E-Book, Deutsch, Band 32, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
Darius Silvia-Gold - Folge 032
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-4762-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Wagnis, das sich Liebe nennt
E-Book, Deutsch, Band 32, 64 Seiten
Reihe: Silvia-Gold
ISBN: 978-3-7325-4762-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Sie haben ein wunderbares Jahr miteinander in München verbracht - der amerikanische Journalist Marc Simons und seine deutsche Kollegin Susanne, doch sie haben sich getrennt in der Gewissheit, dass es für ihre Liebe keine Zukunft geben kann.
Da wird Susanne nach New York versetzt - und dort lebt Marc. Soll sie, kann sie, ja, darf sie ihren Gefühlen nachgeben und sich bei ihm melden?
Susanne geht das Risiko ein - und dann geschehen Dinge, die ihr festgefügtes Leben ins Wanken bringen und in ihrem Herzen ein Chaos hinterlassen ...
Autoren/Hrsg.
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Die Luft im Raum wurde immer dicker. Rauchschwaden hingen wie Nebelschleier in der Redaktion des Münchner Abendblattes, setzten sich in Hosen, Blusen, Hemden, Haaren, Hals und Kopf fest, brannten in den Augen, dass sie tränten.
Susanne war die einzige Nichtraucherin im Zimmer. Mittlerweile sah sie ihre Kollegen nur noch durch eine dünne Wand aus Rauch. Dabei herrschte eigentlich überall Rauchverbot, aber daran hielt sich hier niemand.
Susanne war leicht übel. Wahrscheinlich habe ich inzwischen eine Rauchvergiftung, dachte sie bei sich. Telefone läuteten, Tastaturen klapperten, das Faxgerät spuckte eine Nachricht aus, erregte Stimmen diskutierten.
Plötzlich hielt sie es nicht mehr aus. Mit zwei, drei großen Schritten war sie beim Fenster, schob Hannes, den Chefreporter, beiseite und riss es auf. Tief atmete sie die frische Schneeluft ein, die befreiend ins Zimmer strömte.
»Mensch, Susanne, mach bloß das Fenster zu!«, wurden sofort laute Proteste laut. Hannes sprang von seinem Platz auf und holte sich seinen Mantel. Christine, die Sekretärin, klapperte demonstrativ mit den Zähnen. »Ich erfriere gleich, Susanne! Ich hole mir noch den Tod, Susanne! Mach das Fenster zu!«
Mit einem Seufzer schloss die junge Redakteurin das Fenster wieder und fragte: »Wer schreibt eigentlich heute die Seite drei? Ihr oder ich?«
»Du, Susanne!«
Reinhold Wolff, ihr Chef, fing schon wieder an, nervös auf dem Stuhl hin und her zu rutschen. Das tat er immer, wenn die Zeit drängte und er fürchtete, den »Ausdruck zu schmeißen«, wie es im Fachjargon der Zeitungsverlage hieß.
»Susanne, quatsch nicht lange rum, hau lieber in die Tasten. Um siebzehn Uhr ist Redaktionsschluss, da muss die Reportage stehen.«
»Ich schaff’s schon, Wolffi, mach dir keine Sorgen.«
Sie warf einen Blick auf die große eckige Wanduhr. Unerbittlich rückten die Zeiger weiter. Sie hatte nur noch eine halbe Stunde, und die Reportage war noch nicht so rund, wie sie sein sollte. Das amerikanische Konsulat hatte bisher auch nicht zurückgerufen. Sie setzte sich wieder an den Computer. Doch heute kamen die Gedanken zäh, formten sich nur mühsam zu aussagekräftigen Sätzen.
»Susanne!!!«
Klein und mahnend stand Wolffi, ihr Chef, vor ihr. Sein weißes Hemd spannte sich um Bauch und Hüften, die Krawatte saß locker, und das kurze graue Haar wirkte, als ob er sich nicht nur einmal die Haare gerauft hätte. Mit der für ihn typischen Haltung stand er vor ihr, den rechten Arm waagrecht von sich gestreckt, mit der linken Hand kratzte er sich am Hinterkopf.
