de Fournival / Dutli | Das Liebesbestiarium | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

de Fournival / Dutli Das Liebesbestiarium


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8353-2668-2
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark

E-Book, Deutsch, 188 Seiten

ISBN: 978-3-8353-2668-2
Verlag: Wallstein Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Nach dem großen Erfolg des Bandes »Fatrasien. Absurde Poesie des Mittelalters« setzt Ralph Dutli seine poetische Erkundung eines unbekannten, fremden und dennoch erstaunlich modern wirkenden Mittelalters fort.

In 750 Jahren wurde dieses Juwel der mittelalterlichen Literatur noch nie ins Deutsche übersetzt. »Das Liebesbestiarium« bedeutete seinerzeit eine literarische Revolution in europäischem Maßstab. Richard de Fournival (1201-1260) erkundet darin in gewagten Bildern das Geheimnis des Eros und findet für die Liebe eine neue, unerhörte Sprache. In seiner Beschwörung der angebeteten Frau entwirft er einen magischen Liebeszoo zwischen Einhorn und Phönix, Schwalbe und Pantherweibchen, phantastischen und realen Tieren.
Er provoziert damit die entschiedene Antwort einer - anonym gebliebenen - selbstbewussten Frau, einen der ersten feministischen Texte überhaupt. Ralph Dutli hat auch diesen Text übersetzt und dem von Fournival hinzugefügt.
»Das Liebesbestiarium« ist ein leuchtendes Monument in der Geschichte des Nachdenkens über die Möglichkeiten der Liebe zwischen Mann und Frau, über die Unterschiedlichkeit ihres Begehrens, über Passion und Verfallenheit, Hoffnung und Verzweiflung, Gedächtnis und Liebestod.
Ein amüsantes, hintergründiges, nachdenklich stimmendes Buch zum Staunen.

