E-Book, Deutsch, Band 1, 368 Seiten
Reihe: Färöer Kommissar Revur und Kopenhagener Kommissarin Amalie
Christiansen Mord auf den Färöern - Der Kommissar und die Robbenfrau
2024
ISBN: 978-3-7349-3118-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 1, 368 Seiten
Reihe: Färöer Kommissar Revur und Kopenhagener Kommissarin Amalie
ISBN: 978-3-7349-3118-5
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Grausige Morde erschüttern die Färöer! Als ein Toter gefunden wird - grausam verstümmelt und bizarr drapiert - beginnt für Kommissar Revur ein Albtraum, aus dem es kein Erwachen gibt. Denn dies ist erst der Anfang einer Reihe von Morden, die nur eins gemeinsam haben: alle Opfer werden an nationalen Kultstätten platziert. Treibt ein Serienmörder sein Unwesen im Nordatlantik? Zu Revurs Unterstützung wird die Kopenhagener Kommissarin Amalie Vinther nach Tórshavn geschickt. Zusammen kommen sie Geheimnissen auf die Spur, die internationale Kreise ziehen …
Autoren/Hrsg.
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1
TÓRSHAVN Revur fiel ins Bett. Die Hiking-Tour war heftig gewesen. Nur er und sein Schwager. Sie waren erst an ihre Grenzen gegangen, dann, wie immer, ein Stück darüber hinaus. Im Anschluss zwei gemeinsame Biere, jeder, dann hatte er sich auf den Heimweg gemacht. Also noch einen halbstündigen Fußmarsch obendrauf. Revur hatte zwar frei, doch wollte er am nächsten Tag früh aufbrechen und seine Großeltern besuchen. Bei vier freien Tagen kam er nicht darum herum. Er stauchte das Kopfkissen zusammen, schob es unter seinen Kopf und drehte sich vom Fenster zur Wand. Die Straßenlaterne hatte einen Lichtfinger zwischen den Vorhängen hindurchgeschoben, er verharrte auf dem einzigen Bild an der Wand. Ein Foto seiner Schwester, aufgenommen bei ihrem letzten gemeinsamen Ausflug. Revur drehte sich zurück zum Fenster. Es war einen Spalt geöffnet, frische kühle Luft strömte herein. Das Foto seiner Schwester, gespenstisch aus der Dunkelheit gehoben, weckte Erinnerungen. Nach einigen Minuten wälzte er sich auf den Bauch. So ging es weiter, von links nach rechts und wieder auf den Bauch. Irgendwann musste er doch weggesackt sein, jedenfalls erwischte »Highway to Hell« ihn im Tiefschlaf. Er fuhr hoch, saß einen Moment lang orientierungslos im Bett, bis er endlich nach seinem Handy griff und mit halb geschlossenen Augen über den grünen Hörer wischte. Sekunden später war er hellwach. Revur fuhr sich übers Kinn. Die Bartstoppeln verursachten ein kratzendes Geräusch. Der Kollege aus der Notrufzentrale hatte seinen Bericht beendet. Jemand hatte den Notruf angerufen und etwas von der Rückkehr der Robbenfrau gefaselt. Der Mann war anscheinend völlig aufgelöst gewesen. Doch offenbar gab es eine Leiche auf Kalsoy. Genaues wussten sie noch nicht, nur, dass der Mann kein Einheimischer war. Revur hatte mit unbewegtem Gesicht zugehört. Der Kollege, der seine Kopfhörer noch unschlüssig in der Hand hielt, zuckte die Schultern. Es war allgemein bekannt, dass Touristen manchmal überschnappten, in einer Landschaft, die nicht von dieser, auf keinen Fall jedoch von ihrer Welt zu sein schien. Hinzu kam die Vielzahl grausamer Føroyingasaga, mit denen sie unweigerlich irgendwann konfrontiert wurden. Kein Wunder, dass bei dem einen oder anderen Urlauber gelegentlich eine Sicherung durchbrannte. Revur wollte die Originalaufnahme des Notrufs hören. »Hello, police, Faroe Police?