»Mensch, Mädchen. Ich muss die Seite noch redigieren.«
»Gleich, Wolffi, gleich!« Irritiert sah sie ihn an. Sie hatte den Faden verloren. »Nur noch zwei Sätze, dann bin ich fertig. Bitte, stör mich jetzt nicht!«
Es war wieder einer der vielen stressigen Tage in der Redaktion. Einer dieser Tage, an denen man sein Letztes gab und schließlich leer und ausgepumpt vor einem Glas Wein oder Sekt saß, um sich wenigstens ein wenig zu entspannen und abzuschalten.
Um drei Uhr war die Meldung über den Nachrichtenticker gekommen: »Münchner Großindustrieller in New York überfallen und ausgeraubt.«
Eine Minute später hatte der Chefredakteur angekündigt, es gäbe eine neue Seite drei, also eine neue Reportage.
Der schwer verletzte Großindustrielle sei der gegebene Anlass, einmal die Zustände in New York näher zu durchleuchten. Gerade jetzt, da viele Münchner eine Reise nach New York gebucht hatten, um den Jahreswechsel auf dem Time Square zu erleben, müsse man sie vor den Gefahren dieser Megacity warnen.
Und wer wäre geeigneter gewesen als sie, Susanne, über die Hintergründe dieses Überfalls zu berichten? Über die sozialen Missstände in New York, über Armut und Gewalt. Über Kinderkriminalität und Hilflosigkeit.
Schon immer hatte sich Susanne für die Schwachen und vom Schicksal Benachteiligten eingesetzt. So war sie ins Erdbebengebiet von Mittelitalien gefahren und hatte dort die von der Zeitung organisierte Spendenaktion überwacht, hatte dafür gesorgt, dass die Gelder an die richtigen Stellen kamen.
Wenn Leser sich mit ihren oft sehr ernsten Problemen an die Zeitung wandten, hatte Susanne, im Gegensatz zu vielen ihrer Kollegen, ein offenes Ohr und hörte geduldig zu. Oft identifizierte sie sich so stark mit dem Leid anderer, dass sie selbst erschöpft und niedergeschlagen war.
Sie sah auf die Uhr. Jetzt musste sie sich beeilen. Die Seite kam sonst zu spät in die Setzerei, und die ganze Zeitung würde durch ihre Schuld zu spät auf den Markt kommen. Ihre Finger flogen nur so über die Tastatur.
Es war immer wieder dasselbe. Wenn eine Seite so spät »getippt« wurde, weil der Chefredakteur aufgrund aktueller Ereignisse auf einer völlig neuen Reportage bestand, lastete auf den Redakteuren ein ungeheurer Druck. In zwei, drei Stunden mussten die Meldungen, die von den Agenturen kamen, durchforstet werden, man musste im Internet recherchieren, in Archivmappen nach Hintergrundinformationen suchen, mit wichtigen Leuten telefonieren und schließlich auch noch schreiben.
Für Susanne war es immer noch ein Wunder, dass die Zeitung jeden Tag pünktlich erschien, gleichgültig, wie gut oder wie schlecht sie und ihre Kollegen sich fühlten.
»Fertig!«
Sie seufzte erleichtert, druckte die Seite aus und legte sie ihrem Chef auf den Schreibtisch, damit er sie noch einmal überarbeiten konnte. Dabei sah sie ihm jedoch über die Schulter, damit er in der Eile nicht etwas Wesentliches änderte oder strich.
»Okay, Susanne.« Wolffi sah zufrieden aus. »Schöne Geschichte. Ich weiß doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
Sie lächelte. Der Druck in ihrem Kopf wurde leichter. Sie hatte gute Arbeit geleistet, konnte nun gelassen die Redaktionskonferenz abwarten, in der die Themen für den kommenden Tag festgelegt wurden, und dann nach Hause gehen.
