Criaco | Die Söhne der Winde | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Criaco Die Söhne der Winde


1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-99037-093-3
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-99037-093-3
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die berührende Geschichte dreier Jungen und ihrer Mütter in der Mafiahochburg Kalabriens. Nicola, Filippo und Antonio wachsen im Kalabrien der 1960er-Jahre auf - umgeben von Heiligenlegenden und Aberglauben, fern jeder Moderne. In ihrem Dorf Africo herrschen Elend und Arbeitslosigkeit. Ihre Väter arbeiten in Deutschland. Die Mütter versuchen als Tagelöhnerinnen in den Jasminfeldern ihre Kinder sattzubekommen. Alleingelassen vom Staat, ausgebeutet von den Besitzern und gegängelt von der Mafia, proben die Frauen den Aufstand, während die Söhne das schnelle Geld suchen und in die Kriminalität abdriften.

Gioacchino Criaco, geboren 1965 in Africo, Kalabrien. Studium der Rechtswissenschaften in Bologna, Anwalt in Mailand. Nach 20 Jahren Rückkehr nach Africo. Mit dem Roman Schwarze Seelen (Folio 2016) gelang ihm ein Bestseller, dessen Verfilmung durch Francesco Munzi mit vielen internationalen Preisen bedacht wurde.

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Weitere Infos & Material


TEIL EINS Die Söhne des Windes: I. Africo II. Zephyr III. Bruschiu
TEIL ZWEI Auf den Flügeln des Kuckucks: Die Kinder des Schattens
TEIL DREI Die Erinnerung der Schildkröte: Die Jungs der Auror


