Christian | Zukunft denken | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Christian Zukunft denken

Die nächsten 100, 1000 und 1 Milliarde Jahre
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-3087-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die nächsten 100, 1000 und 1 Milliarde Jahre

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8412-3087-4
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



What's next? Eine Geschichte von übermorgen.

Woher sollen wir wissen, was in den nächsten hundert, tausend oder sogar einer Milliarde Jahre geschieht? So paradox es klingt: aus einem Geschichtsbuch. David Christian, der Begründer der Big History, die Erkenntnisse von Geologie, Astronomie und Biologie synthetisiert, hat es geschrieben. Es ist ein Leitfaden dafür, wie wir uns die Welt des fortgeschrittenen Anthropozäns vorzustellen haben, aber auch das Ende von allem. Eine Bedienungsanleitung für die Zukunft und ein historischer Rahmen, mit dessen Hilfe wir klarer sehen - bei der Suche nach Lösungen für die Herausforderungen, vor denen wir als Spezies stehen: Klimawandel und Artensterben.

Bill Gates.



David Christian, geboren 1946, ist Gründer und wichtigster Vertreter der Big History, die zeigen will, dass Geschichte und Naturgeschichte zusammengehören. Christian betreibt das von Bill Gates finanzierte Big History Project, das in den USA und Australien College-Studenten gesamtgesellschaftliches Bewusstsein lehrt. Sein letztes Buch »Big History« erschien 2018 und stand an der Spitze der Sachbuchbestenlisten. »Zukunft denken« erscheint in vierzehn Ländern.
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Kapitel 1

Was ist die Zukunft?


Zeit als Fluss und Zeit als Landkarte

Wir sind in diese Welt gesetzt in ein großes Theater, wo uns die wahren Quellen und Ursachen jedes Ereignisses vollkommen verborgen bleiben. Wir sind weder weise genug, die Übel, die uns ständig belästigen, vorherzusehen, noch haben wir genügend Macht, ihnen vorzubeugen. In steter Ungewissheit schweben wir zwischen Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit, Überfluss und Mangel; Zustände, die durch geheime und unbekannte Ursachen unter der menschlichen Gattung verbreitet sind und deren Wirkung oft unerwartet, immer jedoch unerklärlich ist.

– David Hume, Die Naturgeschichte der Religion1

Was ist die Zukunft? Die Antwort sollte einfach sein. Schließlich leben wir in der Zeit. Ist die Zukunft dann nicht der Teil der Zeit, der noch nicht eingetreten ist?

Leider wird das Problem sehr rasch kompliziert, sobald man anfängt, genauer über diese Fragen nachzudenken. In der modernen Zukunftsforschung herrscht noch nicht einmal Einigkeit in der Frage, wie die Zukunft zu definieren sei. Dazu schreibt Jim Dator: »›Zeit‹ und ›die Zukunft‹ scheinen doch zwei der zentralsten Begriffe der Zukunftsforschung zu sein, tatsächlich aber wurde ›Zeit‹ kaum von den Begründern der Zukunftsforschung diskutiert und später selten problematisiert.«2

Kein Wunder! Über die Zukunft nachzudenken, kann mühsam und quälend sein. Die Philosophie der Zeit führt uns in einen gelehrten Dschungel voller schöner Ideen, metaphysischer Dickichte und philosophischen Krabbelgetiers. Ich werde versuchen, nicht allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Aber wir müssen uns weit genug hineinwagen, um zu erkennen, dass sich die Probleme wie Lianen um die Begriffe von Zeit und Zukunft schlingen.

Um die Zukunft zu verstehen, müssen wir die Zeit verstehen. Aber gibt es die Zeit überhaupt? Oder ist das Wort nur ein Name für eine Art Begriffsgespenst? Einige Vertreter der Geisteswissenschaften bevorzugen verschwommenere Wörter, wie etwa »Temporalitäten« (temporalities), was man wohl als »Erfahrungen zeitlicher Veränderung« übersetzen könnte.3 Selbst die moderne Wissenschaft liefert keine endgültigen Antworten. Es ist, als ob niemand lange genug lebte, um wirklich zu begreifen, was es mit der Zeit auf sich hat. Hector Berlioz soll gesagt haben: »Die Zeit ist eine großartige Lehrerin, doch leider tötet sie all ihre Schüler.«4 Wer sich zu tief auf die Frage einlässt, dem ergeht es leicht wie dem persischen Astronomen und Dichter Omar Khayyám. Er kommt sich vor wie ein Sufi-Tänzer, der sich im Kreis dreht.

Als ich jung war, lief ich eifrig zu Ärzten und Frommen

Vernahm großartige Ausführungen zu diesem und jenem:

Ging aber immerfort zur nämlichen Tür hinaus, durch die ich gekommen.5

In Miltons Das verlorene Paradies sind selbst die Jünger des Satans nicht in der Lage, sich einen Reim auf die Zeit zu machen.

