Coney Charisma
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-17343-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 0 Seiten
ISBN: 978-3-641-17343-2
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine geheime Forschungsstation in Cornwall entdeckt, dass es eine ganze Reihe von parallelen Welten gibt. In jeder dieser Welten agieren dieselben Menschen in nahezu identischen Situationen. Nur die individuellen Handlungen unterscheiden sich, und deren Ergebnisse müssen in den anderen Welten nachgeholt werden. John Maine verliebt sich in eine wunderschöne Frau, doch sie stirbt bei einem Unfall. Um sie in einer der Parallelwelten wiederzufinden, meldet er sich freiwillig für das Experiment – und findet heraus, dass auch er in der Parallelwelt bereits tot ist …
Michael Coney wurde 1932 in Birmingham geboren und besuchte die King Edward's School. Er wurde zunächst Buchhalter, übte dann eine Reihe unterschiedlicher Berufe aus: Unter anderem betrieb er ein Pub in Devon, später leitete er ein Hotel auf der Karibikinsel Antigua. Anfang der Siebzigerjahre siedelte er mit seiner Familie nach Kanada über und wurde Feuerwächter der Columbia Forestry Commission. Seit 1966 schrieb er Science Fiction, mit seinen grandiosen Schilderungen außerirdischer Welten wurde er schnell zu einem der zentralen Autoren der Siebziger und Achtziger. Die beiden „Pallahaxi“-Romane gelten als seine bedeutendsten Werke. Michael Coney starb 2005 an Krebs.
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1
Ich ließ die anderen in der Kabine sitzen und trat durch die breite Tür auf das überdachte Achterdeck. Das Boot glitt ruhig über das leicht bewegte Wasser hinweg; wir fuhren parallel zu den etwa eine Viertelmeile entfernten Klippen. Die flachen Wellen rollten diagonal zu unserem Kurs und klatschten aufgischtend gegen die zerklüfteten, schwarzen Felsen. Ich hörte wieder das laute Lachen Mellors’ aus der Kabine; das Sopran-Kichern, von dem es begleitet wurde, stammte von seiner Frau.
Copwright steuerte die Hilfskontrollen in der Kabine; in diesen Gewässern konnte nicht viel passieren – doch würde ich ihn ablösen, wenn wir die Zufahrt von Falcombe erreichten. Ich warf einen Blick durch das Fenster und sah ihn bequem in seinem Sessel sitzen; er beteiligte sich an der Konversation und blickte nur gelegentlich auf den Radarschirm oder durch die Frontscheibe. Ich habe noch nie einem Mann getraut, der Gin trinkt. Er hatte mir den Rücken zugewandt; neben ihm saß Jean Longhurst mit einem Martini in der Hand.
Ihnen gegenüber saßen Mellors und seine Frau. Mellors erzählte irgendeine Anekdote; ich konnte nicht verstehen, was er sagte, doch schien die Geschichte zumindest ihn zu amüsieren. Immer wieder gestikulierte er mit seinem Glas, und einmal sah ich ihn ein paar Tropfen des Drinks auf das Kleid seiner Frau verschütten. Dorinda Mellors blickte ihren Mann strafend an und tupfte die Flecken mit einem Taschentuch ab, während er, der nichts davon bemerkt hatte, weitersprach.
Pablo stand etwas abseits und beobachtete sie – bei der Gruppe, doch nicht Teil von ihr. Er war wie ich in der eigenartigen Situation, die Mellors weitaus besser zu kennen als Alan Copwright oder Jean Longhurst, fühlte sich in ihrer Gesellschaft jedoch nicht wohl, weil ihre Beziehungen rein geschäftlich waren. Ich fragte mich, warum die Mellors so flüchtige Bekannte mitgenommen hatten; Alan und Jean lebten erst seit kurzer Zeit in Falcombe und hatten die Mellors gestern kennengelernt, an der Bar des Falcombe Hotels.
Ich wandte mich um und sah das Wasser rasch unter dem Rumpf der Hausyacht fortgleiten. Auf einem Tisch neben mir lag die Angelschnur mit ihrem Haken; einem Impuls folgend warf ich sie über Bord und beobachtete, wie die Leine sich straffte, als der kleine, torpedoförmige Haken seine Position etwa zwanzig Fuß hinter dem Heck und vier Fuß unter der Wasseroberfläche einnahm. Ich hörte ein Geräusch hinter mir; Pablo kam heraus und trat neben mich an die Reling.
