Cast Die Zeitengängerin
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95649-408-6
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-95649-408-6
Verlag: MIRA Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Komm zu mir ...' Mit pochendem Herzen erwacht Alexandra aus einem Traum. Der tiefe Wald, in dem sie sich befand, der Mann, der sie gerufen hat - das war erschreckend real! Ihr ist, als müsse sie seinem Ruf folgen. Und dann hat sie dieses schlangenhafte S gesehen, wie ein magisches Zeichen einer vergangenen Gottheit. Was hat das zu bedeuten? Das erfährt Alex, als sie auf die Militärbasis in Tulsa zu einem geheimen Auftrag bestellt wird: Sie soll in der Zeit zurückreisen, nach Briton, 60 Jahre vor Christi Geburt. Wo sie das Amulett der Kriegskönigin Boudica finden muss. Und wo der keltische Druidenkrieger Caradoc auf eine Frau wartet, die ihm bestimmt ist - auf Alexandra.
P.C. Cast ist in Illinois geboren und pendelte während ihrer Jugend oft nach Oklahoma. Dort hat sie ihre Liebe für Quarter Horses und Mythologie entdeckt. Im Gegensatz zu anderen Kindern konnte sie zuerst reiten und lernte danach das Gehen. Später las sie jedes Buch, das sie in die Hände bekommen hat, bis ihr Vater der Zehnjährigen den Herr der Ringe geschenkt hat. Nach Tolkiens Meisterwerk hat sie Anne McCafferys Pern-Romane für sich entdeckt, und damit war ihre Leidenschaft für Fantasy vollends entbrannt.
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1. KAPITEL
Die tote Frau seufzte. Ihre Stimme war von einer unbestimmten Sehnsucht erfüllt und klang mehr als nur ein wenig sentimental. Es ist wunderschön hier, nicht wahr? Dieses offene, weite Land hat so etwas Friedliches.
„Du bist tot, Andred. Ist es für dich nicht überall friedlich?“, erwiderte Alex und sah die halb durchscheinende Gestalt, die neben ihr an einen niedrigen Holzzaun lehnte, mit einer erhobenen Augenbraue an.
Nimm doch nicht alles so wörtlich. Ich bin mir sicher, du weißt sehr gut: Nur weil jemand tot ist, bedeutet das nicht automatisch, dass er seinen Frieden gefunden hat. Der Geist machte eine Pause und warf Alex einen wissenden Seitenblick zu. Deine Furcht davor, diesen Ort zu verlassen, ist irrational, das ist dir doch bewusst.
Alex runzelte die Stirn. Als sie im Alter von sechs Jahren angefangen hatte, Geister zu sehen, waren ihr nur zwei Dinge seltsamer vorgekommen als dieser Umstand an sich: die unglaubliche Neugier der Toten, mit der sie ihre Nasen in alles steckten, was sie nichts anging, und ihre unglaubliche Großzügigkeit, wenn es darum ging, gute Ratschläge zu verteilen. Als hätte das Sterben bei vielen Menschen nicht nur den Tod, sondern auch die Verwandlung in tratschsüchtige Talkshow-Gastgeber zur Folge.
„Hör zu, ich fürchte mich nicht davor, von hier wegzugehen. Ich will es bloß nicht. Du hast selbst gesagt, wie friedlich es ist, und du hast recht. Ich liebe Oklahoma und die Prärie, und außerdem habe ich einen sehr guten Job hier, also warum sollte ich irgendwo anders hinwollen?“
Es ist ein großer Unterschied, ob jemand an einem Ort leben möchte, weil er ihm gefällt, oder man nur dort bleibt, weil der Rest der Welt da draußen einem Angst macht.
„Bist du eigentlich taub? Ich dachte, ich hätte gerade gesagt, dass es nichts mit Angst zu tun. Bin ich etwa nicht in Flagstaff gewesen, und zwar für ganze drei Tage?“
Ja, und du hast jede Sekunde dieses kleinen Ausflugs gehasst. „Quatsch. Ich habe mich gefreut, Tessa wiederzusehen.“
Und jetzt mache ich mir erst recht höllische Sorgen um sie. Alex schloss für einen Moment die Augen und sah wieder den dichten Rauch vor sich. Sie konnte förmlich den beißenden Gestank riechen, als Computer und Monitore in der enormen Hitze des Feuers einfach geschmolzen und nichts als verkohlte Klumpen aus Metall und Plastik übrig geblieben waren. Professor Carswell hatte ihr versichert, dass Tessa bestimmt nichts geschehen sei, aber angesichts des schrecklichen Unfalls, den Alex schließlich selbst miterlebt hatte, fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, wie ihre Freundin das Inferno überlebt haben sollte. Aber nichts von alldem hat diesen neugierigen Geist zu interessieren, es ist allein meine Sache.
