E-Book, Deutsch, Band 13, 520 Seiten
Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi
Burke Straße der Gewalt
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86532-582-2
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Dave-Robicheaux-Krimi, Band 13
E-Book, Deutsch, Band 13, 520 Seiten
Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi
ISBN: 978-3-86532-582-2
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
James Lee Burke, 1936 in Louisiana geboren, wurde Ende der 1960er Jahre als neue Stimme aus den Südstaaten gefeiert. Mitte der 1980er Jahre begann er Kriminalromane zu schreiben, in denen er die unvergleichliche Atmosphäre von New Orleans mit starken Geschichten verbindet.
Weitere Infos & Material
2
Junior Crudups Enkelin hatte ein Gesicht wie ein Goldfisch, ihre helle Haut war mit Sommersprossen übersät, und die Brille verwandelte ihre Augen in wässrig braune Kugeln. Sie saß in einem Polstersessel, wedelte sich mit einer Illustrierten frische Luft zu, ihre Fettrollen prall unter dem Kleid, darauf wartend, dass ich mit meiner Untersuchung der Stella-Gitarre, die dreißig Jahre lang in einer Ecke ihres Dachbodens gelegen hatte, zu einem Ende kam. Die Saiten waren weg, die Wirbel eingerostet, das Schallloch mit Spinnweben überzogen. Ich drehte die Gitarre auf den Bauch und betrachtete die drei Worte, die in die Rückseite des Halses gekratzt waren: Huddie Love Sarie.
„Leadbellys richtiger Name war Hudson Ledbetter, aber alle nannten ihn Huddie. Seine Frau hieß Sarie“, sagte ich.
Junior Crudups Enkelin sah aus einem Seitenfenster zu zwei Kindern hinaus, die auf einer Schaukel spielten, die am Ast eines Pekannussbaums befestigt war. Sie hieß Doris. Sie reckte immer wieder die Schultern, als ob ein großes Gewicht auf ihre Lungen drückte. „Wassn die wee-at?“, fragte sie.
„Kann ich nicht sagen“, erwiderte ich.
„Vier oder fünf Songs lagen unten im Gitarrenkoffer, jeder mit Juniors Unterschrift“, sagte Father Jimmie.
„Yeah, wassn die wee-at?“, fragte Doris.
„Da müssen Sie schon jemand anderen fragen“, sagte ich.
Sie warf Father Jimmie einen schrägen Blick zu, dann erhob sie sich von ihrem Sessel und ging mit meiner Tasse in die Küche, obwohl ich den Kaffee darin noch gar nicht ausgetrunken hatte.
„Ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben. Letzten Monat hat der Sozialarbeiter ihr die Unterstützung gestrichen“, sagte Father Jimmie.
„Warum?“
„Dem Sozialarbeiter war halt danach. So läuft das eben. Kommen Sie, gehen Sie mal kurz mit mir vor die Tür“, sagte er.
„Ich muss jetzt langsam nach Hause.“
„Dafür haben Sie noch Zeit“, sagte er.
Wir gingen hinaus in die sonnenhelle, vom Regen gewaschene Schönheit des Herbstnachmittags. Der Pekannussbaum im Garten neben dem Haus plusterte sich im Wind auf, und ein sandfarbener Hund wälzte sich auf dem Rücken im Dreck, während die Kinder daneben auf ihrer Schaukel vor und zurück schwangen. Aber als ich Father Jimmie einen Hang hinunter Richtung Wald hinter dem Haus folgte, spürte ich deutlich, wie sich die Topographie unter meinen Füßen änderte, als ob ich auf einem Schwamm ginge.
„Was ist das für ein Geruch?“, fragte ich.