»Alles in Ordnung da drin?«, fragte ich.
»Der Alte scheint ganz glücklich zu sein. Ich glaube, er hat ein Auge auf Jean geworfen.«
»Jesus!«
»Schon in Ordnung. Er macht das sehr unauffällig. Ich glaube nicht, dass Dorinda etwas gemerkt hat.«
Zur Zeit wollten weder Pablo noch ich, dass irgendetwas geschah, das Mellors von dem derzeitigen Geschäft ablenkte. Die nächsten Tage waren entscheidend.
Bis vor vier Monaten hatte ich bei Pablo als Verkäufer gearbeitet; er hat eine kleine Bootswerft bei Wixmouth. Im vergangenen Juni hatte ich gerüchteweise gehört, dass Wallace Mellors, ein reicher Hotelier in Falcombe, interessiert wäre, eine Flotte von Hausyachten zu kaufen, als Ergänzung zu seinen verschiedenen anderen Unternehmen in der Gegend. Soweit ich die Situation überblickte, bestanden keinerlei Schwierigkeiten für den Betrieb der Boote, da Mellors den Stadtrat – genauer gesagt, die ganze Stadt – in der Tasche hatte. Es ging lediglich darum, den Mann davon zu überzeugen, dass die Sache sich für ihn lohnen würde. Ich war sicher, dass mir das gelingen würde. Ich hatte früher Hotels geleitet, Hausyachten auf Charter-Basis geführt und sehr überzeugende Artikel für Yacht-Magazine geschrieben; deshalb glaubte ich genau der richtige Mann zu sein, um Mellors Wellenlänge zu finden.
Pablo betreibt seine Werft auf einer bescheidenen Basis. Er hat etwa ein Dutzend Mitarbeiter und stellt Standard-Fiberglasrümpfe her, in die er eine Hover-Turbine installiert und eine Kabine nach den Wünschen des Kunden. Der fertige Artikel ist geräumig genug, um darauf leben und bei fast jedem Wetter mit fünfzig Meilen fahren zu können. Ein Abschluss wie dieser – es ging dabei um etwa zwölf Boote – würde Pablo Arbeit für den ganzen Winter geben und einen schönen Profit.
Also hatte ich Mellors aufgesucht und wohnte auf seine Rechnung im Falcombe Hotel, das ihm gehörte. Wir schienen vom ersten Tag an blendend miteinander auszukommen, und als ich meine Erfahrungen in der Hotelbranche erwähnte, wurde er sehr interessiert. Er hatte gerade seinen Manager gefeuert und suchte einen Ersatz. Und nicht nur das, er brauchte auch jemand, der sich um die Hausyachten kümmerte, wenn sie geliefert wurden – inzwischen hatte ich ihn davon überzeugen können, dass es sich lohnte, die Sache ernsthaft zu überdenken.
Kurz gesagt: Ich stieg bei Pablo aus und trat dem Mellors-Imperium bei. Alle Gewissensbisse, die ich gehabt haben mag, wurden mehr als aufgewogen von meiner Freude, den Bootsvertrag an Land gezogen und Pablo zu einem fetten Profit verholfen zu haben. Pablo nahm die Sache philosophisch auf und war bereit, mir trotz meines Ausscheidens die übliche Provision zu zahlen, da ich die Verkaufsverhandlungen vor meiner Kündigung begonnen hatte. Er trug mir nichts nach. Also schienen alle glücklich und zufrieden zu sein.
Doch die Zeit verging, und die Verhandlungen zogen sich in die Länge, und Pablo und ich wurden zunehmend unruhiger. Mellors schien nicht bereit, irgendetwas schriftlich festzulegen. Um endlich zu einem Abschluss zu kommen – Mellors hatte auf baldige Lieferung gedrängt – brachte Pablo elf Boote, die eigentlich für andere Kunden bestimmt waren, nach Falcombe und verankerte sie direkt unter Mellors’ Nase hinter dem Falcombe Hotel. Sie alle (deutete Pablo damit an, ohne es auszusprechen) können mit einem Federstrich dir gehören. Doch inzwischen war es September geworden und die Touristen-Saison vorüber; also lag es logischerweise in Mellors Interesse, den Kauf bis zum nächsten Frühjahr aufzuschieben.
