E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Day How to fail
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-24909-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum wir erst durch Scheitern richtig stark werden
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-24909-0
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Egal ob die Schwierigkeit, mit 40 eine neue Sportart zu erlernen, eine unerwartete Trennung oder das plötzliche Karriereaus - die wirklich großen Momente unseres Lebens erwachsen immer aus einer Krise, so die These der erfolgreichen englischen Journalistin und Autorin Elizabeth Day: 'Zu scheitern hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Ich habe mehr aus meinen Krisen gelernt als aus den guten Zeiten.' Ermutigend, inspirierend und mit vielen Beispielen aus ihrem Leben zeigt Elizabeth, dass wir uns nicht länger über unsere vermeintlichen Misserfolge definieren sollten. Denn wenn wir verstehen, warum wir etwas nicht geschafft haben, gewinnen wir an Stärke. Es ist an der Zeit, das Streben nach Perfektion endlich abzulegen, das so viele Frauen heutzutage antreibt: Lasst uns aus unseren Fehlern lernen, stark, gelassen und glücklich sein - nicht Angst vorm Leben haben!
Elizabeth Day schreibt als mehrfach ausgezeichnete Journalistin nach Stationen beim Evening Standard, beim Sunday Telegraph, der Mail on Sunday und der Elle heute für den Kulturteil des Observer. Sie ist in Nordirland aufgewachsen, hat in Cambridge Geschichte studiert und lebt in London.
Weitere Infos & Material
Einleitung
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist eine ans Scheitern.
Ich bin drei Jahre alt, und meine Schwester ist gerade krank. Sie hat die Windpocken und liegt fiebernd und wimmernd oben in ihrem Kinderzimmer. Die Bettdecke hat sich um ihre kleinen Arme und Beine gewickelt, während meine Mutter versucht, sie zu beruhigen, indem sie ihr die Hand auf die Stirn legt. Meine Mutter hat immer kühle Hände, die sich bei Fieber sehr angenehm auf der Haut anfühlen.
Ich bin es nicht gewohnt, meine Schwester so zu sehen. Sie ist vier Jahre älter und war für mich bisher immer der Inbegriff von Klugheit. Ich verehre und bewundere sie gleichermaßen. Sie passt auf mich auf und lässt mich auf ihrem Rücken sitzen, während sie auf allen vieren durchs Zimmer krabbelt und so tut, als wäre sie ein Pferd. Sie ist diejenige, die vor meiner Geburt unseren Eltern entschieden erklärte, dass sie gerne eine Schwester hätte und sie sich nur ja Mühe geben sollten, eine zustande zu bringen. Immer wenn meine Schwester ein Bild malt oder eine Lego-Burg baut, ist das Ergebnis so viel besser als meine eigenen Versuche. Über diese vermeintliche Ungerechtigkeit kann ich richtig wütend werden, weil ich mir doch so verzweifelt wünsche, dass wir gleich wären, sie und ich. Meine Mutter muss mich dann immer daran erinnern, dass ich jünger bin und nur ein paar Jahre zu warten brauche, um sie einzuholen. Aber ich bin ungeduldig und will nicht warten. Ich wünsche mir mehr als alles andere, so wie meine Schwester zu sein.
Als ich sie jetzt sehe, mit nassen Wangen und bleichem Gesicht, bin ich erschrocken und verärgert. Ich will nicht, dass es ihr in irgendeiner Weise nicht gutgeht. Unsere Mutter fragt sie, was sie sich wünscht, damit es ihr besser ginge. Da jammert meine Schwester: »Eine Wärmflasche«. Und ich sehe eine Möglichkeit zu helfen. Ich weiß, wo unsere Mutter die Wärmflaschen aufbewahrt. Also tapse ich zu dem entsprechenden Schrank und hole mein Lieblingsexemplar heraus: mit einem kuscheligen Überzug und einem schwarzen Punkt, sodass das Ding wie ein Bär mit einer Knopfnase aussieht. Ich weiß, dass man eine Wärmflasche, wie der Name schon sagt, mit warmem Wasser füllen muss. Ich nehme den Bär mit ins Badezimmer. Das ist der Ort, den ich mit den verhassten Abenden verbinde, an denen meine Mutter mir die Haare wäscht und ich die Augen fest auf den Riss in der Zimmerdecke gerichtet halte, bis die unangenehme Prozedur vorbei ist. Das Einzige, was ich noch mehr hasse als Haarewaschen, ist Fußnägelschneiden.