de Fournival / Dutli Das Liebesbestiarium jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Hier beginnt
Meister Richard de Fournivals
Liebesbestiarium
  Keiner weiß alles
Alle Menschen verlangt es von Natur aus nach Wissen. Da aber niemand alles zu wissen vermag, auch wenn jede Sache für sich genommen gewusst werden kann, ist es notwendig, dass jeder Einzelne das Wissen von einer bestimmten Sache besitze. Und was der eine nicht weiß, muss eben ein anderer wissen: So dass alles und jedes gewusst werden kann, es aber keinen einzigen Menschen gibt, der alles weiß, sondern sämtliches Wissen unter allen Menschen aufgeteilt ist. Aber nicht alle Menschen leben ja zur selben Zeit, die einen sind tot, bevor die anderen geboren werden. Und jene, die in längst vergangenen Zeiten lebten, wussten Dinge, die kein heute Lebender mehr weiß, und man wüsste sie nicht, wenn nicht die Alten uns ihr Wissen übermittelt hätten. Das Haus des Gedächtnisses: Bild und Wort
Aus diesem Grunde hat Gott, der den Menschen so sehr liebt, dass er ihn mit allem Notwendigen ausstatten will, dem Menschen eine besondere Seelenkraft gegeben, die man das Gedächtnis nennt. Dieses Gedächtnis hat zwei Türen, Sehsinn und Gehörssinn, und zu jeder dieser beiden Türen führt ein Weg, nämlich Bild und Wort. Das Bild dient dem Auge, und das Wort dient dem Ohr. Und wie es möglich ist, ins Haus des Gedächtnisses sowohl durch das Bild als durch das Wort zu gelangen, ist auch offenbar, dass das Gedächtnis, das all die Schätze hütet, die der menschliche Geist kraft seiner besonderen Fähigkeit sich aneignet, die Vergangenheit so vergegenwärtigt, als sei sie Gegenwart. Aus Vergangenheit wird Gegenwart
Und man gelangt zu demselben Ergebnis durch das Bild wie durch das Wort. Denn wenn man in einem Bild eine Geschichte dargestellt sieht, ob es sich etwa um jene Trojas handle oder um eine andere, nimmt man teil an den kühnen Taten der tapferen Männer, die in fernen Zeiten lebten, so als ob sie lebendig vor unseren Augen stünden. Dasselbe gilt für das Wort. Wenn man einen Roman vorgelesen bekommt, erfährt man all die Heldentaten genau so, als ob sie sich vor unseren Augen abspielen würden. Und da man durch diese beiden Dinge – Bild und Wort – gegenwärtig machen kann, was längst vergangen ist, wird offenbar, dass man auf beiden Wegen Zugang zum Gedächtnis findet. Die Narbe bleibt
Was mich betrifft, ist es so, dass Ihr, allerliebste schöne Freundin, aus meinem Gedächtnis nicht entschwinden könnt, ohne dass eine Spur der Liebe, die ich für Euch empfinde, für immer zurückbleibt. So dass ich nie ganz davon werde genesen können und zumindest eine Narbe von der Wunde bleiben wird, auch wenn ich mich noch so sehr anstrenge, meine Gefühle zu beherrschen … Ich möchte also meinerseits für allezeit in Eurem Gedächtnis bleiben, falls es möglich ist. Eine Schrift aus Bildern und Worten
Aus diesem Grunde schicke ich Euch zwei zu einer Sache vereinigte Dinge: Ich schicke Euch in dieser Schrift zugleich Bild und Wort, damit ich, auch wenn ich nicht vor Euren Augen stehe, durch die Bilder und Worte aus Eurem Gedächtnis auftauchen kann, als ob ich ganz gegenwärtig wäre. Ich werde Euch zeigen, auf welche Weise diese Schrift zugleich Bild und Wort ist. Es ist offensichtlich, dass sie Worte enthält, da jede Schrift so beschaffen ist, dass ihr Worte entspringen, wenn man sie mit lauter Stimme liest. Und wenn man sie liest, findet sie also zu ihrer Wortnatur zurück. Und andererseits ist es offensichtlich, dass diese Schrift Bilder enthält, denn es ist undenkbar, dass ein Buchstabe nicht auch gemalt ist. Das letzte Aufgebot
Vor allem handelt diese Schrift von einem Gegenstand, der die Bilder geradezu erfordert, denn sie betrifft die Natur der Tiere und der Vögel, die man besser durch Abbildung als durch Beschreibung erkennen kann. Aber diese Schrift ist auch ein letztes Aufgebot nach all jenen anderen, die ich Euch bisher geschickt habe. Es ist genau wie bei dem König, der außerhalb seines Königreiches in den Krieg zieht und einige seiner besten Männer mit sich nimmt, den größeren Teil aber zurücklässt, um sein Reich zu schützen. Wenn er jedoch sieht, dass seine mitgeführten Streitkräfte nicht ausreichen, bietet er all jene auf, die er zurückgelassen hat, und ruft den Heerbann aus. Genau das muss auch ich tun. Denn ich habe Euch so manche schönen Worte gesagt und geschickt, und wenn sie mir nicht den Dienst geleistet haben, den ich von ihnen erwartet hatte, muss ich also aus dieser meiner letzten Schrift meinen Heerbann, mein letztes Aufgebot bilden. Und ich muss so gut sprechen, wie ich nur kann, um sicherzugehen, dass Ihr es mit Wohlgefallen hören werdet. Denn selbst wenn das Unglück es will, dass Ihr mich nicht liebt, so sind es doch zwei Dinge, die zu sehen den Augen große Freude bereitet, die zu erinnern das Gedächtnis entzückt, die zu hören die Ohren erfreut. Und da diese Schrift meinen Heerbann und meine letzte Verstärkung bildet, die ich entsenden kann, muss ich noch kraftvoller sprechen als bei allen vorangegangenen Versuchen. Solcherart ist auch, sagt man, die Natur des Hahns. Der Hahn
Je näher Abenddämmerung oder Morgengrauen kommen, desto öfter kräht er. Und je näher die Mitternacht heranrückt, desto kraftvoller kräht er und lässt seine Stimme mächtig anschwellen. Abenddämmerung und Morgengrauen sind jene Zeiten, wo Tag und Nacht sich mischen. Sie bedeuten eine Liebe, die zwar keine große Hoffnung lässt, an der man aber nicht ganz und gar verzweifelt. Mitternacht aber bedeutet die Liebe in völliger Verzweiflung. Und da ich fortan keine Hoffnung der Welt mehr habe, Euer Wohlwollen zu gewinnen, herrscht für mich Mitternacht. Als ich noch ein wenig Hoffnung hatte, stand ich in der Dämmerung, und ich musste also häufiger singen. Jetzt aber muss ich kraftvoller krähen. Der Beweis dafür, dass der Verzweifelte eine mächtigere Stimme hat, liegt, so glaube ich, in der Natur des Tieres, das am lautesten auf der Welt zu brüllen vermag und die hässlichste und abscheulichste Stimme besitzt. Es ist der Wildesel. Der Wildesel
Seine Natur ist solcherart, dass er nur brüllt, wenn er ganz schrecklichen Hunger hat und nirgendwo etwas zu essen finden kann. Dann fängt er mit derartiger Heftigkeit zu brüllen an, dass er all seine Organe zum Bersten bringt. Genauso muss ich mir, wenn ich bei Euch keine Gnade finden kann, größere Mühe geben denn je, nicht etwa lauter zu singen, sondern mit stärkerer Überzeugungskraft zu reden. Denn es ist normal, dass ich meine Fähigkeit zu singen verloren habe, und ich sage Euch gleich, warum. Der Wolf
Die Natur des Wolfes ist solcherart, dass wenn ein Mann den Wolf sieht, bevor der ihn gesehen hat, der Wolf seine ganze Kraft und Kühnheit verliert. Wenn aber der Wolf den Mann zuerst sieht, verliert letzterer seine Stimme, so dass er kein einziges Wort mehr hervorbringen kann. Genau diese Natur findet man in der Liebe zwischen Mann und Frau wieder. Wenn zwischen ihnen Liebe entsteht, geht das folgendermaßen vor sich: Wenn der Mann als erster am Verhalten der Frau erkennt, dass diese ihn liebt, und er so geschickt ist, sie dahin zu bringen, es anzuerkennen, wird sie jede Kraft verlieren, ihm eine Absage zu erteilen. Doch da ich weder Geduld noch die nötige Selbstbeherrschung hatte und Euch den Grund meines Herzens offenbarte, bevor ich irgend etwas von Euren Gefühlen wusste, habt Ihr Euch mir entzogen. So ist es doch, ich habe es Euch mehr als einmal sagen hören. Und da ich als erster gesehen wurde, musste ich gemäß der Natur des Wolfes meine Stimme verlieren. Das ist einer der Gründe, weshalb diese Schrift nicht gesungen, sondern erzählt wird. Ein anderer Grund liegt in der Natur der Grille, die ich sehr aufmerksam beobachtet habe. Die Grille
Denn die Grille liebt ihren Gesang so sehr, dass sie daran zugrunde geht, weil sie jeden Appetit verliert und völlig vergisst, auf Beutefang zu gehen. Durch ihr Beispiel ist...


