de Martino | Die magische Welt | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 388 Seiten

de Martino Die magische Welt

Prolegomena zu einer Geschichte der Magie
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7518-2092-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Prolegomena zu einer Geschichte der Magie

E-Book, Deutsch, 388 Seiten

ISBN: 978-3-7518-2092-9
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Für Ernesto de Martino ist die Magie weder ein einziger großer Irrtum noch etwas in der Evolution unserer Gesellschaften Überwundenes, sondern beschreibt das für die Menschwerdung unabdingbare existenzielle Drama, das einen über Gegenstände vermittelten Bezug von Ich und Welt überhaupt erst ermöglicht. Dabei lauert der Zusammenbruch der Ordnungen, die von de Martino sogenannte Krise der Präsenz, auch in der zeitgenössischen, modernen Welt. Was aber folgt daraus, wenn man die in Ritualen von Magiern und Schamanen formulierten Ansprüche ernst nimmt?

Ernesto de Martino schrieb dieses Buch rund um Europas Stunde Null, in der Hoffnung auf eine »umfassende Befreiung des Geistes«. Mit ungekannter Radikalität stellt seine umfangreiche, 1948 erstmals erschienene Studie die Frage nach der Rolle der Magie in der Geschichte der Menschheit. Mit dieser um Selbstaussagen und Rezeptionszeugnissen angereicherten Ausgabe wird ein Klassiker nicht nur der italienischen Kulturtheorie erstmals in Deutschland zugänglich.

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Weitere Infos & Material


Vorwort zur italienischen Erstausgabe


There are more things in heaven and earth, Horatio, than are dreamt of in your philosophy

Shakespeare, The Tragedy of Hamlet, 1. Akt, 5. Szene

Die Aufgabe der historistisch orientierten Ethnologie besteht in der Möglichkeit, Fragen zu stellen, deren Beantwortung das Selbstbewusstsein unserer Zivilisation erweitert. Nur auf diese Weise kann die Ethnologie für ihren Teil zur Herausbildung eines umfassenderen Humanismus beitragen und sich von der Stumpfheit eines rein naturalistischen Wissens befreien. Die vorliegenden Prolegomena zu einer Geschichte der Magie versuchen, die in Naturalismus und Historismus in der Ethnologie (Bari, Laterza 1941) übernommene Verpflichtung einzulösen, deren grundlegende Gedanken sie fortsetzen und methodisch durcharbeiten. Die geistige Genese dieser Arbeit erhält ihren Anstoß von einer besonderen Art und Weise, die historizistische Bewegung unserer Kultur zu bedenken. Viele von denen, die sich durch die Lektüre Croces gebildet haben, verstehen sich doch recht wenig auf das innere Entwicklungsgesetz, das die dem Historizismus eigene spekulative Welt regiert. Obgleich Croce stets nahegelegt hat, sich neuen historischen Erfahrungen zu öffnen, um auf diese Weise die Philosophie des Geistes immer wieder von neuem zu überprüfen und, falls nötig, anhand dieser Erfahrungen zu korrigieren und zu erweitern, haben gewisse unaufmerksame und träge Leser diesen Hinweis nicht aufgenommen oder sind überfordert und der dauerhaften historizistischen Anspannung, deren beständige Zunahme sich Croces Denken erhofft, nicht gewachsen gewesen. Dadurch gelangte man an den Punkt, dass man, anstatt in der eigenen Erfahrung mit der historischen Aufgabe fortzufahren, aus der die Philosophie des Geistes erwachsen war, es vorzog, sich an der besonderen philosophischen Systematik Croces festzubeißen, indem man aufs Geratewohl über ihre »Vierteilung« dialektisierte oder sie in einem Wettstreit »überwand«, der mehr Schwülstigkeit als Wahrheit hervorbrachte. Auf der anderen Seite ist aus diesem grundsätzlichen Missverstehen der Croceschen Philosophie ein träger, predigender (oder schlimmer: psalmodierender) Historizismus hervorgegangen, der dazu tendiert, die Würde des Wirklichen metaphysisch als Geist zu interpretieren, sie in eine statische Wahrheit zu übersetzen und zum Dogma zu erheben. In Wirklichkeit bedeutet die faule Glossierung der Geistigkeit und Geschichtlichkeit alles Wirklichen den Tod des Philosophierens, auch wenn sie eine bestimmte Philosophie am Leben erhält. Wenn die historistische Würde hingegen als konkretes Philosophieren lebendig bleiben soll, muss sie in der unerschöpflichen Aufgabe der geistigen Auflösung der Wirklichkeit aufgehen, indem sie von Mal zu Mal durch ein wirksames historisches Denken die intellektualistischen Konkretionen auflöst, die der Immanenz eine Grenze zu setzen scheinen, und von Mal zu Mal die Trägheit der Tatsache auf das menschliche Tun und Bilden zurückführt. Nun ist dieser »heroische Historismus« der wahre Historismus. Er wurzelt in dem klaren Bewusstsein, dass jedes »Gegebene«, jedes »Unmittelbare«, jedes »Unverstandene« die natürliche Berufung der historischen Vernunft wiedererweckt, sie auf eine aktuelle Begrenzung hinweist und ihr eine Aufgabe der Humanisierung, der Vermittlung und des Verstehens stellt, die nur durch eine Erweiterung des historiografischen Bewusstseins erfüllt werden kann. Und gerade deshalb ruft er einen geistigen Heroismus auf den Plan, der keinen Stillstand kennt und zu einer immer innigeren und universelleren Humanitas führt. Die revolutionäre Kraft des Historismus muss also durch die Qualität des Denkens, das ihn kennzeichnet, vor allem die Kraft sein, insbesondere sich selbst zu revolutionieren, die Fähigkeit, sich selbst zu befruchten, zu bewegen und voranzuschreiten.

