E-Book, Deutsch, 498 Seiten
Dittrich Feuerberg - Thriller
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95824-400-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bestseller
E-Book, Deutsch, 498 Seiten
ISBN: 978-3-95824-400-9
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Florian Dittrich, Jahrgang 1957, studierte Medizin und arbeitet heute als Kinder- und Jugendarzt in einem sozialen Brennpunkt. Trotzdem findet er noch Zeit zum Schreiben und beschäftigt sich mit Fragestellungen zu Naturwissenschaft und Philosophie. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Bei dotbooks veröffentlicht er 'Feuerberg'.
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Im Tal
(Dreizehn Jahre vor dem Erwachen)
Mit einem breiten, fast gönnerhaften Lächeln auf den Lippen stand er am Rednerpult, hinter sich das übergroße Firmenlogo an der Wand des festlich geschmückten Bankettsaals. Die Kurzhaarfrisur, dunkelblond und nur an den Schläfen graumeliert, passte zur sportlichen Bräune seiner Haut; sie unterstrich unaufdringlich die klaren Linien seines markanten Kopfs. Unter dem maßgeschneiderten Anzug spannte sich ein konsequent durchtrainierter Körper, auf dessen Elastizität Reiter stolz war. In diesem Augenblick des Triumphs glaubte er jede Faser seines Körpers zu spüren, war erfüllt von einem rauschhaften Gefühl des Glücks und der Genugtuung. Es wurde ausgelöst durch die erstaunliche Erfolgsgeschichte, die er allein seiner eisernen Disziplin, der nachhaltigen Zielstrebigkeit und dem visionären Kalkül zuschreiben konnte. Er war auf dem richtigen Weg, dessen war er sich sicher. Nichts und niemand konnte ihn jetzt noch aufhalten.
Seine Augen blitzten, als er in die Runde blickte. Seine feurige Rede hatte ins Schwarze getroffen. Die Menschen im Saal waren von ihren Stühlen aufgesprungen und applaudierten stürmisch. Er hatte die richtigen Fakten präsentiert, Eckdaten einer erfolgreichen Softwarefirma, an der in Zukunft niemand mehr vorbeikam. Durch die von ihm entwickelte und vorangetriebene Fusion, die mehr und mehr zu einer feindlichen Übernahme ausgeartet war, eröffneten sich nunmehr riesige Märkte. Eine gigantische Expansion war auf den Weg gebracht worden, deren Ende nicht abzusehen war. Die meisten der Anwesenden waren Nutznießer seines Erfolgs: Geschäftspartner, Aktionäre und Vertreter der lokalen Politik. Sie feierten ihren Helden, der ihnen allen eine glänzende Zukunft in Aussicht gestellt hatte.
Reiter genoss den Augenblick in vollen Zügen. Er hatte viel dafür getan, viel geopfert. Am Ende war die Rechnung aufgegangen. Er hatte es verdient, das sagte er sich immer wieder.
Kellner in gestärkten Hemden und mit roten Fliegen schwärmten aus und reichten Champagner. Der Lärm im Saal wollte kein Ende nehmen, das Stimmengewirr lag wie ein engmaschiges akustisches Netz über der turbulenten Szene. Der Ort für diese triumphale Feier war gut gewählt: Aus den hohen Fenstern des Wolkenkratzers konnte man aus der fünfundvierzigsten Etage den Finanzdistrikt Frankfurts überblicken. Die Welt unterhalb dieses Levels schien von hier oben klein und überschaubar, vor allem aber einnehmbar und beherrschbar. Alles war jetzt möglich, und auch die kühnsten Pläne warteten nur noch auf ihre Umsetzung.
Reiter nahm sein Glas in die linke Hand und hob es. Mit einer bewusst bescheiden anmutenden Gebärde der rechten Hand gemahnte er die geladenen Gäste zur Ruhe. Er wartete, bis der Letzte im Raum verstummt war.
