Doma | Das Haus in Limone | E-Book | www.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Doma Das Haus in Limone

Roman
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-99027-300-5
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-99027-300-5
Verlag: Jung u. Jung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Gabriel Berger fährt für ein Wochenende nach Italien, um sein Ferienhaus am Gardasee zu verkaufen, das er seit anderthalb Jahren nicht mehr betreten hat. Er ist Anfang fünfzig und will Abschied nehmen, wie er sagt, begegnet dabei aber der Studentin Nella, die ihn an seine einstige Liebe Ana erinnert. Die beiden verbringen den Tag gemeinsam am See, und Gabriel sieht sich in seine Vergangenheit zurückversetzt, während Nella sich von dem aus der Zeit gefallenen Mann angezogen fühlt. Am nächsten Morgen entdeckt er nach dem Erwachen eine unbekannte Frau in seinem Hotelzimmer. Sie ist aufgewühlt und in Sorge, weil ihr Mann seit Tagen verschwunden ist. Fasziniert von der rätselhaften Frau begibt sich Gabriel mit ihr auf die Suche. Die Spur führt zu einem schrecklichen Ereignis, das sich anderthalb Jahre zuvor ereignet hat - und zu Gabriels Haus am See. 'Das Haus in Limone' ist ein literarisches Vexierspiel um Mann und Frau, in dem nichts ist, wie es zu sein scheint, eine labyrinthische Reise ins Herz eines Mannes - und ein Abgesang auf das Erbe von '68.

1963 in Budapest geboren, floh mit seinen Eltern aus dem kommunistischen Ungarn, bevor er über Italien nach England und schließlich nach Deutschland kam. Er studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik in München und Eichstätt, wo er 1994 promovierte. Er ist Autor und Übersetzer aus dem Ungarischen (u.a. Péter Nádas, Sándor Márai, László F. Földényi). Für seine Außenseiterkomödie Die allgemeine Tauglichkeit erhielt er 2012 den Chamisso-Förderpreis. Sein letzter Roman Der Weg der Wünsche stand 2016 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.
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4.


»Die meisten Männer leben nur für ihre alberne Arbeit«, erklärte sie draußen. »Als hinge das Wohl und Weh der Welt davon ab … Und wohin jetzt?«

»Hier lang.«

Wir überquerten den kleinen Park zwischen Rathaus und Kirche. Es regnete nicht mehr, aber hinter dem Monte Baldo zogen wieder Wolken herauf. Es ging alles so schnell, dass ich mich gar nicht besinnen konnte, was eigentlich gerade geschah. Liliána eilte voraus, ich folgte ihr, hing an ihr wie ein Hund. Welch verrückter Zufall auch immer mich mit dieser Frau zusammengeführt hatte, es musste darin irgendein verborgener Sinn liegen.

»Wollen Sie nicht schnell noch etwas essen? Oben werden wir nichts finden.«

»Essen Sie ruhig etwas. Wenn Sie mir die Richtung zeigen, komme ich allein zurecht.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich hole nur schnell etwas zu trinken«, sagte ich. »Dauert bloß fünf Minuten, gehen Sie nicht weg!«

Ich lief in den Supermarkt gegenüber, legte zwei Flaschen Mineralwasser in meinen Einkaufskorb, stellte mich an einer Kasse an, kehrte um, besorgte noch zwei Flaschen Rotwein und ein paar Kleinigkeiten für ein Picknick. Ich hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen und wurde allmählich hungrig, und auch Liliána würde nach dem Aufstieg etwas brauchen und dankbar und überrascht sein, wenn ich den Proviant auspackte. Es würde ihre Stimmung heben. Nicht eine Sekunde ging ich davon aus, dass wir auf diese vage Vermutung hin ihren Mann finden würden.

Ich bezahlte. Vor dem Supermarkt sah ich mich um.

Liliána war verschwunden.

Hatte ich sie zu lange warten lassen? Oder hatte sie die ganze Zeit nur auf eine Gelegenheit gewartet, um mich loszuwerden? Ich lief ein Stück die Via Scoisse hinauf, fluchte, weil die Einkaufstüte gegen mein Bein schlug.

Von Liliána fehlte jede Spur.