Nun stellt die magische Welt eine ausgezeichnete Herausforderung dar, an der das historistische Denken sich messen und ein größeres Bewusstsein seiner eigenen Möglichkeiten und Tugenden gewinnen kann. Durch das Problem der Wirklichkeit der magischen Kräfte, durch die Analyse der Vorstellungen der magischen Natur sowie der magischen Person ist das Denken in der Tat immer wieder aufgerufen, das zu bekämpfen, was der letzte Posten ist, zu dem der naive Realismus Zuflucht sucht, nämlich die Dualität, die das Individuum als gegebenes einer ebenfalls als gegeben angesehenen Welt der natürlichen Tatsachen entgegenstellt. Es geht also nicht darum, die stets wiederkehrende Ohnmacht der Ethnologie zu erneuern, die sich darauf beschränkt, in ihrem eigenen Bereich die Prinzipien und Ergebnisse bestimmter spekulativer Disziplinen anzuwenden. Noch geht es darum, sich auf die magische Welt zuzubewegen, als ob man bereits im Besitz eines vorgefertigten methodologischen Kodex wäre, und sich vorzustellen, dass man in jenem neuen Bereich nur für die materielle Ausführung einer Arbeitsmethode sorgen könnte, die sich bereits in anderen Bereichen des kulturellen Verstehens bewährt hat und von der man daher annehmen darf, sie könne auf dem Gebiet der Magie ebenso erfolgreich sein. Ein solches Vorgehen zeugte eher vom Eifer des Neubekehrten als von ausgereiftem historischem Verstand, eher von akademischer Naivität und Pedanterie als von engagiertem Denken. Eine historisierende Interpretation der Magie muss sich als wirklicher Zuwachs unseres historiografischen Bewusstseins im Allgemeinen erweisen und daher bereit und offen sein für die Eroberung neuer geistiger Dimensionen und für die weitere Auffächerung der geschichtswissenschaftlichen Methodik im Lichte neuer Erfahrungen – oder sogar für ihre völlige Neugestaltung. Wie im 14. oder 15. Jahrhundert die »Rückkehr« zur klassischen Welt die Entdeckung einer »Menschheit« vermittelte, die sehr viel reicher und bewusster war als jene, die sich im Rahmen der theologisch-religiösen Einheit des Mittelalters dennoch entfaltete und weiterentwickelte, muss unser Rückgang zum Magischen auf dieselbe Weise den Fortschritt des Selbstbewusstseins der westlichen Kultur vermitteln, indem er sie von bestimmten polemischen Instanzen reinigt, die noch immer eine Grenze ihres Historizismus markieren, und sie für jene historische Frömmigkeit gegenüber dem Archaischen öffnen, die die beste Prophylaxe gegen eine antihistorische Vergötterung der Archaismen darstellt.

Aber auch in einem anderen Sinne trägt das Problem einer Geschichte der Magie zur Herausbildung des modernen Neuhumanismus bei. Die Einheit unserer Kultur bleibt im Wesentlichen den vereinigenden Problemen anvertraut, die von ihrer Beschaffenheit her geeignet sind, die Grenzen der akademischen Aufteilung des Wissens zu durchbrechen (die von den Spezialisten bisweilen fälschlicherweise für Sachbestimmungen gehalten werden), um so durch ihre »verbindende« Funktion den anhaltenden Einfluss der positivistischen Partikularisierung und Fragmentierung zu überwinden. Nun stellt das Problem einer Geschichte der Magie genau eines dieser vereinigenden Probleme dar. Der Historiker, der Philosoph, der Mensch von Kultur, der sich von den Quellen des modernen Humanismus genährt hat, findet hier, auf diesem Terrain, die günstigsten Bedingungen vor, um mit dem Psychologen, dem Psychiater, dem Naturwissenschaftler im Allgemeinen zusammenzutreffen und mit ihnen jenen »menschlichen« Diskurs aufzunehmen, der seit dem Zeitalter der Romantik unterbrochen zu sein scheint.