»Verehrte Anwesende! Erlauben Sie mir noch ein letztes Wort. Ich muss nicht betonen, dass wir mit diesem Vertragswerk einen Meilenstein in der Konzerngeschichte erreicht haben. Wir haben hart daran gearbeitet, das will ich nicht verschweigen. Und sicherlich hat so mancher während dieser Zeit seine stillen Zweifel gehegt. Diese Tage sind vorbei! Ich freue mich, Ihnen allen heute diese überwältigenden Ergebnisse vorlegen zu können.«
Wieder brauste Beifall auf und übertönte den Redner. Reiter wartete lächelnd, bevor er erneut die rechte Hand erhob und bei eintretender Stille fortfuhr: »Danke, vielen Dank! Ich denke, dass dieser Applaus allen Anwesenden gilt, die ihren Beitrag zum Gelingen unseres Projekts geleistet haben. Wir haben die wichtigsten Stationen der Konzernhistorie noch einmal zusammengefasst und im Foyer für Sie eine kleine Ausstellung eingerichtet. Sie finden dort alte Fotos und authentische Dokumente, zu deren Besichtigung Sie gleich herzlich eingeladen sind. Das Fazit dieser glänzenden Geschichte ist trotz aller Komplexität ganz einfach: Es waren die brillanten Ideen, die uns vorangebracht haben, und nicht zuletzt ihre konsequente Umsetzung. Sie alle wissen das. Aber bevor wir darauf anstoßen, darf ich noch kurz um Ihre besondere Aufmerksamkeit bitten. Meine allseits hochgeschätzte Frau, die Ihnen bestens bekannt ist als Pressesprecherin unseres Konsortiums, möchte noch einige Ankündigungen zum Programm des heutigen Abends machen.«
Iris Reiter betrat lächelnd das Podium. Reiter machte einen Schritt zur Seite und überließ ihr mit einer höflichen Geste den Platz am Mikrofon. Sie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen und nickte kurz. Reiter konnte nicht verhehlen, dass er ihr souveränes Auftreten bewunderte, immer noch und immer wieder.
Sie hatte ein Gesicht, das ihn von Anfang an in Bann gezogen hatte: eine perfekte Symmetrie ohne Brüche. Glatte, meist leicht gebräunte Haut, die aus Marmor hätte sein können. Blassgraue Augen, die von einem Stich Grün umrandet wurden, blickten interessiert, aber kühl. Das Lächeln ihrer ebenmäßigen Lippen hatte etwas Verbindliches und enthüllte eine wie mit dem Lineal gezogene Linie weißer Zähne. Das Gesicht wurde von langem, hellblondem Haar umrahmt, das sie meist zurückgekämmt und straff eingefasst trug. Das Make-up war dezent aufgetragen und akzentuierte lediglich die harmonische Physiognomie. Die Perfektion ihres Gesichts setzte sich in ihrer gesamten Gestalt fort; bis hinunter zu den schlanken Fesseln war sie in jedem Detail makellos. Reiter verglich sie gelegentlich in einem Anflug von Ironie mit einer aus weißem Stein gemeißelten Statue des griechischen Altertums. Nicht nur in der Rolle als Gattin des erfolgreichen Chefs einer expandierenden Firma hatte sie geglänzt, sie war vor allem wie geschaffen für die Aufgaben einer Pressesprecherin. Als Blickfang der Kameras konnte sie schon einen Bonus für sich verbuchen, noch bevor sie überhaupt ein Wort von sich gegeben hatte, was ihr besonders bei kritischen Fragen zur Firmenpolitik sehr zugute kam. Ihr freundlich-charmanter Stil verschleierte die stringente Unnachgiebigkeit in der Sache. Iris Reiter war sich ihrer Stärke bewusst und setzte sie durchaus gezielt ein. Auf den großen Parketts der hart umkämpften, männerdominierten Geschäftswelt war sie äußerst erfolgreich.
