außer Atem, erreichten wir einige Minuten später die Ebene oberhalb des Steinbruchs.

Dick bemoost war hier die Erde, ein Eichenhain erstreckte sich über das Plateau, ehemals Weideland für Mastschweine. Leise knacksten Zweige und Eicheln unter meinen Schuhen. Sie steckten überall im samtweichen Moos und setzten hellbraune Lichtpunkte ins matte Grün. Am liebsten hätte ich mich hineingelegt, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und den Himmel betrachtet.

»Gibt es eigentlich einen...


Habild, Teresa
Teresa Habild geboren 1979 in München, studierte visuelle Kommunikation in Offenbach/Main. Seit 2007 freie Tätigkeit als Illustratorin und Cartoonistin. Zahlreiche Buch- und Kalendergestaltungen.

Brühl, Christine von
Christine von Brühl, geboren 1962 in Ghana, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Promotion über das Dramenwerk von Anton Pavlovic Cechov. Nach Stationen bei der Zeit, Sächsischen Zeitung und dem Magazin arbeitet sie als Autorin und Publizistin und leitet das Chemnitzer Büro der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin und im Harz.

Christine von Brühl, geboren 1962 in Ghana, studierte Slawistik, Geschichte und Philosophie in Lublin, Heidelberg und Wien. Promotion über das Dramenwerk von Anton Pavlovic Cechov. Nach Stationen bei der Zeit, Sächsischen Zeitung und dem Magazin arbeitet sie als Autorin und Publizistin und leitet das Chemnitzer Büro der Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Mit ihrer Familie lebt sie in Berlin und im Harz.



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