„Sagen Sie’s mir.“ Er riss eine Handvoll Gras aus dem Boden und hielt mir die Wurzeln unter die Nase. „Das wird hier aus dem ganzen Süden angekarrt. Doris’ Lungen nutzen ihr so viel wie verfaulter Kork. Die Leute hier in der Gegend haben Eimer in den Autos, wegen des permanenten Durchfalls ihrer Kinder.“
Ich stützte mich am Stamm eines verdorrten Kakibaums ab und sah mir die Sohlen meiner Schuhe an. Sie waren mit einer schwarzgrünen Substanz verschmiert, als wäre ich durch eine Fabrikhalle gegangen. Wir überquerten auf einem Holzsteg einen Regengraben. Auf der Wasseroberfläche trieb ein buntschillernder Film, der in langen Bläschenketten vom Grund des Grabens aufzusteigen schien. Entlang des Waldrands zogen sich etwa zwanzig Absetzbecken, bedeckt mit lockerem Schmutz, jedes mit einem eingetrockneten, zähen Material verkrustet, das wie orangefarbener Grind aussah.
„Ist das hier Doris’ Grundstück?“, fragte ich.
„Es gehörte ihrem Großvater. Aber vor zwanzig Jahren setzte Doris’ Cousin sein ‚X‘ unter einen Kaufvertrag, auf dem Juniors Name geschrieben stand. Der Cousin und das Abfallentsorgungsunternehmen, welches das Land gekauft hat, behaupten beide, er sei der rechtmäßige Junior Crudup, und Doris guckt in die Röhre.“
„Ich kann nicht ganz folgen.“
„Niemand weiß, was aus dem richtigen Junior Crudup geworden ist. Er ist in Angola eingefahren, aber nie mehr rausgekommen. Es gibt keinerlei Unterlagen, weder über seinen Tod noch über seine Entlassung. Werd einer schlau draus.“
„Will ich gar nicht.“
Father Jimmie betrachtete mein Gesicht. „Die Leute hier haben nicht sonderlich viele Freunde“, sagte er.
Ich schob die Hände in meine Gesäßtaschen und scharrte mit einem Schuh auf dem Boden, ungefähr so wie ein Coach am Third Base, dem die Zeichen ausgegangen sind.
„Ich denke, ich werde passen“, sagte ich.
„Wie Sie wollen.“
Father Jimmie hob einen kleinen Stein auf und pfefferte ihn in den Wald. Ich hörte, wie er irgendwo an den Stämmen abprallte. Vögel hätten nun aus den Baumkronen zum Himmel aufsteigen sollen, doch nichts regte sich in den Ästen.
„Wem gehört denn die Entsorgungsfirma?“, fragte ich.
„Einem Kerl namens Merchie Flannigan.“
„Jumpin’ Merchie Flannigan? Aus New Iberia?“, fragte ich.
„Genau der. Wie ist er eigentlich an diesen Namen gekommen?“, fragte Father Jimmie.
„Denken Sie an Hausdächer“, erwiderte ich.
* * *
Während ich nach New Iberia zurückfuhr, durch Morgan City und die East Main Street runter zu meinem angemieteten Haus am Bayou Teche, versuchte ich, nicht mehr an Father Jimmie und die Schwarzen im St. James Parish zu denken, deren Gemeinde eine petrochemische Müllkippe geworden war. So traurig ihre Geschichte auch sein mochte, im Staat Louisiana war sie alles andere als einzigartig. Tatsächlich hatte der aktuelle Gouverneur im Fernsehen gedroht, den Steuerstatus einiger junger Anwälte und Absolventen der Tulane University zu prüfen, die Klagen gegen mehrere Abfallentsorgungsunternehmen auf Grundlage von Umweltrassismus eingereicht hatten. Die alte Plantagen-Oligarchie gab es nicht mehr, aber ihre Nachfolger arbeiteten auf die gleiche Weise – mit Baseballschlägern.
Ich machte mir ein frühes Abendessen und nahm es an einem alten grünen Campingtisch im Garten zu mir. Auf der anderen Seite des Bayou spielten Kids Flag Football im City Park, Rauch von Grillfeuern hing zwischen den Bäumen. In den dunkler werdenden Schatten meinte ich Stimmen in meinem Kopf zu hören: meine Adoptivtochter Alafair, jetzt auf dem Reed College in Portland, Oregon, meine verstorbene Frau Bootsie, und ein Schwarzer namens Batist, dem ich meinen Angelladen samt Bootsverleih südlich der Stadt verkauft hatte. An Samstagnachmittagen kam ich nicht besonders gut klar. Genau genommen kam ich eigentlich an keinem Nachmittag gut klar.