() [Sie] saßen seitwärts

Auf einer Höh in süßerem Gespräch

()

Verhandeln dort, vertieft in hohes Sinnen,

Von Vorsehung, Voraussicht, Willen, Schicksal,

Verhängnis, freiem Willen, unbedingtem

Voraussehen, endlos sich im Gang verwirrend.6

Tief dachte Augustinus über die Zeit nach, als er Gottes Plan zu ergründen suchte. In dem wunderbaren Buch 11 seiner Bekenntnisse, einem grundlegenden Text zum Problem der Zeit, fragt Augustinus: »Denn was ist die Zeit? Wer vermöchte dies leicht und in Kürze auseinanderzusetzen?« Obwohl er ein gründlicher und scharfsinniger Denker war, schien sich das Problem immer seinem Zugriff zu entziehen. »Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht.« In seiner Verzweiflung bittet Augustinus Gott um Hilfe: »Meine Seele brennt vor Verlangen, diesen rätselhaften Knoten zu lösen. Verschließe nicht, o mein Gott und Herr, gütiger Vater, ich flehe dich an im Namen Jesu Christi, verschließe meinem Verlangen nicht dieses Alltägliche und doch so Geheimnisvolle.« Dazu der Philosoph Jenann Ismael: »So etwas wie zu viel Nachdenken gibt es nicht.«7

Zwei Betrachtungsweisen der Zeit


Das Problem der Zeit hat sie alle beschäftigt – Philosophen, Weise, Bauern, Schamanen, Theologen, Logiker, Anthropologen, Biologen, Mathematiker, Physiker, Glücksspieler, Propheten, Wissenschaftler, Statistiker, Dichter, Wahrsager und natürlich alle Menschen, die sich um die eigene Zukunft und die ihrer Liebsten sorgten. Moderne Philosophen unterscheiden zwischen zwei Betrachtungsweisen, die sich sehr unterschiedlich auf unser Verständnis der Zukunft auswirken.8 Beide zeichnen sich bereits in der antiken Philosophie ab. Heraklit (ca. 520 bis ca. 460 v. Chr.) meinte, die Welt befinde sich im ewigen Wandel. Daraus folge, dass sich die Zukunft von der Vergangenheit unterscheide. Dagegen dachte Parmenides, fast sein Zeitgenosse, Veränderung sei eine Illusion, mithin seien Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft weitgehend gleich. In vielen philosophischen und theologischen Lehren hat man sich mit der Beziehung zwischen Dauer und Veränderung auseinandergesetzt. Nach der alten indischen Textsammlung der Upanischaden gibt es »einen inneren Kern der Seele (Atman), unwandelbar und gleichbleibend inmitten eines äußeren Bereichs der Unbeständigkeit und des Wandels«. In vielen buddhistischen Überlieferungen heißt es jedoch: »Es gibt in den Dingen keinen inneren und unwandelbaren Kern; alles ist im Fluss.«9

Die Erste unserer beiden Metaphern folgt Heraklit. Für ihn ist die Zeit eine Art Fluss, der uns durch eine endlose Folge von Veränderungen trägt. Nach dieser Auffassung wird die Zukunft anders als die Vergangenheit sein und sich nur schwer vorhersehen lassen. Genauso erleben wir die Zeit üblicherweise in unserem Alltag. Daher empfinden die meisten von uns dieses Bild als vollkommen natürlich. Die Zeit ist also eine turbulente Abfolge von Hochs und Tiefs, Freude und Kummer, Geburt und Tod – eine Welt, die in einigen indischen Lehren als Samsara bezeichnet wird.

Von den Anhängern der Gegenseite wird behauptet, unser Empfinden von Fluss und Veränderung sei eine verführerische Illusion. Die »reale Zeit«, so der verstorbene Zeitforscher D. H. Mellor, fließe nicht.10 Sie ähnele eher einer Landkarte als einem Fluss. Diese Betrachtungsweise gleicht der göttlichen Perspektive, einem Blick von oben. Folglich sieht Veränderung nicht mehr wie etwas aus, das geschieht, sondern wie die Entfernung zwischen zwei Punkten auf einer Karte, so wie sie von einer zwischen ihnen krabbelnden Ameise erlebt wird. Unser Gefühl, die Zukunft unterscheide sich von der Vergangenheit, erwächst nach dieser Vorstellung aus unserer eigenen Bewegung und nicht aus dem vermeintlichen Fluss der Zeit. So gesehen, gibt es kaum einen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft, und in einem gewissen Sinne müsste die Zukunft vorhersehbar sein, weil sie bereits in der Karte verzeichnet ist. Die Idee, dass sich unter den oberflächlichen Veränderungen des Alltags eine Dauer verbirgt, könnte, wie ich in Kapitel 5 darlegen werde, einst das Denken der meisten Menschen bestimmt haben. Doch auch in unserer höchst veränderlichen Welt wird sie von Philosophen und Wissenschaftlern sehr ernst genommen, weil die Auffassung von der Zeit als Fluss logische Probleme aufwirft, mit denen wir uns an späterer Stelle in diesem Kapitel beschäftigen werden. ...



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