Connolly Die Pforte der Schatten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-18033-1
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 608 Seiten
Reihe: Der strahlende Weg
ISBN: 978-3-641-18033-1
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Reich von Peredain verdankt seine Macht dem mystischen Abendvolk. Alle 23 Jahre öffnet sich ein Tor, und der Imperator von Peredain lädt die Gesandten des Abendvolks zu einem Fest ein. Als Dank erhält er eine Gabe der Magie oder überlegenes Wissen, mit dessen Hilfe die Familie des Imperators ihr Reich errichtet hat. Doch dieses Jahr tritt nicht das elfengleiche Abendvolk aus dem Tor, sondern riesige Bestien, die sich sofort auf die Anwesenden stürzen. Nur Kronprinz Lar und einige seiner Freunde können dem Gemetzel entkommen. Können sie verhindern, dass das Imperium zerbricht, und die Invasion aufhalten?
Harry Connolly wuchs in Philadelphia auf, bis er 1989 nach Seattle zog. Früh war ihm klar, dass er hauptberuflich Autor sein möchte, aber seine Karriere startete nur langsam. Doch dann kam das Internet und mit ihm - aus der Sicht Harry Connollys - schier unbegrenzte Möglichkeiten. Heute ist Harry Connolly einer der erfolgreichsten Selfpublisher der USA. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Seattle.
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KAPITEL 1
Ohne seine Rüstung kam sich Tyr Tejohn Treygar vor, als sei er in Ungnade gefallen. Ein lächerlicher Gedanke natürlich – zur Festspielzeit war durch königlichen Erlass das Anlegen von Rüstungen verboten, selbst für die Wachen an den Toren. Trotzdem war es für ihn ein eigenartiges Gefühl, als er nun in den weichen, pantoffelähnlichen Schuhen, die Laoni ihm gekauft hatte, in der morgendlichen Kühle auf die Promenade vor dem Palast von Sang und Morgen hinaustrat. Mit Schritten so leise wie die eines Taschendiebs.
Die Königin wollte ihn sprechen. Wieder einmal. Tejohn war nicht offiziell zu einer Audienz vor den Thron geladen worden, und das würde er auch nicht. Doch die Königin war keine Frau, die je irgendetwas auf sich beruhen ließ. Und er würde sich auch nicht vor ihr verstecken – niemals.
Das hieß jedoch nicht, dass er in seinen Gemächern auf sie warten müsste. Und man würde ihren Dienern wohl kaum einen Vorwurf machen können, wenn sie nicht auf die Idee kamen, zu dieser frühen Stunde ausgerechnet am einsamen Nordende der Promenade nach ihm zu suchen.
Sie fand ihn natürlich trotzdem.
»Mein Tyr Treygar«, begrüßte sie ihn schon von Weitem, ihre Gefolgsleute wie eine keilförmige Schleppe im Kielwasser. »Nur in Hemd und Wams – Ihr müsst gewiss frieren hier draußen.«
Er verneigte sich. »Ich bin keine andere als die militärische Tracht gewohnt, meine Königin, geschweige denn Festspielkleider. Also werde ich mich mit Sicherheit wohler fühlen, wenn die Sonne für ein Weilchen am Himmel gestanden hat.«
Sie sah missbilligend zu den grauen Wolken empor. Es hatte während der Nacht genieselt, und bald würde es wieder richtig regnen. »Der Morgen in der Morgenstadt. Beim Großen Weg, was freue ich mich auf den Sommer.« Sie trat neben ihn an die Mauer und sah in die Ferne hinaus, genau wie er es eben getan hatte. Ihr eigenes Wams bestand aus tiefrotem Tuch, das mit goldenen Fäden durchwirkt war. Nicht die neueste Mode, so sein Eindruck, aber trotzdem wunderschön. Während der Festspiele trug selbst die Königin Gewänder mit Taschen. »Es wird wunderbar sein, ein paar Tage Sonnenschein zu haben. Die Berge sind am Morgen so herrlich, wenn wir sie sehen können.«
Die Südliche Barriere – die nördlich der Stadt lag, diesen Namen jedoch trug, weil es einen zweiten Gebirgszug gab, der sich noch weiter im Norden befand – war manchmal im Morgennebel sichtbar. Zumindest hatte man das Tejohn erzählt. Er war zu kurzsichtig, um auch nur die strohgedeckten Dächer der Stadt jenseits der Mauern unterscheiden zu können. Nicht, dass derlei Dinge für ihn von Belang gewesen wären.
