Butzkamm | Wie Kinder sprechen lernen | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 468 Seiten

Butzkamm Wie Kinder sprechen lernen

Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen
4. überarbeitete und erweiterte Auflage 2019
ISBN: 978-3-7720-0094-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen

E-Book, Deutsch, 468 Seiten

ISBN: 978-3-7720-0094-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wenn Kinder beginnen, sich ihre Welt durch Wörter anzueignen, machen auch die Erwachsenen neue Erfahrungen in ihrem eigenen Umgang mit Sprache und sich selbst. Dieses Buch folgt einem biographisch-vergleichenden, erzählenden Ansatz, der Forschungsergebnisse unterschiedlicher Fachrichtungen einarbeitet. Eingeblendet werden bewegende Geschichten sprachbehinderter, gehörloser, autistischer und hochbegabter Kinder, die den Spracherwerb aus ungewohnter Perspektive beleuchten. Die wichtigsten Ratschläge für einen gelingenden Spracherwerb sind verständlich zu einer kleinen Pädagogik für Eltern zusammengefasst. Das Buch zeigt darüber hinaus, wie die Sprache den Menschen zum Menschen macht, ihm die Freiheit des Denkens schenkt und damit moralische Verantwortung aufbürdet. Für die 4. Auflage wurde das Werk überarbeitet und um ein Kapitel zum Mutismus ergänzt. Neue Erkenntnisse flossen in die Beurteilung darüber ein, welchen Einfluss Medienkonsum auf die Sprachentwicklung von Kindern hat. Wären nur alle wissenschaftlichen Bücher so leserfreundlich, locker und spannend geschrieben wie dieses Die Sprachheilarbeit 44/6 mehr kann man von einem Buch nicht erwarten Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 49

Prof. (em.) Dr. Wolfgang Butzkamm war Inhaber des Lehrstuhls für Englische Sprache und ihre Didaktik an der RWTH Aachen und ist einer der meistzitierten Sprachlehrforscher. Diplompsychologe Dr. Jürgen Butzkamm war Leiter der Ausbildungsstätten der Lobetalarbeit, Celle.

