Cain Totschlag
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-927734-92-0
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sieben Pulp-Stories
E-Book, Deutsch, Band 2, 200 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-92-0
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Totschlag' ist eines der raren Werke des Hardboiled-Poeten Paul Cain, der Ende der zwanziger einen kurzen kometenhaften Aufstieg als Pulp-Autor erlebte, bevor er in den Regalen der Antiquariate verschwand. Seine Stories und Romane erschienen in dem legendären Pulp-Magazin Black Mask, in dem auch Dashiell Hammett und Raymond Chandler ihre Karrieren begannen. Cains Figuren sind Betrüger, heruntergekommene Privatdetektive, Bodyguards, versoffene Sensationsreporter, Cops, Gangster und unberechenbare Frauen, die im prohibitionsgeplagten Los Angeles der späten zwanziger Jahre eine Spur zerbrochener Whiskeyflaschen, eingeschlagener Schädel und geplatzter Illusionen hinterlassen. Das Comeback der Pulp-Story im Ultrahardboiled-Stil.
Paul Cain ist das Pseudonym von George Carroll Sims, der 1902 in Des Moines, Iowa geboren wurde. Unter dem Namen Peter Ruric schrieb er zahlreiche Drehbuecher. Er ist der Autor des Romans >>Fast One<< und der hier vorliegenden Short-Story-Sammlung. Er starb 1966.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
EINS, ZWEI, DREI Ich war schon fast eine Woche in Los Angeles und wartete darauf, dass dieser Healey auftauchen würde. Nach meinen Informationen hatte er eine Eisenbahngesellschaft in Quebec mit einem Haufen fauler Optionsgeschäfte um ungefähr einhundertfünfzig Riesen erleichtert. Ein hübsches Sümmchen. Meine Informationen besagten weiter, dass er sich Richtung Westen bewegte und eine große Schwäche fürs Kartenspiel hatte. So wie ich auch. Ich nehme drei, bitte. In Chicago hatte ich ihn um vielleicht zwei Stunden verpasst und verbrachte den Tag damit, sämtliche Fahrkartenschalter abzuklappern und mich beim Verkaufspersonal einzuschleimen. Ich fand schließlich heraus, dass Healey eine Fahrkarte nach L.A. gekauft hatte; also machte ich mich auf die Socken dorthin und wartete erst mal ab. Passe. Zufällig lernte ich Sonntag nachmittag in der Empfangshalle des Roosevelt einen Schnüffler der Eastern Investigators Inc. namens Gard kennen. Wir nahmen einige Drinks und sprachen über dies und das. Er war an die Küste gekommen, um einen gewissen Healey zu finden. Er wollte nicht so recht mit der Sprache rausrücken, wer der Auftraggeber war, aber Eastern übernimmt meist Fälle von vermissten Personen, Scheidungen und ähnlichen Kram. Montag morgen rief mich Gard an und sagte mir, die Außenstelle seines Vereins in Salt Lake City habe Healey in Caliente, Nevada ausfindig gemacht. Er sagte, er habe gedacht, dass ich es vielleicht gerne wissen würde. Ich antwortete ihm, dass ich nicht interessiert sei und bedankte mich, dann besorgte ich mir einen Mietwagen und fuhr hoch nach Caliente. Gegen vier Uhr nachmittags kam ich dort an und entdeckte Healey in der zweiten Kneipe, in die ich ging. Er saß mit fünf Einheimischen beim Pokern, und ich dachte mir, wenn es stimmte, was man über diese Leute sagte, könnte ich mir eine Menge Zeit lassen. Healey war ein kräftig gebauter Mann mit rundem, fröhlichen Gesicht und einer weichen, rosigen Haut. Sein Mund war schlaff und feucht vom übermäßigen Speichelfluss. Seine Augen waren hellblau; ich glaube, es waren die kleinsten Augen, die ich je gesehen