Die Königin sah ihn von der Seite mit einem durchtriebenen Lächeln an. Königin Amlian Italga war keine schöne Frau, aber sie war intelligent, schlau (was nicht das Gleiche war, wie Tejohn vor langer Zeit begriffen hatte) und unnachgiebig. Wenn sie etwas haben wollte, gab sie nicht auf, bis es ihr gehörte. Der König mochte sich in so mancher Hinsicht eher als ein Dummkopf erwiesen haben, aber er hatte die schönsten Frauen des Reiches übergangen, um sie zu seiner zweiten Königin zu erwählen. Es war die weiseste Entscheidung, die er je getroffen hatte.
»Habt Ihr über meinen Vorschlag nachgedacht, Tejohn?«
Er verneigte sich abermals. Es war immer gut, sich zu verneigen, wenn man im Begriff stand, ein Mitglied der königlichen Familie zu enttäuschen. »Ich habe über kaum etwas anderes nachgedacht, aber ich kann es nicht tun.« Ihr Blick verfinsterte sich, doch unterbrach sie ihn nicht. »Es ist nicht so, dass ich halsstarrig wäre, meine Königin. Ich habe mich über viele Stunden mit der Sache beschäftigt, aber es übersteigt einfach meine Möglichkeiten.«
Die Königin verzog den Mund, als richte sie das Wort an ein starrköpfiges Kind, ungeachtet der Tatsache, dass Tejohn drei Jahre älter war als sie. »Es übersteigt Eure Möglichkeiten? Ich glaube, wir wissen beide, dass das nicht wahr ist.« Mit einer trägen Drehung ihres Handgelenks deutete sie auf den Himmelswagen, der in westlicher Richtung über die Stadt flog und dabei Fähnchen hinter sich herwehen ließ.
Tejohn richtete seinen Blick auf den Wagen, als sei die Handbewegung der Königin ein Befehl gewesen. Es war ein großer, viereckiger Holzwagen mit Speichenrädern. Über dem Wagen waren die beiden obsidianschwarzen Scheiben angebracht, die ihn vom Boden hoben und in der Luft schweben ließen.
Der metallene Panzer der Unterseite war natürlich entfernt worden, ebenso wie die Reihen von Schilden an den Seiten. Die Halter für die Fässer, aus denen man brennendes Öl in die Festungen und Lager des Feindes gießen konnte, waren jetzt nur mit bunten Fähnchen bestückt. Auch dieser Wagen war seiner Waffen und seiner Rüstung beraubt worden und bot einen nicht weniger seltsamen Anblick als vermutlich Tejohn selbst.
Alles Kriegerische im Erscheinungsbild des Landes war während der Festspiele verboten. Das Abendvolk glaubte nicht an Eroberung und Unterwerfung.
Tejohn seufzte. Das Geschenk, dem das Reich die Wagen verdankte – und damit einen gewaltigen Vorteil bei den Kämpfen an den Grenzen –, gab es nur seinetwegen und wegen des Liedes, das er geschrieben hatte. Und niemand würde ihn das je vergessen lassen.