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Du, ich und die Dinge: vom Zeigen zum Zeichen
Wenn der Finger zum Himmel zeigt, schaut nur der Dummkopf den Finger an. (Die fabelhafte Welt der Amelie) Etwa im Alter von 5 Monaten, wenn das Silbenplappern auftritt, verändern die Bezugspersonen ihr Verhalten dem Baby gegenüber. Konzentrierten sie sich zuvor auf den wechselseitigen Blickkontakt und die Gestimmtheit des Kindes, versuchen sie nun, den Blick des Säuglings auf Dinge und Ereignisse um sie herum zu lenken und das Objektspiel zu initiieren. Zur gleichen Zeit reift auch die Entwicklung zum gezielten Greifen beim Kind. Ein drei Monate altes Baby lächelt uns an; ein sechs Monate altes greift nach einem Spielzeug. Etwa mit 7 Monaten gelingt es dem Baby, beide Reaktionen miteinander zu koordinieren. Zwei sind einverstanden im Hinblick auf ein Drittes. Das ist der trianguläre Blickkontakt (auch: referentieller Blickkontakt), von einem zum anderen, den Gegenstand einbeziehend. Plötzlich sind nicht nur »Du« und »Ich« im Spiel – etwa wenn das Baby die Ärmchen hebt, um aufgenommen zu werden –, sondern auch ein Drittes, auf das gemeinsam Bezug genommen wird. Ein markanter Wechsel: Im Vorsilbenalter konzentrieren sich die Mütter auf wechselseitigen Blickkontakt und die Gestimmtheit des Kindes. Wenn mit 5 Monaten das Silbenplappern einsetzt, versuchen sie, den Blick des Säuglings auf Dinge und Ereignisse um sie herum zu lenken. Das Objektspiel beginnt. (Nach M. Papousek, 1994) Anpassung der Mütter an die Fortschritte ihrer Kinder: 18 Mutter-Kind-Paare wurden zwischen dem 2. und 15. Lebensmonat der Kinder jeweils 14mal beobachtet. Als die Kinder anfingen, in regulären Silben zu plappern, änderten auch die Mütter ihr Verhalten: Sie griffen die Silben auf und spielten sie den Kindern als Wortmodelle zurück. (Nach M. Papousek, 1994) Gleichzeitig passiert noch ein zweites: Die nun als sprachliche Silben verstehbaren Lautäußerungen des Kindes werden von der Mutter aufgegriffen und den Kindern als Wortmodelle zurückgespiegelt. Der von der Tante mitgebrachte Teddy wird dramatisch in Szene gesetzt und präsentiert. Mehr oder weniger zufällig äußert das Baby etwas, das nach Mengmeng klingt. Schon hat der Teddy seinen Namen weg. Immer wieder wird er als »Mengmeng« benannt und so das Lautbild assoziativ mit dem Teddy verknüpft. So entstehen erste Protowörter, Vorläufer von echten Wörtern, orientiert am lautlichen Vermögen der Kinder. Die schon lang geübten und erprobten Techniken der Mutter, ihr Kind »bei der Stange zu halten«, Situationen gemeinsamer Aufmerksamkeit herzustellen und zu erhalten, erreichen mit 9 Monaten einen neuen Höhepunkt: Das Kind versteht die Zeigegeste. Gemeinsam wird auf einen im Blickfeld liegenden Gegenstand Bezug genommen (joint attention). Aber der sechs Monate alte Säugling blickt nur auf den zeigenden Finger. Mit neun Monaten beginnt er, mit den Blicken der imaginären Linie zu folgen, die vom Finger zum Gegenstand führt. Der Gegenstand als neuer Einigungspunkt wird Träger einer gemeinsamen Bezeichnung. Wörter als Zeichen für etwas entwickeln sich an dieser Stelle aus dem Zeigen, dem gestischen Benennen. Das ist nichts Selbstverständliches, denn die Zeigegeste findet sich nur beim Menschen, vielleicht mit Ausnahme des Haushundes.1 So ist wohl auch die Wurzel von lateinisch dicere, »sagen«, das Zeigen, woran noch indicare, »anzeigen«, index »Anzeiger, Zeigefinger« und indicium »Anzeichen, Indiz« erinnern. Tomasello spricht von der 9-Monatsrevolution, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Sie dokumentiert, dass Kinder sich nun als wollende Wesen darstellen können und nun auch die anderen in dem verstehen wollen, was sie intendieren und beabsichtigen. Schauen wir uns einen Dialog an, zu dem das Baby gegen Ende seines ersten Lebensjahres fähig ist. Noch ohne ein Wort beizusteuern, bittet Marta um Hilfe: Marta schafft es nicht, ein Portemonnaie zu öffnen. Sie schiebt es ihrem Vater vor die Hände. Der unternimmt nichts. Da legt sie es ihm in die Hand, schaut ihn an und gibt ein paar Tönchen von sich. Der unternimmt immer noch nichts. Marta insistiert, zeigt auf das Portemonnaie und jammert. Vater: »Ja was soll ich denn tun?« Marta zeigt noch mal auf die Börse, blickt ihren Vater dabei an und äußert wieder ein paar Tönchen. Jetzt endlich berührt der Vater den Verschluß und fragt: »Soll ich es aufmachen?