habe. Sie standen sehr weit auseinander. Mal gewann er, mal verlor er; es hielt sich ziemlich die Waage, aber das Spiel war keinen Cent wert. Die Heimmannschaft bestand aus alten Säcken, die nichts riskierten, und das einzige, was Healey bei Laune hielt, war sein Glück. Schließlich scheuchte er zwei von ihnen bei einem Pott von siebzig oder achtzig Dollar aus der Runde, und das bereitete ihm solche Freude, dass er aufstand, zur Bar kam und einige Drinks für die Kerle am Tisch bestellte. Er selbst nahm Limonade. »Entschuldigen Sie«, sagte ich, »habe ich Sie nicht schon mal bei Lonnie Thompson in Detroit gesehen?« Lonnie hat ein Wettbüro, und die meisten meiner Informationen über Healey stammten von ihm. Er lächelte und sagte: »Kann sein«, dann fragte er mich, was ich trinken wolle. Ich bestellte Whiskey. Er erkundigte sich, wie lange ich schon in der Stadt sei. Ich antwortete, dass ich gerade erst aus L.A. angekommen sei, um mir anzuschauen, was hier so laufe, dass es mich nicht vom Hocker reiße, und ich wahrscheinlich noch am selben Abend oder nächsten Morgen wieder nach L.A. zurückfahren werde. Ich spendierte ihm noch eine Limonade und trank noch einen Whiskey. Wir sprachen über Detroit. Nach einer Weile ging er zurück an den Tisch und setzte sich wieder. Das sollte für den Anfang reichen. Ich würde ihm als einer von den Jungs im Gedächtnis bleiben. Ich ging raus, fuhr ein paar Häuserblocks weiter zum Pine Hotel und nahm mir ein Zimmer. Das Pine war praktisch das einzige Hotel in der Stadt, aber um sicherzugehen, blätterte ich im Gästebuch etwa einen Tag zurück und entdeckte Healeys Namen. Dann ging ich nach oben, wusch mich und legte mich hin, um eine Zigarette zu rauchen und mir einen Plan zurechtzulegen. Laut Lonnie Thompson war Healey jemand, der Bares liebte. Er trug seinen ganzen Zaster in Scheinen oder Travellerschecks mit sich herum. Ich konnte mich nicht unbedingt darauf verlassen, aber das reichte mir erst einmal. Die Hauptsache war, ihn nach L.A. und dort in einen oder zwei oder drei Läden zu bekommen, wo ich ihn auseinandernehmen konnte. Ich muss fast eine Stunde geschlafen haben, denn als ich aufwachte, war es dunkel. Jemand klopfte an die Tür, und ich stand auf, stolperte durchs Zimmer, machte das Licht an und öffnete. Ich war zu müde, um Healey einen großartigen Empfang bereiten zu können — ich murmelte etwas von hereinkommen und sich hinsetzen, dann ging ich ans Waschbecken und wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser. Als ich mich wieder umdrehte, saß er auf dem Bett und sah vollkommen verstört aus. Ich bot ihm eine Zigarette an, und er nahm eine. Seine Hand zitterte. »Tut mir leid, dass ich Sie aufgeweckt habe«, sagte er. »Das ist schon in Ordnung«, erwiderte ich, und dann beugte er sich nach vorn und flüsterte: »Ich muss sofort von hier verschwinden. Sagen Sie mir, wieviel Sie dafür verlangen, wenn Sie mich runter nach Los Angeles bringen.« Ich fiel fast vom Stuhl. Mein erster Impuls war, laut loszubrüllen und ›Klar‹ zu schreien und ihn dann nach unten in den Wagen zu verfrachten; aber vor irgend etwas hatte er Angst, und wenn jemand Angst hat, ist das eine wunderbare Gelegenheit, ihn so richtig auszuquetschen. Ich hielt ihn etwas hin. »Oh, das ist in Ordnung«, sagte ich etwas zögerlich. »Hören Sie ...