Er hatte es eilig, er redete nicht lang um den heißen Brei herum und verwendete auch nicht die bildhafte Sprache der Banditen. „Ihr müsst etwas für uns aufbewahren. Nur eine Woche lang, danach gebt ihr es uns zurück. Ganz einfach, und falls alles gutgeht …“, er hielt inne, „bekommt ihr fünfzigtausend Lire.“ Filippo stieg die Röte ins Gesicht, auch ich wurde feuerrot. Fünfzigtausend Lire! Damit konnten wir uns den Bauch mit Gebäck vollschlagen, Jeans und Schuhe kaufen, einen Monat lang essen und trinken! „Was genau sollen wir tun?“, fragte Filippo und beim Gedanken an das Geld zitterte seine Stimme. Der andere kam mit den Bierflaschen, stellte sie auf den Tisch, entkorkte sie und reichte sie uns. Der Erste nahm eine Flasche, seine Stimme war jetzt ruhig und ernst: „Wir geben euch eine Tasche. Ihr bewahrt sie an einem sicheren Ort auf. Heute ist Dienstag, stimmt’s?“, fragte er. Wir nickten. „Nächsten Dienstag kommt ihr mit der Tasche her, gebt sie uns zurück, nehmt eure fünfzigtausend Lire in Empfang und wir trinken wieder ein Bier.“ Er hob die Flasche, hielt sie in die Mitte, sein Freund tat es ihm nach, und Filippo stieß mit ihnen an. Sie sahen mich erwartungsvoll an. Unzählige Gedanken gingen mir durch den Kopf, aber die fünfzigtausend Lire brachten sie zum Schweigen. Auch ich stieß an. Einer nach dem anderen trank das Bier in drei Schlucken aus. „Seht ihr die Kisten?“, fragte der Erste und zeigte auf die Plastikbierkisten mit den leeren Bierflaschen, die hinten an der Wand des Hofes gestapelt waren. „Darin ist eine Tasche. Bevor ihr in den Zug steigt, holt ihr sie raus.“ Er verstummte, stand auf, drückte uns die Hand; sein Freund tat es ihm gleich, jetzt war seine Hand nicht mehr schweißnass. „Sucht euch aber ja ein gutes Versteck“, riet er uns mit einem harten Blick; er hob die rechte Braue, darunter befand sich ein Feuermal. Sie gingen und wir blieben allein sitzen. Trotz des Biers wurde ich nicht gesprächiger. Meine Skrupel machten sich wieder bemerkbar. „Was da wohl drin ist?“, fragte ich. „Nico, da sind fünfzigtausend Lire drin. Nur daran dürfen wir denken.“ Im Flipperraum wimmelte es jetzt wieder von Jungs, die sich auf Kosten von Isidoro den Bauch vollgeschlagen hatten, aber er war nicht da, ich blickte mich um, aber er stand auch nicht am Tresen. Wir taten so, als würden wir den anderen beim Spielen zusehen und beobachteten unauffällig die Tür hinten. Ich begann die Minuten zu zählen – um halb zwei fuhr ein Zug ab, der bei jedem dritten Bahnhof stehen blieb und bei unserem nicht einmal langsamer fuhr, um zwei fuhr der Lokalzug ab, der überall stehen blieb und in unserem Dorf langsamer fuhr. Nach einer Weile ließ ich Filippo stehen und ging zur Uhr im großen Saal: Es war erst zwanzig vor elf. Ich ging ins Freie. Ein Auto der Carabinieri machte eine Runde über die Piazza, fuhr vor jeder Bar langsamer, deren Glasfenster auf die Piazza blickten und vor der sich Grüppchen von Jungs gebildet hatten. Noch bevor die Carabinieri zu mir gelangten, ging ich hinein. Ich ging in den Flipperraum und zog Filippo am Arm in den Hof. „Die Carabinieri sind wieder auf der Piazza, Filippo.“ „Was tun sie?“ „Sie fahren an der Bar vorbei“ „Kommen sie etwa herein?“ „Nein, ich habe sie nicht hereinkommen sehen, aber ich bin schnell hereingelaufen und sie drehen draußen nach wie vor ihre Runden.“ „Wer weiß, was da drin ist“, sagte er leise und zeigte mit dem Blick auf die Kisten an der Wand, „… und wenn wir einfach gingen und alles liegen ließen?“ „Nein, jetzt besteht keine Gefahr. Erst dann, wenn wir mit der Tasche hinausgehen. Gehen wir zurück in die Bar. Oder gehen wir lieber auf die Piazza hinaus und bleiben wir in etwas Entfernung stehen. Schauen wir, was passiert, dann überlegen wir, was wir tun“, schlug ich vor und fühlte mich erleichtert. Ich ging wieder in die Bar. Als ich bemerkte, dass er mir nicht gefolgt war, kehrte ich um und packte ihn am Arm. „Los.“ Er sah nicht sehr überzeugt drein, ließ sich jedoch mitschleppen. Auf der Piazza waren keine Carabinieri mehr, aufs Neue setzten wir uns auf den Bordstein. „Hast du gesehen? Du hast dir einen Schrecken einjagen lassen, Filì.“ Ich wünschte mir, dass es nur ein Schrecken gewesen wäre. Aber die beiden, die uns das Geschäft vorgeschlagen hatten, waren überaus nervös gewesen, sie hatten sich erst entspannt, als sie weggegangen waren. Was war wohl in der Tasche, was war fünfzigtausend Lire wert? Und wie gefährlich war sie, wenn die beiden sie uns anvertrauten, auf die Gefahr hin, dass wir sie verloren? Und warum ausgerechnet uns? „Gevatter, wo seid Ihr gelandet? Ich habe alle Bars auf der Piazza abgeklappert, um Euch zu suchen.