Carolan | Cheaponomics | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Carolan Cheaponomics

Warum billig zu teuer ist
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-86581-945-1
Verlag: oekom
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection

Warum billig zu teuer ist

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-86581-945-1
Verlag: oekom
Format: PDF
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Glauben Sie wirklich, dass eine Mikrowelle für 14,99 Euro ein gutes Geschäft ist, und es mit rechten Dingen zugeht, wenn ein Kilo Fleisch 2,99 kostet? Und wer bezahlt, was Kleidung und Handys aus Fernost wirklich kosten? 'Billig ist nichts als eine Illusion, die wahren Kosten niedriger Preise sind exorbitant hoch', schreibt Michael Carolan. Anhand zahlreicher Beispiele von der Plastiktüte bis zur automobile Gesellschaft erklärt er, wie das zerstörerische System des permanenten Preisdrucks am Leben erhalten wird, und macht deutlich, dass höhere und gerechte Preise notwendig und möglich sind, ohne dass wir auf Wesentliches verzichten müssen. 'Carolan hat ein interessantes Buch vorgelegt, das die (...) Zusammenhänge klug erhellt' (Adrian Lobe) und das Phänomen 'Billig' in einem neuen Gesellschaftsmodell aufhebt, von dem jeder profitieren kann.

Michael Carolan ist Professor für Soziologie an der Colorado State University. Er beschäftigt sich mit den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen niedriger Preise. Sein persönlicher Albtraum des Billigwahns ist der US-Riese Walmart, wo er immer wieder 'bizarres Anschauungsmaterial' für seine Vorlesungen entdeckt.
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Einleitung
Freies Unternehmertum, Sozialismus und Cheaponomics


