E-Book, Deutsch, 105 Seiten
Dang Di / Stahnke / Liechti Revolver 31
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7396-1691-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 105 Seiten
ISBN: 978-3-7396-1691-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
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Wie kann man die Vergangenheit zur Gegenwart machen? Das ist eine der Grundfragen des Kinos. Auch die drei großen Interviews in diesem Heft schauen zurück nach vorn. Der Drehbuchautor Razvan Radulescu spricht über das Gefühl der Scham nach der Revolution und welche Form die Erinnerung diktiert, Peter Liechti erzählt (kurz vor seinem frühen Tod im April dieses Jahres) von der Genese seiner Projekte und ihrer mitunter jahrzehntelangen Inkubation, Günter Stahnke berichtet von den Verletzungen und Untiefen der Filmproduktion in der DDR-Diktatur und seinem Überwintern in der 'Heiteren Dramatik'. Zugleich präsentiert sich Revolver grafisch in neuer Form: Die Gestaltung des Heftes wie auch der Webseite verantwortet mit dieser Ausgabe die französische Grafikerin Mathilde Lesueur. Die Herausgeber Inhalt: Revolver live! Razvan Radulescu Wortwechsel: Charade Interview: Phan Dang Di Fast Forward: Marcus Seibert Revolver live! Peter Liechti Revolver live! Günter Stahnke Revolver ist eine Filmzeitschrift von Filmemachern herausgegeben und erscheint halbjährlich. Der Schwerpunkt liegt auf ausführlichen Werkstattgesprächen 'auf Augenhöhe'. Die Redaktion sind Christoph Hochhäusler, Benjamin Heisenberg, Franz Müller, Nicolas Wackerbarth, Marcus Seibert, Saskia Walker, Zsuzsanna Kiraly und Hannes Brühwiler.
Autoren/Hrsg.
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Istvan Gyöngyösi Als ich mir die sehr internationale Liste deiner Lieblingsfilme für den Poll des British Film Institute angeschaut habe, habe ich mich sofort gefragt, wie du hier in Vietnam mit Filmen in Berührung gekommen bist, wie du überhaupt Film gelernt hast. Phan Dang Di 1993, als ich 16 war, sah ich eines Tages im Fernsehen einen Bericht über das Filmfestival in Cannes. Damals gewann dort erstmals ein vietnamesischer Regisseur einen Preis, die Caméra d’Or. Das war Tran Anh Hung mit Der Duft der grünen Papaya. Das war auch das erste Mal, dass ich von Cannes hörte, das erste Mal, dass ich Bilder des Regisseurs sah, damals sah er ungemein jung und kraftvoll aus. Das beeindruckte mich immens und brachte mich dazu, selbst etwas mit Film machen zu wollen. Davor wollte ich Schriftsteller werden, wie Gabriel García Márquez oder Kafka oder Camus, die ich alle liebte. Und als ich also diese Reportage sah, begriff ich, dass auch Menschen aus Vietnam Filme machen können, spannende Filme. Ich informierte mich über die Filmschule in Hanoi, denn ich lebte in Zentralvietnam und dort wussten wir nichts darüber. Und tatsächlich wurde ich als einer von zwölf Studenten für die Filmklasse 1994 ausgewählt. Vietnam war damals sehr arm, und so wie das ganze Land war auch das Kinosystem zusammengebrochen. Wir bekamen keine Filme aus Osteuropa und der Sowjetunion mehr, weil die auch kollabiert waren. Praktisch alle Filme, die in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren in Vietnam zu sehen waren, waren russische Filme, osteuropäische Filme und vietnamesische Filme. Im Land selbst gab es keine finanzielle Unterstützung aus der Sowjetunion mehr, um weiterhin Filme zu machen. Niemand konnte mehr ins Ausland gehen und Film studieren; davor studierten fast alle vietnamesischen Filmemacher in der Sowjetunion, in Ostdeutschland, der Tschechoslowakei oder Ungarn. Das heißt also, dass du zu Beginn deines Studiums fast nur vietnamesische oder osteuropäische Filme kanntest? Hattest du auch andere Filmklassiker gesehen, französische oder amerikanische Filme? Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks importierten wir Filme aus den USA, auch aus China. Aber das Kinosystem war kaputt, weil es lange keine Filme gab, die man zeigen konnte und die meisten Menschen dachten, das Kino hätte keine Zukunft mehr und es wäre jetzt die Zeit des Fernsehens oder des Videos. Das ist interessant, wir sind doch gerade in einer ähnlichen Situation mit der Digitalisierung und dem Internet und den Fragen danach, in welchen Formaten Kino oder Film eine Zukunft hat. Als ich zur Filmschule ging, wurden in Vietnam pro Jahr zwei oder drei oder vier Filme gemacht, und niemand traute sich mehr, seine Kinder auf die Filmschule zu schicken. Auf der Schule war ich sehr enttäuscht, weil wir auch dort keine Filme zu sehen bekamen. Die Filme aus dem Archiv konnten wir wegen technischer Probleme nicht sehen, und ebenso wenig die paar russischen Filme, die uns unser Lehrer mitbrachte. Wir lernten also die ganze Filmgeschichte, aber wir hatten keine Filme. Der Lehrer redete über einen Fellini-Film oder einen Bergman-Film, aber wir hatten keine Chance ihn zu sehen. Eine Möglichkeit diese Filme zu sehen, waren die Hefte der Cahiers du Cinéma in der Bibliothek. Da waren so viele Bilder drinnen, sie beschrieben eine Szene, erklärten, was passierte. Auf diese Weise konnte ich die wichtigen Bergman-Filme sehen, Schreie und Flüstern z. B. Ich entdeckte, dass Film nicht so ist, wie man es mir an der Filmschule beigebracht hatte. Die Filme waren ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte, sehr stark, sehr seltsam und kraftvoll. Ich hatte also einen anderen Weg gefunden, etwas über Film zu lernen. Ganz in der Nähe gab es ein Kino fürs Militär. Es war das einzige Kino in Hanoi, das westliche Filme, amerikanische Filme zeigen durfte, einfach so, ohne Zensur. 1996 kam ich zum ersten Mal in dieses Kino, und von da an ging ich jeden Tag dorthin, um einen Film zu sehen. Ich sah viele Gangsterfilme oder Filme von Sergio Leone, sogar Kurosawa oder Coppola, so viele klassische Filme. Das war dann also deine Filmschule. Ja, es war fantastisch! Davor konnten wir nur ein paar langweilige russische Filme sehen, und alle waren so ähnlich, hatten die gleiche Stimmung. Die Filme, die ich jetzt sah, waren völlig anders. Es war eine überwältigende Erfahrung, die mich extrem glücklich machte und mich veränderte. Danach konnte ich auch die vietnamesischen Mainstreamfilme nicht mehr ertragen, Filme fürs Fernsehen von niedrigster Qualität, kommerziell und dumm. Gab es im Gegensatz dazu auch vietnamesische Regisseure, die dich beeinflussten, die Vorbilder waren, wie Dang Nhat Minh oder Tran Anh Hung z. B.? Nein, das kam erst später. 2000 habe ich die Filmschule mit einem Drehbuch für einen Spielfilm abgeschlossen. In der Zeit begegnete ich Bui Thac Chuyen, einem vietnamesischen Regisseur. Er hatte einen Kurzfilm in Cannes laufen, und als er für die Postproduktion des Films in Paris war, lernte er Tran Anh Hung kennen. Hung war ziemlich berühmt, außer der goldenen Kamera in Cannes hatte er auch noch einen goldenen Löwen für Cyclo in Venedig gewonnen. Chuyen suchte nach einem Drehbuch für seinen ersten Spielfilm und als er zurückkam, trafen wir uns, und er sagte mir, dass er mein Buch verfilmen wolle. Das wurde später Adrift? Ja. Chuyen schickte das Drehbuch auch an Hung, den ich damals noch nicht persönlich kannte. Im Jahr 2001 kam Hung nach Vietnam zurück um The Vertical Ray of the Sun zu machen und jetzt trafen wir uns und Hung meinte zu mir, „warum willst du eigentlich nicht Regie führen?