« »Yes, how can we help you?« »This is urgent, very urgent! A murder …« »Where are you?« »The Seal-Woman! She has come back! She killed …« »Where are you? Are you on Kalsoy? Please give us your adress.« »Oh my god! He is dead! You must hurry! The Seal-Woman …« Hier brach das Gespräch ab. Die Nachfragen der Zentrale blieben unbeantwortet. Revur hatte konzentriert gelauscht. »Noch mal!«, sagte er. »Hello, police, …« »Stopp!« Er blickte auf und sah, dass Niklas Olsen inzwischen eingetroffen war. »Okay, weiter – bis zur Kópakonan.« Revur nickte kurz in Niklas’ Richtung und konzentrierte sich wieder auf die Aufnahme. Jetzt tauchte auch Sólja Marnersdóttir auf, drei dampfende Becher in zwei Händen. Niklas befreite sie von einem der Becher. Er legte einen Finger auf den Mund und sah vielsagend zu Revur. Nachdem der Anruf fünfmal durchgelaufen war, hatte Revur endlich genug gehört. Sólja reichte ihm wortlos den letzten Kaffee, und einen Moment lang genossen sie einfach die Wirkung des Koffeins. »Also?«, brach Niklas schließlich das Schweigen. Damit unterbrach er auch Revurs Gedankengänge. »Wir sollten uns beeilen!« »Woher willst du … ich meine, warum denkst du das?« Sie hätte wissen müssen, dass aus Revur im Augenblick nichts herauszubekommen war. Die Kaffeepause hatte er ihnen noch gegönnt, doch die Frage: »Was wisst ihr über die Robbenfrau?«, stellte er schon auf dem Weg zur Tür. Sólja schloss mit einem energischen Ratsch den Reißverschluss ihrer Jacke, während Niklas fast gleichzeitig nach seinem Anorak griff. Im Laufschritt folgten sie Revur auf den Parkplatz. »Sie hat ihren Mann verflucht!«, rief Niklas schnaufend. »Ja, weil er sie zweimal betrogen hat!«, sagte Sólja. »Er hat sogar ihre Kinder umgebracht – und gegessen!« »Seehunde …«, knurrte Niklas verächtlich. Im Wagen huschte der Schimmer eines Lächelns über Revurs Gesicht. »Die Skulptur steht jedenfalls in Mikladalur. Schön, dass ihr so viel darüber wisst!« Niklas schnaubte. »Ammenmärchen«, murmelte er und lehnte sich zurück. Die Polizeistation in Klaksvík hatte bereits ein Boot nach Mikladalur geschickt. Revur startete seinen Wagen. Er wusste, wie froh Niklas war, nicht in den Heli steigen zu müssen. Da das Ersuchen der Kollegen nicht dringlich war, spielte es keine Rolle, wenn sie etwas später eintrafen. Bootfahren gehörte zwar ebenfalls nicht zu Niklas’ Vorlieben, doch ein Flug mit dem Helikopter löste regelrecht Panik bei ihm aus. Links und rechts ragten die Berge empor, irgendwie weich und fast vollständig in Grün, als hätte die Natur Teppichboden verlegt. Allerdings lagen Unmengen von Gesteinsbrocken herum, sie schienen anstelle von Blumen einfach aus der Erde zu wachsen. Horizontale Basaltstreifen durchzogen das Grün der Bergketten, und in unzähligen Rillen strömte Wasser senkrecht hinunter. Manchmal in Form dramatischer Wasserfälle, die sich wie silbernes Haar über die Felskanten legten. Auf der Straße war es geisterhaft still, kein anderer Wagen weit und breit. Nur einmal musste Revur hart bremsen, als ein braunes zotteliges Schaf plötzlich auf die Fahrbahn sprang und ungehalten in die Scheinwerfer blinzelte. Wie ein Tor zur Unterwelt tat sich kurz darauf der erste Tunnel vor ihnen auf. Dieser war zweispurig und einigermaßen gut beleuchtet. Andere waren weder noch. Sie waren am Kai angekommen. Der Nordatlantik schäumte ihnen entgegen, weiße Gischt leuchtete in der Dunkelheit. Niklas betrachtete die brodelnde See misstrauisch. Ein mittelgroßes Motorboot schaukelte am Anleger und zog an den Tauen. »Was sagt der Wetterbericht?