E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Demant-Eue Anfang vom Ende
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95849-610-1
Verlag: Licorix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Hitlers Jahre in München
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-95849-610-1
Verlag: Licorix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
1914. Adolf Hitler versucht sich in München, in Schwabing, als Kunstmaler durchzusetzen. Er scheitert. Mit Kriegsbeginn bewirbt sich Hitler beim Bayerischen Militär. Er wird als Melder an die Front gechickt. Nach dem verlorenen Krieg ist das Chaos groß: Hungersnot, Arbeitslosigkeit, rasante Geldentwertung. Kaiser und König haben abgedankt, linke Parteien übernehmen die Macht. Obskure Geheimbünde und Parteien aller Art schießen wie Pilze aus dem Boden. Adolf Hitler arbeitet für die Behörden als Spitzel. Er beobachtet auch die Deutsche Arbeiter Partei. Ihr tritt er bei, wird ihr Wortführer und nennt die Partei um in NSDAP. Das enttäuschte Bürgertum und die Großindustrie unterstützen die neue Hitler Partei. 1923. Mit General Ludendorff macht Hitler einen Putsch. Im Bügerbräukeller lässt er die Regierung verhaften, ernennt sich selbst zum neuen Regenten und marschiert mit SA-Männern zum Odeonsplatz. Hier nun stellt Polizei und Militär sich den Aufständischen entgegen. Die rechte Rebellion scheitert. Hitler flieht, wird aber aufgespürt und verhaftet.
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1. Wenn die Ordnung schwindet.
Der 18. Januar 1914 war ein kühler Tag. Nieselregen ließ das Straßenpflaster im Schein der Laternen matt schimmern. Es war noch früh. Gerade hatte die Kirchturmuhr von St. Joseph sieben Uhr geschlagen. Mürrisch und noch völlig unausgeschlafen folgte der Delinquent verschüchtert dem Beamten. Den Kragen seines abgewetzten Mantels hoch geschlagen, den Kopf gesenkt, schlurfte er in ausgetretenen Schuhen neben dem Polizisten her. Das hagere, eingefallene Gesicht, die ungesund graue Haut, der ungepflegte Schnauzbart, das schlecht geschnittene Haar und sein gebeugter Gang ließen einige frühe Passanten mitleidig aufblicken.
Wieder so ein armer Teufel, dachten sie, der von der Polizei in aller Frühe ins Präsidium verbracht wird. Aber hier in Schwabing trieb sich auch eine ganze Reihe arbeitsscheues Gesindel herum. Es war nur gut, wenn die Polizei da hart durchgriff.
Frau Sondermann betrat in Begleitung ihres Jüngsten, des dreizehnjährigen Ferdinand, das Schneidergeschäft in der Schleißheimer Straße Nummer 34. „Was will denn die Polizei von dem?“, fragte sie noch in der Tür und blickte dem Abgeführten nach.
„Ich weiß nicht. Aber irgendwas wird er schon auf ´m Kerbholz ha'm, dieser Österreicher“, erwiderte die Frau des Schneidermeisters.
„Ist ja auch kein Leben, was der Kerl führt.“ Viktoria Sondermann schüttelte verächtlich ihren Kopf. Dann nahm sie das Kopftuch ab, lockerte ihren wärmenden Schal und sagte, beinahe vorwurfsvoll: „Hab´ ihnen doch gleich gesagt, dass sie mit diesem Untermieter vielleicht Schwierigkeiten kriegen, liebe Frau Popp.“ Sie entnahm ihrer Einkaufstasche ein geblümtes Sommerkleid, faltete es auseinander und reichte es der Schneiderin.
„Ich bring´s Ihnen jetzt schon, da ham ´s Zeit mit der Änderung.“ Viktoria blickte an sich herab. „Ein bisserl weiter machen, wie immer“, lächelte sie leicht errötend. Frau Popp nickte verständnisvoll.
Meister Popp kam herein. Er trug einen dicken Stoffballen auf dem Arm. „Grüß Gott, Frau Sondermann“, sagte er und ließ den Stoffballen auf einen Tisch fallen. „Grüß dich, Bub. Ich begreif nicht, warum die Gendarmen immer in aller Früh die Leut´ abholen.“ Er schüttelte über solches Verhalten den Kopf. „An der Tür geklopft hat der Polizist, dass ein Toter davon hätte aufwachen können. Mussten diesen Kerl erst aufwecken. Der schläft aber auch immer bis in die Puppen. Treibt sich ganze Nächte rum. Sollte lieber schau ´n, dass er ´ne Arbeit kriegt, der Faulenzer.“
„Aber, mein Lieber“, warf seine Frau ein, „er ist doch Künstler.“
„Ich werd auch Künstler“, ereiferte sich Ferdinand.