***
Gegen zwanzig Uhr war Susanne daheim. Nach dem hektischen Arbeitstag genoss sie die Ruhe in ihren vier Wänden. Sie schaltete das Telefon auf »stumm«, ließ sich ein Bad ein und machte den Fernseher an. Dann schenkte sie sich ein Glas Champagner ein und stellte es auf dem Badewannenrand ab.
Wohlig kuschelte sie sich in den Schaum und das warme Wasser. Sie nippte ab und zu an ihrem Glas und schloss die Augen. Bruchstückweise blitzten die Bilder des Tages noch einmal auf. Die Stimmen, die aus dem Fernseher zu ihr drangen, waren weit, weit weg und vermittelten ihr dennoch das Gefühl, nicht ganz allein zu sein – es war ein schönes und beruhigendes Gefühl.
Ihre Gedanken wanderten noch weiter zurück, und plötzlich tauchten andere Bilder auf, Bilder aus einer Zeit, die lange zurückzuliegen schien und zum Greifen nahe war. Eine Träne machte sich selbstständig und lief an ihrer Wange hinunter. Sie kitzelte, und Susanne wischte sie fort.
Was sollte diese plötzliche Melancholie? Sie war müde, überreizt und ausgelaugt.
Susanne, nimm dich zusammen, ermahnte sie sich. Doch sie konnte nicht verhindern, dass die Reportage über New York etwas in ihr geweckt hatte, das sie seit Monaten mühsam verdrängt hatte. Die Sehnsucht nach Marc.
Vor zwei Jahren hatte die Zeitung, bei der sie arbeitete, jungen ausländischen Redakteuren, die Deutsch sprachen, ermöglicht, ein Jahr lang in der Redaktion zu arbeiten. Im Gegenzug durften einige von Susannes Kollegen nach New York, Rom, Paris, London, je nachdem, welche Sprache sie beherrschten.
Susanne hatten sie nicht fortgelassen, stattdessen war Marc gekommen, ein junger Amerikaner. Sie hatten sich ineinander verliebt, eine wunderschöne Zeit miteinander verbracht und sich – wie das Leben so spielt – nach einem Jahr wieder getrennt.
Damals hatten sie eine klare Absprache getroffen: Sie würden weder telefonieren noch schreiben, sondern ihre Beziehung als das ansehen, was sie gewesen war: eine unbeschwerte Verliebtheit ohne Zukunft. Denn beide waren ehrgeizig, und keiner war bereit, dem anderen zuliebe auf seine Karriere zu verzichten und in einem anderen Land noch einmal von vorn anzufangen.
So war Marc nach New York zurückgekehrt, so hatte Susanne in München weitergelebt. Doch mit einem hatte sie nicht gerechnet: Nachdem Marc abgeflogen war, war es um sie seltsam still und leer geworden. Still und leer trotz Karriere, still und leer trotz ihrer Freunde, still und leer trotz einiger Flirts.
Mit einem Seufzer stieg Susanne aus der Wanne, wickelte sich in das flauschig weiche Badetuch und schaltete das Telefon wieder auf »Ton«. Im gleichen Moment läutete es. Sie meldete sich, doch am anderen Ende war – niemand.
»Idiot!«, fauchte sie und legte auf. Ärgerlich sah sie auf die nassen Fußabdrücke, die sie auf dem Parkett hinterlassen hatte. Wieder läutete das Telefon, schrill, anhaltend und fordernd. Ob das Marc war, der vergeblich versuchte, aus New York anzurufen! Susanne zitterte leicht. Sie fröstelte immer, wenn sie sich nach einem heißen Bad nicht richtig abgetrocknet hatte. Doch diesmal hatte das Zittern noch einen anderen Grund.
»Wenn das tatsächlich Marc gewesen ist«, sagte sie leise zu sich selbst, rief sich jedoch rasch zur Ordnung. »Ach was, das war sicher nur irgendein Idiot, der sich einen Spaß daraus machte, Frauen zu ärgern.«
Sie ging wieder ins Bad, trank den letzten Schluck Champagner und machte es sich wenig später vor dem Fernseher gemütlich. Das Programm war schlecht. Doch für ein gutes Buch fehlte ihr die...




