Cesco | Der englische Liebhaber | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 360 Seiten

Cesco Der englische Liebhaber


1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95890-247-3
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

ISBN: 978-3-95890-247-3
Verlag: Europa Verlage
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Münster, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Stadt ist zerstört, es ist Winter, die Menschen kämpfen um ihre Existenz. Die junge Anna hält ihre Familie mit einer Stelle als Dolmetscherin bei der britischen Besatzungsmacht über Wasser. Als sie eines Tages mit Fieber bei der Arbeit erscheint, bietet ihr der englische Captain Jeremy an, sie nach Hause zu bringen – es ist der Beginn einer leidenschaftlichen Liaison, die im Nachkriegsdeutschland verpönt ist, denn mit dem Feind lässt man sich nicht ein. Doch als Anna schwanger wird, ist Captain Jeremy verschwunden, und die Engländer verweigern ihr jede Auskunft. Vierzig Jahre später findet Annas Tochter Charlotte Tagebuchaufzeichnungen und alte Tonbandaufnahmen – und sie macht sich daran, das Geheimnis der großen verbotenen Liebe von Anna und Jeremy zu lüften. Warum verschwand er eines Tages spurlos aus Annas Leben, obwohl sie seine große Liebe war? Was ist das Geheimnis des charismatischen und so undurchschaubaren Mannes, der ihr Vater ist? Und was ist der Grund für Annas Selbstmordversuch Jahrzehnte später? Je mehr Charlotte in die Geschichte ihrer Familie eintaucht, desto lebendiger wird für sie – und die Leser – auch die deutsche Nachkriegszeit, als die europäischen Völker einander als Feinde galten und in vielen Familien das Gespenst des Nationalsozialismus noch lebendig war.