Währenddessen wohnte ich an Bord einer der Yachten, arbeitete Anzeigentexte aus und traf die grundlegenden Vorbereitungen für das Verchartern der Boote in der kommenden Saison, führte das Falcombe Hotel und erhielt dafür keine andere Vergütung als freies Essen und Trinken. Meine einzigen Einkünfte stammten aus gelegentlichen Beiträgen für Yacht-Zeitschriften. Aber Mellors hatte mir für den Beginn der nächsten Saison ein hohes Gehalt versprochen, neben einer Beteiligung an den Profiten von der Vercharterung der Hausyachten.
Also durfte ich es mir mit ihm nicht verderben, sonst war die Arbeit der letzten Monate nur Zeitverschwendung gewesen.
»Wovon sprechen sie dort drinnen?«, fragte ich.
»Der alte Mann ist gerade damit fertig geworden, von sich selbst zu erzählen. Das heißt« – ein Unterton von Bitterkeit trat in Pablos Stimme – »er ist damit fertig geworden, ihnen zu erzählen, wie er ins Charterboot-Geschäft eingestiegen ist und nun elf Hausyachten besitzt. Jetzt versucht er, von den anderen etwas über die Forschungsstation herauszubringen.«
»Damit wird er nicht weit kommen. Die Leute von der Station sind ziemlich schweigsam.«
»Copwright hatte ein paar Drinks.«
»Aus welchem Grund sollte Mellors sich für die Station interessieren? Da gibt es doch keine Gelegenheit, Geschäfte zu machen, oder?«
»Ich habe den Eindruck, dass die Station auf einem Grundstück errichtet worden ist, das ihm gehört und der Pachtvertrag einige Unklarheiten enthält. Er deutete an, dass er die Pacht jederzeit erhöhen könne, und auf jeden beliebigen Betrag.«
»Was hat denn das mit Copwright und Jean zu tun?«, fragte ich. »Die sind doch nur Angestellte. So etwas sollte Mellors mit dem Boss ausmachen, diesem … wie heißt er noch?«
»Stratton, glaube ich.«
»Oh …« Ein silbriges Aufblitzen unter der Wasseroberfläche ließ mich aufblicken. Ich nahm die Fischpistole vom Tisch und drückte auf einen Knopf. Ein Stromstoß fuhr durch die Angelschnur. Eine Makrele schnellte silbern glänzend aus dem Wasser.
Ich hob die Pistole und drückte ab. Der Rückstoß der Waffe riss meine Hand ein wenig nach oben. Die Makrele zuckte mitten im Sprung zusammen und fiel ins Wasser; anstatt zu versinken wurde sie an der Oberfläche mitgeschleppt und schlug das Wasser zu schäumender Gischt. Ich schaltete die automatische Rolle ein, und der Fisch wurde herangezogen. Ich schwang ihn über die Reling, und er fiel zappelnd an Deck.
Pablo bückte sich und löste behutsam den winzigen, mit Widerhaken bewehrten Bolzen aus der Flanke des Fisches, dann zog ich die dünne Nylonschnur und den daran befestigten Bolzen in die Pistolenmündung zurück. Pablo hob den Deckel vom Eimer und warf die Makrele hinein, wo ihr kräftiges Zappeln bei den anderen Fischen reflexhafte Zuckungen auslöste. Er legte den Deckel wieder auf und grinste mich an.
»Das war ein verdammt guter Schuss. Ich wusste gar nicht, dass du dich in Gegenwart von Frauen unsicher fühlst.«
»Ich auch nicht.« Pablos rasche Themenwechsel überraschten mich gelegentlich noch immer, obwohl ich ihn seit Jahren kannte.
»Die Pistole ist natürlich ein Ersatz. Nein, keine Einwände. Ich weiß es.« In seinen müden Augen lag ein Schimmer von Mitgefühl, als er mich anblickte. Ich wusste, was jetzt kommen würde: eine Kostprobe seiner hausgemachten Philosophie. »Ich habe dasselbe Problem«, sagte er. »Und in letzter Zeit hat es sich noch verschlimmert. Ich bekam einen Minderwertigkeitskomplex dazu. Ich konnte keinem Mädchen mehr ins Gesicht sehen. Also habe ich mir eine Kamera gekauft, eine...




