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E-Book, Deutsch, 368 Seiten

Dikötter Diktator werden

Populismus, Personenkult und die Wege zur Macht

E-Book, Deutsch, 368 Seiten

ISBN: 978-3-608-11599-4
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Mussolini, Hitler, Stalin, Mao, Kim Il-sung, Ceau?escu, Mengistu und Duvalier: Wie gelangen Diktatoren an die Macht? Wie erhalten sie diese Macht? Eindringlich schildert Frank Dikötter den grausameffizienten Kult der schrecklichsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts. Ein warnendes Buch für unsere Zeit, in der Politiker sich wieder ähnlicher Instrumente des Machterhalts bedienen.

Anhand der Biographien der rücksichtslosesten Gewaltherrscher zeigt Frank Dikötter, dass kein Diktator einzig durch Terror und den allgegenwärtigen Schrecken seine Herrschaft festigen kann. Gerade der Vergleich der ausgefeilten Techniken der Macht zeigt, wie es den brutalen Despoten stets gelang, ihre Völker zu verführen und so zu tun, als wäre der Zwang in Wirklichkeit Zustimmung. Unermüdlich arbeiteten sie an ihrer Selbstdarstellung und suchten die Verherrlichung und Glorifizierung durch die Bevölkerung. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch jubelten Hunderte Millionen Menschen Hitler, Stalin, Mussolini u. v. a. m. zu, selbst wenn diese sie unterjochten und versklavten. Eindringlich beschreibt und entlarvt Frank Dikötter die ebenso abstoßenden wie wirkungsvollen Verführungskünste, die die Macht der Diktatoren langfristig festigen und erhalten – mitunter sogar über deren Tod hinaus. Doch dieser Personenkult ist kein überholtes Phänomen der Vergangenheit, vielmehr bildet er das Herz der Tyrannei – bis in die Gegenwart.
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Vorwort
Im Jahr 1840 veröffentlichte der für seine Satiren über die Großen und Mächtigen berühmte Romancier William Thackeray eine Karikatur von Ludwig XIV. Zu seiner Linken steht eine Kleiderpuppe mit des Königs Schwert, seinem mit Hermelin und bourbonischen Lilien verzierten Gewand, seiner wallenden Lockenperücke und seinen Schuhen mit den aristokratischen Absätzen. In der Bildmitte steht der Mann selbst als erbärmlicher Ludovicus in Unterwäsche mit dürren Beinen, einem hervorstehenden Bauch, kahl, bloß und zahnlos. Auf der rechten Seite indes sieht man ihn als voll bekleideten, stolzen Ludovicus Rex in vollem Ornat. Thackeray hatte den Sonnenkönig entkleidet, um den Menschen dahinter zu zeigen, zerbrechlich und erbarmungswürdig, ohne die Insignien der Macht: »So machen Barbiere und Schuster die Götter, die wir verehren.«[2] »L’État, c’est moi«, soll der berühmte Herrscher des 17. Jahrhunderts angeblich gesagt haben: »Der Staat bin ich.« Aus Ludwigs Perspektive war er allein Gott verantwortlich. Er war ein absoluter Monarch, der seine autokratische Macht mehr als siebzig Jahre lang dazu nutzte, den Adel zu schwächen, den Staat zu zentralisieren und sein Hoheitsgebiet mit Waffengewalt zu erweitern. Er stellte sich als unfehlbarer Sonnenkönig dar, um den sich alles andere drehte. Durch Orden, Gemälde, Büsten, Statuen, Obelisken und Triumphbögen sorgte er dafür, dass er im ganzen Reich entsprechend verherrlicht wurde. Dichter, Philosophen und offizielle Geschichtsschreiber hoben seine Errungenschaften hervor und priesen ihn als allwissend und omnipotent. Im Südwesten von Paris ließ er ein königliches Jagdhaus zum Schloss von Versailles umbauen, einem monumentalen Palast mit 700 Zimmern und weitläufigem Anwesen, wo er Hof hielt und seine adligen Höflinge zwang, um seine Gunst zu buhlen.