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1. KAPITEL
Der Anruf kam mitten während der Party, als Charlotte mit ein paar Leuten von der Filmcrew bei sich zu Hause das Ende der Dreharbeiten zu »Blut auf dem Teller« feierte, einem Dokumentarfilm über einen Schlachthof. Charlotte provozierte gerne, aber die Dreharbeiten waren strapaziös gewesen, und letzten Endes waren alle froh, dass sie es hinter sich hatten. Jetzt musste der Film noch geschnitten und vertont werden, dann war er endgültig fertig. Blieb nur noch zu hoffen, dass er etwas Geld einbrachte. Jedenfalls waren jetzt alle wieder in Berlin, tranken Bier und tanzten, während »The Time of my Life« in voller Lautstärke durch die offenen Fenster schallte. Charlotte hatte das Telefon nicht gehört. Stefan kam leicht schwankend zu ihr, den Apparat in der einen, den Hörer in der anderen Hand. »Für dich.« Charlotte drückte den Hörer an ihr Ohr und verstand mühsam die Worte. Eine Schwester Soundso rief aus dem Pflegeheim in Münster an und entschuldigte sich für die späte Störung. »Ihrer Mutter geht es nicht gut, sie möchte Sie sehen.« Charlotte unterdrückte die Frage: Ist es dringend? Krebs wächst langsam und beständig, ein unaufhaltsames Abbröckeln des Lebens, bis sich alles beschleunigt und unversehens das Ende kommt. Charlotte war längst darauf gefasst. »Wir wissen nicht, wie lange sie noch ansprechbar ist«, sagte die Schwester. Charlotte seufzte. »Danke, dass Sie mich benachrichtigt haben. Ich komme, so schnell ich kann.« Sie legte den Hörer auf. Stefan blickte sie fragend an. »Ich muss nach Münster«, sagte Charlotte. »Deine Mutter?« Charlotte nickte. »Sie wollte nie, dass ich sie im Heim besuche. Auch nicht, seit sie die Diagnose hat. Wenn sie mich jetzt zu sich bestellt, sieht es wirklich mies für sie aus.« Sie blickte auf die Uhr und seufzte. Halb eins. »Ich glaube, ich gehe ins Bett, sonst merken die Schwestern, dass ich bekifft bin.« Charlotte stieg am nächsten Morgen um sieben in den Zug, döste vor sich hin und dachte an die Mutter. Wann hatten sie sich zum letzten Mal gesehen? Das musste vor etwa zwei Jahren gewesen sein. Sie sahen einander nur selten. Ihre Beziehung zeichnete sich nicht durch besondere Herzlichkeit und Nähe aus. Gelegentlich telefonierten sie miteinander, dann erzählte Charlotte ein bisschen von ihrer Arbeit als Filmerin und ihrem Leben in Berlin. Das interessierte die alte Frau. Die Mutter hörte zu, sprach jedoch wenig. Was außer vom Fortgang ihrer Erkrankung hatte sie selbst schon zu erzählen? Auch als sie noch gesund gewesen war und noch zu Hause gewohnt hatte, war nichts Besonderes in ihrem Leben geschehen, aber sie hatte es ja nicht anders gewollt. Anna Teresia Henke war am liebsten in ihren Möbeln, bei ihren Sachen gewesen. Sie hatte sich an einen festen Stundenplan gehalten: viermal täglich raus, mit Tina. Der Park hatte ja gleich um die Ecke gelegen. Und dazwischen hatte es genug im Haushalt zu tun gegeben oder im Fernsehen zu betrachten. Der Tumor hatte sich mit ersten Symptomen bemerkbar gemacht, sie hatte Bauchschmerzen, schlechte Verdauung und keinen Appetit gehabt. Aber sie hatte es zunächst auf die leichte Schulter genommen, war noch nicht zum Arzt gegangen. Immer nur müde? Keine Lust auf nichts? Ein Mangel an Vitaminen, an Eisen oder an was sonst noch was. Sie würde schon wieder auf die Beine kommen! Anna war nie nachlässig gekleidet, nie nachlässig frisiert gewesen. Ihre Haut war blass und zerknittert, und die altmodische Brille hatte getönte Gläser, sodass Charlotte sich nicht an ihre Augenfarbe erinnern konnte. Braun? Grün? Annas Besonderheit war, dass sie immer Lippenstift trug, sogar wenn sie im Bett lag. Und stets das gleiche leuchtende Korallenrot. Früher war sie unterhaltsam und witzig gewesen, in letzter Zeit kaum noch. Und ihr schroffer Humor war nicht immer leicht verdaulich. Schön an ihr war ihr helles, jugendliches Lachen, das zwar selten kam, aber sehr herzlich war. Von Natur aus war sie aufgeschlossen für alles Neue und niemals voreingenommen. Aber mit den Jahren hatte sie sich immer mehr von der Welt zurückgezogen. »Reisen? Ich lasse meinen Hund nicht allein. Yoga? In meinem Alter krieche ich nicht mehr auf dem Boden herum! Kaffeeklatsch mit Freundinnen? Immer das gleiche Blabla!