« Marta nickt kräftig.2 Marta hat ihren Vater verstanden, allerdings noch nicht die einzelnen Wörter, die er verwendet. Es wird ihr immer klarer, daß man allein mit den Tönen, die man hervorbringt, beim anderen etwas ausrichten kann. Zeigen Sie Ihrem Einjährigen ein Spielzeug und lassen es dann wie im Scherz verschwinden, wenn er danach greift. Normalerweise schaut er Sie dann fragend an, um herauszufinden, warum Sie das tun. Viele autistische Kinder reagieren nicht so. Fast alle Kinder mit Entwicklungsauffälligkeiten zeigen auch im Alter von zwei, drei und vier Jahren diesen triangulären Blickkontakt nur sehr selten. Beschäftigen sie sich mit einem Gegenstand, sind sie entweder ganz davon eingenommen oder aber sie manipulieren ihn ohne echte Freude und Interesse – in beiden Situationen gibt es keinen Anlass, ein Erlebnis zu teilen. Steht das Kind in direktem Kontakt mit einer anderen Person, ist es so damit beschäftigt, mit ihm über den direkten Blick, Gesten oder Laute zu kommunizieren, daß es einen Gegenstand in diese Interaktion nicht einbeziehen kann; dies habe ich beispielsweise sehr oft bei Kindern mit Down-Syndrom beobachtet. Mit etwa eineinhalb Jahren können viele der entwicklungsauffälligen Kinder einen Gegenstand geben, doch auch hier fehlt der erwartungsvolle Blick, d.h. sie bringen das Ding, legen es dem Erwachsenen auf den Schoss und gehen gleich wieder weg, um etwas neues zu holen. Wenn sie dem Anderen eine Absicht mitteilen wollen, zeigen und vokalisieren sie oder ziehen ihn am Arm, doch auch in dieser Situation schauen sie nicht vom gewünschten Gegenstand zum Erwachsenen, um zu sehen, wohin er seinen Blick richtet.3 Allerdings gibt es beim Zeigen noch einen kleinen, aber höchst bedeutsamen Unterschied. Auf einen Gegenstand deuten, den man haben will, ist erst eine Vorstufe zum »deklarativen«, rein informativen Zeigen. Das ist der Fall, wenn ein Kind bloß auf etwas hinweist, das es interessant findet, und dieses Erlebnis mit seinem Partner teilen will. Schon das bloße Zeigen und die Anteilnahme des Partners befriedigt. Das ist das gestische Benennen in Reinform. Das Baby fordert nicht auf: »gib mir«, »tu was«; sondern macht gewissermaßen eine sachliche Aussage, stellt fest: »das da« (Zur »Sachlichkeit«, die nur dem Menschen möglich ist, vgl. S. 183ff.). Das Kind verknüpft den Partner und den Gegenstand in einem kommunikativen Akt und kann jetzt lernen, daß die Dinge ihre Namen haben. Die Leistungen, die hier zusammenkommen, lassen sich wie folgt aufschlüsseln: Alter: 9–12 Monate Alter: 11–14 Monate Alter: 13–15 Monate Den Blick des Partners suchen Ist die Sache hier okay? Erfassen, worauf der Partner sein Augenmerk gerichtet hat, und es ihm nachtun Zeigen als Bewußtseinslenkung des Partners auffordern: gib, tu … aussagen: das da4 Das sachliche Zeigen und Benennen ist wegen der eindeutigen Zuordnung von Wort und Ding wichtig. Aber dabei werden fast ausschließlich Hauptwörter gelernt. »Schau mal her, das nennt man Kriechen, und das nennt man Gehen«: So belehrt wohl keine Mutter ihr Kind. Oder noch verrückter: »Hör mal zu, das nennt man ›alt‹; so gebraucht man ›auf‹«. Die meisten an das Kind gerichteten Äußerungen sind somit keine einfachen Benennungen. Das Kind muss also schon einiges leisten, um zu verstehen und dabei im Redestrom einzelne Wörter wiederzuerkennen und sich dann umgekehrt mit diesen Wörtern verständlich zu machen. In mehreren Studien wurde ermittelt, (1) wie viel Zeit Mütter in Szenen gemeinsamer Aufmerksamkeit mit ihren Kindern zubrachten und (2) wie ausgeprägt dabei ihre Tendenz war, dem Aufmerksamkeitsfokus des Kindes sprachlich zu folgen. Im Alter zwischen zwölf und fünfzehn Monaten erklären diese beiden Faktoren über 50 % der Varianz sowohl des Sprachverstehens als auch der Sprachproduktion! Nicht wer sein Kind zutextet, sondern wer sensibel bei seinem Kind ist und sprachlich das begleitet, was es gerade im Auge und im Sinn hat, der fördert enorm seine sprachliche Entwicklung. Also nicht einfach drauflosreden, sondern auch die kindliche Reaktion abwarten und merken, ob man gemeinsam bei derselben Sache ist.5 Greifen wir zeitlich ein wenig vor und schauen wir uns Kinder zwischen eineinhalb und zwei Jahren an. In verschiedenen, geschickt...



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