Curham True Face - Sei echt. Sei furchtlos. Sei du selbst.
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-16358-7
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-641-16358-7
Verlag: cbt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Siobhan Curham ist eine preisgekrönte Roman- und Sachbuchautorin, Motivationstrainerin und Life-Coach. Sie schreibt für Jugendliche und Erwachsene. Wenn sie gerade mal nicht mit Worten spielt, dann verrenkt sie sich auf ihrer Yoga-Matte, hört wunderbar knisternde Musik auf Vinyl oder träumt mit offenen Augen davon, doch noch eines Tages Tänzerin zu werden.
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Wer bist du? Wer bist du wirklich?
Wenn du so bist wie die meisten Menschen, dann denkst du nicht besonders viel über diese Frage nach. Höchstwahrscheinlich bist du viel zu sehr damit beschäftigt, alles gut zu machen, anderen zu gefallen und dich anzupassen. Klar, oberflächlich kannst du die Frage natürlich beantworten: Ich bin Tochter/Schwester/Schülerin/Freundin/Angestellte bei der Tretmühlen GmbH und Co. KG. Aber das sind alles „offizielle“ Bezeichnungen, die nicht unbedingt etwas mit dir zu tun haben. Sie betreffen jeweils nur deine Rollen und nicht so sehr dich selbst.
Im Zen-Buddhismus gibt es eine uralte Weisheit, die mir sehr gefällt: „Zeig mir dein ursprüngliches Gesicht, das Gesicht, das du hattest, bevor deine Eltern geboren wurden.“
Im Prinzip bedeutet das, dass die Zen-Buddhisten glauben, dass wir, bevor wir rein physisch geboren werden, ganz und gar wir selbst sind – ohne jede Falschheit oder Verstellung. Wir sind sozusagen „unbehandelt und frei von allen Zusatzstoffen“. Aber sobald wir älter werden, fangen wir an, uns und anderen etwas vorzuspielen. Ohne dass wir es im Grunde wollen, aber das Leben ist einfach manchmal hart und mutet uns Dinge zu, die uns verletzen oder Angst machen. Vielleicht lacht uns ein Freund aus, oder unsere Eltern oder eine Lehrerin kritisieren etwas, was wir tun. Wir trauen uns nicht mehr, unser ursprüngliches Gesicht zu zeigen, denn so sind wir weniger verletzlich und angreifbar.
Wir setzen also andere Gesichter auf wie Masken. Das kann ein „Ich bin so glücklich“-Gesicht sein oder ein „Ist mir doch egal“-Gesicht oder ein „Mir kann keiner was“-Gesicht. Aber keines davon ist echt. Und sobald wir unser wahres Selbst verbergen, verhalten wir uns auch nicht mehr so, wie es uns wirklich entspricht, und das kann zu gravierenden Problemen führen. Ein perfektes Beispiel dieses Vorgangs lässt sich oft auf Facebook verfolgen.
Wahrheit und Lüge bei Facebook
Stell dir folgendes Setting vor: Amelie ist Anfang zwanzig und Autorin. Sie wohnt mit ihrer besten Freundin in einer WG. Vor Kurzem haben Amelie und ihr Freund Jack Schluss gemacht. Sie waren seit mehreren Jahren zusammen. Er war ihr erster richtiger Freund, der erste Kuss, die erste Teenie-Liebe, aber im Laufe der Jahre hatten sie sich auseinanderentwickelt, und ihre Liebe hatte sich in Kameradschaft verwandelt. Obwohl sie zum Zeitpunkt der Trennung wirklich traurig war, ist Amelie stolz darauf, wie gut sie seither damit zurechtgekommen ist. Sie hat sich ganz darauf konzentriert, ihren ersten Roman zu schreiben, und unternimmt viel mit Freunden.
