E-Book, Deutsch, 280 Seiten
Brunner / Sell Transaktionsanalytische Supervision in Theorie und Praxis
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7495-0128-1
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0128-1
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Karola Brunner, Diplom-Betriebswirtin (FH), Coach & Lehrsupervisorin (EASC), lehrberechtigte Transaktionsanalytikerin (PTSTA). Seit 2010 selbständig tätig in eigener Praxis, Schwerpunkt: Leitungssupervision, Führungskräftecoaching, Laufbahnberatung, Fort- und Weiterbildung. Matthias Sell M.A., Psychologischer Psychotherapeut, Psychoanalytiker, lehrender Transaktionsanalytiker, Lehrtherapeut und Lehrsupervisor, Leiter des Instituts Ausbildungsinstituts INITA für Psychotherapie und für tiefenpsychologisch relationaler Supervision und Coaching, Lehrsupervisor und Ausbilder für Supervision.
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1.1 Systemisch-transaktionsanalytische Supervision
(Günther Mohr)
Die Beratungsform der Supervision erfährt durch die systemische Transaktionsanalyse gerade in den aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen eine gute praktische Ergänzung. Der folgende Beitrag zeigt dazu nach einer kurzen Einführung zur systemischen Theorie insbesondere Anwendungsideen systemisch-transaktionsanalytischen Vorgehens. Die systemische Perspektive zur Transaktionsanalyse fokussiert auf den Kontext, die Beziehungen sowie das Empfinden und Handeln von Personen. Modelle wie das systemische Dreieck, das Supervisionsquadrat, die Systemdynamiken und das Prozessmodell ermöglichen in der systemisch-transaktionsanalytischen Supervision ein integratives Vorgehen mit vielen praktischen Interventionen.
Die Herausforderung für „Menschenarbeiter“
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomene haben deutliche Auswirkungen auf den Arbeitskontext von Menschen. Supervision ist traditionell auf solche individuellen beruflichen Fragen gerichtet. Die klassische Transaktionsanalyse eignet sich sehr gut zur Strukturierung dieser Situationen, weil sie Modelle zur Verfügung stellt, die bestimmte Gegebenheiten wie Unentschiedenheit, Konflikte, innere Stressoren oder mangelnde Problemlösungsaktivitäten hervorragend abbilden können. Durch die als VUKA – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität – bezeichnete Situation hat sich vieles verändert. Vor allem ist eine ungeheure Beschleunigung in vielen Prozessen feststellbar. Systemisch-transaktionsanalytische Supervision bietet Beratung und Begleitung bezüglich dieser neuen Herausforderungen in der Gesellschaft. Menschen brauchen in ihren beruflichen Feldern Konzepte, um mit diesen Phänomenen umgehen zu können, sonst ist ihre Resilienz im Sinne der Kompetenz, vorhandene Belastungssituationen meistern zu können, schnell gefährdet. Resilienz ist aber nicht nur ein persönliches Thema. Die persönliche Resilienz ist verbunden mit der Resilienz ihrer relevanten Systeme. Dies beginnt mit der Organisation, in der Menschen arbeiten, und reicht über das gesellschaftliche Umfeld hinaus (Mohr, 2017).
