E-Book, Deutsch, Band 2, 416 Seiten
Reihe: Der strahlende Weg
Connolly Die Saat der Schatten
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-18034-8
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 416 Seiten
Reihe: Der strahlende Weg
ISBN: 978-3-641-18034-8
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die magischen Bestien, die das Imperium von Peredain überrennen, scheinen unaufhaltbar. Und nun ist auch noch Prinz Lar dem Fluch erlegen und hat sich ebenfalls in eine Bestie verwandelt wie schon so viele andere vor ihm. Nur Tejohn und Cazia wissen von seinem Plan, eine uralte Magie wiederzuerwecken und so das Blatt im Krieg gegen die Untiere zu wenden. Tejohn ist schwer verletzt, und Cazia wurde ihre Magie entrissen. Doch beide setzen alles daran, den Kampf um das Bestehen des Imperiums voranzutreiben - und verlieren dabei ihr eigentliches Ziel aus den Augen ...
Harry Connolly wuchs in Philadelphia auf, bis er 1989 nach Seattle zog. Früh war ihm klar, dass er hauptberuflich Autor sein möchte, aber seine Karriere startete nur langsam. Doch dann kam das Internet und mit ihm - aus der Sicht Harry Connollys - schier unbegrenzte Möglichkeiten. Heute ist Harry Connolly einer der erfolgreichsten Selfpublisher der USA. Er lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in Seattle.
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KAPITEL 1
Cazia Freibrunn brauchte mehrere Tage, um sich an die Gegenwart eines zweiten Wesens in ihrem Geist zu gewöhnen. Noch immer hatte sie die Tilkilit-Königin nicht gesehen – obwohl sie diesem Geschöpf so nahe gewesen war, dass sie auf es … auf sie … auf es hätte spucken können –, aber ihre Gedanken standen unter ständiger Beobachtung. Wann immer Cazia über Dinge wie Freiheit, Heimat, Flucht, ihre Magie oder die Waffen der Tilkilit-Krieger nachdachte – oder auch nur darüber, wie hässlich diese Wesen doch waren –, ging von der Königin eine derart heftige Welle des Missfallens aus, dass das Gefühl für Cazia von Selbsthass nicht zu unterscheiden war.
Zuerst hatte Cazia dagegen angekämpft – genauso hartnäckig und verbissen, wie sie immer gekämpft hatte. Die Königin war ein Feind, und auch wenn sich Cazia vor vielen der Feinde, mit denen sie aufgewachsen war, hatte zurückziehen müssen, so hatte sie ihren Widerstand dennoch nie aufgegeben.
Nur dass es unmöglich war, sich vor der Königin zurückzuziehen. Sie war in ihre Gedanken eingedrungen und hatte sich dort eingenistet, genauso wie die Tilkilit in Cazias Heimat Kal-Maddum eingedrungen waren. Dieses Wesen kannte all ihre Gedanken, und Cazia konnte ihm nicht entkommen, ob sie sich nun unten in den lichtlosen Tunneln befand oder draußen in den dichten, nebelverschleierten Wäldern des Talgrunds.
Und Cazia fand es furchtbar. Sie mochte noch jung sein, aber sie hatte bereits ein Leben lang Erfahrung darin gesammelt, Groll gegen andere zu hegen; nur konnte sie ihre Gefühle diesmal leider nicht hinter einer gleichgültigen Miene verbergen. Und sie konnte sich nicht in die Einsamkeit ihres Zimmers zurückziehen. Sie konnte überhaupt nichts tun, außer die Gegenwart der Gedanken eines Feindes inmitten ihrer eigenen zu ertragen. Schlimmer noch, die Gedanken der Königin und ihre eigenen überlagerten sich so sehr, dass Cazia bisweilen Mühe hatte, die Meinung der Königin über sie von ihrer eigenen Meinung zu unterscheiden. Fast war es, als würde sie wieder hohl werden, nur ohne den damit verbundenen Zuwachs an magischen Fähigkeiten, Einsichten und Kenntnissen.
Sie hasste dieses Wesen mehr, als sie je zuvor irgendjemanden oder irgendetwas in ihrem Leben gehasst hatte.
