E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Chen Von Jade und Drachen (Der Sturz des Drachen 1): Silkpunk-Fantasy mit höfischen Intrigen – Mulan trifft auf Iron Widow
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98666-664-4
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
ISBN: 978-3-98666-664-4
Verlag: Cross Cult Entertainment
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Silkpunk-Fantasy-Roman über ein Mädchen, das sich als Junge verkleiden und an den berühmten und gefährlichen Prüfungen der Ingenieursgilde teilnehmen muss, um den Mord an ihrem Vater aufzuklären: "Mulan" trifft auf "Iron Widow – Rache im Herzen".
Die achtzehnjährige Aihui Ying träumt davon, genau wie ihr geliebter Vater eine brillante Ingenieurin zu werden – doch ihr Leben gerät aus den Fugen, als sie einen Moment zu spät kommt, um den Mord an ihrem Vater zu verhindern, und, was noch schlimmer ist, den Mörder entkommen lässt. Ihr bleiben bloß ein Tagebuch, das seine größten Geheimnisse als Ingenieur enthält, und ein Jade-Anhänger, den sie dem Mörder entrissen hat … und so nimmt Ying die Rache in die eigene Hand.
Als ihr eigener Bruder verkleidet, macht sich Ying auf den Weg in die Hauptstadt und entdeckt, dass die Antwort auf die Frage, wer ihren Vater getötet hat, hinter den Mauern der angesehenen Ingenieursgilde auf sie wartet. Dort ruht eine Vergangenheit, über die ihr Vater nie sprechen wollte. Mit der Hilfe eines ungewöhnlichen Verbündeten – Aogiya Ye-yang, einem wortkargen, aber sehr attraktiven jungen Prinzen – bewegt sich Ying in einer Welt, die sie kaum versteht.
Um zu überleben, muss sie allen stets einen Schritt voraus sein. Ying ist vor die Wahl gestellt, das Richtige oder das Notwendige zu tun. Wenn sie ihre Rache vollziehen will, muss sie möglicherweise gegen alles verstoßen, wofür ihr Vater stand …
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KAPITEL 2
Eine Woche später stand Ying am Grab ihrer Eltern am Rand einer steilen Klippe, die über den Gezeiten aufragte. Ihr langes Haar wehte im Wind und die türkisen Perlen ihres Kopfschmucks klirrten wie ein sanfter Regenschauer. Sie starrte auf das Miniatur-Ger, das ihre letzte Ruhestätte markierte. Eine antaranische Tradition, um sicherzustellen, dass die Verstobenen im Jenseits ein gemütliches Heim hatten. Ihr Vater hatte es selbst angefertigt, als ihre Mutter gestorben war. Damals war Ying erst acht gewesen. Nun war das winzige Zelt auch sein Zuhause. Mit einem Seufzen ging Ying zum Rand der Klippe. Der Ozean schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken. Sie konnte nicht einmal die Spitze der nächsten Insel, Kamar, ausmachen. »Du schuldest mir noch so viele Geschichten«, flüsterte sie dem Wind zu, in der Hoffnung, dass er ihre Worte zu ihrem Vater tragen würde. In seiner Jugend war ihr Vater übers Meer zur sagenumwobenen Hauptstadt Fei mit ihren in den Himmel ragenden Pagoden und schimmernden Schindeldächern gereist, wo er einen Platz unter den größten Ingenieuren erhalten hatte. Aber er hatte nie darüber gesprochen. Stattdessen war Trauer in seinen Augen aufgeblitzt, wann immer jemand die Hauptstadt erwähnt hatte, und Ying hatte gewusst, dass es Schatten in den Erinnerungen ihres Vaters gab, die zu schmerzhaft waren, um daran zu rütteln. Und nun hatte sich auch auf sie ein Schatten gelegt. »Das Meer kann niemanden festhalten, der zum Fliegen bestimmt ist«, hatte ihr Vater ihr immer gesagt. Also hatte sie sich in