Weil ich an den Wasserhahn am Waschbecken nicht herankomme, nehme ich den an der Badewanne. Ich beuge mich über den Rand aus weißem Email und muss mich strecken, um die Öffnung darunter zu halten. Dann drehe ich den Hahn mit dem roten Kreis auf, nicht den mit dem blauen, denn ich weiß schon, dass Blau kalt bedeutet. Was ich nicht weiß, ist, dass man warten muss, bis das Wasser heiß wird. Ich stelle mir vor, es fließt automatisch mit der gewünschten Temperatur heraus.
Als ich versuche, die Wärmflasche wieder zuzuschrauben, schaffe ich das mit meinen Patschehändchen nicht richtig. Egal, denke ich, das Wichtigste ist ja, diese Wärmflasche so schnell wie möglich der Patientin zu bringen. Damit sie sich bald wieder besser fühlt, aufhört zu weinen und wieder zu meiner unerschütterlichen, ruhigen und klugen großen Schwester wird.
Zurück im Kinderzimmer überreiche ich die Wärmflasche meiner Schwester, deren Tränen bei ihrem Anblick tatsächlich versiegen. Meine Mutter sieht überrascht aus, und ich bin stolz, etwas geleistet zu haben, das sie nicht erwartet hat. Aber kaum hat meine Schwester die Wärmflasche in der Hand, löst sich der Verschluss und kaltes Wasser läuft über ihren ganzen Pyjama. Sie heult auf, und das klingt noch schlimmer als das Weinen vorhin.
»Das ist so k-k-kalt!«, stottert sie und starrt mich verständnislos an. Meine Mutter beginnt sofort, das Bett abzuziehen, und versichert ihr, alles würde wieder gut. Beide scheinen zu vergessen, dass ich überhaupt dastehe. Heftige Scham flammt in meiner Brust auf. Ich habe das schreckliche Gefühl, den Menschen, den ich auf der ganzen Welt am meisten liebe, enttäuscht zu haben, obwohl ich doch nur helfen wollte. Ich bin mir nicht sicher, was ich falsch gemacht habe, aber mir dämmert, dass man Wärmflaschen wohl nicht auf diese Weise befüllt.
Meine Schwester erholte sich auch ohne mein Zutun von den Windpocken, und ich lernte zu gegebener Zeit, dass man Wasser im Kessel erhitzt, dann einige Minuten wartet, bevor man es vorsichtig durch den Gummihals einfüllt, und den Verschluss so fest wie möglich zuschraubt, nachdem man die überschüssige Luft herausgedrückt hat. Ich lernte auch, dass guten Absichten zum Trotz die Ausführung einer Aufgabe daran scheitern kann, dass man nicht über genügend Erfahrung verfügt. Dies ist eine der lebhaftesten Erinnerungen an meine Kindheit: Meine Unfähigkeit zu helfen, als ich es mir am meisten wünschte, hinterließ enorm großen Eindruck bei mir.
Es war ja eigentlich kein großes oder außerordentliches Scheitern, aber eine Niederlage muss auch gar nicht besonders bemerkenswert sein, um Bedeutung zu haben. In späteren Jahren würde ich größere Niederlagen erleben, die schwerer zu verwinden waren. So fiel ich beispielsweise durch Prüfungen und den Führerschein.
Es gelang mir nicht, den Jungen, der mir gefiel, für mich zu interessieren.
Ich gehörte in der Schule nicht wirklich dazu.
In meinen Zwanzigern kannte ich mich selbst nicht gut genug, was zu einer Reihe von Langzeitbeziehungen führte, in denen ich mein Selbstempfinden einem anderen überließ.
Ich begriff damals nicht, dass Gefallsucht niemals eine erfüllende Lebensweise sein konnte. Dass, wenn man versucht, anderen zu gefallen, man am Ende sich selbst nicht gefällt. Einfach weil man dabei versucht, das schwindende Selbstvertrauen durch das Sammeln positiver Rückmeldungen anderer zu stützen, ohne zu begreifen, dass das nicht funktioniert. Es ist ungefähr so, als würde man einen feuerspeienden Drachen ignorieren, indem man eine Kerze an seiner Flamme anzündet.
