E-Book, Deutsch, 586 Seiten
Dörge / Henry / Short DER LETZTE SCHUSS
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7487-1326-5
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
16 Western-Stories US-amerikanischer Autoren und Autorinnen
E-Book, Deutsch, 586 Seiten
ISBN: 978-3-7487-1326-5
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
DER LETZTE SCHUSS ist nach NACHT ÜBER GUNLOCK und IM ANGESICHT DES TODES bereits die dritte umfangreiche, von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Western-Anthologie, die in der Reihe APEX WESTERN erscheint. Der Band versammelt 16 erstklassige Western-Erzählungen US-amerikanischer Spitzen-Autoren und -Autorinnen, u. a. von Louis L'Amour, Wayne D. Overholser, Peggy Simson Curry, Dorothy Johnson, Luke Short und Will Henry. DER LETZTE SCHUSS wird ergänzt durch eine ausführliche bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Fred Grove: DIE WEISSE INDIANERIN (Comanche Woman)
Es war erstickend heiß. Die Reiter auf der Prärie ritten weit auseinandergezogen, schleiften lange Travois-Stangen hinter sich her, die dünne Sandfontänen aufwirbelten. Sie ritten auf mageren Pferden, rückten langsam und behutsam vor wie Fremdlinge in einem Land, in dem sie früher unumschränkt herrschten. Sie folgten einem einzelnen Krieger, der auf das steinerne Fort zuhielt. Dort erwartete ihn eine Schwadron vor den Mauern. »Glauben Sie, es gibt Schwierigkeiten?«, fragte der junge Lieutenant, der das Kommando führte, nervös. Er wendete sich einem Mann mit wettergegerbtem Gesicht zu, dessen struppiger Bart, der Linie des Jochbogens folgend, die breiten Lippen halb verdeckte. Als Kundschafter der Regierung war der Mann schon sehr sonderbar gekleidet, dachte der Lieutenant: speckige blaue Kniehosen, gemustertes Kattunhemd, eine Weste aus Kalbfell und dazu dieser lächerliche Hut mit der riesigen Krempe und dem Band aus verblichenem Biberfell, das irgendein Kennzeichen oder Abzeichen sein sollte. Der Alte - er war viel älter, als er den Offizieren des Forts eingestehen wollte - legte die Hand über die Augen. Blinzelnd spähte er in die Prärie hinaus, verharrte in dieser straffen, angespannten Haltung. Seine Augen taugten nicht mehr viel; aber er kannte diese Leute nur zu gut, die Krieger der Antilope! Er beobachtete den Anführer des Trupps. Über dem breiten Comanchengesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen flatterte blondes Haar - hell wie Weizengrannen. »Sie kommen in friedlicher Absicht«, murmele der Alte. »Indianer nehmen ihre Familien nicht mit auf den Kriegspfad«, fuhr er fort. »Was Sie dort sehen, sind die letzten Comanchen, Lieutenant.« Der Alte unterdrückte den Groll, der in ihm aufsteigen wollte. »Buffalo ist tot, der Krieg vorbei. Vergessen Sie das nicht.« Es gab eine Menge, was man nicht vergessen sollte, dachte der Alte. Sein Geist begann zu wandern, tauchte ein in die Vergangenheit, holte sich das Bild der endlosen Grasflächen, der sonnenüberfluteten Berge zurück, zwischen denen dieses Volk dahinritt wie ein Wirbelwind. Und dann sah er wieder das träumende Gesicht der weißen Frau vor sich, die vor so langer Zeit bei diesem Volk gelebt hatte... Es war bereits später Nachmittag, als die Frauen Mezquiteholz für die Kochfeuer sammelten, ehe Emily Gelegenheit fand, sich dem kleinen weißen Mädchen zu nähern, das Bärentöter am Morgen als Gefangene ins Lager gebracht hatte. Das Mädchen wirbelte herum. Sein kleines, verschüchtertes Gesicht verzerrte sich in jähem Schrecken. »Lass mich!