E-Book, Deutsch, 672 Seiten
Detering Liebesopfer
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-315-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Drei Thriller in einem eBook: »Herzfrauen«, »Puppenmann« und »Liebeskind«
E-Book, Deutsch, 672 Seiten
ISBN: 978-3-96655-315-5
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Monika Detering wollte Schiffsjunge, Malerin oder Schriftstellerin werden. Als Puppenkünstlerin arbeitete sie u. a. in New York, Washington und Philadelphia, aber auch auf Langeoog, Juist und Spiekeroog. Jahre als freie Journalistin folgten. 1997 erschien ihr erster Roman, viele weitere folgten. Neben Romanen veröffentlichte sie Krimis, Kurzprosa und Sachbücher. Sie gewann zahlreiche Preise, u. a. mit der Kurzgeschichte »Herrin verbrannter Steine« den 1. Preis des großen Wettbewerbs für Frauen aus deutschsprachigen Ländern. Monika Detering ist Mitglied bei den 42erAutoren. Monika Detering veröffentlichte bei dotbooks die drei Fälle um Kommissar Weinbrenner - auch im Sammelband »Liebesopfer« erhältlich - und ihren Spannungsroman »Bernd, der Sarg und ich«. Auch bei dotbooks erscheinen ihre Romane »Heimweh nach dem Leben« - als Hörbuch bei Saga Egmont erhältlich -, »Als wir unterm Kirschbaum saßen« und »Das Versprechen eines Lebens«. Gemeinsam mit Horst-Dieter Radke veröffentlichte sie bei dotbooks »Ein Sommer auf Hiddensee« und »Ein Sommer auf der Sanddorninsel« sowie mit Silke Porath zusammen »Das Geheimnis der Inselfreundinnen«.
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Kapitel 1
Irgendwie machte es heute keinen Spaß. Er hatte Hunger und er fror. Ein Tee oder besser ein Kuss von Sibylle, der spröden Blonden, wäre ihm lieber gewesen. »Frauen, wie soll ich die je verstehen«, fragte er und nickte mannhaft. So war es eben. »Nun lauf schon«, sagte er zu dem schwarzen Labrador, den er ausführen sollte, der im Zickzack rannte, immer wieder stehen blieb, begeistert schnupperte und zum zehnten Mal pinkelte. Mit zwei Fingern zog Bertram eine Zigarette aus der Brusttasche seiner Jacke, fischte nach dem Feuerzeug, beugte sich vor, und eine Böe blies das rote Flackern aus. Wieder klickte er, hielt die Hand davor, zog an der Zigarette. Nichts. Auf den würzigen Geruch hatte er sich seit Stunden gefreut.
Erbost blickte er in den Himmel und sah die verzahnten Gebäude der Bielefelder Universität leuchten. Sie ragten scheinbar aus dem Nichts hervor. Das Viertel wirkte geisterhaft, öde Verlassenheit hing über dem Gelände. Krähen kreisten als Scherenschnitte gegen die Novemberdämmerung. Einzelne Tiere kamen mit heiseren Rufen zurück, versammelten sich in Baumspitzen, zwischen den Ästen und schwiegen wie auf ein geheimes Kommando.
Schlurfend überquerte er den Platz des kleinen Einkaufszentrums. kam auf die Kreuzberger Straße und bog links ab. »Das Viertel siecht allmählich dahin«, stellte er fest, blieb vor einem Haus mit schwarzrotem Klinker stehen und pfiff nach dem Rüden. Neben dem Gebäude hatte man in den 60er Jahren eine hässliche Garagenreihe gebaut, grellgelbe Graffiti leuchteten auf den Toren. Vor sich hinschimpfend ging er hinter das Haus, suchte den Hund, schließlich war es nicht seiner, bis er auf einer Wiese mit Obstbäumen Halt machte. Im Herbst hatte er hier Birnen aufgelesen, sie hatten geduftet und geschmeckt wie in Kindertagen. Am Rande des Grundstücks wuchsen Tannen, dicht aneinander gedrängt.
»Mach hinne und pinkel nicht dauernd! » Ungeduldig betrachtete er die erleuchteten Fenster. Eine Jalousie im Parterre wurde heruntergelassen. Sein Blick glitt weiter nach oben, erster, zweiter und dritter Stock. Ein offenes Fenster klappte gegen den Rahmen. Vögel sausten hinein und wieder heraus.
