E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Correa Kanarische Intrigen
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-293-30445-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Ricardo Blanco. Ricardo Blanco, Privatdetektiv auf Gran Canaria (1)
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ricardo Blanco, Privatdetektiv auf Gran Canaria
ISBN: 978-3-293-30445-1
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Privatdetektiv Ricardo Blanco wäre gern Humphrey Bogart, oder zumindest Hercule Poirot. Andererseits wäre Poirot wohl unter der kanarischen Sonne von Las Palmas, wo Blanco ermittelt, nach zwei Stunden eingegangen. Seine Überlegungen zu wetterfesten Detektiven werden von einer jungen Frau unterbrochen, die ihn mit einem neuen Fall beauftragt. Ihr Verlobter soll Selbstmord begangen haben, aber sie ist überzeugt: Es war ein Verbrechen.
Blancos Nachforschungen führen ihn in die exklusiven Kreise der High-Society, auf Jachtausflüge und Cocktailpartys. Doch der schöne Schein trügt, und die schicken Damen und Herren scheinen alle ein falsches Spiel zu spielen. Nur – wer von ihnen würde morden, um zu gewinnen?
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Sie hieß María Arancha und war, wie sollte es auch anders sein, ein Snob. Als ich sie letztes Jahr im November durch meine Bürotür kommen sah, fiel mir als Erstes die Mutlosigkeit in ihren mahagonifarbenen Augen auf. Das und die Tatsache, dass ihre Lippen sich den ganzen Nachmittag weigerten, auch nur einmal zu lächeln. Sie kam auf Empfehlung eines Verwandten: »Mein Onkel Lorenzo hat mir von Ihnen erzählt, er sagte, Sie seien schnell und einigermaßen diskret, hätten einen guten Ruf und in zehn Jahren nur einen einzigen Fall verloren, aber wenn ich ehrlich bin, habe ich auch sonst niemanden, an den ich mich wenden könnte.« Ich wusste ihre Offenheit zu schätzen, wenn wir in Zukunft Seite an Seite kämpften, war es besser, nichts für die Aasgeier übrig zu lassen. »Dann ist Lorenzo Manrique also Ihr Onkel?« »Ja, mein leiblicher. Er ist der ältere Bruder meines Vaters.« »Und wie geht es ihm so? Hat er die Ratten inzwischen vom Schiff gejagt?« Ich erinnerte mich noch gut an Lorenzo Manrique, einen Mann, mit dem es das Schicksal gut gemeint hatte. Er hatte mich damals für den Wahlkampf 96 engagiert, weil er einem seiner Gesinnungsgenossen der Nationalistischen Partei, einem gewissen Tomás Sarmiento, nicht recht über den Weg traute. Er war davon überzeugt, dass Sarmiento mit der Opposition liebäugelte, sich in den Reihen einer anderen politischen Gruppierung zu profilieren versuchte und vorhatte, mehrere Parteifreunde mit hinüberzuziehen. Manrique, ein Opportunist der übelsten Sorte, witterte Verrat von allen Seiten, vielleicht weil er selber mehr als einen Parteifreund – ich glaube nicht, dass er echte Freunde hatte – aus Eigennutz im Straßengraben zurückgelassen hatte. In diesem Fall hatte ihn sein Instinkt jedoch nicht getrogen: Nachdem wir ihn zwei Monate lang beschattet hatten, erwischten wir Sarmiento eines Abends dabei, wie er in einem japanischen Restaurant mit der Crème de la Crème der Volkspartei zusammensaß und mit Sake auf »den Beginn einer wunderbaren Freundschaft« anstieß, genau wie Humphrey Bogart mit Claude Rains, nur lange nicht so stilvoll. Danach suchte die ganze Gesellschaft nämlich noch ein Bordell in der Nähe der Tankstelle von Molowni auf, aber das band ich María Arancha Manrique natürlich nicht auf die Nase, so etwas würde ein Snob wie sie nicht verstehen. María Arancha setzte sich ans andere Ufer meines Schreibtischs, legte die Arme über Kreuz auf die Knie und erzählte mir ganz ohne Eile, indem sie sich in jedes auch noch so kleine Detail vertiefte und sich an den pikanteren Stellen ihres Berichts räusperte, um ihre Verlegenheit zu überspielen – erzählte sie mir also, warum um Himmels willen sie einen Privatdetektiv engagieren wollte: weil jemand Toñuco Camember umgebracht hatte. »Mit diesem Namen«, dachte ich, »ist es das Geringste, was ihm passieren konnte.