«, schrie es und zuckte zurück. Die Haut - viel zu blass für die glühende Sonne von Texas - schälte sich schon von Nase und Wangen. Sein Haar hatte die Farbe des Flachses und war mit Staub und Sand verklebt. Doch was Emily wie ein Stich ins Herz traf, war das jähe Entsetzen, das in diesem kleinen, mageren Gesichtchen mit den weit aufgerissenen blauen Augen stand, die viel zu groß für dieses Kindergesicht zu sein schienen. Das Mädchen konnte höchstens zehn Jahre alt sein. »Nicht weh tun - dir«, sagte Emily. Sie hatte sich immer wieder dazu gezwungen, englisch zu sprechen; damit sie nicht die Sprache ihrer Leute vergaß. Sie streckte vorsichtig die Hand aus. Sie war nicht überrascht, als das Mädchen sie wegschlug. »Nicht weh tun - nicht weh tun.« »Geh weg, du dreckige Indianerin!« Das Mädchen raffte ihr kleines Holzbündel auf und rannte fort. Emily fing sie wieder ein. Die Kleine wimmerte und wand sich, und während dieses kurzen Ringens kam es Emily schmerzhaft zu Bewusstsein, dass das weiße Mädchen viel zu schwach für die Lagerarbeit war. Lange nicht so kräftig wie Emily, als man sie damals gefangengenommen hatte. Sobald es Winter wurde, würde die Kleine sterben wie eine junge Wachtel, die vom Schneesturm überrascht wird. »Ich weiß - ich weiß«, Emily suchte verzweifelt nach Worten, hielt das Mädchen fest, ohne ihm weh zu tun. Sie deutete auf ihre eigenen blauen Augen und ihr blondes Haar. »Siehst du? Ich so weiß wie du!« Die Kleine ließ ihr Holzbündel fallen. Der Schrecken wich aus ihrem Gesicht, als sie Emilys Gestalt zum ersten Mal richtig zu betrachten schien. Ihre Lippen zitterten, und sie warf sich schluchzend in Emilys Arme. Emily murmelte Worte, die sie seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte. »Wie heißt du denn, Kleines?«, fragte sie nach einer Weile. »Mary - Mary Tabor.« »Wo kommst du her?« »Fort Belknap - ein Stück flussabwärts.« »Am Salt Fork bei den Brazos.« Mary lächelte mit nassen Augen. »Bist du schon dort gewesen?« »Ist schon lange her«, log Emily, um das Kind bei guter Laune zu halten. »Meine Eltern...«, fing Mary wieder an. Ihre Lippen zuckten. Emily schüttelte den Kopf. »Sprich jetzt nicht davon. Geh zurück ins Lager. Zeige den Indianern nicht, dass du geweint hast. Sei tapfer.« An jenem Abend sprach sie mit Springender Bulle über Mary. »Das kleine Texaner-Mädchen, das Bärentöter gefangen hat - ich möchte sie als Sklavin für unser Zelt haben.« »Sie ist nicht kräftig. Du wirst sie pflegen müssen.« »Sie ist nicht kräftig, weil Bärentöter sie misshandelt. Sie muss hungern. Sie sehnt sich nach ihren Leuten. Ich könnte ihr vieles beibringen. Sie könnte mir eine jüngere Schwester ersetzen.« Im Dämmerlicht des Zeltes sah Emily, wie der Blick aus den dunklen Augen ihres Mannes über sie hinglitt. Ein zärtliches Gefühl stieg in ihr auf. Sie konnte nicht vergessen, wie er damals Antilopenrenner, der sie gefangengenommen hatte, viele Pferde als Lösegeld für sie bezahlt hatte. In gewisser Weise war sie sogar stolz auf ihn. Springender Bulle war ein Krieger, dessen Ansehen im Stamm ständig wuchs. Er konnte immer mit einer großen Zahl von Anhängern rechnen, wenn er einen Kriegszug gegen die Utes oder die Tejanos unternahm. Und selbst wenn sie wusste, dass er die Siedlungen der Weißen heimsuchte, hoffte sie immer, dass er unversehrt zurückkehrte. Sie wunderte sich nur, dass er als reicher Krieger, der nur einen Sohn hatte, nicht noch eine