Als ich linker Hand die Abzweigung des Fußwegs nach Sant’Isidor erreichte, sah ich sie. Wie ein verletzter Vogel hockte sie auf einem Stein am Wegesrand, den Kopf auf die Arme, die Arme auf die Beine gestützt, ein Häufchen Elend.

»So wie Sie dasitzen, wird Sie der erstbeste Mann aufgabeln«, sagte ich, ich hätte alles gegeben, um sie aufzuheitern.

»Er wäre reichlich dumm«, murmelte sie.

»Sagen Sie das nicht.«

»Gehen wir?«

Der Weg war ein schmaler, steiniger, auf beiden Seiten von Maschendrahtzaun gesäumter Pfad. Ich hatte ihn vor vielen Jahren entdeckt, als ich mich beim Abstieg vom Monte Baldo einmal verirrt hatte. Wir gingen Seite an Seite, mal ich einen Schritt voraus, mal Liliána, je nachdem wie sich der Pfad wand. Erst jetzt bemerkte ich ihre eleganten Halbschuhe. Bis wir oben waren, würde sie wunde Füße haben.

Die Geräusche der Stadt verhallten allmählich, es wurde immer stiller und abgeschiedener. Die Schwüle war drückend, der Himmel verdunkelte sich langsam. Unter gewöhnlichen Umständen wäre ich umgekehrt, jetzt dachte ich nicht im Traum daran.

»Was ist denn mit Ihrem Mann?«, fragte ich nach einer Weile, wie beiläufig.

»Was soll mit ihm sein?«

»Verschwindet er öfter?«

»Er ist überstürzt abgereist.«

»Sie haben sich gestritten?«

Sie blieb stehen, wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.

»Wie kommen Sie darauf?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?«, fragte sie.

»Ich bin nicht verheiratet.«

»Dann waren Sie es eben einmal.«

Sie stellte es mit einer Selbstverständlichkeit fest, als hätte sie nur gesagt, dass heute Sonntag war. Aber meine Bemerkung schien sie doch provoziert zu haben, denn mit einem Mal begann sie von ihrem Mann zu erzählen, Alexander, einem Professor in München, mit dem sie seit sechsundzwanzig Jahren verheiratet war. Ihre große Liebe sei er gewesen, ihr Mann eben. Sie sprach eher vor sich hin als zu mir, aber ich lauschte neugierig, erstaunt über so viel Auskunftsfreude. Ich versuchte mir den Mann vorzustellen, konnte aber nur eine instinktive Abneigung für ihn empfinden. Selbstzufriedener Professor oder quirliger Intellektueller, beide Typen waren mir gleichermaßen zuwider.

Der Weg stieß auf ein paar Treppenstufen, führte um eine alte Mauer, dann unter einem Torbogen durch, und wir standen vor der Kapelle Sant’Isidor.

Liliána wandte sich sofort nach links. Unter den Bäumen, fast schon im Dickicht stand ein verwahrlost wirkendes Haus. Sie griff sich an den Mund.

»Mein Gott, nicht wiederzuerkennen!«

Sie trat an die Tür und drückte, ohne zu zögern, die Klingel.

Es schrillte. Wir warteten. Nervös schielte ich zum Himmel über uns, ich hoffte inständig, dass uns jemand aufmachte. Liliána läutete ein zweites Mal, machte einen Schritt zurück.

»Hallo! … Buon giorno! … C’è qualcuno?«

An den Fenstern hingen Vorhänge, sonst deutete nichts darauf hin, dass das Haus bewohnt war. Der Verputz bröckelte großflächig ab, der Boden ringsum war von Laub bedeckt. Ich hielt mein Gesicht ans Fenster und beschattete meine Augen, konnte im Dunkel des Zimmers aber nichts erkennen. Liliána zerriss den Zettel mit der Adresse und warf die Schnipsel weg.

»Und jetzt?«

Trotzig stieß sie gegen das von Dickicht halb überwachsene Zauntor, öffnete es einen Spalt und schlüpfte hindurch.

Ich folgte ihr.

Vor uns lag ein verwilderter Garten, aus dem kniehohen Gestrüpp ragten ein paar Sträucher, in der Mitte stand ein Walnussbaum. Liliána versank in den Anblick.

»Sehen Sie!«, sagte sie und legte die Hand auf meinen Arm. »Dort oben haben wir jahrelang unsere Ferien verbracht, Alexander und ich.«

Ein hölzerner Anbau klebte an der Rückseite des Hauses, Balkone auf beiden Stockwerken, links führte eine Außentreppe in den ersten Stock. Liliána zeigte hinauf.