die Lüfte erhoben, aber er würde keine Gelegenheit mehr bekommen, es zu sehen. Ying kletterte auf einen großen Felsen, zog ihren Klappfächer aus dem Ärmel und fuhr mit den Fingern über die Kante, die vom Blut ihres Vaters befleckt worden war. Es war bereits von Rot zu Rostbraun verblasst. An jenem Tag, als sie ihn erfunden hatte, war sie in die Werkstatt ihres Vaters gerannt und hatte aufgeregt mit der Skizze vor seinem Gesicht gewedelt. Es war ihr allererster Entwurf gewesen, der vollkommen ihren eigenen Vorstellungen entsprungen war. Sie hatte ihn ihrem großen Bruder Wen gezeigt, der hatte jedoch nur geschnaubt und ihn als Kinderzeichnung abgetan. Sie hatte ihn ihrer kleinen Schwester Nian gezeigt, die wiederum hatte nur gelächelt und war weiter um das Freudenfeuer getanzt, zu gebannt vom Rhythmus der Trommeln. Aber nicht ihr A-ma. Als sie ihn ihm gezeigt hatte, hatte er ihr liebevoll durchs Haar gewuschelt und sie für die gute Arbeit gelobt. Dann hatten sie sich eingeschlossen, um ihn gemeinsam zu bauen, und über der Werkbank gekauert, während sie Kanäle in die Bambusstreben des Fächers gebohrt hatten, die die Pfeile aufnehmen sollten. Die Dorfbewohner hatten ihren Vater oft kritisiert, weil er ihre Exzentrik gefördert hatte, aber Ying würde ihm ewig dankbar sein. Sie erwartete nicht, dass sie sie verstanden. Die Einzigen, die das je getan hatten, waren nun nicht mehr am Leben. Ying steckte den Fächer weg und zog zwei Gegenstände aus ihrem Lederbeutel – den schwarzen Jadeanhänger und das ledergebundene Buch, das Letzte, was ihr Vater ihr gegeben hatte. Sie hatte mit Wen und Nian darüber sprechen wollen, aber sie waren so mit den Vorbereitungen der Beerdigung beschäftigt gewesen, dass sie nicht dazu gekommen war. »Verbrenn es«, hatte ihr Vater gesagt. Aber warum? Was konnte schon darinstehen, das so gefährlich für ihren Clan wäre? Und was hatte es mit diesen mysteriösen Mächten auf sich, vor denen er sie gewarnt hatte? Mit den Fingerspitzen fuhr sie über die ausgefransten Kanten des Leders. Es waren eindeutige Indizien, dass ihr Vater dieses Buch Tag und Nacht bei sich getragen hatte. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Alle Bücher in der Werkstatt ihres Vaters waren im selben Zustand – lose Seiten, verblasste Tinte und gelegentliche Speichelflecken, wenn er wieder einmal beim Lesen darüber eingeschlafen war. »Wissen hält unser Volk am Leben«, hatte er einst gesagt, »und es gibt einem das Gefühl, wahrhaft lebendig zu sein.« Yings Hand schwebte zögernd über dem Einband. Die letzten Worte ihres Vaters, die sie vor dem warnten, was sie gleich tun würde, hallten in ihren Gedanken nach. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. Wenn er es hätte vernichten wollen, hätte er es selbst tun sollen. Es war zu viel von ihr verlangt, nicht einmal zu versuchen, herauszufinden, was genau ihrem Vater das Leben gekostet hatte. Was kann es schaden, ein Buch zu lesen? Vorsichtig schlug sie die erste Seite auf und hielt den Atem an. Die ordentliche Handschrift ihres Vaters kam zum Vorschein. Es sah aus wie eines seiner üblichen Notizbücher, die er so gewissenhaft über jede einzelne Idee, jedes Experiment und jedes verrückte Hirngespinst, das ihm je in den Sinn gekommen war, geführt hatte. Ying blätterte schnell durch die Seiten und runzelte beim Lesen die Stirn. Vieles war zu kompliziert, als dass sie es verstanden hätte. Und dann fand sie etwas Seltsames, eingeklemmt zwischen den Seiten – ein sorgsam gefaltetes Pergament. Es wirkte unauffällig, aber als sie es ausbreitete und die ordentlichen, geraden Linien der detaillierten Skizzen ihres Vaters und die winzigen Beschriftungen und Berechnungen, die jedes Teil erläuterten, begriff, erkannte sie schließlich die wahre Bedeutung seiner letzten Worte. Das erkannte sie. Kanonen und Schießpulver. Waffen. Boten des Todes und der Zerstörung. »›Kohle gemischt mit zu Pulver gemahlenem Shar-Stein und einer Kombination der folgenden getrockneten Kräuter‹«, las sie. Die Zutaten für Schießpulver. Und doch wirkte es nicht wie die übliche Formel, mit der sie vertraut war. Ihr Vater hatte Veränderungen vorgenommen und neue Elemente hinzugefügt. Und von einigen davon hatte sie noch nicht mal gehört. »Warum sollte man das in Schießpulver geben?«, murmelte sie mit dem Finger auf den Zeichen für »Ming-Roen-Erz«. Viele Legenden rankten sich auf den neun Inseln um das berüchtigte Ming-Roen-Erz, oder auch Teufelserz. Es war vor fast fünfzig Jahren von einer Gruppe Sträflingen entdeckt worden, die ihre Strafe in den Juwan-Minen ableisteten. Sie hatten nach einer Kaen-Gas-Quelle gegraben, dem äußerst wertvollen Treibgas, das die Luftschiffe des Ordens der Kobra in der Luft hielt. Doch stattdessen war eine der armen Seelen auf eine mysteriöse silberne Flüssigkeit gestoßen, die aus einem Riss in den unterirdischen Höhlen gesickert war. Gebannt von ihrem außerweltlichen Schimmern, hatte er die Hand danach ausgestreckt. Dann hatten seine Gefährten ihn schreien hören – ein qualvoller, schmerzerfüllter Schrei, der durch die Schächte gehallt war – und als sie ihn fanden, hatten widerliche blutende Blasen seinen gesamten Arm überzogen. Wäre der Vorarbeiter nicht so geistesgegenwärtig gewesen, ihm sofort den Arm abzuhacken, hätte der Tod sich seine Seele geholt. Die extrem ätzende Flüssigkeit des Ming-Roen-Erz hatte das Potenzial zu einer tödlichen Waffe, das Problem war nur, dass es selten war und seine zerstörerische Beschaffenheit es schwierig machte, es längere Zeit zu lagern. Die Meister der Ingenieursgilde suchten seit Jahren nach einer Lösung, jedoch ohne Erfolg. Ying verstand es nicht. Teufelserz konnte alles innerhalb von Minuten zerstören, es hatte also keinen ersichtlichen Nutzen. Warum sollte ihr Vater es mit Schießpulver mischen? Vielleicht beinhalteten die anderen verwirrenden Skizzen und Gleichungen in diesem Buch den Schlüssel, um dieses Rätsel zu lösen. Auch wenn sie nur wenig von dem, was ihr Vater gezeichnet hatte, entschlüsseln konnte, war Ying die Bedeutung seiner Arbeit klar. Die kleinen Erfindungen und Spielereien, die in seiner Werkstatt lagerten, waren unbedeutend im Vergleich zu dem, was in diesem Buch stand. Dies war ein Buch über Waffen – und selbst in diesem unfertigen Zustand konnte sie erkennen, welches vernichtende Potenzial sie bargen. Kriegswaffen waren der Schlüssel zur Macht. Musstest du deshalb sterben? Wegen der Machtgier eines anderen? Eine einzelne Träne rann über ihre Wange und landete auf der Skizze ihres Vaters, sodass die Linien verschwammen. »Nein!« Schnell wischte sie über die Stelle, da sie die womöglich letzte Arbeit ihres Vaters nicht ruinieren wollte. Dann bemerkte sie etwas Seltsames an der Stelle, an welcher der kleine feuchte Fleck das Pergament durchsichtig gemacht hatte. Ying drehte das Blatt um. Auf der anderen Seite stand eine Botschaft, aber es war nicht die Handschrift ihres Vaters. Vier Zeilen in einem...