Defert | Ein politisches Leben | Buch | 978-3-88396-370-9 | sack.de

Buch, Deutsch, 240 Seiten, PB, Format (B × H): 121 mm x 170 mm, Gewicht: 209 g

Reihe: IMD

Defert

Ein politisches Leben


Erscheinungsjahr 2015
ISBN: 978-3-88396-370-9
Verlag: Merve Verlag GmbH

Buch, Deutsch, 240 Seiten, PB, Format (B × H): 121 mm x 170 mm, Gewicht: 209 g

Reihe: IMD

ISBN: 978-3-88396-370-9
Verlag: Merve Verlag GmbH


In Gesprächen mit Philippe Artières und Éric Favereau zeichnet
Daniel Defert seinen Lebensweg nach, in dem sich Politik
und Persönliches stets unauflöslich miteinander verschränken.
Demonstrationen organisieren, Aufrufe und Stellungnahmen
redigieren, gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung
kämpfen, Allianzen bilden, Privilegien und Redeverhalten
reflektieren, sich zu staatlicher Repression verhalten…
Über einen Zeitraum von etwa 40 Jahren hinweg behandelt
das Buch dieselben Fragestellungen, mit denen sich
linke radikale Kämpfe und aktivistische Bewegungen auch
heute noch konfrontiert sehen.

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In diesem ersten Artikel sagen Sie: »Wir müssen noch
mehr Freiwillige für eine ›Struktur‹ finden, die nach dem
Vorbild der Groupe d’information sur les prisons und der
Gauche Prolétarienne geschmeidig und mobil bleiben
soll.« Sie halten an dieser Abstammungslinie fest?
Das Problem zwischen Aids und dem Gefängnis war in der Tat
ziemlich gleich: eine stigmatisierende Situation, mit der man
nicht zurechtkommt. Während bei der Groupe d’information
sur les prisons die Konfrontation mit der Institution Gegenstand
des Kampfes war, ging es hier nicht hauptsächlich
darum, die Krankenhäuser zu bekämpfen, sondern eine
Gegenmacht zu den schlechten Praktiken im Krankenhaus
zu bilden: die Krankenschwestern in Astronautenanzügen,
die roten Punkte auf den Blutproben von Aidskranken, wenn
sie nicht sogar direkt an den Türen oder auf den Schildern an
den Fußenden der Krankenbetten angebracht wurden, die
Wegwerflaken aus Papier, die Abfalleimer und die Speisetabletts,
die in den Zimmern blieben, eine allgemeine Furcht
vor dem Patienten, eine Ablehnung des jeweiligen Lebensgefährten
als Gesprächspartner, ganz zu schweigen von der
Inkompatibilität zwischen Krankenhausdisziplin und Drogensüchtigen
in der damaligen Zeit. An Stelle einer allgemeinen
Verbreitung der Vorsichtsmaßnahmen, betrieb man eine Diskriminierung
der Aidskranken.

Haben Sie mit der Gesundheitsministerin gesprochen?
Ja, ich habe sie zum ersten Mal auf der Welt-Aids-Konferenz
im Juni 1986 getroffen. Wir haben bald über das ganze
Programm von AIDES gesprochen. Mit der Gesundheitsministerin
Michèle Barzach wurde die Aids-Frage fast ausschließlich
vom Kabinett behandelt, weil sie nun zu einer
politischen Frage wurde.
Man muss unsere Position richtig verstehen. Wir waren
eine Macht des Gegenvorschlags, wir forderten nicht nur eine
gesetzliche Regelung. Wir verteilten bereits Präservative und
bald auch saubere Spritzen für Drogenkonsumenten. Später
würden wir ein Programm zur häuslichen Hilfe initiieren. Aber
wir wollten keine Dienstleistungen übernehmen, für die der
Staat zuständig war: wir wollten sie ausprobieren, bevor der
Staat sie allgemein verbreitete. So deckten wir alle Bereiche
von Aids ab. Aber jedes Programm wurde mit und ausgehend
von der Erfahrung der Kranken entwickelt.
Im Grunde ist das die Realität: das stumme Wissen, das
die Leute haben. Das erklärt, warum sehr viele Eltern nach
dem Tod ihres Sohnes Freiwillige bei AIDES wurden. Das
war eine der Fragen, die man uns oft bei AIDES stellte: Wann
soll man es sagen? Wie soll man es den Eltern sagen? Die
Leute, die sich an AIDES wandten, mussten dieser doppelten
Enthüllung ins Auge sehen: dass sie krank waren, und dass
sie krank waren, weil sie homosexuell waren. Sie empfanden
ihre Krankheit als eine erzwungene Denunziation, aber die
meisten hatten das Bedürfnis, diese Enthüllung zu machen.
Es gab jedoch einige, die es vorzogen, einsam zu sterben.

Was AIDES und Act Up vielleicht auch unterschieden
hat, war ihr Verhältnis zum Staat.
AIDES hat eher eine Aufklärung der Gesellschaft bevorzugt
als eine Kritik des Staates, indem wir die Zielsetzungen der
Gesundheit so präsentierten, dass sie die öffentliche Meinung
überzeugten, denn wenn es eine öffentliche Meinung
gab, leistete der Staat keinen Widerstand mehr. Die Leute
mobilisieren sich gegen den Staat, wenn es um etwas geht,
das alle betrifft. Wenn die Sexualität oder die Drogensucht
nur bestimmte Gruppen betreffen, hat man es schwer, zu
mobilisieren. Eine Politik der Sexualität, eine Politik der Drogensucht
ist der breiten Öffentlichkeit schwer zu vermitteln,
und die Politiker sind, wenn es um Wahlen geht, nicht die
besten Pädagogen. Eine Rede über die Sicherheit ist erfolgversprechender
als eine Politik zugunsten von Ersatzprodukten
für Heroin, eines Drogenkonsumraumes und der Ehe
für alle. Ich glaube, es ist viel leichter, den Staat anzugreifen,
als die öffentliche Meinung zu erziehen.


Daniel Defert (*1937), Soziologe, Mitherausgeber der Schriften von Michel Foucault.
Daniel Defert war der Lebensgefährte von Michel Foucault
bis zu dessen Tod im Jahre 1984. Als Student unterstützte
er Anfang der 60er Jahre die algerische Befreiungsbewegung,
engagierte sich mit anderen Intellektuellen in der aktivistischen
Bewegung Gauche prolétarienne und gründete
gemeinsam mit Foucault die Antiknast-Gruppe GIP (Groupe
d’information sur les prisons).



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