Der systemische Ansatz
Aus der Entdeckung, dass für psychische Störungsmuster, etwa von Kindern, nicht eine Fehlentwicklung bei dem das Symptom zeigenden Subjekt, dem Kind, sondern beispielsweise Beziehungsstörungen der Eltern oder andere Kontexte entscheidend sein können, entwickelte sich in den 1980er-Jahren ein neuer Ansatz der Psychotherapie, die systemische Therapie. Dies geschah in der sogenannten Palo-Alto-Schule mit Forschern wie Gregory Bateson oder Paul Watzlawick, in der italienischen Schule der Familientherapie mit Mara Selvini Palazzoli, aber auch um Helm Stierlin herum in Heidelberg in der deutschen Schule der Systemik. Inhaltlich kann man eine ganze Reihe von Charakteristiken für systemische Modelle aufzählen. Hier sollen drei besonders hervorgehoben werden: Vernetzung, Konstruktivismus, Autopoiesis. Vernetzung ist verbunden mit der wechselseitigen Abhängigkeit von Aspekten der Wirklichkeit. Der Konstruktivismus betont die sehr durch den jeweiligen Kontext der Menschen geprägte Wirklichkeitsvorstellung. Autopoiesis ist die Tendenz von Systemen, Einzelmenschen wie Mehrpersonenkonstellationen, eine Eigendynamik zu ihrem Selbsterhalt zu entwickeln. Letzteres macht eine Einflussnahme schwierig. Die systemischen Forscher Maturana und Varela haben dies im Satz „Es gibt keine instruktive Interaktion“, also keine direkte Einflussnahme, beschrieben. Systemisch zu intervenieren bedeutet dann ein intelligentes Umgehen mit der Eigendynamik eines Systems. Dies bewegt sich zwischen einerseits Ankoppeln und andererseits konstruktiver Irritation von Struktur und Kultur des Systems.
Abbildung 1: Das systemische Dreieck
Supervisionskonzepte und Transaktionsanalyse
Der Begriff Supervision wird im deutschsprachigen Raum für die Beratung von Berufstätigen mit zwischenmenschlichen Aufgabenstellungen verwandt. Supervision entstand im sozialen Bereich aus der Notwendigkeit, bei schwierigen Fallsituationen Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Man unterscheidet als Varianten Fallsupervision und Teamsupervision. In der Fallsupervision wird die konkrete Arbeit mit einem bestimmten Klienten (ein Fall) betrachtet, in der Teamsupervision steht die Zusammenarbeit zwischen Gruppen- oder Bereichsmitgliedern im Fokus. Außerdem ist Supervision gerade in Lernphasen sehr wichtig (Lehrsupervision). Von der Zielsetzung her dient sie dazu, Lösungen in der Arbeit mit Klienten oder im Team zu finden, aber auch gerade im Lernkontext die Intuition sowie die Fokus- und Hypothesenbildung für Beratungsprozesse zu schulen. In Fachkreisen wird eine sehr große Überschneidung zwischen Supervision und Coaching angenommen, besonders weil es in der Beratungsmethodik große Gemeinsamkeiten mit Coaching, aber auch mit anderen Ansätzen wie Mentoring gibt. Der Unterschied der Methoden ergibt sich durch Kontext (Wirtschaft, Sozialbereich, Ausbildung) und Zielsetzung.
Die Transaktionsanalyse hat eine ganze Reihe von Modellen zur Supervision entwickelt (vgl. Heinrich & Mohr, 2019). Hier seien noch einmal Clarkson (1992), Gobes (1993), Tudor (2002), Hay (2007), Newton & Napper (2007), Mazzetti (2007) sowie Sills & Mazzetti (2009) erwähnt. Dezidiert systemische Aspekte lassen diese Modelle noch vermissen. Zwar wird von Gobes der Kontext benannt, aber die traditionellen Modelle benennen in erster Linie wichtige Einzelaspekte, die aufseiten der Supervisorin oder des Supervisanden eine Rolle spielen. Ausnahmen bezüglich des Vernetzungsaspekts und systemischer Gedanken sind Zalcman & Cornell (1983) und im deutschsprachigen Raum vor allem Schneider (2000). Gerade in der letzten Zeit sind einige Beiträge in der Transaktionsanalyse erschienen, die wesentliche Elemente der individuellen Supervision thematisieren. So beschreibt Sell (2019) die Lehrsupervision. Seykora (2019) weist auf die Notwendigkeit der Unterscheidung in die Handlungsseite der Supervision sowie die psychodynamische Seite der Übertragung / Gegenübertragung und des Parallelprozesses hin. Heinrich & Mohr (2019) stellen nach einer kurzen Vorstellung der im internationalen Raum erstellten TA-Supervisionsliteratur ein dynamisches Modell der Supervisionsgestaltung vor.
