Bubrowski | Die Fehlbaren | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

Bubrowski Die Fehlbaren

Politiker zwischen Hochmut, Lüge und Unerbittlichkeit
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-423-44168-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Politiker zwischen Hochmut, Lüge und Unerbittlichkeit

E-Book, Deutsch, 224 Seiten

ISBN: 978-3-423-44168-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Glaubwürdigkeit der Politik steht auf dem Spiel Vertuschen. Abstreiten. Aussitzen. Salamitaktik: So gehen Politiker*innen mit politischen Fehlentscheidungen und persönlichen Fehltritten um. Neuerdings werden Fehler auch offensiv bekannt, aber erst, wenn sie publik sind und die Kritik massiv wird. So entwickelt nicht der Fehler selbst, sondern der Umgang damit politische Sprengkraft. Die Folgen sind Politikverdruss und Misstrauen.  Die Politikkorrespondentin Helene Bubrowski analysiert Fehlverhalten, Skandale und Rücktritte von Politikerinnen und Politikern. Sie zeigt klar, welche oft verschärfende Rolle die Medien haben, und skizziert, wie eine bessere Fehlerkultur aussehen kann.

Helene Bubrowski, geboren 1981, ist seit 2018 Politikkorrespondentin der F.A.Z. in Berlin, zuständig für die Grünen und die Innen- und Rechtspolitik. Seit Andreas Scheuer ihr 2020 in einer Talkshow erklärt hat, warum er nichts falsch gemacht hat, liegt ihr Fokus auf dem Umgang von Politikern mit ihren Fehlern und Fehleinschätzungen.
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»ICH BIN IN TRÄNEN AUSGEBROCHEN«


Gibt es Fehlerkultur in der Politik?

Eine Bühne im Wedding, Hinterhof zwei. Es ist der Ort für ein Experiment. Vier Politiker sind eingeladen, um etwas anderes zu erzählen als die übliche Erfolgsgeschichte. Sie werden über das sprechen, was so richtig schlecht gelaufen ist. Eine politische Fuck-up-Night. In der Start-up-Szene ist das bekannt, aber für Politiker hat es so was noch nie gegeben.

Johannes Vogel steht schon oben. Dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, hellbrauner Gürtel, hellbraune Schuhe. Der FDP-Mann schaut an sich runter und dann ins Publikum. Die Hipster-Quote ist hoch, kein anderes dunkles Jackett zu sehen. »Das ist schon mal der erste Fuck-up. Ich sehe aus wie das lebendige FDP-Klischee.« Am Morgen sei der israelische Staatspräsident im Bundestag gewesen, er habe keine Zeit gehabt, sich umzuziehen.

Wenn Politiker über ihre Fehler sprechen, ist es ein bisschen so, wie wenn Kandidaten im Bewerbungsgespräch nach ihren Schwächen gefragt werden. Sie sagen irgendwas, das so klingt wie eine Schwäche, aber in Wahrheit eine Stärke ist. Ungeduld ist ein Klassiker oder: Ich bin so streng mit mir. Horst Seehofer hat fünfzig Jahre lang Politik für die CSU gemacht. Auf die Frage nach seinem größten Fehler hat er gesagt: dass er frühzeitig angekündigt habe, nicht erneut als bayerischer Ministerpräsident zu kandidieren. Beliebt ist auch die Ausflucht in Koketterie. Ursula von der Leyen hat es als ihre größte Schwäche bezeichnet, dass sie so miserabel koche. »Ich kriege gerade mal Nudeln, Reis und Kartoffeln hin.«

Johannes Vogel flüchtet nicht. Der Witz über sein Outfit war zum Warmwerden. Dann wird es ernst. Vogel ist 40 Jahre alt und hat es schon weit gebracht. Er ist parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion. Aber an diesem Septemberabend spricht er über Tränen und Erschöpfung.

Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen habe er eine »katastrophale Fehlentscheidung« getroffen. Als einziger Politiker aus der Ampel hat er für die FDP zwei Arbeitsgruppen geleitet, und zwar große und wichtige, Arbeit und Rente. »Ach klar, wer soll das denn sonst machen, ich bin doch leistungsfähig.« So hat er sich das damals schöngeredet. Vogels Pointe ist nicht, dass sich das alles dann doch als geniale Fügung herausgestellt habe, dass Arbeit und Rente nun aus einem Guss seien. Vogel sagt: »Das war eine irre Selbstüberschätzung, ein Vabanquespiel.« Er sei in dieser Zeit ein »wandelnder Zombie« gewesen. »Es ist gerade so gut gegangen, aus purem Glück.« Der FDP-Mann schaut auf seine Fußspitzen. »Ich bin am Rande einer Sitzung in Tränen ausgebrochen.« Das wirkt irgendwie sympathisch, aber einen weinenden Chefverhandler will trotzdem keiner. Deshalb hat es bis zu diesem Abend auch niemand gewusst, außer einer Kollegin, die damals zufällig danebenstand.

Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung hat zu dem Abend mit dem schönen Titel »Fallen lernen« eingeladen. Es ist kein geschützter Raum im engeren Sinne, vereinzelt sitzen auch Journalisten auf den rot bezogenen Stühlen, Video- und Tonaufnahmen sind allerdings verboten. Ansonsten viele junge Leute, ein Glas Weißwein in der Hand oder eine Flasche Bier. Es ist eine nette, entspannte Atmosphäre. Die vier Politiker – neben Vogel sind es Antje Kapek von den Berliner Grünen, Brigitte Zypries, frühere Ministerin der SPD, und der CDU-Abgeordnete Thomas Jarzombek – lassen sich auf das Experiment ein. Sie achten jetzt nicht auf jedes Wort. »Das war scheiße.« »Ich war ein ziemlicher Kotzbrocken.« »Noch ein Fuck-up big time.«

Es ist nicht nur die Sprache, die anders ist als sonst. Als die vier im Halbkreis sitzen, ist es ein bisschen wie in einer Gruppentherapie. Die eine öffnet sich etwas mehr als der andere. Zypries wird einmal patzig, über die Russlandpolitik der SPD will sie nicht sprechen. Aber auch sie offenbart Verletzungen, als sie die Jüngeren in der Runde mahnt, nie zu vergessen, dass der Politiker als Mensch nicht viel zählt. »Die Leute wollten nie Brigitte Zypries, immer nur die Ministerin.«

Angst ist in der Politik ein Tabu. Jeder Politiker trägt sie mit sich herum, aber sie wird versteckt in der Handtasche, dem Aktenkoffer, Jutebeutel oder Rucksack. Wer würde einen Angsthasen wählen? Johannes Vogel berichtet von einer Angst, die das Innerste berührt, nämlich der Angst, nicht dazuzugehören. Er ist in der FDP, seit er 17 ist, vorher hat er mal bei der Grünen Jugend reingeschnuppert. Zusammen mit seinem Spezialgebiet, der Sozialpolitik, hat ihm das den Ruf eingebracht, irgendwie links zu sein, jedenfalls linker als der typische FDP-Mann aus Nordrhein-Westfalen. Er konnte sich davon nicht freimachen. »Ich hatte Angst, das Klischee über mich zu bedienen. Deshalb habe ich einen Fehler gemacht.« Das liegt schon einige Jahre zurück. Es ging um den Mindestlohn, die FDP war damals strikt dagegen, Vogel zunächst auch. Dann las er alle Studien und kam irgendwann zu dem Punkt, dass doch viel für den Mindestlohn spricht. »Wir waren offensichtlich auf der falschen Seite. Aber ich habe mich drei Jahre lang nicht getraut, das zu sagen.«

Die meisten Politikberater würden zusammenzucken. Die übliche Empfehlung ist es, sich möglichst unangreifbar zu geben. Das hat auch einen Preis, den man nicht übersehen darf: Die Sprache wird seelenlos, sie kommt nicht mehr bei den Leuten an. »Wir haben uns programmatisch weiterentwickelt, weil sich durch die demografische Entwicklung die Lage auf dem Arbeitsmarkt verändert hat« – das wäre die typische Antwort eines Politikers gewesen, um eine Kursänderung zu erklären. Nicht: »Wir lagen offensichtlich falsch.« Vogel geht von der Bühne, lauter Applaus. Er dreht sich zu Kapek, die neben ihm sitzt: »War das okay?« Auch so ein Satz, den man von Politikern selten hört.