“ Als er mein Drehbuch las, fand er, ich hätte die Begabung dafür. Davor wolltest du also nicht Regisseur sein? Ich war immer nur Autor, Drehbuchautor. Aber plötzlich dachte ich, ja, das ist eine gute Idee. 2003/2004 gab es eine Art Meisterklasse, die vom TPD-Center (The Center for Assistance and Development of Movie Talents) organisiert und von Tran Anh Hung geleitet wurde. TPD gab mir 12.000 Dollar für meinen ersten Kurzfilm When I am 20, die aber nicht aus Vietnam, sondern von der Ford Foundation kamen. Ich bin nicht wirklich zufrieden mit dem Film. Wir drehten auf 35mm, aber ich hatte nicht genug Geld um den Film in der Qualität zu machen, die mir vorschwebte. Es reichte zum Drehen, aber nicht für die Post-Produktion, der Sound und der Mix sind nicht gut. Außerdem wurde der Film von den Behörden zensiert, er durfte nicht öffentlich gezeigt werden, ein Film nur für die Beamten, nicht fürs Publikum. War es mit Bi, Don’t Be Afraid ähnlich? Nein, nein, bei Bi verlangten sie Kürzungen. Bevor ich selber Filme gemacht habe, arbeitete ich für das vietnamesische Film-Departement, ich war ein Regierungsangestellter. Was war deine Aufgabe? Ich musste Drehbücher auswählen und auch zensieren. Du warst wirklich Zensor? Ich war natürlich kein Mitglied des Zensur-Komitees, aber ich arbeitete ihnen zu. Ich weiß also genau, was noch akzeptiert wird und was abgelehnt wird. Das ist hochinteressant, dass du das System von innen kennst. Ja, deshalb habe ich auch einen Weg gefunden, Bi zu machen, ohne dass sie ihn verbieten konnten. When I am 20 landete im Archiv und ich konnte ihn nicht herausbekommen, deshalb habe ich bei Bi das gesamte Material an Freunde geschickt. Es gibt also eine zensierte Version von Bi, die gezeigt werden darf… Ja. Bei When I am 20 habe ich auch ein bisschen gekürzt, aber trotzdem bekam ich keine Erlaubnis. Wieso? Sie meinten, der Film würde ein negatives Bild der Situation in Vietnam zeichnen. Da ich wegen der technischen Mängel ohnehin unzufrieden war, versuchte ich, ihn zu vergessen. Ich wollte einen Spielfilm machen, aber ich wusste, dass ich für das, was ich vorhatte, kein Geld bekommen würde. An der Nationaluniversität Hanoi unterrichtete ich dann Drehbuchschreiben. Kollegen von mir luden ein paar internationale Filmemacher ein, wieder mit dem Geld der Ford Foundation. [lacht] Im Rahmen dieser Filmprogramme lernte ich Regisseure wie Apichatpong Weerasethakul oder Park Kwang-su aus Südkorea kennen. Park Kwang-su war zu jener Zeit Direktor der Busan Film Commission, aber das wusste ich nicht. Er leitete einen Kurs zum koreanischen Film und danach lud ich ihn zum Trinken ein – er raucht und trinkt gerne. Wir sprachen über Filme, und ich erzählte ihm, dass ich Regisseur werden will, dass ich ein Spielfilmprojekt habe, aber nicht weiß, wie ich das Geld auftreiben kann, weil es nur sowohl mit staatlichen als auch mit Mitteln privater Produktionsfirmen möglich ist, kommerzielle Filme zu machen. Mit den Dingen, die ich machen möchte, wollen sie nichts zu tun haben. Aber sie sind doch involviert, Bi z. B. wird von einer vietnamesischen Firma vertrieben. Ja, den Vertrieb machen sie schon, aber auf keinen Fall die Finanzierung. Kwang-su meinte, kein Problem, wenn du ein Projekt hast, reich es beim Busan Promotion Plan ein, der vom Busan Film Market organisiert wird. Ich habe dann alles sorgfältigst vorbereitet und im Juni 2007 hingeschickt. Da wusste ich nicht, dass Park Kwang-su meinen Kurzfilm schon gesehen hatte und mochte. Im August erhielt ich die Nachricht, dass sie mein Projekt ausgewählt hatten, jetzt musste ich mich darauf vorbereiten, Geldgeber zu treffen. Deshalb ging ich zu...