Die Tannen waren zu einer schwarzgrünen Wand geworden. Hundepfoten raschelten im Laub. »Asko, hierher.« Es knackte. Plötzlich war ein lang gezogenes, ein kreischendes Ächzen in der Luft, Äste brachen vom Birnbaum, ganz in seiner Nähe. Zweige wurden von unsichtbarer Hand heruntergerissen. Der Rüde rannte aus seinem Versteck hervor und kläffte wie toll. »Saß da ein Vögelchen im Baum?«, sinnierte Bertram laut, um seinen Schrecken zu beruhigen. »Oder nur ein böser Geist?« Der Hund sah ihn an, wedelte hektisch mit dem Schwanz und lief dorthin.
»Komisch. Es stürmt doch nicht.« Bertram versuchte ein Lachen, was ziemlich misslang, er wünschte sich ins Warme, wünschte, den Hund wieder bei Maike abgeben zu können, die ihn in Pension genommen hatte. Er wagte sich zu der Stelle, an der die Äste wie von einem inneren Zittern nachbebten. Bertram bückte sich, ruckelte und versuchte, das Gestrüpp zur Seite zu schieben. Dabei trat er auf etwas Weiches, das unter seinem Fuß wegrutschte. Schnecken? So hatte es sich angefühlt.
Jetzt hörte er es. Zu spät. Denn wollte er nur eins, sofort ungesehen wegrennen. Doch erstarrt blieb er stehen, lauschte, und da ging ihm die Wahrheit auf. Wie ein großer, dunkler Vogel lag jemand vor ihm zwischen den Ästen, stöhnte und wimmerte. Die Stimme wurde leiser, als würde sie abgestellt. Dann war es still. Finger bogen sich, wollten nach ihm greifen. Vögel krächzten und schnarrten rau, flogen als tiefschwarze Wolke um die Bäume. Bertram kniete sich hin und zuckte wieder zurück. Ein Rabe, eine Krähe, die Tiere konnte er nie voneinander unterscheiden, hackte nach seinem Finger. Der Labrador schob die Schnauze unter einen Zweig und schnüffelte aufgeregt.
»Ist ja wie im Krimi, aber den sehe ich mir doch lieber zu Hause an. Ballauf kommt heute. Verdammt, ist das kalt.« Sein Herz schlug schneller als sonst, seine Neugier war erwacht. Als er sich entschieden hatte, tapfer zu sein, begann es zu regnen.
***
Während er aufprallte, die Knochen brachen, sein Gehirn noch die Schmerzen ausblendete, jagten seine Gedanken, zerfetzten sich, und inwendige Schreie implodierten. Seine Arme lagen auf dem Zweiggewirr ausgebreitet wie Schwingen, so, als hätte er sich ergeben. Licht bahnte sich Wege in das Innere seines Schädels, zerglühte, bis das Dunkel schneidend hell wurde und die Herrschaft übernahm. Bilder zeigten ihm seine Göttliche, seine Wunderbare, die Frau, die sein Denken und Fühlen besetzt hatte, die sein war für immer, ihm gehörte, auch über sein Leben hinaus. Alles verlor an Bedeutung und würde im Nichts versinken.
Er hatte gehandelt. Liebe muss strafen, wenn ihm auch die Bestrafung hart erschienen war. Die Sehnsucht nach ihr hatte ihn zerbrochen. Unsichtbare Stimmen hatten nach Vergeltung gebrüllt, sie gefordert mit allen Konsequenzen. Er ergab sich dem freien Fall. So musste es sein. Das war die Forderung und jetzt war die Stimme ruhig.
Er hatte keine Kraft, die Lider zu öffnen. Noch schlug das Herz regelmäßig. Das dunkle Lärmen der Rabenvögel drang in seinen Körper, sie saßen über ihm, im Baum, und übertönten seinen Schmerz.
***
»Bleiben Sie ruhig, bitteschön, bleiben Sie ruhig! Hallo, können Sie mich hören?« Bertram wusste nicht, was er hier eigentlich tun sollte. Mit erster Hilfe kenne ich mich nicht aus! Er griff nach der Hand des Verunglückten und drückte sie mitfühlend. Aber dieser Mensch schrie vor Schmerz. Ein Mann, dachte er und rannte, so schnell es seine ausgetretenen Schuhe erlaubten, zum Hauseingang. »Hilfe! Ein Unglück. Zu Hilfe!«, rief er laut und hämmerte gegen die Tür. Nach dem dritten stürmischen Schellen surrte ein Summer.