Systemisch-transaktionsanalytische Supervision
In der Transaktionsanalyse werden seit Anfang der 1980er-Jahre systemische Ideen vertreten. Diese sind vor allem durch Bernd Schmid und die von ihm beeinflussten Transaktionsanalytiker eingebracht worden. Der Transaktionsanalytiker wird zu einem Beobachter, der Mustererkennung und sogar Musterkonstruktion betreibt (Mohr, 2012b). Die systemische Orientierung hat auch die Identität der Transaktionsanalyse sehr verändert. Systemisch-transaktionsanalytische Supervision beruht auf einer neuen, nicht an bestimmten Modellen, sondern am Prozess orientierten Identitätsbeschreibung (Schmid, 1989; Mohr, 2005): Transaktionsanalytiker fußen in ihrer Arbeit auf Transaktionen. Sie konstruieren hilfreiche Modelle zur Konzeption von Phänomenen und berücksichtigen dabei systemische Erkenntnisse. Sie arbeiten experimentell – also pragmatisch und ohne Wahrheitsanspruch – auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes und befinden sich für ihre Arbeit in einem über Grenzen hinweggehenden, interkulturellen Dialog. Der systemisch-transaktionsanalytische Ansatz zeichnet sich durch eine pragmatische Orientierung aus. Das „Toblerone“-Modell von Schmid (1990) mit den drei Ecken Praxis, Konzeptualisierung und professioneller Kontext benannte drei Kompetenzfelder, auf denen sich ein Supervisand entwickeln kann. Das nicht explizite Benennen der Person in diesem Modell hebt das Supervisionsgeschehen auf die Rollenebene. Darin steckt aber auch ein ganz klarer Abschied von den Modellen, die bisher davon ausgingen, dass die Klärung eines Menschen auf persönlicher Ebene automatisch zu einer Verbesserung führt. Es braucht den Rollen- und den Feldkompetenzaspekt.
Abbildung 2: Das Supervisionsquadrat
Supervision ist eine Rollenbeziehung zwischen Supervisor und Supervisand, in die Persönlichkeitsentwicklungsstufen der beiden hineinspielen. Supervisorin und Supervisand entwickeln gemeinsam ihre Rollen-Beziehungs-Kompetenz in ihren jeweiligen Rollen. Dies betrifft die beiden Rollen in der Supervision genauso wie die Anwenderrolle, die die jeweilige Supervision fokussiert. Differenzierte Fragestellungen in der Supervision können durch das Fünf-Rollen-Welten-Modell (Mohr, 2017) lösungsorientiert betrachtet werden. Denn gerade Bewusstsein und Klärung der eigenen Rolle und von Konflikten zwischen und innerhalb der Rollenwelten sind eine wichtige Rahmenbedingung für andere supervisorische Fragestellungen.
Abbildung 3: Fünf-Rollen-Welten-Modell
Es gilt außerdem, auf System- und Kontextkompetenz beim Supervisor zu achten, denn das gemeinsam Entwickelte muss im Anwendungsfeld des Supervisanden nützen. Dies lässt sich nicht durch Personenkompetenz ersetzen. Zusätzlich sind aufseiten beider, beim Supervisor noch mehr als beim Supervisanden, hochkomplexe persönliche Fähigkeiten wie Multiperspektivität vonnöten, damit sie eine Situation aus der Perspektive verschiedener Beteiligter sowie professioneller Betrachtungshypothesen anschauen können. Eine ebenso hohe Anforderung ist heute die Ambiguitätstoleranz, also die Fähigkeit, bei zunächst oder auf Dauer nebeneinander schwierigen bis sogar unversöhnlichen Elementen zu Lösungen zu kommen. Beides sind Persönlichkeitsfähigkeiten, die systemisches Herangehen an die Welt verkörpern, aber auch entsprechende persönliche Entwicklungsprozesse...