An manchen Wochenenden fuhr ich runter zum Anleger und dem Angelladen, um Batist zu besuchen. Wir gingen dann Barsch und Sac-a-lait angeln, kehrten bei Sonnenuntergang zurück nach Hause, während die Zweige der Zypressen wie grüne, geklöppelte Spitze sanft im Wind wehten, das Wasser in den kleinen Buchten blutrot im Sonnenuntergang. Aber auf der anderen Straßenseite und vom Anleger aus gesehen die Steigung rauf waren die niedergebrannten Überreste des Hauses, das mein Vater in der Zeit der Weltwirtschaftskrise aus Holzstämmen gebaut hatte, das Zuhause, in dem ich mit meiner Frau und Tochter gelebt hatte, und es fiel mir verdammt schwer, es anzusehen, ohne dass mich ein unbeschreibliches Gefühl von Verlust und Zorn überkam.
Der Brandermittler der Feuerwehr nannte es „elektrischen Defekt“. Ich wünschte, ich hätte den Verlust mit ähnlich distanzierten Worten akzeptieren können. Aber die Wahrheit war, ich hatte die elektrische Neuverkabelung meines Hauses einem AA-Kollegen anvertraut, der aufgehört hatte, zu den Meetings zu kommen. Er hatte billige Schalter in den Wänden verbaut, die er nicht richtig abisolierte, und obendrein die Kabel in falsch dimensionierten Steckleisten befestigt. Das Feuer fing in der Wand des Schlafzimmers an und brauchte weniger als eine Stunde, um alles in einen rauchenden Schutthaufen zu verwandeln.
Ich ging ins Haus und schlug Merchie Flannigan im Telefonbuch nach. Ich hatte seine Eltern gekannt, aber nie Grund gehabt, Merchie offiziell Beachtung zu schenken, bis ich als Streifenpolizist in der Nähe der Sozialsiedlung Iberville Projects unweit der Basin Street unterwegs war, damals, als Cops noch ihre Gummiknüppel auf die Bordsteine schlugen, um sich untereinander Zeichen zu geben, und weiße Kids einem aus dem fünften Stockwerk Wasser aus gefüllten Mülleimern auf den Kopf schütteten.
Lange bevor Latinos und schwarze Witzfiguren lachhafte Rollen als Gangster auf MTV auslebten, kämpften weiße Straßengangs in New Orleans bereits mit Ketten, Stahlrohren und selbst gebastelten Pistolen um städtische Reviere, in denen nicht einmal Penner würden leben wollen. In den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war es der Revierkrieg zwischen den Cats und den Frats gewesen. Die Frats lebten uptown, im Garden District und entlang der St. Charles Avenue. Die Cats lebten im sogenannten Irish Channel oder downtown, wahlweise in den Sozialsiedlungen und draußen am Industrial Canal. Die Cats waren für gewöhnlich irischer oder italienischer Abstammung oder eine Mischung aus beidem, Abbrecher der Konfessionsschulen, die Betrunkene und Homosexuelle überfielen und, wenn zahlenmäßig überlegen, ihre Gegner mit Tritten fertigmachten, kein Pardon gaben und auch keines erwarteten.
Bei den heftigen Schlägereien mit schwingenden Ketten in dunklen Gassen war ihre Grausamkeit und rohe körperliche Traute wahrscheinlich nur noch mit der ihrer historischen Cousins in Southie, den Five Points und Hell’s Kitchen vergleichbar. Entlang der Bourbon Street packten die Dixieland-Bands samstagabends nach zwölf ihre Instrumente zusammen und wurden ersetzt von den Rock ’n’ Roll-Bands, die dann bis Sonnenaufgang spielten. Angesichts der...