»Verehrte Anwesende, liebe Freunde«, sagte sie mit rauchiger Stimme in die Stille, die sofort eingetreten war, als sie das Podium betreten hatte. »Ich möchte Sie noch auf einige Programmpunkte des heutigen Abends hinweisen.«
Sie machte eine kurze Pause und vergewisserte sich der vollen Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer. Alle Blicke richteten sich auf sie. Sie streifte Reiter mit einem flüchtigen Lächeln, bevor sie weitersprach: »Wenn Sie unsere kleine Fotogalerie im Foyer besucht und sich ein wenig die Füße vertreten haben, möchte ich Sie bitten, hier im Saal erneut Platz zu nehmen. Wir haben nämlich das besondere Glück, das renommierte Eliot Duo bei uns zu Gast zu haben, das für uns einen musikalischen Leckerbissen vorbereitet hat. Den Musikliebhabern unter Ihnen ist die Sonate von Claude Debussy für Klavier und Violoncello sicher bestens bekannt, aus der wir den dritten Satz, das ›Finale‹, hören. Wir werden das Stück in etwa einer halben Stunde hier auf dieser Bühne dargeboten bekommen. Zu festlichen Anlässen gehören eben festliche Rituale. Danach werden wir genügend Gelegenheit zum Feiern haben. Für Speisen und Getränke ist gesorgt; bitte bedienen Sie sich am Büfett. Die namhafte Band The Dreamdancers hat ein besonderes Programm für Sie zusammengestellt und lädt zum Zuhören, Träumen und zum Tanzen ein; sie wird keine Wünsche offen lassen. Mehr möchte ich jetzt nicht verraten. Lassen Sie sich überraschen. Und nun darf ich uns zu diesem wundervollen Tag gratulieren und Sie bitten, Ihr Glas zu heben und darauf anzustoßen!«
Gläserklirren erfüllte die Luft. Auf dem Parkett wurde es quirlig. Herren in dunklen Anzügen und Damen in eleganter Garderobe setzten sich langsam in Richtung Foyer in Bewegung, lebhaft miteinander plaudernd.
Reiter schaute auf seine Breitling-Armbanduhr. Er gab sich einen Ruck und konzentrierte sich auf das Geschehen um ihn herum. Es waren wichtige Leute hier, und es galt, Kontakte zu pflegen und neue Netze gegenseitiger Verbindlichkeiten zu spinnen. Das war schließlich eine der Säulen erfolgreicher ISP-Politik, die mittlerweile wichtiger zu sein schien als das technische Produkt selbst. Ein Produkt konnte so gut sein, wie es wollte, solange es niemand kaufte, war es praktisch wertlos.
»Was bekommen wir denn heute zu hören?«, erkundigte sich der ältere Herr, der jetzt an ihn herangetreten war. Seine von den Halogenlampen der Deckenbeleuchtung angestrahlte Glatze spiegelte das Licht ganz eigentümlich. Reiter kannte ihn nur flüchtig und suchte fieberhaft nach seinem Namen. Alles, was ihm einfiel, war die vage Erinnerung, dass es sich um einen vermögenden Adligen alter Schule handelte. »Ihre Gemahlin hat von einer Sonate von Debussy gesprochen, aber nicht verraten, um welche der zahlreichen Sonaten es sich wohl handeln mag.«
Reiter machte eine Geste des Bedauerns. »Ich weiß es selbst nicht, Herr Baron, es tut mir außerordentlich leid«, sagte er. »Meine Frau hat sich um das Rahmenprogramm gekümmert. Sie hat die Kontakte zu den Künstlern hergestellt und alles organisiert. Aber ich bin sicher, dass sie eine gute Wahl getroffen hat.«
»Sicher hat sie das«, gab der Baron mit sichtlichem Vergnügen zurück. »Mein Kompliment an Ihre reizende Gattin, Herr Reiter. Eine außergewöhnliche Frau. Gehen Sie pfleglich mit ihr um! So eine Frau bekommt man nur einmal im Leben. Und lassen Sie bitte diesen albernen Baron aus dem Spiel. Mein Name ist Reichelm, Albert von Reichelm.«
***
In einem Anflug von...




