E-Book, Deutsch, Band 6, 386 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
Donzowa Vögel, die am Abend singen
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8412-1235-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, Band 6, 386 Seiten
Reihe: Tanja ermittelt
ISBN: 978-3-8412-1235-1
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
'Die russische Miss Marple.' Brigitte.
Völlig überraschend begegnet Tanja ihrer Jugendliebe Edik. Damals am Moskauer Konservatorium sagte man ihm eine Weltkarriere als Geiger voraus. Heute ist er Friedhofsdirektor. Kurz nach ihrem Zusammentreffen wird er jedoch ermordet. Mit erlaubten und unerlaubten Tricks sucht Tanja nach dem Mörder und gerät in eine Welt geheimnisvoller Leidenschaften ...
'Ein sehr unterhaltsamer Krimi.' Bunte.
Darja Donzowa (eigentlich Agrippina Donzowa) wurde 1952 in Moskau geboren. Sie studierte Journalistik an der Moskauer Lomonossow-Universität, arbeitete zunächst als Übersetzerin und unterrichtete später Französisch und Deutsch. Seit 1998 schreibt sie Kriminalromane, mittlerweile sind es vier Krimi-Reihen. Sie hat bisher 46 Bücher veröffentlicht, von denen insgesamt 72 Millionen Exemplare verkauft wurden. Darja Donzowa wurde dreimal in Russland Schriftstellerin des Jahres. 2002 und 2003 wurde jeweils eines ihrer Bücher als 'Bestseller des Jahres' ausgezeichnet. Darja Donzowa moderiert im russischen Radio eine Talkshow und hat im Fernsehen eine Rubrik. Ihre Kriminalromane dienten als Vorlage für Hörspiele und Fernsehserien. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren drei Kindern und ihren Hunden in Moskau.Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen bisher ihre Romane 'Nichts wäscht weißer als der Tod' (2006), 'Spiele niemals mit dem Tod' (2007), 'Perfekt bis in den Tod' (2007), 'Bis dass dein Tod uns scheidet' (2008), 'Verlieb dich nie in einen Toten' (2009), 'Vögel, die am Abend singen' (2009) und 'Den Letzten beißt der Hund' (2010).
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Wer kann mir erklären, warum auf einen schönen Abend so ein hässlicher Morgen folgt? Warum man nach einer schlaflosen Nacht, ohne jedes Make-up, mit roten Augen wie ein Angorahäschen und zerzaustem Haar ausgerechnet seiner Jugendliebe über den Weg läuft, die man ewig nicht gesehen hat? Einem Mann im feinen Zwirn, der, nach teurem Rasierwasser duftend, am Steuer eines dicken Mercedes sitzt, lächelnd die schneeweißen Zähne bleckt und dazu meint: »Na, jünger bist du ja nicht gerade geworden, meine Liebe. Weshalb lässt du dich so gehen?«
Sollte ich nun vor Wut kochen oder vor Selbstmitleid vergehen? Warum war ich ihm nicht gestern begegnet, als ich in meinem Mantel aus sibirischem Feh, sorgfältig frisiert und hergerichtet, auf eine Party ging? Warum musste es unbedingt heute sein, da ich, von Kopfschmerz geplagt, in meiner schäbigsten Jacke zur Apotheke lief? Das Schicksal ist schon ein arger Schalk, der zuweilen böse Scherze mit uns treibt …
Schon der Start in diesen Tag war eine einzige Katastrophe. Da die Kinder Kira und Lisa in der Schule saßen und ich nicht zur Arbeit musste, wollte ich die ruhige Stunde am Morgen nutzen und schaltete die Waschmaschine ein.
Der technische Fortschritt erleichtert uns Frauen das Leben ungemein. Heute müssen wir Laken und Bettbezüge nicht mehr mit übelriechender Kernseife bearbeiten und uns auf dem Waschbrett die Finger wund scheuern. Das erledigt die Maschine für uns.
Ich stopfte, was da schmutzig herumlag, in die Trommel und drückte den Knopf. Als ich hörte, wie das Wasser geräuschvoll in unsere Candy schoss, ließ ich mich, zufrieden, meine Pflicht getan zu haben, mit einer Tasse Tee vor dem Fernseher nieder.