»Rufen Sie den Rettungsdienst! Einen Arzt! Die Feuerwehr. Es ist jemand aus dem Baum gefallen.«
Hallend kamen seine Worte zurück. Von oben hörte er: »Darf ich Sie bitten, nicht so zu brüllen.«
Eine dicke, kleine Frau, um die siebzig, patschte in fettgrünen Flauschpantoffeln die Stufen herunter und beugte sich über das Treppengeländer.
»Hunde dürfen nicht rein.« Sie keuchte.
»Schnell. Einen Notarzt.«
»Nehmen Sie erst mal Ihren Köter an die Leine, nicht dass er an die Wände pinkelt. Wurden erst im Herbst gestrichen.« Asko riss den Kopf hoch, sein Bellen gellte im Flur, er schien zum Wolf zu mutieren. Der Busen der Flauschgrünen, der sich wie ein Schwimmring um ihren Oberkörper verteilte, bebte empört. Hektisch nestelte sie an den Hirschhornknöpfen ihrer tannengrünen ausgeleierten Strickjacke.
»Schaffen Sie die Bestie raus!«
Die Tür links öffnete sich. Ein verschlafen wirkender
Mann mit vanilleblonden Haarspitzen fragte: »Hää?«
»Dieser Rentner hier kreischt nach dem Doktor.«
»Cool bleiben, ganz cool, Herta, old Sugarbaby. Was ist?«, wandte er sich zu Bertram.
»Da liegt einer unter den Ästen. Begraben. Vielleicht ist schon der ganze Baum auf ihn gestürzt. Gleich stirbt der Mann.«
Asko drängte zur Tür. Die Dicke wuselte vorbei, blickte mit zusammengezogener Steilfalte zwischen den Augenbrauen starr geradeaus und eilte nach draußen. Einen verrückten Moment lang kam Bertram das ganze Geschehen wie ein Traum vor. Ja, es konnte nur ein Traum sein. Aber ebenso schnell, wie die Frau in den Garten gerannt war, kam sie wieder zurück. »Jesses Maria«, schnaufte sie und bekreuzigte sich zweimal. »Ich mag nicht hingucken.«
Der Vanilleblonde rannte in seine Wohnung und rief endlich einen Krankenwagen und die Polizei.
***
Alles war seltsam und alles war weit entfernt. Hell und sommerblau erschien ihm seine Geliebte, die sich in Bildern um ihn herumdrehte. Komisch sah sie aus, war auf den Kopf gestellt, und ihre Augen waren größer als sonst, schon veränderten sie sich, aus ihnen wuchsen Blumen in Farben, die er nicht kannte. Aus den Pupillen krochen schillernde Käfer. Er sah die Zellen im Körper seiner Geliebten, Zellen, sie leuchteten grün, blau und strahlend weiß. Er suchte ihre Gedanken, und sie kamen in den Farben des Spektrums, er saugte sie ein, schluckte sie, wollte sie fressen und kotzte sie wieder aus.
Ihm war sehr übel.
Eine Melodie ertönte, kam näher zu ihm, legte sich über sein Gesicht und die Töne wurden grell, immer greller, knallten laut in die Ohren. Er bewegte die Arme im Takt, um sie zu verscheuchen. Wie eine Schrift in einer unbekannten Sprache blinkte etwas über seinen Lidern. Ein Mond zerfloss vor seinem Gesicht und spuckte Buchstabenstaub, der sich mit blitzenden Lichtpunkten ausbreitete und in seinem Kopf ein Feuerwerk auslöste.
***
Die Dicke umkreiste mit Trippelschritten die Unglücksstelle und jammerte laut: »Jesses Maria!«
»Wahrscheinlich mehrere Brüche«, vermutete der Notarzt, umpolsterte den Arm des Verunglückten und sprach beruhigend auf ihn ein. Im Schein seiner Taschenlampe sah der Arzt fahle Blässe, den Schweiß auf der Stirn, Zittern und Frieren. Infusionen wurden angelegt, schnell wurde er in den Rettungswagen geschoben. »Wir fahren ins Krankenhaus Mitte«, rief der Arzt.
Ein Polizist wedelte mit raumgreifenden Handbewegungen Neugierige, die plötzlich von überall herzukommen schienen, hinter die rotweißen Bänder der Absperrung. Bertram verhaspelte sich fast vor Aufregung. »Ich bin der einzige Zeuge.« Die mit den fettgrünen Schlappen greinte. »Jesses auch. Das bei uns!« Unbedingt wollte sie für die Herren des Gesetzes abwechselnd Tee kochen oder ein Süppchen auftauen, ein Ansinnen, welches die Beamten genervt abwimmelten. »Schließlich war ich...