« Charlotte hatte dabei den Eindruck, dass sie sich verstellte, dass bei ihr Sprechen und Handeln, Fühlen und Wahrnehmen verschiedene Wege gingen. Man kam nicht an sie heran. Anna hatte immer einen Hund gehabt, immer schwarzgrau, und immer ein Terrier. Ihr letzter hieß Tina. Vor drei Monaten hatte sie ihn einschläfern lassen müssen. Seitdem ging es mit ihr rapide bergab. Was hielt sie noch am Leben? Sie hatte ja längst die Diagnose. Anna war nie verheiratet gewesen. Charlotte wurde 1947, knapp nach Kriegsende, geboren und war – wie man damals naserümpfend sagte – ein uneheliches Kind. Dazu kam, dass ihr Vater ein englischer Offizier war, ein Angehöriger der Besatzungsmacht. Das hatte sich natürlich herumgesprochen. Für Charlotte kein guter Start ins Leben. Sie hatte intensiv darunter gelitten. Seit frühester Kindheit musste sie vieles einstecken, und es hatte sie nachhaltig geprägt. Und der Vater selbst? Attraktiver Typ, sympathisch, aber undurchschaubar, keineswegs die Sorte Mann, den Charlotte sich in Bezug auf ihre Mutter vorgestellt hatte. Jeremy Fraser hatte zweifellos Klasse, gesellschaftlich jedenfalls, aber Charlotte wusste nicht, ob sie ihn ablehnen oder akzeptieren sollte. Er hatte gut deutsch gesprochen. Und er musste etwas in ihr berührt haben. Denn als er nicht mehr lebte, hatte sie eine Zeit lang einen stets wiederkehrenden Traum: Ihr Vater hatte einen kleinen Koffer in der Hand und stieg in einen Zug. Der Hintergrund war beleuchtet, der Zug rauchig und schwarz. Charlotte wollte zu ihm, bewegte hektisch die Beine, kam aber nie vom Fleck. Und die Lokomotive pfiff, Charlotte hatte das schrille Pfeifen noch in den Ohren. Und dann fuhr der Zug ab und entfernte sich. Ein mustergültiges Traumerlebnis, sagte Charlotte zu sich, ein Fressen für C.G. Jung. Aber dahinter war nichts Gutes, da war ein seelischer Knacks. Charlotte hatte nie den Mund gehalten. Solange sie denken konnte, hatte sie ihrer Mutter Fragen gestellt. Viel war dabei nie herausgekommen. Anna hatte kaum die Möglichkeit eines Austausches zugelassen, geschweige denn eines aufklärenden Gespräches. Der englische Vater war einfach weg, in die Vergangenheit abgerutscht. In Annas Wohnung hatte es nicht einmal ein Foto gegeben. Aber Charlotte hatte stets das Gefühl gehabt, als blicke die Mutter ständig nach einem Bild, das nicht auf der Kommode stand oder an der Wand hing, sondern sich nur in ihrer Erinnerung zeigte. Im Laufe der Jahre hatte sie den Eindruck gewonnen, dass Anna sich weigerte, die Vergangenheit mit ihrer Tochter zu teilen. Nach dem Motto: Die Vergangenheit gehört mir, und du hast gefälligst draußen zu bleiben. Aber du kannst sagen, was du willst, ich gehöre dazu, dachte Charlotte. Zu deiner Vergangenheit, zu deiner Geschichte. Aber sie wurde nie mit einbezogen. Der Zug – der wahrhaftige Zug, nicht der Traumzug – traf mit erträglicher Verspätung in Münster ein. Es regnete in Strömen. Ein trister Sonntag im April 1988. Von der Omi kannte Charlotte ein Sprichwort: »In Münster regnet es, oder es läuten die Glocken. Wenn beides zusammentrifft, ist Sonntag.« Charlotte hätte an das Sprichwort denken sollen. Sie hatte keinen Schirm dabei, und alle Geschäfte waren zu. Sie zog ihre Kapuze über den Kopf und wartete übel gelaunt auf den Bus. Münster war eine erzkatholische Stadt, das Pflegeheim wurde von Diakonissen geleitet. Sie trugen zwar immer noch ihre traditionellen weißen Hauben, aber ihre Kleider waren insgesamt etwas kürzer als in früheren Zeiten und dunkelblau statt schwarz. Eine Schwester Gertruda, pathologisch blass und berufsmäßig hilfreich, führte Charlotte in die dritte Etage. Im Aufzug seufzte sie abgrundtief. »Ihre Mutter ist dem Herrgott schon nahe.« Sie ließ den Satz bedeutungsvoll in der Schwebe. Sie gingen durch einen abscheulich langen Gang, die Schwester klopfte diskret an eine Tür, steckte den Kopf durch den Spalt und hauchte: »Frau Henke, Ihre Tochter ist da.« So nahe beim Herrgott war Anna nun auch wieder nicht. Sie saß in einen Morgenmantel gewickelt in einem Ohrensessel. Man hatte sie mit Kissen hochgestützt. Ihre Füße steckten in karierten Männerpantoffeln. Sie hatte eine Infusion am Arm und schien vor sich hin zu dösen. Charlotte räusperte sich. »Tag, Mutti. Darf ich hereinkommen?« Die alte Frau schreckte aus ihrem Dämmerzustand. »Ja, ja, komm nur!«, rief sie ziemlich laut, worauf sie einen Hustenanfall bekam. Ein Wasserglas stand neben ihr auf dem Nachttisch. Charlotte nahm...


Federica de Cesco wurde als Tochter eines italienischen Vaters und einer deutschen Mutter im norditalienischen Pordenone geboren und studierte Kunstgeschichte und Psychologie in Lüttich. Mit 15 schrieb sie ihr erstes Buch, den Jugendbestseller Der rote Seidenschal, dem über 50 Kinder- und Jugendbücher folgten, bis ihr mit Silbermuschel ein aufsehenerregendes Debüt in der Belletristik gelang. Weitere große und erfolgreiche Romane folgten. Heute lebt sie mit ihrem Mann, dem japanischen Fotografen Kazuyuki Kitamura, in der Schweiz.



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