Ich scheiterte in einer Ehe und ließ mich mit sechsunddreißig scheiden.
Ich bekam die Kinder nicht, von denen ich immer geglaubt hatte, sie mir zu wünschen.
Ich versagte wieder und wieder im Tennis, egal, mit wie viel Selbstvertrauen ich auf den Platz ging.
Es gelang mir nicht, große, schwierige Gefühle wie Wut oder Trauer zuzulassen. Lieber kaschierte ich sie mit einfacheren, geschmeidigeren wie Traurigkeit.
Ich scheiterte, weil ich zu viel Aufmerksamkeit auf Unwichtiges und Dinge, die ich ohnehin nicht kontrollieren konnte, verwendete.
Ich schaffte es nicht, zu widersprechen und mir Gehör zu verschaffen, wenn man mich im Job übervorteilte und in Beziehungen ausnutzte.
Ich konnte meinen eigenen Körper nicht lieben. Das gelingt mir bis heute nicht. Es ist eine ständige Herausforderung, aber immerhin mag ich meinen Körper inzwischen schon lieber als früher. Ich bin jetzt dankbar für die Ehre, dieses wundersame, funktionierende Gebilde bewohnen zu dürfen.
Sich selbst zu akzeptieren, das ist meiner Ansicht nach ein revolutionärer Akt, der im Stillen passiert. Jahrelang scheiterte ich auch daran.
Im Laufe der Jahre habe ich geliebt und verloren. Mein Herz wurde gebrochen. Ich wechselte meine Jobs, verließ Häuser und Länder. Ich schloss neue Freundschaften und verabschiedete mich von alten. Ich ertrug Zusammenbrüche und Trennungen.
Ich wurde älter, lernte mich besser kennen. Endlich begriff ich, warum man Geld für Koffer mit Rädern und Winteranoraks ausgibt. Während ich das hier schreibe, steht mein vierzigster Geburtstag an. Damit bin ich älter als meine Mutter damals, in meiner frühen Erinnerung an die Sache mit der Wärmflasche und der schwesterlichen Zuneigung. Inzwischen habe ich eines bei diesem schockierend schönen Abenteuer namens Leben gelernt: Das Scheitern hat mich Lektionen gelehrt, die ich sonst nie begriffen hätte. Meine Weiterentwicklung ist eher eine Folge von Dingen, die schiefgelaufen sind, als davon, dass alles glattging. Krisen führten zu Klarheit und manchmal sogar zur Katharsis.
Im Oktober 2017 endete eine ernsthafte Beziehung. Die Trennung kam unerwartet und brutal plötzlich. Kurz bevor ich neununddreißig wurde. Meine Scheidung lag gute zwei Jahre zurück. Das war kein Alter, in dem ich erwartet hatte, Single und kinderlos zu sein und in eine ungewisse persönliche Zukunft zu blicken. Ich brauchte, im Sprachgebrauch der modernen Selbsthilfe-Kultur, Heilung.
Also ging ich nach Los Angeles, in eine Stadt, die ich immer wieder aufsuche, um meine Akkus aufzuladen und zu schreiben. Es ist ein Ort, an dem ich leichter atmen kann, weil ich sicher weiß, dass die Sonne mit größter Wahrscheinlichkeit auch morgen scheinen wird. Außerdem bedeutet die Zeitverschiebung von acht Stunden, dass nach 14 Uhr zum Glück nur noch wenige E-Mails eingehen werden. Ich schrieb damals als Ghostwriter die Autobiografie einer politischen Aktivistin. Obwohl ich mich verletzlich und wie einer Hautschicht beraubt fühlte, verbrachte ich meine Tage damit, die Stimme einer starken Frau anzunehmen, die genau wusste, was sie dachte. Das war ein spannender Gegensatz: nach einem Arbeitstag am Laptop, an dem ich die kraftvollen und eloquenten Überzeugungen dieser Frau in Worte gefasst hatte, wieder zu meinem verunsicherten Ich zurückzukehren. Aber es half. Nach und nach fühlte auch ich mich wieder stärker.
Damals in L.A. hatte ich erstmals die Idee zu dem Podcast »How To Fail With Elizabeth Day«. Ich hatte mir eine Menge...