«, sagte er, »ich bin Samstag morgen hierhergekommen. Ich wollte hier nur so lange wie nötig bleiben, um eine von diesen schnellen Scheidungen nach den Gesetzen Nevadas beantragen zu können. Seit sechs Wochen ist meine Frau hinter mir her und versucht, mich mit einer dummen Geschichte zu erpressen«, fuhr er fort. »Sie ist hier. Als ich vorhin zurück ins Hotel kam, ist sie in mein Zimmer gekommen und hat eine ihrer Shows abgezogen.« Ich dachte, dass ich nun wusste, wer Gards Auftraggeber war. »Sie ist am Nachmittag angekommen. Sie hat das Zimmer neben meinem.« Er machte eine derart lange Pause, dass ich verhalten lachte und fragte: »Ja und?« »Ich muss untertauchen, schnell«, sprach er weiter. »Sie ist eine schlechte Schauspielerin. Als sie in mein Zimmer gekommen ist, hat sie versucht, mir was vorzugaukeln. Sie hatte einen Kerl dabei, der angeblich ihr Bruder sein soll, und der ist auch ein schlechter Schauspieler. Sie haben gesagt, sie würden zurück nach L.A. fahren. Als ich zurückkam, habe ich Ihren Namen im Gästebuch gelesen und gedacht, vielleicht könnten Sie mich mitnehmen. Ich kann unmöglich hier einen Wagen mieten, und vor Mitternacht fährt kein Zug.« Aus seiner Tasche zog er das fetteste Bündel zusammengerollter Geldscheine, das ich je gesehen hatte, und schälte ein paar Scheine davon ab. »Wenn es eine Frage des Geldes ist...« Mit einem, wie ich hoffte, würdevollen Kopfschütteln wehrte ich ab. »Ich hatte mich sowieso schon entschieden, heute Nacht zurückzufahren. Es wird mir ein Vergnügen sein, Sie mitzunehmen, Mr. Healey«, sagte ich, stand auf und zog meinen Mantel an. »Was ist mit Ihren Sachen?« Verwirrt sah er mich an, und erst als ich »Gepäck« sagte, erwiderte er: »Das ist in Ordnung — ich lasse es hier.« Er lächelte wieder. »Ich reise mit wenig Gepäck.« Am Treppenabsatz flüsterte er: »Sie tun mir wirklich einen Riesengefallen.« Dann fiel ihm ein, dass er sich noch einmal in sein Zimmer schleichen müsse, um etwas zu holen, und sagte, er werde mich am Wagen treffen. Ich beschrieb ihm, wo der Wagen stand. Seine Hotelrechnung, sagte er, sei schon bezahlt. Ich fuhr nach unten und ließ mir meine Rechnung geben. Mein Wagen stand eingezwängt zwischen einem Ford Lieferwagen und einem hellblauen Chrysler Sportwagen. Vor dem Sportwagen war noch massig Platz, also ging ich hin, löste die Handbremse und schob ihn etwa zweieinhalb Meter nach vorn. Dann stieg ich in meinen Wagen, lehnte mich zurück und wartete. Die ganze Geschichte, bei der es, wie Healey mir anvertraut hatte, um Erpressung oder so ging, und die ihn zu Tode ängstigte, sah ziemlich übel aus. Erst sagte er, er wolle sein Gepäck nicht mitnehmen, und dann wiederum musste er nach oben in sein Zimmer, um etwas zu holen. Er würde riskieren, seiner Frau nochmals über den Weg zu laufen. Ich fragte mich, ob sie wirklich seine Frau sei. Ich konnte mir nicht erklären, wie eine Ehefrau ihren Mann erpressen konnte, während sie mit einem Kerl, der angeblich ihr Bruder war, von Bundesstaat zu Bundesstaat gondelte; andererseits ist in Nevada so ziemlich alles möglich. Nach etwa fünf Minuten wurde ich nervös. Ich öffnete die Tür und stieg aus. Als ich die Tür zuschlug, hörte ich von oben im Hotel fünf kurz aufeinanderfolgende Schüsse. Man kann sich Probleme aufhalsen, oder man kann Problemen aus dem Weg gehen; mein Problem ist, dass ich mir immer welche aufhalse. Meiner Neigung folgend, ging ich also ins Hotel zurück. Der Hotelangestellte am Empfang war groß und blond und trug eine Brille. Als ich eintrat, kam er gerade hinter dem Tresen vor; zusammen hasteten wir die Treppe nach oben, zwei...