Ein kalter, trüber Morgen schaute zum Fenster herein. In diesem Jahr brachte uns der Herbst schon strengen Frost – zehn Grad minus am 2. November! Aber in meiner Küche war es gemütlich warm und duftete nach frischem Toast. Alle unsere Vierbeiner – wir haben eine Menge davon: vier Hunde und drei Katzen – hatten sich auf ihre Lieblingsplätze zurückgezogen. Unsere drei Hunde mit kurzem, glattem Fell, die Möpsinnen Mulja und Ada, dazu die Staffordshire-Dame Rachel, verkriechen sich, wenn es kalt wird, gern unter eine Decke. Der vierte im Bunde, die Promenadenmischung Ramik mit dickem schwarzweißem Pelz, schläft einfach auf den Fliesen unter dem großen Küchentisch. Fressen ist seine Leidenschaft, weshalb er sich stets nahe bei seinem Napf aufhält. Es könnte ja jemand etwas hineinlegen. Damit hat er durchaus Erfolg. Beim Kochen fällt immer mal etwas herunter – eine halbe Möhre oder gar ein Stückchen Fleisch… Und auf dem Tisch lassen achtlose Hausbewohner gern ein paar Kekse oder Bonbons in einer Schale zurück. Zu offenem Raub lässt sich Ramik allerdings nicht hinreißen. Anders unsere dicke Mulja. Erblickt sie einen angeschnittenen Kuchen, der auf dem Küchentisch vergessen wurde, zögert sie keinen Augenblick. Vor Anstrengung schnaufend, klettert sie zunächst auf einen Stuhl und von dort mitten auf die Tischplatte, wo sie das Objekt der Begierde erwartet. Hat sie es dann verschlungen, schläft sie wie ein Stein und lässt sich von nichts und niemandem stören. Ihre Schwester Ada macht das wesentlich intelligenter. Sie würde nie ein Wurstbrot anrühren, das Kira achtlos auf dem Zeitungstischchen beim Fernseher ablegt. Sie starrt es nur mit traurigen Augen unverwandt an und seufzt dabei tief. Dafür ist Ada von morgens bis abends bellend in der Wohnung unterwegs und sucht nach einem Spielpartner. Vor ihr hat man Tag und Nacht keine Ruhe. Leider wohnt in unserer Nachbarwohnung eine Dame, die gern tief in die Flasche guckt. Wenn sie Gäste hat, und das passiert fast jeden Abend, dann gibt Ada überhaupt keine Ruhe.
Auch an diesem Morgen saß sie auf der Küchenschwelle und ließ alle paar Sekunden ein kurzes »Wau!« ertönen.
»Sei endlich still!«, fuhr ich sie an.
Aber die Möpsin gab keine Ruhe. Ich versuchte sie zu ignorieren und starrte auf das Fernsehbild. Ich wollte einen gemütlichen Tag mit Nutzen für uns alle verbringen. Zuerst einkaufen, dann für drei Tage im Voraus Mittagessen kochen, einen Napfkuchen backen, den Kira schon seit Tagen von mir verlangte, und die Wohnung putzen. Die Flusen in den Ecken konnte ich schon nicht mehr sehen.
Ada wollte sich einfach nicht beruhigen. Aufgeregt schaute sie immer wieder in Richtung Korridor und blaffte unentwegt weiter.
»Sei jetzt endlich still!«, rief ich schließlich wütend. »Was hast du denn?« In diesem Augenblick ertönte ein lautes Heulen. Ich stürzte aus der Küche. Das war Rachel. So reagierte sie nur bei höchster Gefahr.
Als ich in den Korridor trat, schrie ich vor Schreck auf. Ich stand mit beiden Füßen im Wasser, besser gesagt, in Seifenlauge, die heftig aus dem Bad strömte. Ada bellte nun wie wild und schaute mich vorwurfsvoll an, als wollte sie sagen: Das habe ich gemeint! Und du hast mich angefahren!
Als ich mich schimpfend und fluchend zum Bad durchgekämpft hatte, sah ich die Bescherung: Der Schlauch des Waschautomaten, durch den das Schmutzwasser ins Waschbecken fließen sollte, hing friedlich an der Wand. Ich hatte ihn schlichtweg vergessen.
Nun blieb mir nichts weiter übrig, als die Überschwemmung unter dem Geheul der Hunde mühsam zu beseitigen. Eine Stunde später schlich ich, völlig durchnässt und zerzaust, in die Küche zurück. Nach diesem Desaster glaubte ich mir eine Belohnung verdient zu haben. Ich steckte also eine Scheibe Brot in den Toaster und schaltete ihn ein …
Aus dem Gerät, das am frühen Morgen noch einwandfrei funktioniert hatte, schoss eine Stichflamme hervor. Ada heulte auf und verschwand unter dem Tisch. Zu Tode erschrocken, riss ich den Stecker aus der Dose und warf das Markengerät von Bosch auf den Balkon hinaus, wo es völlig ausbrannte. Zum Glück blieb als einzige Spur von dem Malheur nur ein schwarzer Fleck am Boden unserer Loggia übrig.