Eine Klarstellung verdient der Untertitel der vorliegenden Arbeit. Das Problem einer Geschichte der Magie ist mit so vielen methodologischen Problemen verbunden und erfordert die Überwindung so vieler hartnäckiger Vorurteile, dass es angebracht schien, mit einigen Prolegomena zu beginnen, die den Weg für die weitere Forschung ebnen und die Richtung ihres Voranschreitens weisen sollen. Wir wollten vor allem das Problem charakterisieren, mit dem die Magie ringt, sowie die Funktion, die die Magie als historisches Zeitalter im allgemeinen Rahmen der menschlichen Zivilisation ausfüllte. Hinsichtlich der Art und Weise, wie die Untersuchung durchgeführt wird, ist zu berücksichtigen, dass bewusst ein Denken in Bewegung akzentuiert wird, das sich dem Problem schrittweise öffnet und es erst nach einer dramatischen Überwindung der falschen Ansätze in seiner genauen Fassung erreicht. Mit anderen Worten wird man hier der Entfaltung eines Denkens in zwei grundlegenden Momenten begegnen: Im ersten Moment bleibt das Denken unmittelbar an die Enge einer kulturellen Einstellung1 gebunden, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist und die magische Welt als alleinigen Forschungsgegenstand annimmt; im zweiten Moment wird es sich der Grenzen seines historiografischen Horizonts bewusst und unterwirft nicht nur die magische Welt einer Analyse, sondern auch die westliche Art und Weise, sich dem Gegenstand der Untersuchung anzunähern. Auf diese Art wird eine höhere Perspektive aufgezeigt, in welcher der Kultus und das Archaische in einem neuen, vermittelten Verständnis von beiden einbegriffen sind. Mit diesem zweiten, geradezu kathartischen Moment berühren diese Prolegomena zu einer Geschichte der Magie ihr ideales Zentrum und erschöpfen ihre grundlegende Aufgabe: Danach geht die Bewegung des Denkens weiter, aber nun in die richtige Richtung gelenkt.

Es liegt auf der Hand, dass mit diesen Prolegomena der Prozess der Anamnese der magischen Welt gerade erst begonnen hat:...


van Loyen, Ulrich
Ulrich van Loyen, 1978 in Dresden geboren, ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet nach mehreren Stationen in Italien und Deutschland am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität Siegen.

Solmi, Renato
Renato Solmi, 1927 in Turin geboren, schloss sein Studium der griechischen Geschichte mit einer Arbeit über Platon in Sizilien ab. Ab 1952 hörte er Vorlesungen bei Theodor Ador und Max Horkheimer. Bis 1963 arbeitete er beim Verlag Einaudi, wo er in einen Konflikt zwischen den Konservativen und den »Adorniten« geriet und fortan als Germanist, freier Übersetzer u. a. von Walter Benjamin, Autor und als Lehrer arbeitete. Er verstarb 2015.

van Loyen, Ulrich
Ulrich van Loyen, 1978 in Dresden geboren, ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet nach mehreren Stationen in Italien und Deutschland am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität Siegen.

de Martino, Ernesto
Ernesto de Martino, (1908–1965) war ein italienischer Anthropologe, Philosoph und Religionshistoriker. Er studierte bei Benedetto Croce und Adolfo Omodeo und führte mit Diego Carpitella Feldforschungen über die Bestattungsrituale in Lukanien und den Tarantismus durch.

Ernesto de Martino, (1908–1965) war ein italienischer Anthropologe, Philosoph und Religionshistoriker. Er studierte bei Benedetto Croce und Adolfo Omodeo und führte mit Diego Carpitella Feldforschungen über die Bestattungsrituale in Lukanien und den Tarantismus durch.

Ulrich van Loyen, 1978 in Dresden geboren, ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet nach mehreren Stationen in Italien und Deutschland am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität Siegen.

Renato Solmi, 1927 in Turin geboren, schloss sein Studium der griechischen Geschichte mit einer Arbeit über Platon in Sizilien ab. Ab 1952 hörte er Vorlesungen bei Theodor Ador und Max Horkheimer. Bis 1963 arbeitete er beim Verlag Einaudi, wo er in einen Konflikt zwischen den Konservativen und den »Adorniten« geriet und fortan als Germanist, freier Übersetzer u. a. von Walter Benjamin, Autor und als Lehrer arbeitete. Er verstarb 2015.

Ulrich van Loyen, 1978 in Dresden geboren, ist Ethnologe und Literaturwissenschaftler. Er arbeitet nach mehreren Stationen in Italien und Deutschland am Lehrstuhl für Medientheorie der Universität Siegen.



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