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E-Book, Deutsch, Band 9, 512 Seiten
Reihe: Ein Fall für Kay Scarpetta
Cornwell Brandherd
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-311-70639-7
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der neunte Fall für Kay Scarpetta
E-Book, Deutsch, Band 9, 512 Seiten
Reihe: Ein Fall für Kay Scarpetta
ISBN: 978-3-311-70639-7
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als ein Drohbrief von Carrie Grethen auf Kay Scarpettas Schreibtisch landet, bekommt die Gerichtsmedizinerin es mit der Angst zu tun. Jahre zuvor hatte Grethen, damals Komplizin des Serienkillers Temple Gault, alles daran gesetzt, nicht nur Scarpettas Leben, sondern auch das ihrer Nichte Lucy zu ruinieren, bevor die beiden sie hinter Gitter bringen konnten. Jetzt schwört Grethen Rache. Eigentlich ist sie in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Eigentlich … Dann wird Scarpetta zu einem mutmaßlichen Tatort gerufen: Das Anwesen des Medienmoguls Kenneth Sparkes ist abgebrannt, samt seiner Luxuspferde, seiner Waffen und seiner Whiskeysammlung. Ob sich Sparkes selbst oder jemand anders im Haus aufhielt, ist unklar. Scarpetta soll deshalb in den Trümmern nach Leichen suchen. Handelte es sich um einen Unfall, Versicherungsbetrug oder einen Mordversuch? Die Medien stürzen sich auf den Fall und machen Scarpetta das Leben schwer. Und die Forensikerin ahnt, dass Carrie Grethen irgendwie ihre Finger im Spiel hat …
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1
Benton Wesley zog sich gerade in meiner Küchedie Laufschuhe aus, als ich auf ihn zustürzte. Das Herz schlug mir vor Angst und Hass fast bis zum Hals, schreckliche Erinnerungen wurden wachgerufen. Carrie Grethens Brief hatte in einem Stapel Post und Unterlagen gelegen, den ich erst einmal ungeöffnet beiseitegeschoben hatte, bis zu jenem Augenblick, als ich beschloss, mir in der Ungestörtheit meines Hauses in Richmond, Virginia, eine Tasse Zimttee zu machen. Es war Sonntagnachmittag, der 8. Juni, siebzehn Uhr zweiunddreißig.
»Ich nehme an, sie hat ihn dir ins Büro geschickt?«
Er wirkte nicht beunruhigt, als er sich niederbeugte und sich die weißen Nike-Socken von den Füßen rollte.
»Rose liest keine Post, die als persönlich und vertraulich gekennzeichnet ist«, erwiderte ich. Er wusste das. Mir pochte das Blut in den Adern.
»Sollte sie vielleicht besser. Du scheinst eine Menge Fans da draußen zu haben.«
Ich beobachtete ihn, wie er die bleichen Füße auf den Boden setzte, die Ellbogen auf die Knie stützte und den Kopf gesenkt hielt. Schweiß rann ihm über Schultern und Arme, die wohlgeformt waren für einen Mann seines Alters, und mein Blick wanderte von den Knien zu den schlanken Fesseln hinab, an denen sich noch das Muster seiner Socken abzeichnete. Er fuhr sich mit den Fingern durch das feuchte, silbergraue Haar und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Mein Gott«, murmelte er, während er sich Gesicht und Hals mit einem Handtuch abwischte. »Ich bin zu alt für diesen Mist.«
Er holte tief Luft und atmete langsam aus, mit wachsendem Unmut. Die Armbanduhr, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, eine Breitling Aerospace aus rostfreiem Stahl, lag auf dem Tisch. Er nahm sie und ließ sie um sein Handgelenk schnappen.
»Verdammt noch mal. Solche Leute sind schlimmer als ein Krebsgeschwür. Lass mich mal sehen«, sagte er.
Der Brief war handgeschrieben, in bizarren roten Blockbuchstaben, und am oberen Seitenrand befand sich die unbeholfene Zeichnung eines Vogels mit Schopf und langen Schwanzfedern. Darunter das lateinische Wort – –, mit dem ich in diesem Zusammenhang überhaupt nichts anzufangen wusste. Mit spitzen Fingern entfaltete ich das Blatt, schlichtes weißes Schreibmaschinenpapier, und legte es vor ihn auf den alten französischen Frühstückstisch aus Eichenholz. Ohne das Dokument zu berühren, das möglicherweise noch als Beweisstück dienen würde, las er aufmerksam Carrie Grethens merkwürdige Worte.