Nachdem ich den entfernt hatte, stopfte ich den Lappen in den Mülleimer, schaute kurz in den Spiegel und seufzte tief auf. Vor dem Einkaufen musste ich mich erst einmal selber in Ordnung bringen. Ich war noch nicht aus der Tür, als es hinter mir einen lauten Schlag tat, auf den nun alle vier Hunde mit Geheul reagierten.
Aus unerfindlichem Grund war einer der Hängeschränke in der Küche zu Boden gefallen. Davon haben wir in dem großen Raum mehrere und alle mit nützlichen Dingen vollgestopft: Töpfen, Lebensmitteln, Konserven … Jeder hätte herabfallen können, aber es hatte ausgerechnet den erwischt, in dem wir Tassen, Teller und Gläser aufbewahrten. Nun war der Küchenboden übersät von zerschlagenem Glas und Porzellan. Das Kristall schien förmlich zu Glaspulver zersprungen zu sein.
Als Erstes holte ich die vor Entsetzen wimmernde Ada aus dem Epizentrum des Bebens hervor und bugsierte sie auf den Korridor hinaus. Dann schüttelte ich Ramik die Glassplitter aus dem Fell und schickte ihn der Möpsin hinterher. Niedergeschlagen machte ich mich an die Beseitigung des Chaos. Dieser Tag, den ich so ruhig hatte angehen wollen, geriet allmählich zum Alptraum.
Als ich nach zwei Stunden wieder etwas zu mir gekommen war, griff ich nach dem Bohrer, um für den herabgefallenen Schrank neue Löcher zu bohren. Da stellte ich fest, dass keine Dübel mehr im Hause waren. Über den Jogginganzug, in dem ich zu Hause herumlaufe, warf ich rasch meine chinesische Daunenjacke, um ins nächste Eisenwarengeschäft zu laufen. Ich wusste eines ganz in der Nähe am breiten Prospekt bei der Metrostation. Eigentlich hatte ich große Lust auf Kaffee, aber nach allem, was schon passiert war, traute ich mich gar nicht mehr, den Wasserkocher einzuschalten.
Ich schlüpfte in Kiras älteste Stiefel, schlug die Kapuze hoch und lief auf die Straße. Bis die Kinder aus der Schule kamen, musste ich die Wohnung in Ordnung gebracht haben. Ich wollte nicht riskieren, dass sie sich auf meine Kosten lustig machten. Kira und Lisa sind in einem Alter, das die Fachleute mit dem rätselhaft schönen Begriff Pubertät bezeichnen. Wie man es auch nennen mag, sie hatten sich zu höchst anstrengenden, ewig miteinander im Streit liegenden, mit sich und der Welt unzufriedenen Subjekten gemausert.
Erst gestern hatte Kira einen Mann von intelligentem Äußeren als Esel beschimpft, nur weil der ihn im Geschäft ein wenig angestoßen hatte. Der rückte seine Brille zurecht und sagte friedlich: »Oh, entschuldigen Sie!«
»Esel!«, fuhr Kira ihn an. »Idiot, was trampelst du mir auf den Füßen rum!« Der so Beschimpfte maß mich und den wutschnaubenden Jungen mit einem vielsagenden Blick, wandte sich um und ging ohne ein Wort. Dafür warf uns die Verkäuferin den gewünschten Kefir hin und fragte giftig: »Ist das Kerlchen schon gegen Tollwut geimpft?«
Ich schob Kira auf die Straße hinaus und zischte ihn an: »Schämst du dich denn gar nicht?«
»Wieso?«, gab der zurück. »Soll er doch das nächste Mal gucken, wo er hintritt.«
»Du meine Güte«, murmelte ich, »eine Schande! Was wird der Mann jetzt von uns denken?«
Kira warf mir einen abschätzigen Blick zu und brummte: »Hör auf, Tanja, den sehen wir nie wieder! Kann mir doch egal sein, was der von uns denkt!«
Was sollte ich darauf sagen? Abends kam Lisa in mein Zimmer gestürzt. Sie riss den Kleiderschrank auf, griff nach einer Hose und wollte sie sich über das schon recht üppige Hinterteil zerren. Als das nicht ging, rief sie heulend: »Stell dir vor, Tanja, ich bin dicker als du! Was soll ich denn jetzt machen?«
...