E-Book, Deutsch, Band 4, 392 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
Donzowa Bis dass dein Tod uns scheidet
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1233-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 4, 392 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1233-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die neue Miss Marple aus Moskau.
Das Sommeridyll auf Tanjas Datscha wird jäh gestört. Professor Slawin wurde ermordet. Unter seinen Ex-Frauen und Geliebten herrscht Einracht und Frieden. Doch wer war er wirklich? Mit Charme und vielen Tricks beginnt Tanja zu ermitteln, und wie immer helfen ihr Zufall und Glück dabei.
'Abgründig komisches Pointengewitter. Feinste Comedy.' Literaturen.
Darja Donzowa (eigentlich Agrippina Donzowa) wurde 1952 in Moskau geboren. Sie studierte Journalistik an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitete zunächst als Übersetzerin und unterrichtete später Französisch und Deutsch. Seit 1998 schreibt sie Kriminalromane, mittlerweile sind es vier Krimi-Reihen. Sie hat bisher 46 Bücher veröffentlicht, von denen insgesamt 72 Millionen Exemplare verkauft wurden. Darja Donzowa wurde dreimal in Russland Schriftstellerin des Jahres. 2002 und 2003 wurde jeweils eines ihrer Bücher als 'Bestseller des Jahres' ausgezeichnet. Darja Donzowa moderiert im russischen Radio eine Talkshow und hat im Fernsehen eine Rubrik. Ihre Kriminalromane dienten als Vorlage für Hörspiele und Fernsehserien. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und ihren Hunden in Moskau.Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen bisher ihre Romane 'Nichts wäscht weißer als der Tod' (2006), 'Spiele niemals mit dem Tod' (2007), 'Perfekt bis in den Tod' (2007), 'Bis dass dein Tod uns scheidet' (2008), 'Verlieb dich nie in einen Toten' (2009), 'Vögel, die am Abend singen' (2009) und 'Den Letzten beißt der Hund' (2010).
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1. Kapitel
Sommersonne schien freundlich zu meinem Fenster herein. Ich musste niesen und streckte mich genussvoll. Wie gut, dass es an diesem Morgen nicht regnete und wir endlich auf der Datsche angekommen waren. Mit dem Aufstehen hatte es keine Eile. Für Kira und Lisa waren jetzt nur noch Ferien. Unsere Hunde jagten mit fröhlichem Gekläff über den Hof. Ihnen und den Kindern geht es hier draußen am besten – freie Natur, so weit das Auge reicht. Aber meine beiden hockten noch im Haus herum. Von unten drang Lisas schrille Stimme herauf: »Kira – Verlierer!«
»Selber Verlierer!«, gab der zurück.
»Kira – Radierer!«
Es polterte laut. Offenbar hatte sich der Junge auf das freche Ding gestürzt, aber Lisa war durchs Fenster nach draußen gesprungen und rief nun vom Hof: »Kiralein – Stachelschwein, Kiralein – Stinkerlein!«
Kira steckte den Kopf durchs Fenster und wollte es ihr ordentlich zurückgeben: »Lisa … Lisa … Lisamaus …«
»Na, na, und …?«, neckte ihn das freche Gör. »Wie weiter? Na, los!«
»Mist!«, brüllte Kira wütend. »Auf deinen blöden Namen reimt sich ja nichts!«
»Aber auf deinen!« Lisa hörte nicht auf. »Kira klein – macht sich ein! Kira groß – voll die Hos!«
Das war nun wirklich zu viel. »Na warte, wenn ich dich kriege!«
»Versuch’s doch!«, kreischte Lisa fröhlich, sprang auf ihr Fahrrad und jagte zum Tor hinaus.
»Kira lang – Angst und Bang! Kira kurz – lässt ’nen Furz!«, klang es schon aus der Ferne.
Kira lief auf den Hof hinaus und schimpfte lästerlich. Das Mädchen war längst über alle Berge. Ihr Drahtesel hatte die Nacht vor der Tür verbracht, seiner dagegen stand, wie es sich gehörte, angeschlossen in der Garage.
Nun musste ich wohl eingreifen. Als ich aus dem Fenster meines Zimmers schaute, sah ich den Knaben hilflos mitten auf dem Hof stehen.
