E-Book, Deutsch, 351 Seiten
Danner Der Klang des Blutes
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-384-33453-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 351 Seiten
ISBN: 978-3-384-33453-4
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1951 in Süddeutschland (nahe der Schweizer Grenze) geboren. Musikstudium in Freiburg im Breisgau. Bis zum 65. Lebensjahr als Opernsängerin am Theater Basel tätig. Seit 2016 lebt Waltraud Danner mit ihrer Familie in Bremen und hat dort (während der Pandemie) das Schreiben für sich entdeckt. Bisher sind zwei Kinderbücher, zwei Romane, ein Krimi und zwei erotische Romane (Pseudonym: Diane Red) von ihr veröffentlicht worden. Dazu noch einige Kurzgeschichten. Die bebilderte Autobiografie ist aus Persönlichkeitsrechten nur bei ihr zu erwerben. Das Thema Musik zieht sich fast durch alle Bücher. Ganz besonders im vorliegenden Psychothriller geht es um eine Musikerfamilie, deren dramatische Geschichte in diesem spannenden Genre verarbeitet wird.
Autoren/Hrsg.
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Am 1. Juni, kurz nach 19 Uhr ging Fee in ihre Garderobe, die einem Blumenladen glich. Sträuße, in diverser Üppigkeit standen in Vasen und Trinkgläsern. Einige besonders große Bouquets teilten sich den Platz in einem Sektkübel. Ihre Fans hatten es sich nicht nehmen lassen, sich mit einem floralen Gruß zu melden und ihr viel Erfolg zu wünschen.
Claudia erwartete Fee in der Garderobe und half ihr, in die Konzertrobe zu schlüpfen. Sie wünschte ihr toi, toi, toi, blieb in der Tür stehen und hielt die Daumen hoch.
Sir Simon Rattle kam kurz vorbei, umarmte sie und spuckte ihr über die Schulter. Fee atmete den feinen Duft des Maestros ein, als seine weißen Locken ihre Wange streiften.
Jetzt wurde Fee doch nervös. Sie kannte diese Spannung, vergleichbar mit einem Zirkuspferd, kurz vor dem Trompetensignal. In ihrem Fall war es der Einruf auf die Bühne. Sie hörte das erste Klingelzeichen. Noch eine viertel Stunde bis zum Beginn. Elegant gekleidetes Publikum strömte in den Saal und nahm seine Plätze ein. Auch die Mitglieder des Orchesters kamen nach und nach auf die Bühne. Der Konzertmeister erhob sich und spielte den Kammerton »A«. Alle anderen Instrumente stimmten sich auf diesen Ton ein.
Noch fünf Minuten bis zum Auftritt. Gerade wollte Fee aus ihrer Garderobe gehen, da klopfte es an ihrer Tür. Bei der Person handelte es sich um eine der Kartenabreißerinnen, eine Studentin, die das Personal aufstockte, um sich ein Zubrot zu verdienen. Sie hielt Fee ein Kuvert entgegen.
»Frau Lichtenfels, guten Abend. Ich soll Ihnen unbedingt diesen Brief geben«, sagte das Mädchen im schwarzen Kostüm. »Ein Konzertbesucher hat ihn mir in die Hand gedrückt. Er meinte, dass Sie ihn unbedingt noch vor dem Konzert lesen müssten. Er hat mich angesehen wie… Ich konnte nicht ablehnen und habe meinen Posten verlassen. Meine Kollegin übernimmt so lange.« Irritiert sah sie die Pianistin an. »Der Mann sieht Ihnen irgendwie ähnlich … Ähm, noch ein herzliches toi, toi, toi«, stammelte die hektisch wirkende Frau und eilte davon.
Erst jetzt warf Fee einen Blick auf den Brief. Darauf standen zwei große Buchstaben, mit schwarzem Filzstift geschrieben: F. L.
