Bruun | Der unbekannte Gott | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 616 Seiten

Bruun Der unbekannte Gott


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-0644-2
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 616 Seiten

ISBN: 978-3-8496-0644-2
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein religiöser Entwicklungsroman aus dem Indien zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Erzählt wird die Geschichte des amerikanischen Ingenieurs Ralph Cunning der zwar reich aber innerlich müde ist und auf einer Reise nach Indien tiefgehende Erlebnisse hat.

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»Bitte!« antwortete Ralph auf englisch und schob ihm die Zeitung hinüber; er war nicht zum Unterhalten aufgelegt.

»Sie sind Amerikaner!« sagte der Türke auf englisch.

Ralph blickte ihn kalt über den Tisch hinüber an und nickte.

Der Türke hatte seine Beine unter sich gekreuzt; Ralph ließ ihn durch einen Blick verstehen, daß er es bemerkte.

Die bläulichen Lippen des Türken verzogen sich zu einem halb nachsichtigen, halb spöttischen Lächeln.

»Entschuldigen Sie!« sagte er und veränderte seine Stellung. »Es ist eine nationale Angewohnheit von uns, die man schwer los wird. Ihr Abendländer wißt nicht, was euch entgeht. Denn wer seine Beine sammelt, sammelt seine Gedanken.«

Während er sprach, drang ihm aus Nasenlöchern und Mund Rauch wie aus den Spalten eines rauchgefüllten Raumes. Er hatte lange keinen Zug an seiner Zigarette getan, die halb ausgebrannt auf dem Aschenbecher lag – mußte also den Rauch seit längerer Zeit in sich gehabt haben. Ralph hatte einmal gelesen, daß die Orientalen durch die Lunge rauchen; nun sah er es zum erstenmal selbst.

»Warum füllen Sie die Lunge mit Rauch?« fragte er unumwunden, wie es seine Gewohnheit war, wenn ihn etwas interessierte.

»Warum tun Sie es nicht?«

Der Türke nahm die Zigarette und tat einen Zug, bis die Asche glühte. Die weiten Nasenflügel bewegten sich und der Mund stand offen, aber es kam kein Rauch.

Ralph sah ihn an, ohne zu antworten.

Der Türke lächelte und zeigte seine langen, spitzen Zähne, die etwas auseinanderstanden.

»Ich habe keine Freude an dem Rauch, wenn ich ihn gleich hinauslasse! Ihr raucht mit den Lippen, wir mit den Lungen, und durch sie mit dem Blut, und durch das Blut genießt der ganze Körper.«

»Andere Rassen, andere Gewohnheiten!« fügte er hinzu und ließ seinen Blick forschend auf Ralph ruhen. »Als ich zum erstenmal nach Paris und London kam, wurde ich nicht müde, mich über eure abendländischen Gewohnheiten zu wundern. Jetzt sehe ich den Unterschied kaum mehr. Die Welt bleibt sich gleich, aus welcher Himmelsrichtung der Wind auch weht.«

»Und Sie kleiden sich nach der jeweiligen Windrichtung!« – Jetzt entschleiere ich dich, dachte Ralph und lachte kurz auf.

»Wie meinen Sie das?«

»Ich sah Sie auf der Treppe zum Crédit Lyonnais in Konstantinopel. Damals waren sie wie ein Alttürke gekleidet, mit Turban und allem, was dazu gehört.«

»Das stimmt,« sagte der Türke und lächelte freundlich mit seinen braunen Augen, als verstünde er Ralphs Absicht und hätte Nachsicht mit ihm. »Ich habe auch Sie gesehen.«

»Interessiert es Sie, warum ich mein Gefieder wechsele?« fügte er hinzu und beugte sich über den Tisch zu Ralph hinüber.

»Ja,« sagte Ralph schlagfertig, »sonst hätte ich es nicht bemerkt.«

»Ich bin ein verfolgter Mann!« sagte der Türke still und kreuzte die Beine wieder.

Der geschwätzige Türke war jetzt kein aufdringlicher Reisegefährte mehr, der sich herausnahm, Ralph Cunning überlegen zu behandeln. Er war plötzlich ein Mitmensch mit einem Schicksal, das Ralph kennen zu lernen wünschte.

Er nahm seine Beine vom Stuhl, drehte sich um und heftete seinen scharfen, hellen Blick mitten auf das lebergefleckte Gesicht, das keine Bewegung verriet.

»Wer sind Sie?« fragte er.

Der Türke sah auf und sagte sanft:

»Als ich in Neuyork war, pflegte man seinen eigenen Namen zu nennen, wenn man den eines andern kennen zu lernen wünschte.«

Ralph wurde rot und strammte sein Kinn.

»Entschuldigen Sie!« sagte er mit seinem ungeschickten Lächeln. »Ich bin Ralph Cunning aus Neuyork, Mitglied des ›Klubs der Verantwortungslosen‹.«

Der Türke blickte ihn unter seinen halbgeschlossenen Lidern verstohlen an und nickte.