»Keine Bange, Kira, dir fällt schon noch was ein!«
Der hob den Kopf und stieß wütend hervor: »Daran bist nur du schuld, Tanja! Lisa darf alles! Und mir sagst du immer, man soll zu Mädchen höflich sein … Was kommt denn raus bei der guten Erziehung, he? Eins aufs Maul muss sie kriegen, dann ist sie stille!«
»Aber ein Mann schlägt doch keine Frau!«
»Blödsinn!«, gab Kira zurück. »Wir haben jetzt Gleichberechtigung! Und sie darf mich ärgern, wie sie will? Hör auf mit deinen Prinzipien! Die sind ja aus der Steinzeit! Nicht mal Computer habt ihr damals gehabt! Die Kinder sind heute eben anders. Wart’s nur ab, Lisa, dir reiß ich die Ohren ab!«
»Erst mal musst du sie kriegen«, erwiderte ich und machte mich auf den Weg zur Küche. Zeit für ein gemütliches Frühstück.
Kira ist in dem Alter, das die gelehrten Psychologen mit dem Wort Pubertät beschreiben. Einfach gesagt, ist das die Zeit, da dem Vögelchen die ersten Federn wachsen. Plötzlich fordert es für sich die Rechte der Großen, klammert sich aber zugleich an die Privilegien der Kleinen. Über Kira kann ich eigentlich nicht klagen. Er raucht nicht, hat noch nicht nach der Flasche gegriffen oder aus der Plastiktüte geschnüffelt. Aber manchmal kann man sich jetzt mit ihm überhaupt nicht mehr einigen. Frech fordert er, dass ich alle meine Verbote begründe. Man darf nicht bis in den frühen Morgen Videos gucken? Wieso nicht? Es sind Ferien, bis zum Mittag habe ich ausgeschlafen. Man kann den Tag nicht mit Schokolade anfangen? Haferflocken sind gesünder? Was für ein Unsinn! Von zu viel Süßem kriege ich Bauchschmerzen? Es ist doch mein Bauch! Und das Bauchkniepen vergeht auch wieder. Ich soll nicht ohne Jacke im Regen herumlaufen? Das macht doch Spaß! Ja, wenn man alt und über dreißig ist …
Lisa hat sich andere Schrullen zugelegt. Mehrmals täglich wechseln bei ihr Lachen und Weinen. Stundenlang kann sie vor dem Spiegel sitzen und alle ihre Sachen durchprobieren. Wenn sie damit fertig ist, reißt sie sich das letzte Fähnchen vom Leib und stöhnt verzweifelt: »Da ist ja furchtbar! Ich bin eine scheußliche, fette Kuh mit Haaren wie Stroh und Äuglein wie ein Ferkel. Aufhängen müsste ich mich!«
Dabei ist Lisa ein nettes Mädchen, das sich in fünf Jahren ganz bestimmt zu einem strahlenden Schwan mausern wird. Aber dem jungen Entlein fehlt es einfach an Geduld und ein wenig Gelassenheit.
Lisa und Kira wachsen miteinander auf, könnten aber verschiedener nicht sein. Kein Wunder – sie sind nicht miteinander verwandt. Wir leben alle drei einträchtig zusammen, doch ich bin nicht ihre Mutter, besser gesagt, ich habe sie nicht zur Welt gebracht.
Kira ist der Sohn meiner besten Freundin Katja, einer Chirurgin. Sie hat noch einen Sohn – Serjosha. Der ist schon fünfundzwanzig und mit Julia verheiratet. Alle drei sind im Moment in Amerika, wo Katja in einer Klinik arbeitet. Kira ist bei mir in Moskau geblieben.
Ich will mich hier nicht lange darüber verbreiten, wie ich in Katjas Familie geraten bin. Ich bin geschieden, habe selber keine Kinder und kümmere mich gern um Kira und Lisa.
Das Mädchen hat uns der Zufall gebracht. Ihr Vater, der bekannte Schriftsteller Kondrat Rasumow, kam auf tragische Weise ums Leben. Ihre Mutter hatte ihm schon bei der Geburt des Mädchens alle ihre Rechte abgetreten. Ich war zu der Zeit Rasumows Haushaltshilfe und habe Lisa zu mir genommen. Obwohl es nicht leicht war, habe ich schließlich die Vormundschaft über sie erhalten. Unser großzügiger Staat zahlt mir dafür 180 Rubel im Monat. Davon soll ich sie doch tatsächlich ernähren, kleiden und ihr eine Ausbildung ermöglichen. Aber wir lassen den Kopf nicht hängen. Katja und Serjosha verdienen in Miami so viel, dass es auch für uns reicht. Außerdem will ich niemandem auf der Tasche liegen, nicht einmal der besten Freundin. Ich habe mir also eine Arbeit gesucht. Das war nicht einfach, denn ich habe einen seltenen Beruf, den in unserer Zeit keiner braucht. Ich bin Harfenistin. Zum großen Star hat mein Talent allerdings nicht gereicht. Ansonsten kann ich nicht viel. Eines doch: Ich vergöttere Kriminalromane und verschlinge Unmengen davon. Dabei habe ich festgestellt, dass mein Hirn irgendwie dafür geschaffen sein muss: Meist weiß ich schon nach den ersten vierzig Seiten, wer der Mörder ist.