« »Der Wind sollte stabil bleiben. Hin müssten wir also kommen …« Sólja rollte die Augen und zog ihr Handy hervor. »Glaubt nicht, dass ich mit euch Verrückten auf dieser Insel bleibe!« Sie beugte sich tief über ihr Telefon, um den Sprühregen wenigstens einigermaßen abzuhalten, währenddessen flogen ihre Daumen über die Tastatur. »Wann hatten wir den letzten Mordfall auf Føroyar?« »Vor zwei Monaten«, sagte Niklas. Sólja unterbrach das Tippen und blickte auf. »Das war ein Tötungsdelikt. Körperverletzung mit Todesfolge, um genau zu sein. Unter Alkoholeinfluss …« »Genau«, Revur nickte. »Das hier gefällt mir nicht. Es weicht ab.« »Wie meinst du das? Wir wissen doch noch gar nichts!« In dem Moment trat der Kapitän an die Reling. Er nickte ihnen auffordernd zu, und als er Revur erkannte, schickte er sogar beinahe ein Lächeln hinterher. Sie kletterten auf die schwankenden Planken. Mit einem Seufzen verstaute Sólja ihr Mobiltelefon in der Jackentasche. Die Wetterapp hatte sie nicht beruhigen können. Das Wetter war, wie üblich, nicht vollständig vorhersehbar. Man hätte eine Kristallkugel gebraucht. Auf jeden Fall schien es nicht richtig schlimm zu werden. Der Kapitän wäre sonst nicht ausgelaufen. Darauf konnte man sich verlassen – er hatte eine Art Wetterradar irgendwo im Bauch oder sonst wo in seinem Körper. Seine persönliche Vorhersage konnte vom offiziellen Wetterbericht abweichen, doch im Gegensatz zu dem hatte er sich noch nie geirrt. Revur stand an der Reling und starrte ins bewegte Meer. Unbewusst glich sein Körper das Schwanken des Schiffes aus, in Gedanken war er weit fort. Der Anruf, der Ort des Leichenfunds – ihn hatte von Anfang an eine böse Ahnung beschlichen. Ein Schauer überlief ihn, der nicht von der Kälte kam. Langsam zog er seinen Blick aus dem Wasser. Tanzende Schaumkronen auf tiefblauen Wellen. Die Robbenfrau … Er riss sich zusammen. Niklas hatte recht, sie hatten noch nichts gesehen. Zu früh, sich ein Bild zu machen. Auf jeden Fall zu früh, um in altem Aberglauben zu versinken. Energisch wandte er sich um. Eine Hand fest an der Reling, musterte er seine Kollegen. Sólja stand neben dem Kapitän. Sie sprachen nicht, doch schien es eine einvernehmliche Stille zu sein. Sie war intelligent, stellte die richtigen Fragen, konnte auch schweigen. Und war sie von einer Sache überzeugt, ließ sie sich durch nichts davon abbringen. Man musste nur gelegentlich achtgeben, dass sie nicht in die falsche Richtung lief. Revur schalt sich arrogant. Was bildete er sich ein, auf sie achtgeben zu müssen? Ihre Fähigkeit, Menschen und Situationen korrekt zu beurteilen, war ebenso erstaunlich wie ihre Auffassungsgabe. Außerdem schätzte er ihre leicht unterkühlte Art. Die täuschte ihn nicht darüber hinweg, wie sehr sie für eine Sache brennen konnte. Seine Augen wanderten zu Niklas. Der knapp ein Meter 70 große Kollege kauerte verfroren im Windschatten der Kajüte. Dieses Wetter war nichts für ihn, auf hoher See schon gar nicht. Revur fragte sich nicht zum ersten Mal, ob der kleine dunkelhaarige Mann nicht irgendwo in den Süden gehörte. In den richtigen Süden, dort wo es ernsthaft warm war, nicht etwa nur nach Suðuroy. Niklas hatte die Arbeit nicht erfunden, doch konnte man sich auf ihn...