„Untersteh dich!“, rief Viktoria. „Geh zur Polizei, wie Onkel Alex, oder zum Militär, wie dein Vater. Oder willst du später vielleicht so wie dieser österreichische Hungerleider ´rumlaufen?“
Ferdinand blickte beschämt zu Boden. Viktoria Sondermann fuhr fort: „Hab´ Ihnen doch gesagt, liebe Frau Popp, mit dem Untermieter werden Sie Ihre Schwierigkeiten kriegen, so wie der ausschaut. Wie lang ist er denn jetzt schon bei Ihnen?“
„Seit letztem Jahr. Seine Miete hat er aber immer bezahlt.“
„Und wo kommt der her?“
„Aus Wien, hat er gesagt. Will hier in München Architektur studieren, wenn er genug Geld beieinander hat. Will seine Bildchen verkaufen.“
„Nun ja, die Bildchen sind ja auch recht hübsch, die er malt und auf der Strass´ verkauft“, meinte Viktoria, „aber ob das zum Leben reicht?“
„Vielleicht wird er ja mal berühmt und reich, so wie der Lenbach“, warf Ferdinand ein.
„Vielleicht marschierst du jetzt ab zur Schule, Bub. Aber dalli!“, mahnte ihn seine Mutter. Ferdinand packte seinen Schulranzen und trottete zur Tür.
„Servus, Ferdi“, riefen Herr und Frau Popp dem Jungen nach.
Aus dem Nieselregen wurde nach und nach Schnee. Winzige Flocken wirbelten herum. Ferdinand blickte in den grauen Himmel. Er hoffte sehnsüchtig, dass es bald richtig schneien würde. Dann könnte er mit seinem Freund Christian am Monopteros Schlitten fahren. Mit dem neuen Schlitten, den er zu Weihnachten bekommen hatte. Oder sie könnten eine Schneeballschlacht machen.
Die Straße herunter kam ein Tross Reiter. Ferdinand erkannte, dass es ein Regiment der Hofwache aus der Türkenkaserne war, welches zu seinem morgendlichen Ausritt aufs Oberwiesenfeld zog. Er winkte den Soldaten zu, bewunderte ihre Uniformen. Die Pferde schnaubten, ihre Hufeisen ließen hin und wieder auf dem Pflaster kleine Funken auf stieben. Wenn er einmal zu den Soldaten ging, dann wollte er unbedingt zur Kavallerie, da war sich Ferdinand sicher. Und nicht so einen langweiligen Posten haben wie sein Vater, der Tag ein Tag aus in der Kaserne Dienst tat, nun, da er befördert worden war. Andererseits bewunderte er seinen Vater, der es vom einfachen Soldaten zum Hauptmann gebracht hatte. Und das war viel, denn die höheren Posten im Militär wurden vorwiegend von Adeligen besetzt.
Die Reiter waren lärmend vorüber gezogen. Noch lange hörte Ferdinand das Getrappel der Hufe, welches von den Häuserwänden widerhallte. Eine Wolke von Pferdegeruch hing über der Straße. Ferdinand dachte an seinen Freund Christian. Der konnte mit Pferden gut umgehen. Fast in seiner ganzen freien Zeit arbeitete er in den Stallungen der Reitschule. Schon öfter hatte Ferdinand ihn dorthin begleitet, ihm geholfen die Boxen auszumisten, die Gäule zu striegeln. Und immer wenn Ferdinand dann aus den Ställen nach Hause kam, schimpfte seine Mutter mit ihm, weil er so erbärmlich stank. „Du sollst dich nicht mit diesem Lümmel, diesem Weber Christian, herumtreiben. Das ist unter unserem Niveau. Der Kerl ist schon zweimal sitzen geblieben, er ist dumm und faul und ein schlimmer Rabauke.“
Und wenn der Vater am Wochenende heim kam, setzte es was mit dem Rohrstock. Aber das war Ferdinand egal. Schließlich war Christian sein Freund. Und Freundschaft ist etwas ganz Besonderes, dass hatte er in dem Roman Ohm Krüger gelesen. Zudem war Christian sehr stark, alle fürchteten ihn. Und solange Christian sein Freund war, traute keiner der Schulkameraden ihn, den kleinen Ferdi, wegen seiner schmächtigen Statur zu hänseln.