Eines Montagmorgens, ein paar Monate nach der Trennung, wacht sie auf, sie fühlt sich warm, schläfrig und entspannt. Dann schaltet sie ihr Handy ein und geht auf Facebook. Während sie durch ihre Neuigkeiten scrollt, entdeckt sie etwas, das ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. Jack hat am vorangegangenen Abend ein neues Foto hochgeladen. Es zeigt ihn in einer Bar, den Arm lässig um ein Mädchen gelegt. Während sich Amelie den Schlaf aus den Augen reibt, ist sie mehr und mehr davon überzeugt, dass das Mädchen Jack auf eine Art und Weise ansieht, die man nur als Anhimmeln bezeichnen kann. Amelies Herz klopft, und ihr ist übel, aber anstatt das Handy aus der Hand zu legen, schaut sie sich die Kommentare zu dem Foto an. Super Abend, hat Jack geschrieben, gefolgt von einem Smiley. Noch nie hat ein Emoticon so düster gewirkt.
Amelie spürt, wie ihr Tränen in die Augen schießen. Sie scrollt weiter und versucht, sich von dem, was sie gerade gesehen hat, abzulenken, doch negative Gedanken blockieren sie.
Ich glaub‘s nicht, dass er wirklich schon eine Neue hat!
Ich glaub‘s nicht, dass er gleich ein Foto mit ihr posten muss!
Sie sieht so verknallt aus.
Sie sieht so billig aus!
Warum lässt er sich bloß mit so einer ein?
Ich dachte, er hätte mich geliebt.
Er kann mich gar nicht geliebt haben, wenn er jetzt schon eine Andere hat.
Vielleicht hat er mich nie geliebt!
Vielleicht war unsere ganze Beziehung eine einzige Lüge.
Während Amelie weiterscrollt, bemerkt sie das Status-Update einer Freundin, die ebenfalls Autorin ist. Unglaublich, aber ich hab schon wieder ein Buch unter Vertrag, steht da. Wenn Amelie nicht noch sauer wäre wegen Jacks Foto, hätte sie sich für ihre Freundin gefreut – sie hätte einen Kommentar gepostet und ihr gratuliert. Aber weil Amelies Laune sich jetzt auf der Rolltreppe nach unten befindet, bringt sie nur noch negative Gedanken zustande. Sie hat schon wieder einen Vertrag für ein Buch. Amelie hat noch nicht mal einen einzigen Buchvertrag! Vielleicht wird sie auch nie einen bekommen. Wieder wird sie von Selbstzweifeln zernagt.
Was, wenn mein Roman schlecht ist?
Was, wenn ich nie im Leben etwas veröffentlichen werde und keinen Mann finde und mich keiner liebt?
Amelie hat das Gefühl, dass ihre Welt schon zusammengebrochen ist, noch bevor ihr Tag überhaupt angefangen hat. Und doch beruht dieses ganze Szenario – und seine Wirkung auf Amelies Gefühle – auf der Unwahrheit.
Was Amelie nicht weiß, ist, dass Jack tatsächlich einen mehr als ätzenden Abend hatte. Seit der Trennung hat er nur lustlos rumgehangen, sich zum Trost mit Müsli direkt aus der Packung vollgestopft und „ihr Lied“ in Endlosschleife abgespielt, nur ab und zu unterbrochen von wütendem Rap. Am gestrigen Abend haben seine Freunde eingegriffen und ihn in eine Bar geschleppt. Dort hat er dann auch die Cousine seines Freundes Joe getroffen, Anna aus Schweden – das Mädchen auf dem Foto. Anna war fröhlich und witzig und hat sich mit jedem aus der Gruppe fotografieren lassen. Es war ihr letzter Abend in Manchester und Jack wird sie nie wiedersehen. Das Foto hat er nur gepostet, um der Welt zu zeigen, dass er jetzt endlich über die Trennung von Amelie hinweg ist. Was er in Wahrheit gar nicht ist – und auch noch lange nicht sein wird! Amelie ist jetzt aber für den Rest des Tages neben der Spur und hasst sich und die Welt. Und das alles nur, weil Jack ein Fake gepostet hat – Fakebook statt Facebook. Noch am selben Abend wird Amelie ebenfalls einen Fakebook-Post schreiben, der die Welt – und Jack – darüber informiert, wie glücklich sie im Augenblick ist. Was sie nicht ist und auch lange Zeit nicht sein wird. Genau wie Jack, wenn er das sieht.