»Auf dem Balkon haben wir immer gefrühstückt«, sagte sie, »von dort konnte man auch den See sehen, einen Zipfel davon. Unten wohnten die Vermieter, ein älteres Ehepaar, aber wir nahmen sie gar nicht wahr, wir waren jung, verstehen Sie … Im Herbst 1993 waren wir zum ersten Mal hier …«

Ein plötzlicher Windstoß fegte über den Garten, ich zuckte zusammen. Alles begann zu rascheln, und ohne jede Vorwarnung ergoss sich ein Regenschauer über uns. Liliána lief zur Hausmauer, ging in die Hocke und begann mit beiden Händen die brüchige Hausmauer abzutasten.

»Damals war hier irgendwo …«

»… ein Schlüssel versteckt?«, ergänzte ich im Scherz.

»Ja.«

»Kein Witz?«

»Irgendwo hier … oder hier …«

Sie fuhr mit den Fingern über die Mörtelfugen, zog an den Ziegeln. Ich machte es ihr nach. Schon beim ersten Griff in die Mauer kippte ich nach hinten um, einen halben Ziegel in der Hand.

Liliána blieb der Mund offen. Sie griff in das Loch und zog einen Schlüssel heraus. Er war voller Staub.

»Nach fünfzehn Jahren!«

»Heimat ist, wenn sich nichts ändert.«

Schon lief sie die Treppen hinauf, ich hinter ihr, heilfroh, bald im Trockenen zu sein.

Sie klopfte an die Tür.

»Wenn Sie Glück haben, ist auch Ihr Mann noch da drin!«

Sie lachte nicht. Der Schlüssel knarrte.

»Brechen Sie ihn bloß nicht ab.«

Die Tür ging auf.

»Ist das nicht Hausfriedensbruch?«

»Wir sind in Italien«, flüsterte sie.

»Auch die werden ein Wort dafür haben.«

Sie drehte sich zu mir um.

»Na, dann … Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe!«

Verdutzt sah ich sie an.

»Was haben Sie, wollten Sie etwa auch hinein?«

Ich blickte mich um. Es goss in Strömen.

»Na ja … es regnet doch!«

Ich versuchte auf die letzte Treppenstufe zu steigen, aber sie verstellte mir den Weg.

»Sie sind ganz schön anhänglich.«

Das fand ich gar nicht. Schließlich hatte nicht ich mich in ihrem Zimmer breitgemacht, sondern sie sich in meinem.

»Wir kennen uns kaum«, sagte sie.

»Heute kennt sich keiner mehr, das ist der Preis der Freiheit. Sehe ich etwa wie ein Triebtäter aus?«

»Das tun die nie.«

Wir standen uns Auge in Auge gegenüber. Sie fixierte mich, als wollte sie alle meine unerwiderten Blicke seit dem Morgen mit einem einzigen langen, vorwurfsvollen Blick abgelten.

»Immerhin … habe ich den Schlüssel gefunden«, murmelte ich,...


Doma, Akos
1963 in Budapest geboren, floh mit seinen Eltern aus dem kommunistischen Ungarn, bevor er über Italien nach England und schließlich nach Deutschland kam. Er studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik in München und Eichstätt, wo er 1994 promovierte. Er ist Autor und Übersetzer aus dem Ungarischen (u.a. Péter Nádas, Sándor Márai, László F. Földényi). Für seine Außenseiterkomödie Die allgemeine Tauglichkeit erhielt er 2012 den Chamisso-Förderpreis. Sein letzter Roman Der Weg der Wünsche stand 2016 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.

1963 in Budapest geboren, floh mit seinen Eltern aus dem kommunistischen Ungarn, bevor er über Italien nach England und schließlich nach Deutschland kam. Er studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik in München und Eichstätt, wo er 1994 promovierte. Er ist Autor und Übersetzer aus dem Ungarischen (u.a. Péter Nádas, Sándor Márai, László F. Földényi). Für seine Außenseiterkomödie Die allgemeine Tauglichkeit erhielt er 2012 den Chamisso-Förderpreis. Sein letzter Roman Der Weg der Wünsche stand 2016 auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis.



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