Heutzutage muss alles billig sein. Dann aber auch wieder nicht. Meine sechsjährige Tochter beklagte sich neulich, dass ihre Plastikspielsachen bereits kurz nach dem Kauf kaputtgingen: »Diese billigen Spielsachen sind aber wirklich billig!« Dies ist ein gutes Beispiel für die doppelte Bedeutung des Wortes: »billig« im Sinne von »niedrig im Preis« und im Sinne von »schlecht, unzulänglich«.
»Billig« ist eine Eigenschaft, die man sowohl anstrebt als auch vermeidet. Vielleicht wissen wir es ja tief im Inneren wirklich besser, und unser Unbewusstes flüstert uns zu: »Ein Angebot, das zu gut aussieht, um wahr zu sein, ist es wahrscheinlich auch« (oder: »Für nichts gibt’s nichts«). Und so benutzen wir dasselbe Wort, um zu beschreiben, was wir bereits als zwei Seiten derselben Medaille erkannt haben. Das hält uns aber nicht davon ab, immer billigere und noch billigere Waren zu verlangen – solange sie nicht billig aussehen, sich nicht billig anfühlen und nicht billig schmecken.
Ich halte jetzt schon eine ganze Weile Vorträge über den wahren Preis billiger Ware, insbesondere seit dem Erscheinen meines Buchs The Real Cost of Cheap Food (»Der wahre Preis billiger Nahrungsmittel«). Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass ein Wirtschaftssystem erschwingliche Waren erzeugt. Im Gegenteil, aus diesem Grund fühlte ich mich veranlasst, dieses Buch zu schreiben, denn das, was der wirtschaftliche Status quo uns vorgibt, ist letztlich unerschwinglich. Wie ich im Folgenden wiederholt demonstrieren werde, ist »billig« in Wahrheit furchtbar teuer.
Man findet mich oft in Großhandelsfilialen, wo ich meine »Forschungen« anstelle und gelegentlich sogar besonders billige Ware erwerbe, die ich als Requisiten für meine Vorträge verwende. Es ist noch gar nicht lange her, dass ich bei Walmart – meinem persönlichen Konsumtempel, der mich nie enttäuscht – auf einen Mikrowellenofen für weniger als zehn Dollar gestoßen bin. Stellen Sie sich das vor – schon eine große Tüte Brokkoli auf dem Wochenmarkt kostet mehr! Es handelt sich hier um ein technisches Gerät, das tausende Kilometer entfernt irgendwo in China hergestellt wurde. Das Gehäuse ist aus Kunststoff, der wahrscheinlich in China erzeugt wurde, aber auf der Basis von Rohöl aus dem Nahen Osten. Der Stahl für die Ofenkammer ist möglicherweise ebenfalls chinesischer Herkunft, denn China ist der weltführende Stahlhersteller. Die Mikrowellenröhre, das Herzstück des Geräts, wurde vermutlich ebenso in China hergestellt, wahrscheinlich aber aus teilweise importiertem Material. Ich wette, dass der größte Teil des elektrischen Stroms, der die Fabrik des Herstellers versorgte und beleuchtete, aus Kohle erzeugt wurde (China ist auch im Kohleabbau weltweit führend). Vergessen wir auch die Rohstoffe nicht, die für die Herstellung der Wellpappe verbraucht wurden, in der das Gerät dann über den Pazifik und durch mehrere US-Bundesstaaten reiste, bevor es in der Walmart-Filiale von Fort Collins, Colorado, meinem Wohnort, landete. Auch das Verpackungsmaterial kam vielleicht aus China, vielleicht auch nicht. Doch wie ist es möglich, dass all dieser Aufwand mit nur zehn Dollar beglichen wird? Ganz einfach: Es ist nicht möglich. Hätte ich diesen Mikrowellenherd genommen, dann hätte ich ihn wohl gekauft, also rechtmäßig erworben, aber nicht bezahlt. Ein besonders hervorstechender Zug des gegenwärtigen Wirtschaftssystems ist, dass diejenigen, die am meisten Gewinn daraus erzielen und von den billigen Waren profitieren, für ihr Glück nicht den vollen Preis bezahlen und dadurch Milliarden andere (vielleicht sogar Billionen andere, rechnet man künftige Generationen mit ein) die Zeche zahlen lassen.
Es liegt nahe, diese Kosten als versteckt zu bezeichnen. Aber sind sie das denn? Sie sind nicht so offensichtlich, als würde unser Haus brennen, aber sichtbar sind sie sehr wohl – wir merken sie an unseren Steuern, an den verschmutzten Meeren, am Klimawandel und an den Gesichtern derjenigen, die täglich mit Hunger, Krankheit und Krieg dafür bezahlen. Ein Bericht der Vereinten Nationen schätzte kürzlich, dass die dreitausend größten börsennotierten Unternehmen der Welt uns allein im Jahr 2008 Umweltschäden in Höhe von 2,2 Billionen US-Dollar aufgehalst haben.1 Und das sind eben »nur« die Umweltschäden; dazu kommen noch die Kosten des schlechten Gesundheitszustands der Bevölkerung, der ungerechten Arbeitsbedingungen und der Niedriglöhne. Wir sollten nicht vergessen, dass Arbeiter im Niedriglohnsektor Europas und Nordamerikas, die von ihren Arbeitgebern nicht gerecht entlohnt werden, oft staatliche Unterstützung erhalten, und raten Sie mal, wer für die aufkommt.