Tatsächlich hatte es die ganze restliche Woche über kräftig geschneit. Am Sonntag, gleich nach dem Essen, war Ferdinand dann mit seinem Schlitten los gezogen. Was für ein herrlicher Tag das gewesen war, freute sich Ferdinand. Sie hatten sich mit den Buben aus dem Lehel eine Schneeballschlacht geliefert, später gemeinsam Mädchen gejagt und mit Schnee eingerieben. Zum Schluss hatte Ferdinand seinen Freund Christian noch zu den Stallungen der Tierärztlichen Hochschule begleitet. Nun eilte er in der Dunkelheit des frühen Abends nach Hause.
„Nein, er ist wieder frei“, hörte Ferdinand seinen Onkel sagen, gerade als er die Wohnstube betrat. Polizeiinspektor Alexander Breitner saß im Armsessel, sein Vater, der Hauptmann, stand im wärmenden Hausmantel ihm gegenüber. Er blickte aus dem Fenster. Ferdinands Schwester Marianne brachte gerade die Aufschnittplatte fürs Abendbrot herein. Im Schein der Deckenleuchte schimmerte ihr Haar golden auf.
„Das lob´ ich mir“, verkündete Onkel Alexander, den alle Alex nannten, und sah auf die große Standuhr, „pünktlich auf die Minute ist der junge Herr.“ Ferdinand ging auf seinen Onkel zu, machte einen Diener und reichte ihm die Hand. „Braver Bub“, brummelte Alex und streichelte Ferdinand übers Haar, was dieser überhaupt nicht leiden konnte.
„Er hat sich wieder den ganzen Tag herumgetrieben“, quengelte Marianne, „und ich hab´ der Mutter geholfen.“ Sie hob stolz ihren bezopften Kopf, streckte ihr Kinn vor und schritt hoheitsvoll aus dem Zimmer. Hauptmann Karl-Friedrich Sondermann reckte sich, trat vom Fenster zurück, nahm sein Monokel ab und ließ sich am gedeckten Esstisch nieder. „Was hat man ihm denn vorgeworfen, diesem windigen Österreicher?“, fragte er den abendlichen Besucher.
„Er hat Stellungsflucht begangen, so hat man ihn gesucht.“
„Oha“, tönte der Hauptmann, „wollte sich also vor dem Militärdienst drücken“; er klemmte sein Monokel wieder ein und blickte streng auf seinen Sohn. „Sich vor ´m Militärdienst zu drücken, dass ist äußerst verwerflich, mein Sohn. Militärdienst muss sein, sonst lernt ihr Burschen keine Disziplin. Hände vorzeigen!“ Ferdinand trat zu seinem Vater, hielt ihm beide Hände hin, zuerst die Handflächen noch oben, dann die Handflächen nach unten. Karl-Friedrich nickte zufrieden. „Wegtreten“, befahl er.
Als wenn ich ´s geahnt hätte, dachte Ferdinand und war froh sich gleich nach dem Betreten der Wohnung ausnahmsweise Gesicht und Hände gründlich gewaschen zu haben.
„Ja und nun,“ setzte Alex seinen Bericht fort, „muss dieser Rumtreiber nach Salzburg. Wie aus dem Protokoll hervorgeht, hat er beim österreichischen Konsul gejammert, dass er doch Waise sei und so viel Schwierigkeiten hätte seinen Lebensunterhalt als Künstler zu verdienen. Da hatte der Konsul ein Einsehen und gewährte diesem Nichtsnutz einen kleinen Aufschub. Denn eigentlich hätte dieser Mensch, einen komischen Namen hat er, Hiller oder so ähnlich heißt er, ja in Linz zur Musterung gemusst.“ Er machte eine Pause, beugte sich etwas vor, schaute flüchtig nach Ferdinand dann wieder den Hauptmann an und flüsterte, „und das hab´ ich aus gut unterrichteten Kreisen, man munkelt der Kerl sei homosexuell. Zumindest verkehrt...