Fees Blut stockte in den Adern. Ihre Zunge rieb wie Sandpapier am Gaumen. »Nein, nein, nein …«, rief eine innere Stimme. Das konnte, das durfte nicht sein. Nicht jetzt! Sie ließ den Brief fallen und lief aus dem Raum. »Nur keine Panikattacke bekommen. Das wäre the Worst Case«, raunte sie mit unterdrückter Stimme und bekämpfte das Bedürfnis zu schreien. Sie legte die rechte Hand auf ihr Herz, das sich anfühlte, als wolle es den Resonanzkasten ihres Brustraums sprengen. Ihr Körper rebellierte. Doch dann, – als hätte sich ein Schalter umgelegt –, gewann ihr Verstand die Oberhand. Sie atmete mehrmals tief durch, bis das Schwindelgefühl nachließ. 1500 Personen saßen im Saal und warteten auf ihr Klavierspiel. Das war im Moment alles, was zählte. Sie hatte eine Verpflichtung. Eine Mission. Nichts und niemand konnte sie davon abbringen, den Menschen diese Musik vorzuenthalten.
Franz Hornbacher, der Bühneninspizient schaute nervös in ihre Richtung, hielt sein Handgelenk hoch und tippte auf die Armbanduhr.
Der Blick des Maestros traf Fee ins Herz. Er schien bereits einige Minuten auf der Position zu stehen, bevor die Protagonisten die Bühne zu betreten hatten. Fee nickte dem Dirigenten zu, raffte ihr Kleid und betrat vor ihm das Podium. Mit wohlwollendem Begrüßungsapplaus wurden sie vom Publikum empfangen. Der Maestro ließ das Orchester aufstehen und verbeugte sich kurz. Fee kreuzte ihre Arme vor der Brust, machte einen Knicks und senkte den Kopf. Der Applaus schwoll an. Sir Simon Rattle ging zum Dirigentenpult und Fee nahm auf ihrem Schemel am Flügel Platz, korrigierte die Sitzhöhe und richtete ihren Blick auf den Maestro.
Der erste Akkord des Orchesters ertönte und Fee setzte mit ihrem Lauf ein. Die Triller vibrierten und sie tauchte in den wunderbaren Klang dieser Komposition. Die reale Welt wurde von der harmonischen Flut überspült. Fee öffnete sich der Kraft der Töne und ließ sich von ihnen tragen. Fünfundvierzig Minuten reinster musikalischer Lust durchrieselten sie.
Erfüllt von den letzten Noten, hörte sie den Nachklang in der Weite des Raums vergehen. Nach einem Moment der absoluten Stille, in der Sir Simon Rattle die Arme oben behielt, bis er sie schlussendlich senkte, setzte frenetischer Applaus ein. Bravo-Rufe einzelner Personen drangen an ihr Ohr, die sich nach und nach erhoben. Es wurden immer mehr, bis schließlich das ganze Publikum stand.
Mehrfach mussten sich Dirigent und Solistin verbeugen und die Orchestermitglieder aufstehen. Allmählich beruhigte sich das Publikum. Das Saallicht ging an und die Konzertbesucher strömten in die Pause.
»Gratuliere! So gut haben Sie noch nie gespielt«, sagte der Maestro und küsste Fee die Hand.
»Oh, vielen Dank!«, sagte sie erleichtert und lächelte ihn an. »Toi, toi, toi für den Schubert.« Nach der Pause wartete ein weiterer Leckerbissen auf die Zuhörenden: Franz Schuberts Große Sinfonie in C-Dur.
»Ich hab’s geschafft!«, jubelte Fee und ging durch den Podiumseingang. Als hätte man bei ihr den Stecker gezogen, gaben ihre Knie nach und sie drohte zu stürzen. Franz Hornbacher fing sie auf und setzte sie auf seinen Stuhl.
»Brauchen Sie ein Glas Wasser?«
»Ja, bitte. Das wäre nett.« Fee war froh, zu Atem zu kommen, bevor sie zurück in ihre Garderobe musste. Das Konzert hatte sie Kraft gekostet. Sie trank einen Schluck, um den Gedankenwirbelsturm auszubremsen.
Nein, es liegt nicht an der Verausgabung, analysierte sie. Mein Körper sagt mir, dass ich gerade in die Realität zurück gezerrt werde. Ich muss mich zusammenreißen.
Vorbeigehende Orchestermitglieder machten ihr Komplimente und Fee bedankte sich mit freundlichem Kopfnicken.