Dutli, Ralph
Ralph Dutli, geb. 1954 in Schaffhausen (Schweiz), studierte Romanistik und Russistik in Zürich und Paris (Sorbonne), lebt seit 1994 in Heidelberg. Er ist Romanautor, Lyriker, Essayist, Biograph, Übersetzer und Herausgeber. Im Wallstein Verlag erschienen seine Romane »Soutines letzte Fahrt« und »Die Liebenden von Mantua«, eine Trilogie französischer mittelalterlicher Poesie des 13. Jahrhunderts (»Fatrasien«; »Das Liebesbestiarium«; »Winterpech & Sommerpech«) sowie seine »Kleinen Kulturgeschichten« zu Olivenbaum (»Liebe Olive«), Honigbiene (»Das Lied vom Honig«) und Gold (»Das Gold der Träume«). Außerdem der Band »Mandelstam, Heidelberg« mit Jugendgedichten des russischen Dichters Ossip Mandelstam und der Band der Liebesgedichte von Marina Zwetajewa (»Lob der Aphrodite«). Zuletzt erschien der Band »Alba. Gedichte«.
Für seine Vermittlung moderner russischer Lyrik erhielt Ralph Dutli den Johann-Heinrich-Voß-Preis 2006 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, für seinen Roman »Soutines letzte Fahrt«, der in mehrere europäische Sprachen übersetzt und für den Deutschen wie für den Schweizer Buchpreis nominiert war, den Rheingau Literaturpreis 2013 und den Preis der LiteraTour Nord 2014, sowie den Düsseldorfer Literaturpreis 2014 für sein literarisches Gesamtwerk, den Erich Fried Preis 2018, den Deutschen Sprachpreis 2021 der Henning-Kaufmann-Stiftung und den Übersetzerpreis Ginkgo-Biloba für Lyrik 2023.

Dutli, Ralph
Ralph Dutli, geb. 1954 in Schaffhausen (Schweiz), studierte Romanistik und Russistik in Zürich und Paris (Sorbonne), lebt seit 1994 in Heidelberg. Er ist Romanautor, Lyriker, Essayist, Biograph, Übersetzer und Herausgeber. Im Wallstein Verlag erschienen seine Romane »Soutines letzte Fahrt« und »Die Liebenden von Mantua«, eine Trilogie französischer mittelalterlicher Poesie des 13. Jahrhunderts (»Fatrasien«; »Das Liebesbestiarium«; »Winterpech & Sommerpech«) sowie seine »Kleinen Kulturgeschichten« zu Olivenbaum (»Liebe Olive«), Honigbiene (»Das Lied vom Honig«) und Gold (»Das Gold der Träume«). Außerdem der Band »Mandelstam, Heidelberg« mit Jugendgedichten des russischen Dichters Ossip Mandelstam und der Band der Liebesgedichte von Marina Zwetajewa (»Lob der Aphrodite«). Zuletzt erschien der Band »Alba. Gedichte«.
Für seine Vermittlung moderner russischer Lyrik erhielt Ralph Dutli den Johann-Heinrich-Voß-Preis 2006 der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, für seinen Roman »Soutines letzte Fahrt«, der in mehrere europäische Sprachen übersetzt und für den Deutschen wie für den Schweizer Buchpreis nominiert war, den Rheingau Literaturpreis 2013 und den Preis der LiteraTour Nord 2014, sowie den Düsseldorfer Literaturpreis 2014 für sein literarisches Gesamtwerk, den Erich Fried Preis 2018, den Deutschen Sprachpreis 2021 der Henning-Kaufmann-Stiftung und den Übersetzerpreis Ginkgo-Biloba für Lyrik 2023.

de Fournival, Richard
Richard de Fournival (1201-1260), ein nordfranzösischer Kleriker und Gelehrter, Chirurg, Astronom, Mathematiker, Alchimist, Bibliothekar, Dichter und Musiker, ist einer der originellsten Autoren des 13. Jahrhunderts, ein Erbe von Ovids Liebeskunst und ein Liebesexperte von Format.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.