»Der Poststempel ist New York, und natürlich hat es im Zusammenhang mit ihrem Prozess dort einigen Medienwirbel gegeben«, sagte ich in dem verzweifelten Wunsch, der Wahrheit nicht ins Auge sehen zu müssen. »Vor zwei Wochen erst ist ein sensationsheischender Artikel über sie erschienen. Praktisch jeder hätte den Namen Carrie Grethen aus dieser Quelle erfahren können. Mal abgesehen davon, dass die Anschrift meiner Dienststelle jedermann zugänglich ist. Vermutlich stammt dieser Brief gar nicht von ihr. Vermutlich ist er von irgendeinem Verrückten.«
»Er ist wahrscheinlich von ihr.« Er las weiter.
»Du meinst, sie könnte so was aus der geschlossenen Abteilung einer forensischen Psychiatrie verschicken, ohne dass es jemand kontrollieren würde?«, sagte ich, während die Angst mir das Herz zuschnürte.
»Saint Elizabeth’s, Bellevue, Mid-Hudson, Kirby.« Er schaute nicht auf. »Die Carrie Grethens, die John Hinckley Juniors, die Mark David Chapmans sind Patienten, keine Häftlinge. Sie genießen die gleichen bürgerlichen Rechte wie wir, während sie in Strafvollzugsanstalten und Psychiatrien herumhocken, pädophile Foren im Internet gründen und per E-Mail Tipps für Serienkiller verkaufen. Und höhnische Briefe an Chief Medical Examiners verschicken.«
Seine Stimme klang jetzt aggressiver, seine Worte schärfer. In Bentons Augen lag Hass, als er endlich den Blick hob und mich ansah.
»Carrie Grethen macht sich über dich lustig. Über das FBI. Über mich«, fuhr er fort.
, murmelte ich und hätte das bei anderer Gelegenheit sogar komisch gefunden.
Wesley stand auf und warf sich das Handtuch über die Schulter.
»Nehmen wir also mal an, sie war es …«
»Sie war es.« Er schloss jeden Zweifel aus.
»Na gut. Dann steckt aber mehr dahinter als ein bisschen Spott, Benton.«
»Klar. Wir sollen nicht vergessen, dass sie und Lucy ein Verhältnis hatten, etwas, worüber die Öffentlichkeit nichts weiß – noch nicht«, sagte er. »Jedenfalls beweist dieser Brief, dass Carrie Grethen nicht damit aufhören will, anderer Menschen Leben zu ruinieren.«
Es war mir unerträglich, auch nur ihren Namen zu hören, und dass sie es geschafft hatte, in mein West-End-Zuhause einzudringen, machte mich rasend. Sie hätte ebenso gut mit uns am Frühstückstisch sitzen und die Luft mit ihrer verdorbenen, bösartigen Aura verpesten können. Ich sah ihr herablassendes Lächeln und ihre merkwürdig hellen Augen vor mir und fragte mich, wie sich die fünf Jahre hinter Gittern und der ständige Umgang mit geisteskranken Verbrechern wohl auf ihr Äußeres ausgewirkt haben mochten. Carrie war nicht wahnsinnig. War es nie gewesen. Sie war ein entgleister Charakter, eine Psychopathin, ein gewalttätiges Wesen ohne jedes Gewissen.
Ich blickte hinaus auf den Zierahorn in meinem Garten, der im Wind schwankte, und auf die unvollendete Mauer, die mich nur unzureichend vor meinen Nachbarn abschirmte. Das Telefon läutete, ich zögerte abzunehmen.
»Dr. Scarpetta«, sagte ich, während ich beobachtete, wie Bentons Blick abermals jene rote Kugelschreiberschrift fixierte.
»Yo«, ertönte Pete Marinos vertraute Stimme. »Ich bin’s.«
Captain Marino war Leiter der Mordkommission beim Richmond Police Department, und ich kannte ihn gut genug, um seinen Tonfall einschätzen zu können. Schon wappnete ich mich innerlich gegen weitere schlechte Nachrichten.