»Ich bin ein freier Mensch«, hatte Vilavivianna ihr eines Morgens zugeflüstert. Das war vielleicht zwanzig Tage nach ihrer Gefangennahme gewesen. Sie hatten zusammen auf der nebligen Wiese gesessen, die die Tilkilit für sich in Beschlag genommen hatten. Im Westen und Süden ragten steile Berge auf, und weit im Osten lag das Meer, aber all das hatte sie seit vielen Tagen nicht mehr gesehen. Hier unten drängten sich die Tilkilit an der tiefstgelegenen trockenen Stelle im Qorrtal zusammen, verbargen sich unter den Bäumen und im ewigen Nebel.
»Ich bin ein freier Mensch«, sagte Ivi ein zweites Mal. »Ich bin niemandes Besitz.« Die kleine Prinzessin aus Indrega wirkte bleich und erschöpft; sie hatte genauso erbittert gegen die mentale Kontrolle der Königin angekämpft wie Cazia. Sie fassten sich an den Händen und wiederholten die Worte gemeinsam. »Ich bin ein freier Mensch.«
Das feindliche Geschöpf schlug so unerbittlich zurück, dass die Attacke sie überwältigte. Sie verloren das Bewusstsein und sanken ohnmächtig ins Gras.
Sie erwachten gemeinsam, fast als hätte die Königin ihnen jetzt das Aufwachen wieder erlaubt. Noch ehe Cazia überhaupt wusste, wo sie war, hatte ihr einer der Tilkilit-Krieger bereits einen ihrer seltsamen glatten Steine an den Kopf gedrückt. Sie spürte, wie ihr alle Magie aus dem Leib gezogen wurde. Wieder einmal. Jeden Tag taten sie ihr das an.
Aber sie wagte es nicht, Widerstand zu leisten. Die Tilkilit waren zwar alle nur ungefähr so groß wie die Prinzessin, die erst zwölf Jahre alt war, aber sie waren ungeheuer stark und gut bewaffnet. Sie konnten Steine mit einer solchen Wucht werfen wie ein Mensch mit einer Schleuder und hatten mit Kinz, dem dritten Mitglied ihrer Expedition, bereits kurzen Prozess gemacht. Sie war von ihnen weggebracht worden; hoffentlich heilten die Tilkilit einfach nur ihre Verletzungen, aber irgendwo in ihrem Hinterkopf war Cazia davon überzeugt, dass sie sie bereits aufgefressen hatten.
Die arme kleine Ivi sah todunglücklich aus. Cazia hätte ihr nicht gestatten sollen, sie über die Berge zu begleiten.
Die Erde rumorte. Einer der Würmer der Tilkilit kroch in der Nähe vorbei, aber glücklicherweise befand er sich tief unter der Erde. Cazia wollte definitiv nie wieder einen von ihnen sehen müssen. Diese Ungetüme waren absolut riesig, groß genug, um die Tore des Palastes von Sang und Morgen einfach nur dadurch zu zerschmettern, dass sie sich mit dem Gewicht ihres Vorderkörpers gegen sie lehnten, und Cazia hatte die Tilkilit auf diesen Würmern in die Schlacht reiten sehen.
Cazia hatte Vilavivianna geholfen, einen dieser Würmer zu töten, und allein die Erinnerung – nur ein flüchtiges Bild des Untiers, wie es sich wand und verbrannte – löste in ihr eine Flut von Selbstvorwürfen aus, deren Quelle nicht in ihr selbst lag. Da war sie sich sicher. Ziemlich sicher.
Das Rumoren ließ die Äste eines nahen Baumes erzittern. Cazia wurde bewusst, dass sie einen solchen Baum noch nie gesehen hatte: Die Rinde wirkte, als sei sie aus Blech, und seine mit glänzenden metallischen Spitzen versehenen Blüten waren so weiß wie Schönwetterwolken.
Sie starrte den Baum finster an. Diese Pflanze war in Kal-Maddum nicht heimisch. Sie war ein weiterer Eindringling im Qorrtal, genau wie die Tilkilit.