»Wo bleibst du denn?«, rief Claudia, eilte auf sie zu. Ihr Blick schwankte zwischen Irritation und Besorgnis, als sie ihre Freundin auf dem Stuhl sitzen sah. »Was ist mit dir? Ich warte schon die ganze Zeit vor deiner Garderobe.«
»Gut, dass du kommst. Ich brauche dich jetzt. Allein schaffe ich es nicht. Es liegt was Schlimmes auf dem Boden.«
»Hä? Wie, was Schlimmes? Ich habe reingeschaut und mir ist nichts aufgefallen.«
»Ich zeig’s dir.« Fee gab das Wasserglas an den Inspizienten zurück. »Danke!«
Er nickte und sah den beiden Frauen nach.
»Da liegt er«, blaffte Fee. Sie deutete auf den geschlossenen Umschlag, der bis zu ihrem Schminktisch gesegelt war. Claudia hob ihn auf, sah sich die Beschriftung an und schüttelte den Kopf.
»Was hat dich so erschreckt? Du hast ihn noch gar nicht geöffnet?«
»Er sieht genauso aus, wie der Brief, der bei uns eingeworfen wurde. Du weißt: Der mit F. L. auf dem Umschlag. Ich habe Angst ihn zu öffnen. Stell dir vor, er wurde von einem Konzertbesucher abgegeben. Der Mann saß im Zuschauerraum. Mich friert bei dem Gedanken.«
»Auf dem Umschlag sind viele Fingerabdrücke. Da hat es keinen Sinn, vorsichtig zu sein. Aber beim Inhalt musst du aufpassen. Hast du Handschuhe da?« Fee schüttelte den Kopf. »Moment!« Claudia kramte in ihrer voluminösen Handtasche, die das typische Sammelsurium einer gepflegten Geschäftsfrau enthielt.
»Tattah! Hier sind sie!«, rief Claudia und hielt eine verschließbare Plastiktüte in die Luft. »Wusste ich doch, dass ich welche habe. Man kann nie wissen, was man anfassen muss.« Sie zog dünne Baumwollhandschuhe heraus, solche, die Fotografen benutzen, wenn sie Hochglanzfotos in die Hand nehmen. »Ich werde das Corpus Delicti vorsichtig öffnen«, beruhigte sie Fee.
Claudia nahm den Stilkamm vom Schminktisch und schob das Metallteil in die Ritze am oberen Rand des Dreiecks. Mit einem Ratsch öffnete sie den Brief. Ein postkartenartiges Papier fiel heraus und landete auf Claudias Füßen.
»Auch das noch!« Sie bückte sich und hob die Karte mit spitzen Fingern auf. »Ein Foto!«
Die schwarz-weiße Aufnahme musste alt sein. Claudia sah sich die vier Personen an, die darauf abgebildet waren. Eindeutig ein Streichquartett. Vier junge Menschen saßen im Halbkreis und lächelten in die Kamera. Links außen, ein schmaler, groß wirkender Mann mit dunklen, lockigen Haaren und einer Geige in der Hand. Neben ihm eine zarte Frau mit einer Frisur, die der Mode in den Fünfzigerjahren entsprach. Sie hatte ihr Instrument auf dem Schoß liegen. Neben ihr saß eine Frau mit langen, glatten Haaren, die strahlend in die Kamera schaute und dabei ihre makellosen Zähne zeigte. Die Bratsche hielt sie mit der linken Hand senkrecht auf dem Knie abgestützt und in der rechten den Bogen. Ganz außen saß der Cellospieler. Sein Gesicht ähnelte dem der Frau mit der zweiten Geige, sah aber robuster aus. Er grinste verschmitzt, fast frech.
Fee beobachtete ihre Freundin. Obwohl deren Gesicht entspannt wirkte, kroch in ihr die Gewissheit hoch, dass ein Geheimnis hinter dem Foto stecken musste.
»Sag schon! Was siehst du?«
»Schau selbst. Es ist ein Streichquartett drauf.«
Fee stellte sich neben ihre Freundin. Claudia drehte das Foto um und stieß ein pfeifendes Geräusch aus.
»Verdammt! Der ist irre, der Kerl!«
Als hätte ihr jemand eine unsichtbare Schlinge um den Hals gelegt, las Fee die Worte:
DIE RACHE BEGINNT!
Sie wollte danach greifen, verpasste aber den Moment, als Claudia das Bild losließ. Es drehte sich wie ein Propeller, landete auf dem Boden und rutschte unter den Schminktisch. Die Frauen fassten sich bei den Händen und starrten auf die Fotografie....




