E-Book, Deutsch, Band 6, 288 Seiten
Reihe: Zukünfte der Nachhaltigkeit
Degens / Neckel Das Scheitern des grünen Kapitalismus
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-593-45891-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Analysen, Aussichten, Alternativen
E-Book, Deutsch, Band 6, 288 Seiten
Reihe: Zukünfte der Nachhaltigkeit
ISBN: 978-3-593-45891-5
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der grüne Kapitalismus verspricht, die ökologische Krise durch technische Innovationen und marktwirtschaftliche Instrumente in den Griff zu bekommen. Doch die bisherige Bilanz dieses Versprechens ist ernüchternd: Seit die Konzepte des grünen Wachstums und ökologisch ausgerichteter Märkte vor mehr als 20 Jahren entwickelt worden sind, hat sich die Zerstörung der Ökosysteme ungebremst fortgesetzt und teils beschleunigt. Zudem vermag es der grüne Kapitalismus nicht, notwendige gesellschaftliche Voraussetzungen einer sozialökologischen Transformation zu schaffen: Während ökologische Katastrophen die Welt erschüttern, vertieft sich die soziale Ungleichheit in bisher nicht gekanntem Maße. Der Band stellt Analysen dieses bisherigen Scheiterns vor und erkundet gegenwärtige Aussichten einer ökologischen Modernisierung. Zudem fragt er nach Alternativen, die stärker auf demokratische Planung und gesellschaftliche Kooperation setzen.
Philipp Degens, Dr. rer. pol., vertritt die Professur für Soziologie, insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft, im Fachbereich Sozialökonomie an der Universität Hamburg. Sighard Neckel war Professor für Soziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 2016 ist er Professor für Soziologie, insbesondere Gesellschaftsanalyse und Sozialer Wandel an der Universität Hamburg.
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Einleitung: Das Scheitern des grünen Kapitalismus
Philipp Degens und Sighard Neckel Schaut man sich das Kernprogramm eines grünen Kapitalismus an, so verspricht es, die ökologische Krise durch technische Innovationen und marktwirtschaftliche Instrumente in den Griff zu bekommen. Weiteres Wachstum und die globale Expansion von Märkten, Produktion und Konsum, so die Idee, seien durch eine ökologische Modernisierung mit den Anforderungen des Klimaschutzes in Einklang zu bringen. Drei Elemente sind es, die es einem grünen Kapitalismus erlauben sollen, die desaströsen ökologischen Auswirkungen seiner Produktionsweisen, Wertschöpfungsketten und Konsummuster zu überwinden. Zum einen sollen ökologische Kosten eingepreist und nicht länger externalisiert, also auf die Allgemeinheit und die Natur abgewälzt werden. Zweitens würden die Innovationskraft des Kapitalismus und seine Tendenz zur »schöpferischen Zerstörung« (Joseph Schumpeter) für die Erfindung und den Ausbau von Technologien sorgen, mit denen ökologische Schäden entweder von vornherein verringert oder im Nachhinein wieder korrigiert werden könnten. Drittens schließlich könne das Finanzsystem derart umgestellt werden, dass es statt der fossilen Ökonomie Investitionen in Nachhaltigkeit unterstütze. Marktmechanismen, neue Technologien und Sustainable Finance sind die zentralen Bausteine des grünen Kapitalismus, zu dem sich ein kultureller Wandel gesellen soll, durch den sich am Ende auch die Konsumentinnen und das Unternehmertum der Nachhaltigkeit verschreiben. Seit rund 20 Jahren beherrschen diese Vorstellungen eines grünen Wachstums und ökologisch ausgerichteter Märkte insbesondere die westliche Welt. Zahlreiche politische Programme sind darauf ausgerichtet, vom Green Deal der EU und dem europäischen Emissionshandel über den Inflation Reduction Act der amerikanischen Biden-Administration bis zur Klimapolitik der deutschen Ampel-Regierung, die sich – wenn sie sich denn überhaupt auf irgendetwas einigen kann – wahrscheinlich am ehesten auf das Konzept einer ökologischen Marktwirtschaft verständigen könnte. Die bisherige Bilanz dieses Konzepts sieht jedoch mehr als ernüchternd aus. Der weltweite Treibhausgasausstoß hat mit 36,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten 2023 den höchsten Stand aller Zeiten erreicht.1 Weiterhin wird global jedes Jahr mehr Erdöl verbraucht als jeweils im Jahr zuvor. 2022 wurde überdies so viel Kohle verbrannt wie niemals zuvor in der Menschheitsgeschichte (Friedlingstein et al. 2022). Aus der öffentlichen Aufmerksamkeit für den Klimawandel könnte man den Eindruck gewinnen, dass das fossile Zeitalter seinen Höhepunkt mittlerweile überschritten hätte – ein Irrtum, wie alle aktuellen Zahlen belegen. Auch der grüne Kapitalismus hat daran nichts ändern können. In den Vereinigten Staaten stiegen die Treibhausgasemissionen auch 2022 weiterhin um 1,3 Prozent (Rivera et al. 2023). In der Europäischen Union sanken sie zwar um zwei Prozent, aber viel zu wenig, als dass man die selbstgesetzten Klimaziele tatsächlich erreichen könnte (EEA 2023). Und so besagen jüngste Berechnungen aus der Klimaforschung, dass das globale CO2-Budget, das verbleibt, will man