»Was gibt’s?«, fragte ich ihn.
»Ein Gestüt in Warrenton ist letzte Nacht in Flammen aufgegangen. Vielleicht hast du in den Nachrichten davon gehört«, sagte er. »Ställe, an die zwanzig Spitzenpferde und das Wohnhaus. Alles niedergebrannt bis auf die Grundmauern.«
Bis jetzt ergab das alles noch keinen Sinn. »Marino, seit wann rufst du mich an, wenn es irgendwo gebrannt hat? Mal abgesehen davon, dass du in Northern Virginia gar nichts verloren hast.«
»Von nun an schon«, erwiderte er.
Der Raum um mich schien zu schrumpfen, während ich auf die Erklärung wartete.
»Das ATF hat gerade eben das NRT alarmiert«, fuhr er fort.
»Das heißt, uns.«
»Bingo. Deinen und meinen Arsch. Morgen früh.« Das National Response Team, die Spezialeinheit des Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms, kam zum Einsatz, wenn Kirchen oder Geschäftshäuser brannten, bei Bombenexplosionen und sonstigen Katastrophen, die in die Zuständigkeit des ATF fielen. Marino und ich gehörten zwar nicht zum ATF, es war jedoch nichts Ungewöhnliches, dass diese und andere Polizeieinheiten uns bei Bedarf um Unterstützung baten. Allein zwischen 1993 und 1996 hatte ich die Bombenattentate auf das World Trade Center und das Murrah Federal Building in Oklahoma City sowie den Absturz von TWA-Flug 800 vor Long Island zu bearbeiten gehabt. Ich musste bei der Identifizierung der Mitglieder der Davidianer-Sekte in Waco helfen und die Toten untersuchen, die auf das Konto des Unabombers gingen. Ich wusste aus leidvoller Erfahrung, dass das ATF mich nur dann zu einem Einsatz hinzuzog, wenn Menschen zu Tode gekommen waren, und falls Marino ebenfalls angefordert wurde, lag der Verdacht nahe, dass es sich um Mord handelte.
»Wie viele?« Ich griff nach meiner Schreibunterlage.
»Es geht nicht darum, wie viele, Doc. Es geht darum, . Der Besitzer der Farm ist nämlich Kenneth Sparkes, der Medienmogul. Und gegenwärtig sieht’s so aus, als hätt er’s nicht geschafft.«
»O Gott«, murmelte ich. »Und das wissen wir genau?«
»Na ja, er wird jedenfalls vermisst.«
»Würde es dir etwas ausmachen, mir zu erklären, warum ich das erst jetzt erfahre?«
Ich fühlte Wut in mir aufsteigen und war kurz davor, sie an ihm auszulassen, denn sämtliche unnatürlichen Tode in Virginia gehörten in meinen Zuständigkeitsbereich. Ich hätte nicht erst von Marino über diesen Fall informiert werden dürfen und ärgerte mich über mein Northern-Virginia-Büro, das mich nicht zu Hause angerufen hatte.
»Nun reg dich mal nicht über deine Docs in Fairfax auf«, sagte Marino, der meine Gedanken lesen zu können schien. »Fauquier County hat das ATF gebeten, den Fall zu übernehmen, sodass das der normale Dienstweg war.«
Es gefiel mir zwar immer noch nicht, aber es war an der Zeit, zur Sache zu kommen.
»Ich darf wohl annehmen, dass man noch keine Leiche entdeckt hat«, sagte ich und schrieb schnell mit.
»Zum Teufel, nein! Damit darfst du dich amüsieren.«
Ich ließ den Kugelschreiber einen Augenblick auf dem Notizblatt ruhen. »Marino, wir haben es mit dem Brand eines einzelnen Privathauses zu tun. Selbst wenn Verdacht auf Brandstiftung besteht und der Fall exponiert ist, sehe ich nicht, wieso das ATF sich dafür interessieren sollte.«
»Whiskey, Maschinengewehre, An- und Verkauf von Rassepferden; und schon sind sie im Geschäft«, antwortete Marino.
»Na großartig«, murmelte ich.
»Das kannst du laut sagen. Die Sache ist ein...