Kurt Beck hat mal gesagt: »Man hat es als Politiker in Fleisch und Blut, dass man keine Schwächen zeigen darf.« Da schwang keine Überlegenheit mit, eher Verbitterung über die Gesetzmäßigkeiten des politischen Geschäfts, die auch dem SPD-Politiker zugesetzt hatten. Die Härten der Spitzenpolitik führen dazu, dass sich Politiker verpanzern. Dann dringen die Angriffe von außen nicht mehr ins Innerste. Kommunikationsberater, die eine solche Abhärtung empfehlen, haben natürlich einen Punkt: Selbstkritik wird von den Wählern selten belohnt und von den Gegnern oft instrumentalisiert. Wer zum ersten Mal einen Fehler zugibt, erregt damit noch Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Respekt. Doch der Effekt nutzt sich schnell ab, bei der zweiten oder dritten Entschuldigung kann das Urteil schon lauten: Der oder die kann das nicht.

Dieses Buch ist ein Plädoyer für Fehlerkultur in der Politik. Der Begriff der Kultur ist hier normativ gemeint, nicht rein empirisch wie im Angelsächsischen, wo es auch und Ähnliches gibt. In diesem Sinne ist Fehlerkultur für Politiker eine Herausforderung; das kann nur bestreiten, wer die Zwänge des politischen Betriebs nicht kennt. Die Harvard-Professorin Barbara Kellerman hat die Komplexität auf eine treffende Formel gebracht: »Eine Entschuldigung zu verweigern, kann klug sein oder tödlich. Umgekehrt kann auch die Bereitschaft zur Entschuldigung als Zeichen eines starken Charakters angesehen werden oder als Zeichen von Schwäche.«

Das erste, und wie ich finde, schlagende Argument für eine neue Fehlerkultur ist ganz einfach: Politik wird dadurch besser. Wer nicht bereit ist, einen Fehler einzugestehen, wird nicht bereit sein, ihn zu beseitigen. Häufig sind politische Vorschläge unausgegoren, manchmal sogar die fertigen Gesetze. Das hat längst nicht immer mit Schlampigkeit zu tun. Viele Prozesse sind wahnsinnig kompliziert, die Bedingungen ändern sich ständig, gerade in Krisenzeiten. Das Gebot der Stunde ist dann, Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Das ist die Stärke der Demokratie, denn da kann öffentliche Kritik Anstoß zu Veränderung geben. In autoritären Regimen unterlaufen dem Machthaber offiziell keine Fehler, deshalb können sie nur verschleiert und, wenn überhaupt, stillschweigend beseitigt werden.

In freiheitlichen Gesellschaften, in denen Journalisten recherchieren und die politische Konkurrenz aufpasst, haben Vertuschungsversuche oft kurze Beine. Sie können sich als der größere Fehler erweisen. Aristoteles wird der Satz zugeschrieben: »Einen Fehler durch eine Lüge zu verdecken heißt, einen Flecken durch ein Loch zu ersetzen.« Wenn man die Sache vom Ende her denkt, liegt ein guter Umgang mit Fehlern im eigenen Interesse. Und auch kurzfristig kann sich das Eingeständnis eines Fehlers lohnen, denn oft nimmt es einer Empörungswelle die Spitze. Nach Kellermans Analyse erfolgen die meisten Entschuldigungen aus Eigeninteresse – aus dem Kalkül, dass es weniger Nachteile hat, sich zu entschuldigen, als es nicht zu tun. Die Bitte um Verzeihung diene aber, meint sie, letztlich doch einem gesellschaftlichen Zweck: Die Verantwortlichen ließen sich auf einen »säkularen Ritus der Buße« (Nicholas Tavuchis) ein. Das sei mehr als eine Erklärung oder ein Eingeständnis, es gehe darum, mit den Betroffenen in einen...


Bubrowski, Helene
Helene Bubrowski, geboren 1981, ist seit 2018 Politikkorrespondentin der F.A.Z. in Berlin, zuständig für die Grünen und die Innen- und Rechtspolitik. Seit Andreas Scheuer ihr 2020 in einer Talkshow erklärt hat, warum er nichts falsch gemacht hat, liegt ihr Fokus auf dem Umgang von Politikern mit ihren Fehlern und Fehleinschätzungen.

Helene Bubrowski, geboren 1981, ist seit 2018 Politikkorrespondentin der F.A.Z. in Berlin, zuständig für die Grünen und die Innen- und Rechtspolitik. Seit Andreas Scheuer ihr 2020 in einer Talkshow erklärt hat, warum er nichts falsch gemacht hat, liegt ihr Fokus auf dem Umgang von Politikern mit ihren Fehlern und Fehleinschätzungen.



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