[3] Ludwig XIV. war ein Meister des Polittheaters, doch betreiben alle Politiker bis zu einem gewissen Grad Meinungsmache und Imagebildung. Ludwig XVI., ein Großenkel des Sonnenkönigs, wurde nach der Revolution 1789 auf der Guillotine hingerichtet, und mit ihm wurde auch die Vorstellung des Gottesgnadentums beerdigt. Die Revolutionäre waren der Ansicht, dass souveräne Rechte vom Volk ausgingen, nicht von Gott. In den Demokratien, die sich in den folgenden zwei Jahrhunderten nach und nach bildeten, begriffen die Führer, dass sie für das Wahlvolk attraktiv sein mussten, da dieses an der Urne über ihre weitere Karriere befand. Freilich gab es außer Wahlen noch andere Mittel und Wege, an die Macht zu gelangen. Man konnte einen Staatsstreich organisieren oder das System manipulieren. Im Jahr 1917 stürmten Lenin und die Bolschewiki das Winterpalais und riefen eine neue Regierung aus. Später bezeichneten sie ihren Coup als »Revolution« im Geiste von 1789. Wenige Jahre danach, 1922, marschierte Mussolini auf Rom und zwang das Parlament, ihm die Macht zu übergeben. Doch wie auch andere Diktatoren stellten beide fest, dass bloße Macht ein Verfallsdatum besitzt. Durch Gewalt erlangte Macht muss durch Gewalt aufrechterhalten werden, doch Gewalt ist bisweilen ein stumpfes Instrument. Ein Diktator benötigt daher loyale Streitkräfte, eine Geheimpolizei, eine Prätorianergarde, Spione, Informanten, Vernehmer, Folterknechte. Am besten ist es jedoch, so zu tun, als wäre Zwang in Wirklichkeit Zustimmung. Ein Diktator muss seinem Volk Angst einflößen, doch wenn er es dazu verführen kann, ihn zu bejubeln, hält er sich wahrscheinlich länger. Kurz: Das Paradoxon des modernen Diktators ist, dass er die Illusion breiter Unterstützung seitens der Bevölkerung erzeugen muss. Das gesamte 20. Jahrhundert hindurch jubelten Hunderte Millionen Menschen ihren jeweiligen Diktatoren zu, selbst wenn diese sie unterjochten und versklavten. In vielen Ländern der Erde blickte ein Diktator von Plakatwänden und Gebäuden herab; in den Schulen, Büros und Fabriken hingen seine Porträts. Gewöhnliche Menschen mussten sich vor seinem Ebenbild verneigen, an seiner Statue vorbeidefilieren, seine Taten rühmen, seinen Namen loben, sein Genie preisen. Moderne Technologien von Radio und Fernsehen bis hin zur industriellen Produktion von Postern, Plaketten und Büsten machten diese Diktatoren in einem Maße allgegenwärtig, das zu Zeiten Ludwigs XIV. unvorstellbar gewesen wäre. Selbst in relativ kleinen Ländern wie Haiti waren Tausende regelmäßig gezwungen, ihrem Führer zuzujubeln, vor dem Präsidentenpalast aufzumarschieren und damit die in Versailles veranstalteten Festivitäten in den Schatten zu stellen. Im Jahr 1956 denunzierte Nikita Chruschtschow Josef Stalin und schilderte dessen Schreckensherrschaft in allen Einzelheiten. Die »widerliche Verherrlichung« und den »Größenwahn« seines einstigen Herrn und Meisters bezeichnete er als »Kult des Individuums«. Später wurde in der Übersetzung daraus der Begriff des »Personenkults«. Es mag sich dabei nicht um das exakt entwickelte Denkmodell eines großen Gesellschaftswissenschaftlers handeln, aber die meisten Historiker finden ihn ziemlich passend.[4] Ludwig XIV. war noch minderjährig, da wurde Frankreich durch eine Reihe von Aufständen erschüttert, als der Adel versuchte, die Macht der Krone zu beschränken. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, doch die Ereignisse hinterließen einen tiefen Eindruck bei dem jungen König, der sich zeit seines Lebens vor einer Rebellion fürchtete. Er verlegte das Machtzentrum von Paris nach Versailles und zwang die Adligen, Zeit am Hofe zu verbringen, wo er sie dabei beobachten konnte, wie sie um seine königliche Gnade wetteiferten. Diktatoren hatten ebenfalls Angst vor ihrem eigenen Volk, aber noch mehr fürchteten sie sich vor ihrer höfischen Entourage. Sie waren schwach. Wären sie stark gewesen, hätte eine Mehrheit sie gewählt. Stattdessen entschlossen sie sich dazu, eine Abkürzung zu nehmen, und gingen dabei oft über die Leichen ihrer Gegner. Wenn jedoch sie die Macht an sich reißen konnten, würde dies auch anderen gelingen, sodass jederzeit die Möglichkeit eines Meuchelmordes im Raum stand. Rivalen, die meist nicht weniger skrupellos waren, gab es durchaus. So war Mussolini lediglich einer von mehreren etablierten Faschistenführern und hatte vor seinem Marsch auf Rom im Jahr 1922 eine Rebellion in den eigenen Reihen überstehen müssen. Stalin verblasste im Vergleich zu Trotzki. Mao wurde in den 1930er-Jahren mehrfach von mächtigeren Rivalen seiner Posten enthoben. Kim Il-sung wurde 1945 von der Sowjetunion einer unwilligen Bevölkerung vorgesetzt und sah sich von kommunistischen Führern umgeben, die ein weit beeindruckenderes Portfolio an Untergrundaktivitäten vorweisen konnten. Für einen Diktator bestanden viele Möglichkeiten, sich den Weg an die Macht zu ebnen und dabei seine Rivalen loszuwerden. Es gab blutige Verfolgungen, Manipulationen oder Teile-und-herrsche-Strategien, um nur einige zu nennen. Langfristig jedoch erwies sich der Personenkult als effizienteste Option. Der Kult erniedrigte Verbündete und Gegner gleichermaßen, da er sie durch eine allgemeine Unterdrückung zur Kooperation zwang. In erster Linie aber machte ein Diktator die Menschen zu Lügnern, indem er sie nötigte, ihm vor den Augen und Ohren der anderen zu huldigen. Wenn aber alle logen, wusste niemand mehr, wer tatsächlich log, was es schwieriger machte, Komplizen zu finden und einen Staatsstreich zu organisieren. Wer schuf den Kult? Beteiligt waren Hagiographen, Fotografen, Theaterschriftsteller, Komponisten, Dichter, Redakteure und Choreographen ebenso wie mächtige Propagandaminister und bisweilen sogar ganze Industriezweige. Letztendlich aber lag die Verantwortung bei den Diktatoren selbst. »In einer Diktatur beginnt die Politik mit der Persönlichkeit des Diktators«, schrieb Mao Zedongs Leibarzt in seinen Memoiren.[5] Die acht Diktatoren in diesem Buch besaßen ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, doch jeder von ihnen traf die wichtigsten Entscheidungen zur eigenen Verherrlichung selbst. Manche griffen öfter ins Geschehen ein als andere. Einem Bericht zufolge soll Mussolini die Hälfte seiner Zeit damit verbracht haben, sich als allwissender, allmächtiger und...


Dikötter, Frank
Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch 'Maos Großer Hunger' erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.

Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch 'Maos Großer Hunger' erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.

Frank Dikötter, geboren 1961 in Kerensheide in den Niederlanden, lehrte chinesische Geschichte an der School of Oriental and African Studies in London (SOAS). Seit 2006 ist er Professor of Humanities an der Universität von Hongkong. Für sein Buch »Maos Großer Hunger« erhielt er den angesehenen BBC Samuel Johnson Prize.


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