Seit deiner Rückkehr bist du kein einziges Mal in die Stadt gefahren. Stattdessen drückst du Sam deine Einkaufsliste in die Hand, nur damit du um Himmels willen keinen Schritt über die Grenze zur Zivilisation machen musst. Alexandra, wenn jemand so weit geht, sich von einem Ranchangestellten Tampons besorgen zu lassen, dann ist er auf dem besten Weg, zum Einsiedler zu werden.
„Aha, und was ist mit dir? Wieso geisterst du immer noch hier in der Gegend rum? Ausgerechnet du fühlst dich berufen, mir zu erzählen, ich würde mich hier verkriechen. Da nennt ja wohl ein Esel den anderen Langohr.“ Alex musterte demonstrativ die altertümliche Kleidung von Andred, der kaum mehr als eine bunte Leinentunika und ein Paar Ledersandalen trug. „Was ist das eigentlich für ein Name? Andred? Wann genau bist du noch mal gestorben?“
Der Name Andred ist sehr alt, woran sich unschwer erkennen lässt, dass ich bereits seit geraumer Zeit hier bin.
„Wer hätte das gedacht. Irgendwas sagt mir, dass du bereits seit geraumer Zeit weitergezogen sein solltest.“
Der Geist der jungen Frau zuckte mit den Schultern. Oh, das werde ich. Wenn mir der Sinn danach steht. Ich hab’s nicht eilig.
„Siehst du, da sind wir schon zwei“, sagte Alex schnippisch.
Andred wandte ihr das Gesicht zu. Ihr Blick war traurig. Bis auf einen kleinen Unterschied, Alex. Ich gehöre nicht mehr zu den Lebenden, wie du sehr wohl weißt. Die Welt dort draußen hat mir nichts zu bieten. Du dagegen bist lebendig, für dich sind die Dinge um dich herum real, doch du weigerst dich zu leben, und deshalb versteckst du dich in der Weite der Prärie, wo du allein sein kannst.
Alex bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. „Du weißt nicht, wie das ist. Ihr Geister, ihr erdrückt mich. In Flagstaff wimmelte es nur so von euch … Hunderte, an jeder Ecke. Ich konnte nicht schlafen, nicht denken. Hier ist es nicht so schlimm.“
Andred schüttelte den Kopf. Es hat nichts damit zu tun, wo du bist, Alex. Das Problem liegt bei dir.
„So ein Schwachsinn!“
Ja? Du warst früher anders, oder? Hast am Leben teilgenommen, bist unter Leute gegangen, Geister hin oder her. Was ist passiert?
„Ich nehme immer noch am Leben teil. Ich lebe und arbeite jetzt eben in der wunderschönen Hochgrasprärie von Oklahoma. Ich habe meinen Abschluss in Botanik, leite Wanderungen mit Touristen und bringe ihnen die Natur näher. Da bin ich ja wohl unter Leuten. Lebendigen Leuten. Und mein Bedarf an Gesprächen mit Toten ist für heute gedeckt, vielen Dank.“
Alex stieg über den Zaun und stapfte ohne eine weiteres Wort auf das Gebäude zu, in dem sich die Privaträume der Parkangestellten befanden, ging geradewegs in das kleine Zimmer, das sie ihr Zuhause nannte, und musste sich sehr beherrschen, um nicht die Tür hinter sich zuzuknallen.