weitere Frau in seinen Wigwam geholt hatte. Als erprobter Jäger konnte er mit Leichtigkeit mehrere Frauen und Kinder ernähren. Dennoch lag eine Kluft zwischen ihm und ihr - die Erinnerung an ihre ermordeten Angehörigen, obgleich dieser Tag schon so lange zurücklag, als wäre er nur ein böser Traum gewesen. Und damals war Springender Bulle auch noch zu jung gewesen, um sich an dem Kriegszug beteiligen zu können. Er antwortete ihr nicht. Und da sie sich noch nie etwas so sehr gewünscht hatte wie die Obhut über dieses kleine weiße Mädchen, unterdrückte sie wohlweislich ihren Eifer. Zwei Tage vergingen. Da entdeckte sie plötzlich, dass sich die Pferdeherde ihres Mannes verkleinert zu haben schien. Ein paar seiner schnellen Buffalo-Renner waren verschwunden. Sie sagte nichts und wartete. Am dritten Tag zog Mary Tabor zu ihnen in den Wigwam. »Nun berichte mir von deinen Angehörigen«, bat Emily die Kleine. Mary starrte auf die Spitze ihrer Mokassins. »Ausgelöscht. Es sei denn, Onkel Arnos konnte sich retten.« Sie zitterte, und Emily sah wieder die Angst in ihrem Gesicht - so deutlich wie die Strieme eines Peitschenhiebes. »Eines Tages wirst du wieder dorthin zurückkehren können«, sagte Emily ernst. Das arme Ding tat ihr leid. »Gib die Hoffnung nie auf, Mary. Ich tue es auch nicht.« Marys große Augen ruhten nachdenklich auf ihr. Sie blickten viel ernster, als man es bei ihren Jahren erwarten konnte. »Du würdest Springender Bulle verlassen, wenn du könntest?« Emily schlug die Augen nieder. Irgendwie schien sie verletzt und überrascht. »Springender Bulle ist ein guter Mann - sehr rücksichtsvoller Mann für einen Indianer«, plapperte Mary weiter. »Hat gute Pferde für mich gegeben. Er ist nicht gemein wie Bärentöter, der immer seine Frauen schlägt. Ich glaube, ich habe sehr großes Glück gehabt. Ich weiß das ganz genau. Und du - du bist so gut zu mir, Emily. Zeigst du mir jetzt, wie man Indianerarbeit verrichtet? Ich muss ja meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich kann ein bisschen nähen. Ich kann auch kochen - und Maisbrot machen.« »Wir haben kein Maismehl«, erwiderte Emily lächelnd. Mary würde ihnen bestimmt nicht zur Last fallen, dachte sie. Als erstes wusch sie Marys Haare und flocht sie zu Zöpfen. Schon am Nachmittag hatte die Kleine ihren gequälten, verschüchterten Blick verloren. Emily nähte ihr Kleider aus Rehfellen, nachdem sie sie weich und glatt gegerbt hatte. Und die Säume und Ärmel bestickte sie mit bunten Perlen. In Marys Nähe erwachte in Emily wieder die Erinnerung an längst vergessen geglaubte Worte und Redewendungen. Heimweh ergriff sie. Deutlicher als je zuvor stieg vor ihren Augen das Bild der Landschaft im Frühling wieder empor, als sie vor den Palisaden des Lagers mit den anderen Kindern gespielt hatte - unter den roten Pflaumenbüschen, an denen schon die Früchte hingen. Sie erinnerte sich an das liebe Gesicht ihrer Mutter, die freundlichen Nachbarinnen, an ihren Vater, der gerade nicht im Lager weilte, als die Indianer sie überfielen. War er noch am Leben? Hatte er nach ihr geforscht oder Lösegeld geboten? Sie fühlte die Stärke eines neugefassten Entschlusses. Sie verwendete jetzt viel mehr Zeit darauf, ihren Sohn Gelbvogel zu erziehen. »Friede ist besser als Krieg«, pflegte sie zu sagen, wenn Springender Bulle gerade nicht in der Nähe war. »Es ist nicht recht, wenn man tötet.« »Die Tejanos töten uns aber«, antwortete der Knabe. Er war dunkelhäutig wie ein reinblütiger...