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E-Book

E-Book, Deutsch, 526 Seiten

Brunnermeier / James / Landau Euro

Der Kampf der Wirtschaftskulturen

E-Book, Deutsch, 526 Seiten

ISBN: 978-3-406-71234-0
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Etliche Beobachter sind der Ansicht, dass der Euro die aktuelle Krise nicht überleben wird. Anders die Ökonomen Markus Brunnermeier und Jean-Pierre Landau, ein Deutscher und ein Franzose, sowie der britische Wirtschaftshistoriker Harold James. Sie sehen ein Kernproblem des Euro in den unterschiedlichen Wirtschaftskulturen der Euroländer, insbesondere Deutschlands und Frankreichs, die es zu überwinden gilt. Seit der Eurokrise setzen die Mitgliedsländer wieder auf nationale Lösungen, statt gemeinsame Antworten auf die europäischen Probleme zu suchen. Der Kampf der Wirtschaftskulturen ist entbrannt. Während das föderal geprägte Deutschland in der Fiskalpolitik auf starren Regeln beharrt, verlangt das zentralistische Frankreich Stimulusprogramme und eine flexible Handhabung, die den Regierungen Ermessensspielräume lässt. Für die Deutschen sind Finanzierungsengpässe vorwiegend auf Insolvenzprobleme zurückzuführen, die struktureller Reformen bedürfen, wogegen die Franzosen sie als temporäre Liquiditätsprobleme ansehen, die mit einer staatlichen Überbrückungsfinanzierung zu bewältigen sind. Dieses Buch plädiert für die Überwindung dieser Frontstellungen zugunsten einer gemeinsamen europäischen Wirtschaftskultur. Es verbindet ökonomische Analyse und ideengeschichtliche Reflexion und entwirft einen Fahrplan für Europas Zukunft.
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1 Einleitung
Der 18. Oktober 2010 veränderte die europäische Politik. Bundeskanzlerin Angela Merkel war in das Seebad Deauville in der Normandie gereist, um mit dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy die europäische Finanzkrise zu besprechen. Auf Pressefotos sieht man die beiden in dunklen Regenmänteln die menschenleere herbstliche Strandpromenade entlanglaufen: Sarkozy heftig gestikulierend, daneben Merkel mit einer Miene blanken Unverständnisses. Einen Moment lang sah es so aus, als würden die deutsche und die französische Sicht auf die Welt frontal aufeinanderprallen, doch tatsächlich schlossen die beiden einen spektakulären Kompromiss: Deutschland bot an, seine strenge Regelorientierung zu lockern und Frankreich entgegenzukommen, wenn sich Frankreich im Gegenzug bereit erklärte, einem griechischen Schuldenschnitt mit «einer angemessenen Beteiligung privater Gläubiger» zuzustimmen. Bundeskanzlerin Merkel war – so wie eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung – der Auffassung, die Banken seien für die leichtfertige Kreditvergabe verantwortlich gewesen und hätten deshalb die Kosten der Kreditausfälle zu tragen. Der Glaube, der Staat werde private Gläubiger im Notfall schon herauspauken, der sich im Gefolge der Weltfinanzkrise vom September 2008, insbesondere des Zusammenbruchs von Lehman Brothers und des Rettungspakets für den US-Versicherungskonzern AIG, allgemein durchgesetzt hatte, musste ein Ende haben. Deutsche und Franzosen hatten sich zwei Wochen zuvor während eines informellen Treffens der beiden Regierungschefs am Rand eines NATO-Gipfels auf die Grundzüge einer Vereinbarung verständigt, diese jedoch einstweilen geheim gehalten. Andere führende europäische Politiker waren fassungslos, als sie über ihre Smartphones von dem Ergebnis erfuhren. Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hielt die Vereinbarung für einen Fehler, auch US-Finanzminister Tim Geithner war zutiefst verärgert über den Vorschlag und warnte europäische Politiker: «Wenn Sie Griechenland restrukturieren, … [müssen] Sie imstande sein, den Rest Europas vor der anschließenden Ansteckung zu schützen.»[1] Die Märkte teilten diese Einschätzung. Unmittelbar nach dem Treffen in Deauville schnellten die Zinsen auf Staatsanleihen der Peripherieländer wie Portugal, Irland, Italien und Spanien in die Höhe. Die Deutschen begrüßten, dass die Peripherie Europas endlich der disziplinierenden Wirkung des Marktes unterworfen wurde; französische Kommentatoren waren dagegen der Meinung, dass die Fundamentaldaten einen solch starken Zinsanstieg nicht rechtfertigten – es handle sich vielmehr um einen reinen Liquiditätseffekt. In Deauville wurde deutlich, dass in erster Linie grundlegende Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich und Deutschland über die adäquaten wirtschaftspolitischen Maßnahmen dafür verantwortlich waren, dass Europa sich mit einer gemeinsamen Antwort auf seine Finanzkrise so schwertat. Das Treffen machte zudem die weitreichende Machtverschiebung in Europa sichtbar: weg von den supranationalen Institutionen der EU in Brüssel wie der Europäischen Kommission, hin zur zwischenstaatlichen Ebene und letztendlich zu den zwei großen Nationalstaaten Deutschland und Frankreich – zwei Ländern, denen es schwerfiel, eine gemeinsame ökonomische Sprache zu finden. Die Eurokrise führte auf dem europäischen Kontinent zu einem Kampf der Wirtschaftskulturen und zu einer tektonischen Machtverschiebung innerhalb Europas. Als sich ab Ende 2009 Budgetprobleme in Griechenland, einer der kleinsten europäischen Volkswirtschaften, auftaten, brach ein seit langem schwelender Streit um die angemessene Wirtschaftsphilosophie und die zukünftige Gestalt der Europäischen Union offen aus. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen nordeuropäischen – vor allem deutschen – und südeuropäischen – vor allem französischen – Grundanschauungen. Die Debatte beschränkt sich nicht auf Franzosen und Deutsche: Finnen, Österreicher, mitunter auch Slowaken und Polen verhalten sich so, als wären sie deutscher als die Deutschen, und Frankreich gilt vielfach als Vorkämpfer eines mediterranen Europa. Der Konflikt spielte auch eine Rolle in der Debatte, die die Briten mehrheitlich dazu brachte, für den Brexit zu stimmen. Aber in der Praxis wird dieser Streit vielfach so behandelt, als sei es ein Kampf der Wirtschaftsphilosophien, der links und rechts des Rheins ausgefochten wird. Italien ist geteilt in einen Norden, der in intellektueller und wirtschaftlicher Hinsicht große Ähnlichkeiten mit Deutschland aufweist, und einen Süden, der eher einer Philosophie französischer Spielart zuneigt. Die hier skizzierten Positionen Deutschlands und Frankreichs sind als Idealtypen im Sinne des Soziologen Max Weber aufzufassen. Weber entwickelte dieses Konzept in der Absicht, Probleme, Debatten und Institutionen durch die Zuspitzung von Unterscheidungsmerkmalen besser zu verstehen. Weber wusste wie jeder gute Gesellschaftsanalytiker nach ihm, dass die Wirklichkeit hochkomplex ist, doch er wollte mittels idealtypischer Begriffsbildung (mithilfe eines Schwarz-Weiß-Kontrasts) die Ursachen sozialer Eigenheiten besser verstehen.