Der Verbraucher verschwendet an diese Kosten keine großen Gedanken – jedenfalls nicht genug, als dass sie ihn vom nächsten Schnäppchenkauf abhalten würden. Ich bezweifle, dass irgendein Kunde, der die Mikrowelle für zehn Dollar bei Walmart gekauft hat, an der Kasse gedacht hat: »Eigentlich müsste ich mehr dafür bezahlen« (einfach einen höheren Preis zu bezahlen, würde ja nicht einmal garantieren, dass irgendjemand anderes als der Einzelhandelsriese mehr Profit macht). Als Sozialpsychologe bin ich sehr daran interessiert, warum das eigentlich so ist. Wir können vielleicht nicht genau auflisten, was uns der ökologische Fußabdruck der dreitausend weltgrößten börsennotierten Unternehmen kostet, aber wir wissen – jeder weiß –, dass es diese Kosten gibt.
Ich halte Vorträge über die Kosten der Billigwaren. In letzter Zeit habe ich angefangen, meine Vorträge mit einem »Quiz« aus drei Fragen zu eröffnen, um einen lebhafteren Einstieg zu erzielen:
  • Glauben Sie daran, dass sich der Markt am besten selbst reguliert?
    Dann sind Sie möglicherweise Sozialist.
  • Glauben Sie, die gegenwärtige Wirtschaft handelt richtig?
    Dann sind Sie möglicherweise Sozialist.
  • Messen Sie den »Erfolg« am Markt daran, wie billig ein Wirtschaftssystem Waren produzieren kann?
    Dann sind Sie möglicherweise Sozialist.
Der Gebrauch des Begriffs »Sozialist«, besonders in den USA, befremdet mich schon lange. Soweit ich es überblicke, bezeichnet er jemanden, der für eine Umverteilung des Volksvermögens eintritt, um den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen. In diesem Szenario werden die Gewinne eines Wirtschaftssystems in verschiedenem Umfang breiter in der Gesellschaft verteilt, also sozialisiert. Man kann aber nicht nur Gewinne sozialisieren, sondern auch Kosten. Die Befürworter des gegenwärtigen Wirtschaftssystems sind schnell bereit, ihre Gegner als Sozialisten zu denunzieren, machen sich aber nicht klar, dass auch sie in diesem Sinne Sozialisten sind. Sie wollen nämlich die Gesellschaft für die Kosten des Wirtschaftssystems zahlen lassen, aber die Gewinne einigen wenigen vorbehalten. Auch das ist eine Art Sozialismus, aber natürlich, so behaupte ich, ein um vieles perfiderer, ungerechterer und kurzsichtigerer als der Sozialismus ihrer Gegenspieler. Und diese perfide Art des Sozialismus, der die Kosten sozialisiert, meine ich, wenn ich von Cheaponomics spreche.
Das vorliegende Buch steht dem Raubtierkapitalismus kritisch gegenüber, der heute die Welt beherrscht und gewöhnlich »Neoliberalismus« genannt wird, bezieht aber keine bestimmte politische Position. Ich vertrete in meiner Argumentation vielmehr einen überparteilichen Ansatz und wende mich sowohl an das linke wie auch das rechte politische Lager. Das wird einigen Lesern vielleicht verdächtig vorkommen, denn eine Kritik des wirtschaftlichen Status quo kommt traditionell eher von liberaler und linker Seite. Ich glaube aber, dass auch Konservative letztlich über die Billigwarenwirtschaft entsetzt sein werden, wenn man ihnen die ungeheuren Kosten vor Augen führt. Das sind nicht nur Kosten, für die wir als Steuerzahler und Bürger aufkommen müssen, sondern auch solche, die wir kommenden Generationen aufbürden. Die Vertreter des rechten Lagers wettern so oft dagegen, dass wir unsere Nachkommen mit unverantwortlicher Staatsverschuldung zum Bankrott verdammen, dass ich annehme, sie reagieren auch auf andere Formen der »Verschuldung zukünftiger Generationen« ebenso heftig. Meinen Angehörigen und Bekannten, die sich als Konservative bezeichnen und erklären, dass ihnen noch nie eine Steuer unter die Augen gekommen sei, die sie gerne gezahlt hätten [Anmerkung d. Übers.: Im Zweiparteiensystem der USA gelten die Republikaner als Steuersenkungs- und Deregulierungspartei, während die Demokraten für eine höhere Staatsquote mit mehr Steuern und mehr gesetzlichen Regelungen für die Wirtschaft eintreten], sage ich immer: »Wenn man die Kosten sozialisiert, führt das automatisch zu höheren Steuern, entweder für heutige Steuerzahler und/oder künftige Generationen, denn irgendjemand muss am Ende bezahlen.« Konservative aufgepasst: Cheaponomics ist das genaue Gegenteil steuerpolitischen (oder überhaupt irgendeines) Verantwortungsbewusstseins, denn sie ruiniert kommende Generationen durch hohe Steuern, ruiniert den Wohlstand der Bürger, ruiniert unsere Umwelt, ruiniert unser Gemeinschaftsleben und bewirkt zunehmende Ungleichheit unter den Menschen.
Wir haben uns schon vor langer Zeit auf eine wirtschaftliche Strategie eingelassen, die auf der ständigen Senkung von Produktionskosten beruht. In einem früheren Buch, Reclaiming Food Security (etwa »Zurück zu sicherer Nahrungsmittelversorgung«), führe ich aus, wie diese im Großbritannien des...


Michael Carolan ist Professor für Soziologie an der Colorado State University. Er beschäftigt sich mit den negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen niedriger Preise. Sein persönlicher Albtraum des Billigwahns ist der US-Riese Walmart, wo er immer wieder 'bizarres Anschauungsmaterial' für seine Vorlesungen entdeckt.



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