„Geister! Diese verdammten Besserwisser. Aufdringliches Pack“, brummelte sie, während sie den schicken Weinkühlschrank ansteuerte, in dem stets mehrere Flaschen ihrer Lieblingssorten lagerten. Sie überlegte einen Moment, entschied sich dann für den Rotwein, den sie zurzeit besonders gern mochte, Kerkertropfen, und ignorierte bewusst die Ironie des Namens. „Ich lebe!“, sagte sie, vielleicht eine Spur zu nachdrücklich, entkorkte die Flasche und schnupperte genüsslich daran. „Ich habe nur beschlossen, mich an einem Ort aufzuhalten, wo ich nicht langsam, aber sicher von gewissen ‚Personen‘ in den Wahnsinn getrieben werde.“ Während sie den Wein atmen ließ, zog sie Jeans und Sweatshirt aus und schlüpfte stattdessen in ihre bequeme gestreifte Seidenpyjamahose und das passende Oberteil. Dabei sah sie sich selbst flüchtig im Spiegel, der an der Außenseite ihrer Kleiderschranktür angebracht war, und hielt inne, um ihre widerspenstigen Haare glatt zu streichen. Manchmal konnte man glauben, ihre Stimmung würde sich direkt auf ihre Haarwurzeln übertragen, was dann dazu führte, dass die dicke rotblonde Pracht sich aufplusterte und wie eine Löwenmähne aussah.
„Du solltest dieses Gestrüpp wirklich mal schneiden“, ermahnte Alex ihr Spiegelbild, doch es war nur so dahingesagt. Irgendwann in ferner Zukunft wäre eine ordentliche Frisur vielleicht einen Versuch wert, um etwas jünger zu erscheinen oder so, aber nicht mit knapp fünfunddreißig. Ach was, wahrscheinlich würde sie ihre Haare noch mit hundert wachsen lassen! Die alte verrückte Schachtel mit den langen Zotteln, die ihr bis zum Hintern reichen. Das wäre doch lustig. Zumindest hätten die Geister dann ein vergleichsweise harmloses Thema, über das sie sich die Mäuler zerreißen konnten. „Schenk dir einfach ein schönes Glas Wein ein und halte dich von Scheren und anderen scharfen Gegenständen fern“, sagte sie zu sich selbst.
Alex hatte sich gerade gemütlich ins Bett gekuschelt – mit dem Weinglas in der Hand und einem dicken Exemplar von Diana Gabaldons Feuer und Stein auf dem Schoß, das sie zum dritten Mal in zehn Jahren las –, da klingelte ihr Handy. Verärgert über die Störung schaute sie auf das Display, überzeugt, es könnte nur ihre Mutter sein, die ihren monatlichen Höflichkeitsanruf hinter sich bringen wollte, den Alex jetzt unhöflicherweise nicht entgegennehmen würde. Doch sobald sie die Nummer des Anrufers sah, setzte sie sich hastig auf und nahm das Gespräch an.
„Tessa, bist du’s? Geht’s dir gut?“
„Ja, Alex. Wie schön, deine Stimme zu hören! Ich habe dir so viel zu erzählen, du wirst nicht glauben, was alles passiert ist. Mann, das nenne ich einen abgefahrenen Trip.“
„Geht’s dir gut?“, wiederholte Alex ungeduldig. „Kurz nachdem du weg warst, ist dieses Feuer ausgebrochen und …“
„Hey, nicht über eine ungesicherte Leitung“, erinnerte Tessa sie schnell. „Aber mach dir keine Sorgen, ich bin okay.“ Alex glaubte für einen Moment, im Hintergrund eine tiefe männliche Stimme zu hören, gefolgt von Tessas Kichern. „Na ja, eigentlich sogar mehr als nur okay.“ Dann wurde sie wieder ernst. „Oh, du solltest wissen, dass wir nicht …“
„Tessa, wir müssen reden.“ Jetzt war es an Alex, ihre Freundin zu unterbrechen. „Du hast mir einen Riesenschrecken eingejagt. Ich dachte, du bist mausetot. Und der idiotische Professor hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als mir irgendwas zu erzählen, ganz zu schweigen von General ‚Stock im Arsch‘. Gott, bin ich froh, mich nicht mehr mit dieser Militärmentalität rumschlagen zu müssen“, stieß sie hervor. „Scheinheiligkeit hoch zehn. Wie auch immer, wann können wir uns treffen? Ich will Details hören.“
„Es wird uns eine Freude sein, Sie über sämtliche Einzelheiten in Kenntnis zu setzen, Sergeant. Morgen geht ein direkter Flug von Tulsa nach Phoenix. Ich schicke gern einen...