Kommt dir das irgendwie bekannt vor?
Okay, Zeit für Geständnisse. Früher habe ich auch gelogen, was meinen Facebook-Status anbetraf. Schockierend, ich weiß, aber ich habe das Gefühl, dass ich keineswegs die Einzige bin. Es gab nämlich Zeiten, als es mir aus irgendwelchen Gründen richtig schlecht ging, aber ich wollte nicht, dass der Rest der Welt es erfährt, weil ich nicht wollte, dass der Rest der Welt mich für schwach oder depressiv oder einen totalen Loser hält. Und so habe ich statt eines ehrlichen Updates meines wahren Befindens etwas Witziges, Spritziges geschrieben, was für ein Riesenspaß mein Leben doch sei – was in Wahrheit ein Riesenbeschiss war. Hier ein paar Beispiele:
Fakebook-Update:
Super Wochenende in Edinburgh!
Echtes Update:
Echt mies hier in Edinburgh. Bin weggefahren, um ihn zu vergessen, muss aber ständig an ihn denken
Fakebook-Update:
Hab mich super eingelebt – ist wirklich genial hier auf dem Land!
Echtes Update:
Meine Londoner Freunde fehlen mir total, und ich fürchte, es war ein Riesenfehler hierherzuziehen, wo die Busse nur zweimal stündlich fahren
Lügen im richtigen Leben
Wir lügen aber nicht nur, wenn wir online sind. Wer wir sind oder wie es uns geht – die Versuchung ist groß, auch im „richtigen“ Leben die Wahrheit etwas zurechtzubiegen.
Die IT-Beraterin Rachel hatte es in der Schule ziemlich schwer gehabt. Sie war schüchtern, fand nicht leicht Freunde, und so schwamm sie irgendwie mit und hielt sich an die anderen ruhigeren Mitschüler, ohne je eine besondere Beziehung zu ihnen aufzubauen. „Ich hab die beliebten Leute immer beneidet“, sagt sie. „Deren Leben wirkte so einfach und scheinbar fanden sie mühelos Freunde.“
Als Rachel später einen Studienplatz an einer Universität weit weg von ihrem Londoner Zuhause bekam, nutzte sie die Gelegenheit, um sich neu zu erfinden.
„An einem der ersten Abende dort war ich mit ein paar Leuten noch in einer Bar was trinken. Ich dachte, das wäre meine große Chance und ich müsste gleich einen guten ersten Eindruck machen, um nicht wieder im Hintergrund zu verschwinden wie sonst immer. Und so habe ich behauptet, mein Dad hätte eine Kneipe in London. Nichts war weiter entfernt von der Wahrheit als das, denn mein Dad war Bibliothekar. Aber eine von den coolen Mädchen an meiner Schule war in einem Pub zu Hause gewesen und mir war dieses Leben immer so aufregend vorgekommen. Meine neuen Freunde schienen beeindruckt, als ich es ihnen erzählte, und zuerst fühlte es sich toll an, dass sie mich wirklich für die coole Tochter eines Kneipenwirts hielten. Aber es dauerte nicht lange, bis es sich zu einem Albtraum entwickelte.
Gleich in den ersten Weihnachtsferien war eine meiner Uni-Freundinnen in London und fragte, ob sie mich nicht mal im Pub meiner Eltern besuchen könnte. Ich musste etwas erfinden, um da wieder rauszukommen, und habe darunter gelitten, sie schon wieder anlügen zu müssen. Schließlich habe ich überall verbreitet, mein Vater hätte das Pub verkauft. Aber noch immer konnte ich meine Freunde in den Ferien nicht zu mir nach Hause einladen, damit meine Lüge nicht aufflog. Das Ganze war extrem stressig, und rückblickend weiß ich,...