[2] Dieser Kampf der Ideen steht im Mittelpunkt unseres Buches. Es geht uns vor allem darum, die langfristigen historischen, intellektuellen und kulturellen Ursachen für die gegensätzlichen deutschen und französischen Wirtschaftsphilosophien herauszuarbeiten und zu erklären. Man könnte meinen, jedes Land verfolge ausschließlich seine eigenen materiellen Interessen. Solch eine eingeschränkte Betrachtungsweise übersieht einen noch entscheidenderen Aspekt: Interessen werden durch die Brille von Ideen oder Vorstellungen interpretiert. Einige Länder haben ihre eigenen ökonomischen Traditionen und Denkschulen entwickelt. Aufgrund ihrer historischen Entwicklung orientieren sich verschiedene europäische Länder an unterschiedlichen Wirtschaftsphilosophien, aus denen sie unterschiedliche wirtschaftspolitische Rezepte zur Bewältigung von Krisen ableiten. Bisher hatte man diese Unterschiede immer als gegeben hingenommen, zugleich heruntergespielt und nie eingehend erörtert. Der europäische Integrationsprozess – wohl eine der erfolgreichsten Friedensinitiativen in der Geschichte der Menschheit – zeichnete sich durch die Tendenz aus, Krisen mit naivem Optimismus zu begegnen. Tatsächlich waren nationale Politiker oft so sehr in ihren jeweiligen landesspezifischen Denkmustern gefangen, dass wechselseitiges Unverständnis die Folge war. Politische Entscheidungsträger verbanden sogar mit ein und demselben Ausdruck unterschiedliche Bedeutungen. So verstehen die Deutschen unter «wirtschaftspolitischer Steuerung» eine wechselseitige Annäherung an eine gemeinsame Stabilitätskultur, während die Franzosen darunter gemeinsame Initiativen zur Lenkung der wirtschaftlichen Entwicklung verstehen. In ähnlicher Weise interpretierten die Deutschen den Euro als eine verbesserte Version des alten Wechselkursmechanismus – aufbauend auf den Stärken der Deutschen Mark –, während die Franzosen den Euro als eine neue Weltwährung und ein Vehikel für eine wirksamere keynesianische Konjunkturpolitik betrachteten.[3] Selbstverständlich bestehen auch unmittelbare Interessensunterschiede zwischen europäischen Ländern, auch zwischen Frankreich und Deutschland. Aber Interessen werden oft durch die ideologische Brille wahrgenommen. Einige Analytiker führen die Unterschiede zwischen europäischen Ländern auf einen einfachen Gegensatz zwischen Gläubigern und Schuldnern auf der Basis ihrer jeweiligen Nettovermögenspositionen zurück.[4] Seit den Sechzigerjahren hat Deutschland aufgrund anhaltender Leistungsbilanzüberschüsse eine erhebliche Nettogläubigerposition aufgebaut. Frankreich hat in dieser Zeit gelegentlich Überschüsse erzielt, aber dazwischen immer wieder auch erhebliche Defizite aufgewiesen. Und so könnte man glauben, Deutschland (sowie Gläubigerstaaten im Allgemeinen) gehe es vor allem darum, dass Schulden vollumfänglich und fristgemäß zurückgezahlt werden, selbst wenn dies bedeute, Schuldner bis zum Gehtnichtmehr auszupressen; außerdem ziehe es eine niedrige Inflationsrate vor, um den realen Wert nomineller Schulden zu erhalten. Frankreich (sowie Schuldnerländer im Allgemeinen) dagegen befürworte Schuldenschnitte und eine höhere Inflation, um den realen Wert von Verbindlichkeiten zu verringern. Aber gegen diese Sichtweise lässt sich manches einwenden. Die Nettovermögensposition, die Gesamtheit der Forderungen der Bürger eines Landes gegenüber Ausländern, ist die Summe von Nettoflüssen über die Zeit hinweg. Aber Nettoflüsse...


Markus K. Brunnermeier lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Universität Princeton.
Harold James ist Professor für Geschichte an der Universität Princeton.
Jean-Pierre Landau war Vizepräsident der Französischen Nationalbank, Exekutivdirektor des Internationalen Währungsfonds sowie der Weltbank und unterrichtet wirtschaftswissenschaften an der Sciences Po in Paris.


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