»Kennen Sie den Klub?«

»Ich habe davon gehört. Mein Name ist Gamâl-ed-dîn. Ich heiße ebenso wie unser berühmter Philosoph aus dem vorigen Jahrhundert. Auch ich bin Schejk, ebenso wie er, oder richtiger: ich bin es gewesen.«

»Schejk – ist das nicht dasselbe wie Bürgermeister?«

»Das kann es sein. Dort wo ich war – an der El-Azhar in Kairo, der größten Universität der Mohammedaner, ist es das, was ihr Professor nennt.«

Also doch ein Gelehrter.

»Und Sie sind es nicht mehr?«

»Nein. Ich bin abtrünnig geworden,« sagte er sanft. »Ich bin Christ.«

Ralph zeigte unverhohlen sein Erstaunen.

»Sie sind in Paris, London und Neuyork gewesen?« fragte er, als Gâmal-ed-dîn mit einem vollkommen unbeweglichen Gesicht an ihm vorbeistarrte, als sei er in tiefe Gedanken versunken.

»Ja, ich habe an der Sorbonne und im British Museum studiert und bin Gast in Harward gewesen.«

Ralph forschte in seinem Gedächtnis. Merkwürdig, daß solch ein seltener Besuch nicht durch die Neuyorker Zeitung zu ihm gelangt war.

»Sind Sie schon lange Christ?«

»Seit drei Jahren. Ich wollte Mohammeds Lehre reformieren,« sagte er einfach und natürlich, als spräche er vom Wetter, »aber die Turbanleute – so nennen wir die Schejks, die keine andere Weisheit in den Schulen dulden, als die des Korans – vertrieben mich und trachteten mir nach dem Leben. Ich habe Luthers Leben und Lehre studiert und wollte den Islam reformieren, so wie er die christliche Kirche reformiert hat. Christus ist ein größerer Prophet als Mohammed, das war mein Standpunkt. Ich nahm die Konsequenzen und ließ mich heimlich in Genf taufen. Ich habe mein väterliches Gut in Fajum verkauft und besitze genug, um unabhängig leben zu können. Jetzt lasse ich mich vom Zufall führen, oder was dasselbe ist, vom Schicksal, oder wiederum dasselbe: von Gott. Bald bin ich in London, bald in Neuyork. Seine Rasse aber kann man nicht von sich abstreifen, wie man den Glauben wechselt. Sie sehen, wie es mir mit den Beinen geht« – er lächelte und sah auf seine Stiefelspitzen auf dem Diwan herab. – »Das Land des Sultans kann ich nicht ganz entbehren, darum komme ich hin und wieder inkognito her und ziehe mein altes Schejkkostüm an. Darin haben sie mich neulich gesehen. In der Regel ist es nur ein kurzes Wiedersehen, denn die Turbanleute haben tausend Augen, und sobald ich merke, daß ich erkannt bin, muß ich so schnell wie möglich fliehen. Wenn man wüßte, daß ich Christ geworden bin, würde man einen Preis für meinen Kopf aussetzen.«

»Gibt es denn kein Recht und kein Gesetz in den türkischen Landen?«

»Nicht mehr als in Neuyork,« sagte Gamâl und betrachtete ihn mit seinem nachsichtigen Lächeln.

»Wie meinen Sie das?«

»Ich habe mir erzählen lassen, daß es auch in Neuyork vorkommen kann, daß ein Mann morgens in sein Geschäft geht und nicht zurückkehrt.«

»Das ist Raubmord. ›Die schwarze Hand‹, – die Italiener.«

»Ist ein Religionsmord unmoralischer als ein Raubmord?«

»Nein. Da haben Sie recht.«

»Ja, so hängt es mit mir zusammen. Jetzt habe ich Sie über mich aufgeklärt. Und Sie sind Techniker?«

Ralph blickte erstaunt auf.

»Sie kennen mich?«

»Sind Sie es nicht, der ›die Himmelsbrücke‹ gebaut hat?«

Er zeigte alle seine weißen Zähne und lachte herzlich.

»Wie lange haben Sie in Neuyork gelebt?«

»Ich bin mehrere Male dort gewesen. Zum letzten Male im vorigen Jahre, als Sie den großen Streik so glücklich lösten.«

Ralph runzelte ärgerlich die Brauen. Sein Interesse für die neue Bekanntschaft schwand, weil der Mann sozusagen aus seiner eigenen Stadt war.

Gamâls braune Augen mit den stechenden Pupillen ruhten auf ihm mit lebendigem Verständnis, und Ralph hatte das peinliche Gefühl, ein offenes Buch in der Hand eines überlegenen Lesers zu sein.

Um Ralphs Mißstimmung zu zerstreuen, nahm Gamâl »Le Temps« und deutete auf einen Artikel.

»Haben Sie den gelesen?«

»Worüber?«

»Ueber die Spannung in Europa.«

»Ist denn eine da?« fragte er gleichgültig.

»Es ist immer eine da,« sagte Gamâl und beobachtete ihn aufmerksam von der Seite, »sie ist wie ein Kaltfieber, das in bestimmten Zwischenräumen akut wird.«

»Warum wird denn nicht losgeschlagen?«

»Ein Weltkrieg?«

»Dem Unvermeidlichen soll man nicht aus dem Wege gehen, wenn man vorwärts will, muß die Machtfrage entschieden werden.«

»Solange wir nicht wissen, wer zu siegen...



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