“ Isidoro stand hinter uns, ohne dass wir es bemerkt hatten. Filippo neben mir war aufgeschreckt und einen Augenblick lang, bevor ich ihn erkannte, hatte auch mein Herz wild zu pochen begonnen. „Wir sind ein wenig spazieren gegangen, und jetzt sind wir wieder da. Setzt Euch zu uns, Gevatter Isidoro“, forderte Filippo ihn auf, und zum ersten Mal lag in seiner Stimme nicht der übliche Spott. Wir umringten ihn. Er sah noch immer so zufrieden drein wie davor, als er das Extraspiel gewonnen hatte. „Habt Ihr vielleicht eine Zigarette?“, fragte Filippo. Isidoro steckte die Riesenpranke in die Hosentasche und holte ein Päckchen heraus wie eine Trophäe. „Ich habe mir neue gekauft, deine Freunde haben mir alle weggeraucht.“ Wir nahmen uns jeweils eine. Isidoro zündete sie an und rauchte ebenfalls. Er war nicht nur zufrieden, sondern auch ruhig, und in diesem Augenblick beneidete ich ihn. Ausnahmsweise war er es, der uns beruhigte. Er begann von dem Spiel zu erzählen, und dass die anderen ihm gratuliert hatten. Eine Zeit lang ließen wir ihn reden, ohne ihn zu unterbrechen. Dann fragte ich ihn, ob in der Stadt etwas vorgefallen sei – es seien so viele Carabinieri unterwegs. „Ihr meint, ob jetzt etwas vorgefallen ist?“, fragte er. Ohne auf die Antwort zu warten, fuhr er fort: „Von jetzt weiß ich nichts, aber zu Weihnachten ist in einem Dorf in der Nähe einer umgebracht worden. Und dann während eures Patronatsfests ist genau hier einer umgebracht worden.“ „Wo hier?“, unterbrach Filippo. „Genau fünfhundert Meter von hier entfernt. Auf der Piazza Carmine, oberhalb des Agrarkonsortiums. Angeblich dort ein hohes Tier.“ „Ach“, sagte Filippo, blickte mich an und neigte den Kopf. „Lest ihr denn keine Zeitungen?“, fragte Isidoro, fuchtelte mit den Händen und presste die Fingerspitzen aneinander, „in der ganzen Provinz wird ein Bandit nach dem anderen abgestochen“, sagte er aufgeregt, „einer meiner Freunde sagt, da dreht einer durch, wer weiß, was noch alles passiert.“ Er sprach wie jemand, der sich auskannte. „Es gibt keine Rosen ohne Dornen“, witzelte Filippo. „Ja, Gevatter, am Feuer kann man sich wärmen, aber auch verbrennen“, antwortete Isidoro umgehend. Aber ja doch, die Carabinieri drehten wegen der Banditen ihre Runden, nicht wegen unserer Tasche. Ich entspannte mich ebenfalls und machte mir einen Spaß daraus zuzusehen, wie Filippo Isidoro veräppelte: Bemerkte er es nicht? Vielleicht bemerkte er es, dachte ich, doch wenn man Bedürfnis nach Gesellschaft hat, ist man sogar zu einem kleinen Opfer bereit. Im Grunde überschritten weder ich noch Filippo je die Grenze, wir mochten ihn nicht nur wegen seiner Großzügigkeit, und in unserer Anwesenheit durfte ihn niemand auslachen oder abzocken – außer bei außergewöhnlichen Gelegenheiten wie heute Vormittag. Ich betrachtete sein ruhiges Mondgesicht, es tat mir leid und gleichzeitig tröstete es mich, nein, wir mussten uns keine Sorgen machen, sagte ich mir, und hörte auf, die Minuten zu zählen, die vergingen, während wir plauderten und rauchten. Erst als Isidoro hochfuhr, erinnerte ich mich daran, wie spät es war: „Fünf nach eins!“, schrie er, sprang auf, „Gevatter, ich laufe zum Bus“, sagte er, lief watschelnd davon und versprach, morgen wiederzukommen. Ich und Filippo blickten einander wortlos an, aufs Neue kreisten meine Gedanken ausschließlich um die fünfzigtausend Lire. Wir betraten die Bar, gingen ins Hinterzimmer. Filippo steckte die Hand in den Spalt zwischen Wand und Kisten, schlüpfte mit dem ganzen Körper hinein, mit leuchtenden Augen zog er eine grüne Militärtasche heraus, eine von der Art, in der Schüler gern die Bücher transportierten. Er hielt sie am Tragriemen fest, ließ sie zwischen den gespreizten Beinen baumeln, als könne das Gewicht ihm die Art oder die Gefährlichkeit des Inhalts...


Gioacchino Criaco, geboren 1965 in Africo, Kalabrien. Studium der Rechtswissenschaften in Bologna, Anwalt in Mailand. Nach 20 Jahren Rückkehr nach Africo. Mit dem Roman Schwarze Seelen (Folio 2016) gelang ihm ein Bestseller, dessen Verfilmung durch Francesco Munzi mit vielen internationalen Preisen bedacht wurde.



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