»Ich war damals noch ein junger Mann«, sagte Tejohn leise, »und meine Trauer war frisch. Nun bin ich alt. Ich habe wieder eine Frau und Kinder. Ich darf mein Heim wieder glücklich nennen.«
Die Königin rümpfte die Nase. »Nun ja, daraus lässt sich wohl kaum ein besonders bewegendes Lied machen.« Tejohn fühlte sich versucht, ihr zu widersprechen, aber natürlich tat er es nicht. »Aber so alt seid Ihr gar nicht. Die Leute vom Abendvolk werden zehn Tage lang hier sein. Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr wirklich keine Fortsetzung schreiben könnt? Oder wenigstens einfach dasselbe Lied noch einmal vortragen?«
Es waren Jahre vergangen, seit die Bilder der Leichen seiner ersten Frau und seines Sohnes Tejohn das letzte Mal heimgesucht hatten. Mit ihnen war damals der vertraute Drang in ihm aufgestiegen, nach seinem Speer zu greifen und zu töten. »Ich könnte mich diesem Schmerz nicht noch einmal stellen, und Ihr solltet es auch nicht von mir verlangen.«
Wenn die Abfuhr sie kränkte, ließ die Königin es sich nicht anmerken. Sie drückte kurz seine Hand, dann trat sie einen Schritt zurück. »Ihr müsst Euren Schmerz sehr tief empfinden, dass Ihr so zu mir sprecht. Tejohn, mein Freund, bitte, nehmt meine Entschuldigung an. Ihr seid, beim gütigen Sang, immer gut zu Ellifer und mir gewesen und auch zu Lar – nicht, dass er es verdient hätte. Wir haben noch andere Sänger und Dichter; der König und ich werden uns damit zufriedengeben müssen, dass auch weniger bedeutende magische Errungenschaften Teil unseres Vermächtnisses sein werden. Werden sich Laoni und die Kleinen zu uns gesellen?«
»Laoni hat Teberr und die Zwillinge mit nach Ostfurt genommen zu einem Besuch bei ihren Vettern und Cousinen. Sie sind noch so klein …«
Seine Worte konnten die Königin nicht täuschen, aber sie sagte nichts dazu. »Ich gehe jetzt besser wieder. Es gibt noch viel zu tun. Tejohn, nachdem das Abendvolk in seine Heimat zurückgekehrt ist, wird es in der Stadt mindestens einen Monat lang hoch hergehen, und wir erwarten, dass die Gelehrten sich dann über ein neues Geschenk die Köpfe heißreden können … Ich glaube, ich muss einige Nachrichten nach Ostfurt schicken. Wärt Ihr bereit, sie für mich zu überbringen? Und dort einen Monat auf die Antworten zu warten? Lar ist jetzt erwachsen; ich bin mir sicher, er kann in der Trainingshalle für eine Weile auch ohne Euch üben.«
Wenn er das nur machen würde. Aber es war nicht notwendig, es auszusprechen. Sowohl Tejohn als auch die Königin wollten, dass der Prinz seine Energien wieder mehr auf die Vervollkommnung seiner Kampfkünste konzentrierte statt auf seine … anderen Beschäftigungen. »Ich danke Euch, meine Königin«, erklärte Tejohn. »Das würde mir sehr zusagen. Vielen Dank.«
Königin Amlian lächelte und wandte sich zum Gehen. »Sorgt einfach dafür, dass Lar heute an seinem Platz ist. Und nüchtern. Er plant doch nicht etwa, ein zotiges Lied zu singen, oder? Irgendwer hat mir da was zugetragen.«
»Wenn dem so ist, werde ich mein Bestes tun, ihn davon abzubringen.« Tejohn empfahl sich. Der kühle Nieselregen machte sich immer unangenehmer bemerkbar, und Tejohn kehrte in sein Zimmer zurück, um den langen schwarzen Rock anzuziehen, den seine Frau für ihn genäht hatte. Die ganze Stadt würde heute leuchtende Rot- und Gelbtöne tragen – wer immer wohlhabend genug war, sogar Blautöne –, aber für den Mann, der »Ein Fluss tritt über die Ufer« geschrieben hatte, fand Laoni etwas Ernstes passender.
Danach legte er seine Armschienen aus polierter Bronze an. Das Gewicht des Metalls an seinen Unterarmen zu spüren war beruhigend.
Tejohn hatte soeben der Königin eine Bitte abgeschlagen. Sie hätte ihn auf hundert verschiedene Weisen bestrafen können, sie hätte ihm seinen Ehrentitel aberkennen können, aber sie hatte ihm stattdessen eine Freundlichkeit erwiesen. Sie verstand. Dankbar bin ich, dass ich den Weg beschreiten darf.
Am Ende der letzten Festspiele hatte der Anführer des Abendvolks Tejohn mit seinen schrecklichen goldenen Augen angestarrt, als wolle er dessen Seele mit sich nach Hause nehmen. Als hätte er nicht ohnehin schon zu viel genommen. Wir werden uns wiedersehen, hatte Co gesagt. Seitdem graute Tejohn vor diesem...