« Dieser Gedanke schien sich deutlich auf meinem Gesicht abzuzeichnen, denn María Arancha rutschte unbehaglich auf ihrem Sessel herum und stieß ein erneutes, beinahe unhörbares Räuspern aus: »Es stimmt, Señor Blanco, ich schwöre es.« »Dann ist das aber ein Fall für die Polizei.« »Die Polizei glaubt, dass es Selbstmord war.« »Und Sie teilen diese Auffassung offensichtlich nicht.« »Nein. Toñuco hätte alles sein können, nur kein Selbstmörder. Er lebte gerne und vor allem gut.« »Standen Sie ihm sehr nahe?« »Wir wollten im Frühling heiraten.« »Caramba, das tut mir unendlich leid für Sie.« Die Polizei hatte den Fall tatsächlich nach ihrer ganz eigenen Logik gelöst: Es kommt aus der Kuh, es ist weiß und es wird in Flaschen abgefüllt, also ist es Milch. Wie ich später erfuhr, fand man Toñuco Camember – allein bei der Erinnerung an seinen Namen drehte sich mir der Magen um – stocksteif und mit einem Einschussloch an der rechten Seite des Kopfes am Schreibtisch in seiner Anwaltskanzlei. Um das Loch herum, durch das die Kugel eingedrungen war, befanden sich natürlich noch Reste von Schießpulver. Wie ich herausfand, war der Bursche Rechtshänder, und so bekam ich keine Gelegenheit, María Arancha zu beeindrucken, indem ich ihr die Unmöglichkeit eines Selbstmordes mit der falschen Hand auseinander setzte. Es hatte also alles seine Richtigkeit. Zumindest auf den ersten Blick. Doch nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Für diese Wahrheit braucht man keine Bücher, es ist eine unentrinnbare Wahrheit, die einem in Fleisch und Blut übergeht, eine feste Gewissheit, zu der man durch Erfahrung gelangt. Ich wurde nun schon seit einigen Jahren in dieser Gewissheit immer wieder bestätigt. Genau genommen seit jenem Abend, als Miguel Moyano, mein Geschäftspartner und Freund, die absurde Idee hatte, mit seinem Geld und meiner Freizeit eine Firma zu gründen, und ich ihm antwortete: »Einverstanden, warum machen wir nicht eine Detektei auf?«, und er mit vor Malt-Whisky glänzenden Augen zustimmte: »Au ja, das könnte lustig werden, ein Moyano, der auf Sam Spade macht.« Meine diversen abgebrochenen Studiengänge, die ich wie Heiligenbildchen gesammelt hatte – Ingenieurwissenschaft, Jura, Psychologie an der Fernuni –, erwiesen sich daraufhin bald als nützlich. Ich begann mich auf meine Intuition zu verlassen und vor allem auf ein Bündnis mit dem Glück, das seinen Teil der Abmachung seither strikt eingehalten hat. Es ist also wie gesagt nicht immer alles so, wie es auf den ersten Blick aussieht, und so gab es in der Kopie, die ich mir vom Bericht des mit dem Fall Camember beauftragten Inspector Álvarez besorgt hatte, etwas, das keinen Sinn ergab. Ich brauchte einige Stunden, bis ich es sah. Ich wusste, dass ein Detail auf den Fotos nicht stimmte, vor allem auf einem Foto, auf dem der Verstorbene von vorne zu sehen war und auf dem ihm der Kopf auf die linke Schulter hing, während der Arm der gleichen Seite schlaff herunterbaumelte und der rechte Arm mit der offenen