Nur einige Tagesreisen von diesem Ort entfernt stand eine Pforte offen, die zu anderen Ländern führte und wahllos alles und jeden in beide Richtungen passieren ließ. An diesem Ende hier war die Verbindungsöffnung unveränderlich dieselbe und immer am gleichen Platz, aber der Ausgang nach der anderen Seite hin wechselte alle zehn Tage zu einer neuen Örtlichkeit. Alles und jeder konnte da hindurchgelangen, und so geschah es auch. Einige dieser Eindringlinge waren Feinde, wie jene Insektenkönigin, die Cazia zu ihrem Besitz erklärt hatte, oder wie die Riesenadler, die hoch oben über dem Nebel ihre Kreise zogen. Einige waren auch die Saat harmloser Pflanzen wie …
Dann bemerkte sie einen Ring nackter Erde um den Baumstamm herum und das braune Gras an dessen Rand. Anscheinend war dieser Baum für das hier heimische Leben giftig.
Eine mächtige Welle des Abscheus durchwogte Cazia. Diese Pforte musste auf irgendeine Art und Weise verschlossen oder zerstört werden, damit keine weiteren Gräuel wie der Giftbaum oder die Tilkilit-Königin in ihr schönes Kal-Maddum, ihr Zuhause, einfallen konnten.
Die Königin las ihre Gedanken sofort und überwältigte sie erneut, zwang sie in die Bewusstlosigkeit.
So ging es weiter, Tag um Tag. Die Krieger setzten täglich ihre Anti-Magie-Steine ein, um es Cazia unmöglich zu machen, ihre magischen Gaben, die Geschenke, zu benutzen. Die Königin überwachte jeden Gedanken ihrer Gefangenen und ließ die Mädchen selbst die oberflächlichsten unzufriedenen Gedanken bitter bereuen.
Nach fünfzehn weiteren Tagen durfte Kinz sich ihnen wieder anschließen. Vilavivianna sprang der Älteren stürmisch entgegen, um sie zu umarmen, aber Kinz zeigte keinerlei Gefühlsregung. Als die Prinzessin sie wieder losgelassen hatte, ließ Kinz ihre Schultern kreisen und verkündete, völlig geheilt zu sein. Die in einem Kokon der Tilkilit verbrachte Zeit hatte ihre gebrochenen Knochen so gut heilen lassen, als sei sie überhaupt nie verletzt gewesen.
»Ich bin froh, dass sie dich nicht aufgefressen haben«, sagte Cazia.
»Ich tu auch froh sein. Was ist alles passiert, während ich weg war?«, fragte Kinz.
Sie saßen in einem kleinen Kreis zusammen. Der Nebel war an diesem Tag besonders dicht, aber die Mädchen konnten nicht einmal so tun, als könnten sie heimlich miteinander reden. Am Rand der Lichtung, gerade noch in Sichtweite, bewegten sich Tilkilit-Krieger auf und ab, und die Königin schien ohnehin nie zu schlafen.
»Nichts«, antwortete Vilavivianna. »Sie halten uns hier im Wald gefangen und verlegen uns nur dann an einen anderen Ort, wenn sich der Nebel einmal so stark lüftet, dass sie fürchten, der Große Schrecken könnte von oben angreifen.« Großer Schrecken war der Name der Tilkilit für die Riesenadler, die weit oben in den Felswänden nisteten und sie erbarmungslos jagten. »Wir dürfen uns nicht einmal unbeaufsichtigt erleichtern.«
»Es ist ja nicht so, dass sie glotzen tun wollen, Ivi«, sagte Kinz. Ihre Stimme zitterte vor Erschöpfung. Ein Krieger ging in ihrer Nähe vorbei, und die drei Mädchen blickten auf. Sein rötlich schwarzer Körper mit dem harten Panzer war nicht breiter als der Oberschenkel eines Mannes, und seine winzigen Augen waren finster und undurchsichtig. Er trug nicht mehr am Leib als eine grüne Schärpe – offenbar ein Rangabzeichen – und war mit einem Kurzspeer, einem Beutel mit Steinen und einem kleinen Knüppel bewaffnet, den er statt eines Dolches bei sich trug.
Die Tilkilit konnten springend überraschend große Distanzen überwinden und machten überhaupt einen übermäßig starken Eindruck. Doch Cazia wusste, dass sie und ihre beiden Gefährtinnen den Tilkilit würden entkommen können, sobald sie nur einen anständigen Vorsprung hatten – die Krieger waren zwar schnell, aber ihnen fehlte die Ausdauer. Leider waren sich die Tilkilit darüber selbst im Klaren.
»Sie sind vorsichtig«, sagte die Prinzessin. »Und sie warten auf irgendetwas.«
Cazia riss ein Büschel Grashalme aus der Erde und warf sie wieder...