das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen, mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit bereits in acht Jahren aufgebraucht sein wird, wenn sich nichts Gravierendes ändert.2 Stand heute müsste für 1,5 Grad die Weltökonomie bis 2031 komplett klimaneutral sein – was eine völlig unrealistische Annahme ist. Die typischen Instrumente des grünen Kapitalismus wie nachhaltige Innovationen oder der Emissionshandel haben sich vielfach als Fehlschläge erwiesen oder den Klimawandel zumindest nicht wirklich aufhalten können. Was nachhaltige Innovationen betrifft, halten sich die entsprechenden Finanzmittel bislang in Grenzen. Der Global Biodiversity Outlook der Vereinten Nationen berichtet, dass im Jahr 2020 den 500 Milliarden US-Dollar für fossile Energieträger und andere umweltschädliche Maßnahmen ganze 80 Milliarden für klima- und artenschützende Technologien gegenüberstanden, also nur knapp 16 Prozent der Summe für fossile Technologien (Secretariat of the Convention on Biological Diversity 2020). Das hartnäckige Festhalten an fossilen Technologien wird dabei staatlicherseits weiterhin großzügig gefördert. Und so hat das Umweltbundesamt anlässlich der jüngsten Haushaltsdebatten im Deutschen Bundestag berechnet, dass sich hierzulande umwelt- und klimaschädliche Subventionen auf jährlich 65 Milliarden Euro belaufen.3 Auch kann man den Wirtschaftsnachrichten entnehmen, dass die großen Öl- und Gaskonzerne wie Qatar Energy, Saudi Aramco, ExxonMobil, Gazprom, Shell und BP weltweit Milliarden in neue Plattformen, Pipelines, Terminals und Bohrinseln fließen lassen, um bis 2030 die Förderung von weiteren 192 Milliarden Barrel Rohöl zu realisieren (Carrington/Taylor 2022). Nur sieben Prozent der Gewinne flossen bisher in erneuerbare Energien. Die großen Konzerne des fossilen Zeitalters scheinen vom Klimawandel weiterhin völlig unbeeindruckt zu sein und gewillt, den Planeten buchstäblich verbrennen zu lassen, solange noch große Gewinne realisiert werden können. Der wichtigste Grund hierfür ist, dass die Profitabilität der Investitionen in fossile Energie ihrer Ersetzung durch Erneuerbare entgegensteht, da die Profitraten bei Sonne und Wind trotz stark gesunkener Kosten gering bleiben. Auch sind Investitionen in nachhaltige Energieträger vergleichsweise riskant: Da hier die Hürden für einen Markteintritt niedrig sind, werfen die Erneuerbaren keine monopol- oder oligopolartigen Renditen ab, wie dies bei den Fossilen der Fall ist (vgl. Christophers 2024). Das Versprechen nachhaltiger Technologien
Aber auch dann, wenn nachhaltige Technologien tatsächlich zur Anwendung kommen, tragen sie vielfach nicht zum Klimaschutz bei. Ressourceneffizienz läuft ins Leere, sobald Einsparungen von Ressourcen und Emissionen von steigenden Gütermengen wieder aufgefressen werden. Rebound-Effekte verwandeln aufgrund relativer Kostensenkungen Effizienzsteigerungen in gestiegenen Output. Solche gegenläufigen Entwicklungen kennen wir etwa aus der Automobilbranche. Zwar haben Verbrenner heute eine höhere Energieeffizienz als in früheren Jahren und auch der Anteil der Elektromobilität ist gestiegen – zugleich nehmen jedoch die Neuzulassungen von PKWs unaufhörlich zu, und unter diesen Neuzulassungen liegt der dauernd ansteigende Anteil von SUVs und Geländewagen aktuell in Deutschland bei 30 Prozent (KBA 2023). Ein Autotyp, der weltweit jährlich fast eine Milliarde CO2 ausstößt und bis zu drei Tonnen schwer ist, um durchschnittlich 1,3 Insassen zu transportieren, macht in seinem Ressourcenverbrauch alle Innovationen einer grünen Technologie zunichte. Und selbst im unwahrscheinlichen Fall einer vollständig dekarbonisierten Automobilität wäre der Ressourcenverbrauch für die Erzeugung des Stroms und die Herstellung der Autos enorm. Der grüne Kapitalismus ist auf nachhaltige Technologien angewiesen, die teilweise zwar bereits erkundet und erprobt werden, vielfach aber noch gar nicht erfunden worden sind. Er lebt von der Erwartung, dass technologische Lösungen es ermöglichen werden, Märkte, Wachstum und konsumorientierte Lebensstile im Wesentlichen unangetastet zu lassen. Geoengineering soll den nachträglichen Entzug von CO2 aus der Atmosphäre ermöglichen oder gar die proaktive Absenkung der Erderwärmung durch die Verringerung der Sonneneinstrahlung. Längst ist man auf solch technologische Lösungen risikoreiche Wetten eingegangen. So weisen in den Szenarien des Weltklimarats lediglich diejenigen Pfade zur langfristigen Begrenzung des Klimawandels auf 1,5 Grad keine vorübergehenden Überschreitungen der Emissionsgrenzen (»overshoot«) auf, bei denen bereits bis zum Jahr 2025 ein Höhepunkt der Gesamtemissionen vorgesehen ist. Mit anderen Worten: Szenarien, in denen nicht ab dem kommenden Jahr die Emissionen extrem zurückgehen, setzen auf zwischenzeitliche Grenzwertüberschreitungen, die in der Zukunft dann kompensiert werden müssen (IPCC 2022). Somit wird ein großer Teil der Last der Dekarbonisierung auf die Zukunft verschoben – dies erhöhe (bei Ausblendung der Risiken) die...