Handfläche nach unten auf seinem Schoß lag. Ich habe mich nie an den Tod gewöhnen können. Nicht dass ich schon besonders oft eine Leiche gesehen hätte, leblose Materie, die zurückgelassene Hülle von jemandem, der früher einmal Arzt war, oder Stewardess oder Mutter oder Sohn oder Auftragsmörder. Doch die wenigen Male, die ich mich dem Tod gegenübersah, blieb mir immer ein säuerlicher Geschmack im Magen zurück und ein unerklärliches Schuldgefühl in der Brust, so als hätte einer wie ich jeden Einzelnen dieser Unglücklichen irgendwie retten können. Der Anblick von Camember – María Arancha erklärte mir, dass der Name tatsächlich auf »r« endete und nicht etwa auf »t« und dass er rein gar nichts mit der Käseregion in der Normandie zu tun hatte – war entmutigend. Nachdem mir die Manrique einige der vielen Talente Toñucos eher oberflächlich, wie ich vermutete, beschrieben hatte, hörte er auf, ein anonymes, fremdes Wesen für mich zu sein, und ich begann mich zu fragen, wie ein solcher Lebemann – in meinem Stadtviertel hätten wir ihn einen waschechten Weiberhelden genannt – als dieses leblose Stück Fleisch hatte enden können. Ich fing an das Foto genauestens unter die Lupe zu nehmen. Die Gegenstände, die auf dem Schreibtisch lagen. Die Anordnung der Bibliothek, die hinter dem Toten zu sehen war. Die brennende Stehlampe neben ihm. Nichts ließ darauf schließen, dass es kein normaler Tag in der Routine eines Winkeladvokaten gewesen war. Alles sah irgendwie nach nutzlosem Geburtstagsgeschenk aus: eine Zigarrenkiste aus Zedernholz, ein Feuerzeug in Form einer Golftasche, ein silbernes Kugelschreiberset, ein offenes Etui mit einem sauberen, unbenutzten Tintenfass und eine makellose, glatte, schwarze Schreibfeder. Das einzig Natürliche, das Einzige, was nicht nach italienischer Einrichtungszeitschrift aussah, war ein schiefer Stapel mit CDs, mit denen sich der Mann zweifellos die Arbeitsstunden versüßt hatte. Da keine Stereoanlage zu sehen war, vermutete ich, dass Camember genau wie ich seinen Computer nicht nur zum Arbeiten verwendete, sondern auch dazu, sich Michael Bolton oder Mariah Carey anzuhören oder auf was Snobs eben sonst so abfahren. Ich betrachtete noch einmal gründlich die Leiche. Die Position des Kopfes war keineswegs ungewöhnlich. Nach einem aus so kurzer Entfernung abgefeuerten Schuss konnte der Kopf in jede beliebige Richtung gefallen sein. Es konnte sogar sein, dass er einige Male hin- und hergependelt war, jeder weiß, wie sich ein Schädel – sogar der eines Schwachkopfs wie Toñuco Camember – bei einem solchen Knall verhält. Nein, es war nicht der Kopf. Es waren die Arme. Oder besser gesagt der rechte Arm, mit dem angeblich der Schuss abgegeben worden war. Der rechte Arm von Camember war nämlich ganz zahm und sah nicht so aus, als hätte er seinem Besitzer gerade die Rübe weggepustet. Er war leicht auf die Innenseite seines Oberschenkels gestützt, mit der Handfläche nach unten, eine Haltung, die jemand einnimmt, der sich schutzlos und allein gelassen fühlt. Wenn dies der Tatarm gewesen wäre, hätte er genau wie der andere Arm aussehen müssen, vor Scham über die begangene Tat völlig entkräftet. Man schießt sich nicht in den Kopf, stirbt, lässt die Pistole fallen und legt sich den Arm hinterher wieder auf den Schoß. Wäre die Waffe noch zwischen seinen Fingern gewesen, hätte man vielleicht an einen letzten Akt der Reue denken können. Doch die Waffe lag auf dem Boden unter seinem Stuhl und der Arm in seltsamer Symmetrie dazu auf dem Körper des Toten....