In diesem Frühjahr hatte ich Glück. In der Metro bin ich Dima Kowaljow, einem Studienkollegen aus dem Konservatorium, über den Weg gelaufen. Auch er ist kein großer Musiker geworden. Er spielt Geige, aber leider nicht wie Wladimir Spiwakow. Wir freuten uns beide und ließen uns auf einer Bank nieder. Dima berichtete traurig: »Du wirst nicht glauben, was ich jetzt mache. Zusammen mit Wanja Lykow und Darja Medwedewa spiele ich bei Hochzeiten, Kindtaufen und ähnlichen Gelegenheiten – wo man uns gerade braucht. Kannst du dich noch an Wanja und Darja erinnern?«
Das konnte ich. Wir tauschten die Telefonnummern aus und gingen unserer Wege. Eine Woche später rief Dima unerwartet an.
»Tanja, du musst uns aus der Patsche helfen! Darja hat geheiratet und sich nach Deutschland abgesetzt.«
»Was soll ich denn machen?«
»Für sie einspringen! Nur eine Woche, bis wir jemand neues gefunden haben!«
»Was bringt euch denn meine Harfe?«
»Nein, die passt wirklich nicht«, seufzte Dima, »aber Keyboard kannst du doch auch spielen, oder?«
»Na ja, wenn wir ein bisschen proben …«
»Du bist ein Schatz!« Dima war erleichtert. »Fünfhundert Dollar sind verdient wie nichts, die Leute reißen sich um uns!«
Ich habe mich also breitschlagen lassen und ziehe nun mit den Jungs durch die Gegend. Unsere »Band« besteht aus Gitarre, Saxophon und meinem Yamaha-Keyboard. Was wir fabrizieren, klingt einfach grauenhaft. Die Bremer Stadtmusikanten haben sich bestimmt harmonischer angehört als wir. Aber unsere Kunden verstehen nicht viel von Musik. Bei einer Hochzeit kommt es darauf an, am Anfang Mendelssohns Marsch möglichst laut zu spielen. In unserer Besetzung klingt er sehr originell. Dann haben es alle eilig, an Teller und Flaschen zu kommen. Bald ist Stimmung im Saal. Nun sind nur noch drei Hits der Volksmusik gefragt: »Katjuscha«, »Kalinka« und »Rjabinuschka«, das Lied von der Eberesche. Am besten, wir spielen sie mal langsam und mal schnell. Mehr wollen die Leute nicht. Solche bescheidenen Wünsche erfüllen wir bereitwillig und erfreuen uns daher wachsender Beliebtheit. Mundpropaganda ist die beste Werbung. Inzwischen macht mir die Sache sogar Spaß. Man schaut in fröhliche Gesichter und wird großzügig bewirtet. Ein Problem ist nur, dass Wanja und Dima selber gern einen heben. Ich muss höllisch auf sie aufpassen. Zu später Stunde bin ich manchmal schon solistisch aufgetreten, weil meine beiden Begleiter zusammen mit einem Teil der Gäste unter dem Tisch schnarchten. So ist die »Dienstverweigerung« kaum jemandem aufgefallen.
Die Datsche, wo wir jetzt wohnen, habe ich von meinen Eltern geerbt. Sie liegt in Aljabjewo, einem zauberhaften kleinen Ort kaum zwanzig Minuten von Moskau entfernt, wenn man den Vorortzug nimmt.
Das Haus hat mehrere Zimmer, fließend warmes und kaltes Wasser, Gas, ein Bad und sogar ein Telefon. Mein Vater war ein bekannter Wissenschaftler, der Raketen konstruierte. Als Akademiemitglied stand ihm eine staatliche Villa auf dem Lande zu. Meine Mutter, eine Opernsängerin, war davon begeistert. Aber Papa, der sonst jede Alltagsfrage ihr überließ, übertönte sie im entscheidenden Gespräch, was bei ihrer Stimmgewalt nicht einfach war.
»Red keinen Unsinn!«,...